Zur Rolle der NSA und anderer US-Nachrichtendienste

KFIBS e. V.
Publikationsprojekt
5/2015
Zur Rolle der NSA und anderer US-Nachrichtendienste nach „9/11“:
Entwicklung im Geheimdienstsektor und Einfluss der Intelligence
Community auf den außenpolitischen Entscheidungsprozess in den USA
Von Sascha Arnautović und Hendrik W. Ohnesorge
Zusammenfassung:
Den Geheimdiensten – auch „Nachrichtendienste“ genannt – kommt im Wesentlichen die
Aufgabe zu, für die jeweilige Regierung (Exekutive) sicherheitsrelevante Informationen zu
beschaffen. Auf Grundlage der nachrichtendienstlichen Analyse und Auswertung von zum Teil
nicht frei verfügbaren – sprich: geheimen – Informationen kann die betreffende Regierung im
nationalen Interesse entscheiden und handeln, sodass zuvor bestehende Unsicherheiten über die
Intentionen anderer Akteure auf diese Weise reduziert werden können. Im Falle der Vereinigten
Staaten von Amerika erhält der Präsident allmorgendlich den sogenannten President’s Daily Brief
(kurz: PDB) – eine Übersicht mit den neuesten geheimdienstlichen Erkenntnissen über relevante
internationale Ereignisse und Entwicklungen. Alles in allem ist eine Ähnlichkeit hinsichtlich der
Aufgaben der Nachrichtendienste weltweit festzustellen; allerdings stechen US-amerikanische
Geheimdienste durch Spezifika in Bezug auf die Quantität und Qualität besonders hervor. Woran
liegt das?
Durch die Terroranschläge vom 11. September 2001 (auch: „9/11“) und dem mit ihnen
verbundenen nationalen Trauma kam es in den USA zu einer Neuausrichtung der
Geheimdienste: neue Verantwortlichkeiten wurden festgelegt, der sogenannte War on Terror
ausgerufen, eine neue „Nationale Sicherheitsstrategie“ (National Security Strategy [NSS]) im
September 2002 vorgelegt, die Relevanz und Befugnisse von Nachrichtendiensten gesteigert bzw.
erweitert sowie ein neues Ministerium, das sogenannte Heimatschutzministerium (Department of
Homeland Security [DHS]), für eine bessere und effizientere Koordinierung geschaffen. Erklärtes
Ziel der damaligen US-Regierung war es, fortan den – aus ihrer Sicht – bestmöglichen Schutz für
die Bürgerinnen und Bürger der Vereinigten Staaten zu gewährleisten. Die US-Geheimdienste
sollten zukünftig die „Speerspitze“ gegen terroristische Gewaltakte auf nationaler Ebene und
zugleich gegen Bedrohungen durch feindlich gesinnte Staaten und Kräfte auf internationaler
Ebene bilden. Die vormals strikte Trennung zwischen Inlands- und Auslandsgeheimdiensten in
den USA war damit endgültig Geschichte.
Was dann folgte, war vor allem eine massive Ausweitung von Spionage und
Überwachung durch den US-amerikanischen Geheimdienst National Security Agency (NSA), der
weder vor befreundeten ausländischen Politikerinnen und Politikern noch vor den eigenen
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Bürgerinnen und Bürgern Halt machte. Ein altes Spannungsfeld erhielt somit neue Brisanz: das
Spannungsfeld zwischen Freiheit und Sicherheit. Die Enthüllungen von Julian Assange (Gründer
der Online-Plattform „WikiLeaks“) und Edward Snowden (früherer NSA-Mitarbeiter) über die
zumindest zweifelhaften Aktivitäten des US-Militärs und der US-Geheimdienste haben dazu
geführt, dass die transatlantischen Beziehungen in eine schwere Vertrauenskrise geraten sind.
Insbesondere das deutsch-amerikanische Verhältnis hat durch das gezielte Abhören des
Mobiltelefons der Bundeskanzlerin seitens der NSA Schaden genommen, und das trotz der
Beschwichtigungsversuche von US-Präsident Obama gegenüber Merkel. Es hat den Anschein, als
ob die Vereinigten Staaten selbst gegenüber ihren engsten Verbündeten nach dem Motto
„Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser“ verfahren würden.
Der Beitrag untersucht vor diesem Hintergrund die Entwicklung im Geheimdienstsektor
in den USA seit „9/11“ sowie die veränderte Rolle der Nachrichtendienste angesichts neuer
Bedrohungen und Herausforderungen. Gleichzeitig wird die US-amerikanische Intelligence
Community (IC) und deren Einfluss auf den außenpolitischen Entscheidungsprozess erforscht.
Zwei Fallbeispiele, die „WikiLeaks-Affäre“ und der „NSA-Skandal“, dienen als empirische
Anschauungsbeispiele zur Illustration der neuen Rolle der US-Geheimdienste. Abschließend wird
das Spannungsfeld zwischen Freiheit und Sicherheit erörtert und kritisch diskutiert.
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