Rogate, 10. Mai 2015, 18 Uhr Kaiser-Wilhelm-Gedächtnis-Kirche Psalmton Gottesdienst Vikarin Anna Trapp Predigttext: Psalm 95 1 Kommt herzu, lasst uns dem HERRN frohlocken und jauchzen dem Hort unsres Heils! 2 Lasst uns mit Danken vor sein Angesicht kommen und mit Psalmen ihm jauchzen! 3 Denn der HERR ist ein großer Gott und ein großer König über alle Götter. 4 Denn in seiner Hand sind die Tiefen der Erde, und die Höhen der Berge sind auch sein. 5 Denn sein ist das Meer, und er hat's gemacht, und seine Hände haben das Trockene bereitet. 6 Kommt, lasst uns anbeten und knien und niederfallen vor dem HERRN, der uns gemacht hat. 7 Denn er ist unser Gott und wir das Volk seiner Weide und Schafe seiner Hand. Wenn ihr doch heute auf seine Stimme hören wolltet: 8 »Verstocket euer Herz nicht, wie zu Meriba geschah, wie zu Massa in der Wüste, 9 wo mich eure Väter versuchten und prüften und hatten doch mein Werk gesehen. 10 Vierzig Jahre war dies Volk mir zuwider, dass ich sprach: / Es sind Leute, deren Herz immer den Irrweg will und die meine Wege nicht lernen wollen, 11 sodass ich schwor in meinem Zorn: Sie sollen nicht zu meiner Ruhe kommen.« Kommt herzu, lasst uns dem HERRN frohlocken und jauchzen dem Hort unsres Heils! Lasst uns mit Danken vor sein Angesicht kommen und mit Psalmen ihm jauchzen! Spüren Sie das? Es sprudelt nur so vor Freude und Elan, Kraft und Musik. Lasst uns jauchzen, lasst uns jubeln. Lasst uns mit Danken vor Gottes Angesicht kommen und mit Psalmen jauchzen! Mit Psalmen jauchzen. Wow. Hier kommen Menschen in Bewegung. Dankbarkeit bricht aus ihnen heraus, Musik erklingt, Gebet wird zum Fest. Wie fremd. Die Lebendigkeit, die aus diesen Versen spricht, ist nicht gerade das, was ich mit Gottesdienst verbinde. Vielleicht kennen Sie das, der Wochenpsalm wird gelesen, abwechselnd in Gruppen, oder von der Pfarrerin, dem Pfarrer, „Psalmen jauchzen“ ist nicht das Bild, ist nicht die Beschreibung, die dazu passt. Ich stelle mir vor, wie ich wohl damit umgehen würde, wenn jetzt oder im Sonntagsgottesdienst jemand aufspringen und tanzen und jauchzen würde, vielleicht während meiner Predigt. Vielleicht wäre ich peinlich berührt, würde die Predigt unterbrechen und darauf hoffen, dass einer der Kirchwarte die Sache regelt, also den enthusiastischen Besucher entfernt. Vielleicht wäre ich auch belustigt und würde dem Treiben eine Weile zuschauen und später als Anekdote verarbeiten. Wie würden Sie sich fühlen, wenn neben Ihnen jemand wie in der Fankurve aufspränge und lautstark Halleluja skandierte, wenn in den Stuhlreihen getanzt würde, wenn die besondere Ruhe dieses Ortes unterbrochen, verletzt würde? Warum befremdet uns diese Vorstellung so? In anderen Länder passiert genau das auch in christlichen Gottesdiensten. Und wir könnten es auch ausprobieren. Wir sind ja mitten in der Osterzeit. Mitten in der Jubelzeit: „Der Herr ist auferstanden, Halleluja!“ Liebe Gemeinde, bleiben Sie ruhig sitzen. Wir müssen jetzt nicht durch die Kirche tanzen. Aber dieser 95te Psalm weckt in mir eine Ahnung von der Leidenschaft des Gebets, von der Körperlichkeit, von dem was es bedeutet mitgerissen, hingerissen zu sein von Gott. 1 Denn der HERR ist ein großer Gott und ein großer König über alle Götter. Denn in seiner Hand sind die Tiefen der Erde, und die Höhen der Berge sind auch sein. Denn sein ist das Meer, und er hat's gemacht, und seine Hände haben das Trockene bereitet. Kommt, lasst uns anbeten und knien und niederfallen vor dem HERRN, der uns gemacht hat. Ich stehe auf rotem Stein, buntem Sandstein. Hoch oben. Ich stehe hier, vor mir der Abgrund, die Weite. Unendliche Weite. Gewaltige Felsformationen, Uraltes atemberaubendes Panorama. Es ist heiß, der Aufstieg war anstrengend, aber nun werde ich belohnt. Hier hoch oben über den Stätten von Petra in Jordanien steht für mich die Welt einen Moment still. Es verschlägt mir die Sprache, ich bin erschüttert und überwältigt von der Schönheit und Größe dessen, was ich in diesem Moment als Schöpfung empfinde. Und ich falle hier in der Einsamkeit auf die Knie. Wie klein bin ich in dieser Welt und wie groß ist alles um mich herum. Wie winzig und bedeutungslos ist mein Leben angesichts der Größe der Welt, und wie unbeschreiblich berührend ist es genau in diesem Moment doch zu fühlen, wie wunderbar und einzigartig ich gemacht und gewollt bin. Ein Seufzen der Dankbarkeit und eine Träne der Fassungslosigkeit ob dieses Geschenks des Lebens lasse ich hier. Kommt, lasst uns anbeten und knien und niederfallen vor dem HERRN, der uns gemacht hat. Das ist das Schöpferlob des Psalms. Das Bewusstsein dafür, Leben nicht selbst herstellen zu können, es nicht in der Hand zu haben, aber in Gottes Hand zu wissen. Der Psalm nutzt eine Sprache, die Gottes ganze Liebe und Fürsorge für seine Schöpfung deutlich werden lässt. – Wie anthropomorph diese Vorstellung auch ist – sie bringt deutlich zum Ausdruck, in welch enger Beziehung Gott zu uns steht. Wie Gott sorgfältig alles bereitet, wie liebevoll und detailliert. Und wie der Mensch vor Gott steht, als ein Wesen, dass letztendlich weiß, dass es sein Leben nicht sich selbst verdankt. Denn er ist unser Gott. Gott gilt Lob und Dank und Gebet. Und doch endet der Psalm nicht an dieser Stelle. Denn tatsächlich ist es ja nicht so, dass das Lob und die Dankbarkeit das Leben bestimmen. Wie schon im ersten Teil des Psalms, da der Psalmbeter feststellt „Denn der HERR ist ein großer Gott und ein großer König über alle Götter“, sind häufig ganz andere die Adressaten des Lobs und der Dankbarkeit. Wohlstand, Gesundheit, Bildung, unser Erfolg. Immer wieder gibt es diese Situationen, in denen der Fokus auf andere Götter rückt. Warum? Weil anderes wichtiger scheint. „Woran du nun dein Herz hängst und worauf du dich verlässt, das ist eigentlich dein Gott.“ fasst es Martin Luther zusammen. Und diese Reflexion der Nichtanerkennung Gottes, dieses Bewusstsein für das Scheitern, kommt im zweiten Teil des Psalms als Warnung, als Mahnung zum Klingen. Wenn ihr doch heute auf seine Stimme hören wolltet: »Verstocket euer Herz nicht, wie zu Meriba geschah, wie zu Massa in der Wüste, wo mich eure Väter versuchten und prüften und hatten doch mein Werk gesehen.« Massa und Meriba sind Orte der Wüstenwanderung. In der biblischen Geschichte führt Mose das Volk mit Gottes Hilfe aus der Sklaverei in Ägypten in die Freiheit. Doch das Volk hadert immer wieder mit Mose und Gott, will Zeichen zum Beweis, dass Gott unter ihnen ist. Die Wundergeschichten, die in diesem Erzählkomplex auftauchen, reflektieren ein Bewusstsein für die Existenz Gottes in Situationen der Not. Doch Meerteilungswunder, Brotwunder und Wasserwunder reichen trotzdem für die Menschen nicht aus. Im Zweifel Israels spiegelt sich die grundsätzliche Trennung von Mensch und Gott wieder, die Trennung, die auch Sünde genannt wird. Menschen tendieren zum Zweifel, zum 2 Verlust von Sicherheit, zu Angst und Verzweiflung. Das ist normal. Doch daraus resultiert der Versuch sich Sicherheit zu verschaffen, sich festzuhalten an den Fakten, den klaren Optionen. Und in diesen Situationen gerät Gott dann aus dem Blick. Und ich hänge mich an vermeintliche Sicherheit und verliere. Die Konsequenz mit der der Psalm droht, ist hart, ist nicht zu ertragen. Es hinterlässt ungute Gefühle wenn Gott im Psalm spricht: »Vierzig Jahre war dies Volk mir zuwider, dass ich sprach: Es sind Leute, deren Herz immer den Irrweg will und die meine Wege nicht lernen wollen, sodass ich schwor in meinem Zorn: Sie sollen nicht zu meiner Ruhe kommen.« Auch hier ist das Gottesbild anthropomorph, menschlich – Gott empfindet Zorn. Er ringt leidenschaftlich mit seinem Volk. Das ist die Schattenseite des Wesen Gottes, der die Liebe ist. Wer liebt, dem ist das Gegenüber nicht egal. Wer liebt, empfindet leidenschaftlich. Wer betrogen wird, zürnt und trauert. Gott wird so menschlich in seiner Enttäuschung dargestellt, weil er von Menschen beschrieben wird. Menschen, die sich ihrer eigenen Schuld bewusst sind. Menschen, die von sich auf Gott schließen, die aus der eigenen Erfahrung von Liebe, auf die Liebe Gottes schließen. Und so befremdlich diese Texte, diese Gottesvorstellungen auch sein können, ich lese darin deshalb auch etwas Tröstliches. Nämlich, dass mein Zweifel in eine Geschichte des Zweifels eingebunden ist. Dass selbst die, die Gott literarisch am Nächsten stehen – quasi live dabei waren, in der Wüste, bei den Wundern, nicht vor Zweifel gefeit sind. Und dass die Hoffnung darauf, dass Gott doch ist, und dass Gott leidenschaftlich dafür brennt, dass er erfahren und erkannt wird, genauso alt ist, wie die Dankbarkeit die daraus fließt, wenn man Gott für einen Moment ganz nah spürt. Lasst uns mit Danken vor sein Angesicht kommen und mit Psalmen ihm jauchzen. Denn er ist unser Gott. Amen 3
© Copyright 2025 ExpyDoc