Leoš Janáček (1854 – 1928): „Auf verwachsenem Pfad“ Leoš

Leoš Janáček (1854 – 1928): „Auf verwachsenem Pfad“
Leoš Janáček ist einer der großen Einsamen der Musikgeschichte: er erfand eine völlig
eigene, neue Klangsprache, die einzigartig in seiner Zeit war – und es blieb: Janáček hat
keine Schule ausgebildet, niemand ist seinen musikalischen Wegen und Entwicklungen
gefolgt. Erst in späten Jahren, jenseits seines 60. Lebensjahres, wurde ihm die
Anerkennung zuteil, die er durch sein Schaffen längst verdient hatte. Seine heutige
Bekanntheit gründet sich vor allem auf seine Opern (auf die die Füchse in der Geschichte
anspielen: eines von Janáčeks Meisterwerken ist „Das schlaue Füchslein“. Wenn Sie die
Gelegenheit haben, diese Oper zu sehen: unbedingt hingehen!).Weniger bekannt ist
seine Kammermusik, in der die Klaviermusik eine eher untergeordnete Rolle spielt. Um
Kindern diesen eigenartigen, eigenwilligen Komponisten dennoch nahzubringen,
beschäftigte ich mich mit dem Klavierzyklus „Auf verwachsenem Pfade“, einer Sammlung
von zehn Klavierstücken.
Die Entstehungsgeschichte von „Auf verwachsenem Pfade“ ist lang und verwickelt und,
wie vieles in Janáčeks Schaffen, in mehreren Versionen überliefert. Anders, als etwa bei
den „Kinderspielen“ von Georges Bizet, handelt es sich nicht um einen von vornherein
geplanten Zyklus von Stücken, sondern um die Zusammenstellung einiger bereits in
früheren Jahren komponierter Werke und deren Ergänzung zu einem solchen „Zyklus“.
Etliche der Stücke entstanden bereits Jahre vor dem Erscheinungsdatum des
„verwachsenen Pfades“. Sie trugen damals zum Teil abweichende Überschriften, manche
waren ursprünglich sogar für ein Harmonium geplant - etwa die „Friedecker Maria“, der
ich durch die Instrumentierung einen Teil dieser Klanglichkeit durch die „verstimmt“
spielenden Streicher zurückgegeben habe. Andere Werke waren zwar von Anfang an für
das Klavier geschrieben, tauchen aber im endgültigen Zyklus dann nicht mehr auf.
Aber auch wenn wir uns an die Auswahl und die endgültigen Titel des „verwachsenen
Pfades“ halten, ist ihre Bedeutung nicht immer eindeutig zu entschlüsseln, zu eigensinnig
ist Janáčeks Eingewobensein in eine eigene Welt, in eigene Vorstellungen: Angeblich
habe er einmal einen Schüler gefragt, wie denn „knackende Holzscheite im Kamin“
klängen – woraufhin dieser den richtigen Akkord genannt habe.
Während also „Kommt mit uns“ tatsächlich einen Wanderduktus hat und die „Friedecker
Maria“ Programmmusik im engeren Sinn ist (sie beschreibt musikalisch eine
Wallfahrtsstatue), ist für das Verständnis von „Das Käuzchen ist nicht fortgeflogen“
wichtig zu wissen, dass das Käuzchen in der tschechischen Mythologie ein Unheilbringer
© Peter Stangel, 2010
ist: Im Wechselspiel mit dem „Lied des Lebens“ (so nannte Janáček die immer wieder
auftauchende Melodie des Stücks) bleibt der Ruf des Käuzchens am Ende der „Sieger“ –
ein böses Omen. Die Zuordnung des Stückes zum frühen Tod von Janáčeks Tochter Olga,
die oft in der Literatur erwähnt wird, ist zwar möglich, aber nicht sicher belegt.
Schließlich gibt es sogar Titel, deren Bedeutung völlig im Unklaren bleibt: „Nelze
domluvit“ kann in der Übersetzung sowohl „kaum zu Ende zu sprechen“ als auch „kaum
zu vereinbaren“ heißen – und beide Titel erhellen den musikalischen Gehalt nicht.
Ich habe deshalb die Stücke durchaus „umgewidmet“, indem ich immer vom
musikalischen Gehalt ausging. Die Geschichte selbst, die ich um die acht ausgewählten
Stücke erfunden habe, wurzelt in der tschechischen Folklore, in der Hochzeiten, Dorffeste
und nicht zuletzt Wassermänner und Nixen eine bedeutende Rolle spielen. Wer mag,
schaue sich Zeichnungen von JOSEF LADA vom Beginn des 20. Jahrhunderts an, der
unter anderem auch den „Soldaten Schwejk“ von Jaroslav Hasek illustriert hat: Hier ist in
einer ganz eigentümlichen, naiven Formensprache jene Welt eingefangen, die Janáček,
der vom Land stammte (aus dem Dorf Hukvaldy), um die Wende zum 20. Jahrhundert
tatsächlich noch selbst erlebt hat, und die ihn zu vielen der Stücke aus dem
„verwachsenen Pfad“ inspirierte.
Die Bearbeitung für die taschenphilharmonie
Bei der Instrumentierung hat mich die Idee geleitet, wie wohl Janáček selbst das Werk
instrumentiert hätte. Vorlagen für die sehr persönlichen Klangfarben seiner
Instrumentationskunst finden sich dabei nicht nur in seinen orchestralen Werken,
sondern auch in den im besten Wortsinn eigen-artigen Kammermusikwerken wie dem
„Concerto“. Ich habe mich schließlich entschieden, aus der „Standardbesetzung“ der
taschenphilharmonie - jeweils ein Blas- und ein Streichquintett - das Violoncello
auszusparen, so daß diese für die Musik so wichtige Lage entweder von einer einer tief
liegenden Bratsche oder vom sehr hoch spielenden Kontrabaß gespielt werden muß, was
für eine sehr eigene, Janáček-typische Sprödheit des Klanges sorgt. Eine Harfe ergänzt
die Besetzung.
Außerdem habe ich den Spielern einige Extrem-Belastungen zugemutet, ganz wie
Janáček selbst es immer getan hat, wenn er die Instrumente ohne jede Rücksicht auf
technische Möglichkeiten in sehr hohen oder sehr tiefen Lagen einsetzte. Ein gut
hörbares Beispiel für eine solch extreme Instrumentierung ist der Mittelteil von „Unter
Tränen“, in der die Oboe in einer Lage weit jenseits des Gewohnten spielen muss: auf
diese Weise wird das Weinen, das im Stück ausgedrückt werden soll, im Stück weit
„ohrenfälliger“, als wenn etwa die Flöte diese Melodie in der „Komfortzone“ spielen würde.
© Peter Stangel, 2010