Vortrag: „Die Geschichte des Islamismus“

„Die Geschichte
des Islamismus“
Vortrag: „Woher kommt die Ideologie des
Islamismus“
Bad Kissingen, 19. November 2015
in Kooperation mit:
THOMAS-DEHLER-STIFTUNG
Das liberale Bildungswerk in Bayern
„Die Geschichte
des Islamismus“
Bernard Haykel, Professor für Near Eastern
Studies an der Princeton University, SZ, 18.11.2015
„Der IS ist Ausdruck und Symptom der politischen
Entrechtung und Demütigung, die viele Sunniten,
insbesondere sunnitische Araber, in der heutigen Welt
empfinden. Dafür gibt es vielerlei Gründe. Dazu gehören
zweifellos frühere westliche Interventionen wie die
amerikanische Invasion des Irak und ihre verheerenden
Folgen für die irakische Bevölkerung. Noch wichtiger ist aber
die Brutalisierung der arabischen Bevölkerungen durch die
eigenen Regierungen in Kombination mit immer
schlechterer Bildung und wirtschaftlicher Entwicklung.“
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Das liberale Bildungswerk in Bayern
„Die Geschichte
des Islamismus“
„Dazu kommt ein schwer zu fassendes Grundgefühl der
meisten Araber (und Moslems), dass sie von der
Zivilisationsgeschichte abgehängt wurden, während sich
andere Völker weiterentwickeln und die Früchte des
Fortschritts ernten.“
Bernard Haykel, Professor für Near Eastern
Studies an der Princeton University, SZ, 18.11.2015
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Das liberale Bildungswerk in Bayern
„Die Geschichte
des Islamismus“
„Die Geschichte des Islam ist seit der zweiten Hälfte des 19.
Jahrhunderts unauflösbar mit der Geschichte der westlichen
Expansion verbunden. Die Beherrschung der islamischen
Welt durch den Westen und die einheimische Reaktion
dagegen sind die Hauptfaktoren gewesen, die den modernen
Islam gestaltet haben. Die militärische und technische
Überlegenheit des Westens und sein wachsender politischer
und kultureller Einfluss haben die meisten muslimischen
Denker im modernen Zeitalter bewegt.“
Rudolph Peters in „Der Islam in der Gegenwart“
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Das liberale Bildungswerk in Bayern
„Die Geschichte
des Islamismus“
„Das wesentliche Thema zeitgenössischen muslimischen
Denkens ist die Stellung des Islams gegenüber dem Westen.
Die meisten Gegenstände des modernen muslimischen
Denkens berühren direkt oder mittelbar die Frage, ob die
geistigen Produkte des Westens zurückgewiesen oder
angenommen werden sollen.“
Rudolph Peters in „Der Islam in der Gegenwart“
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Das liberale Bildungswerk in Bayern
„Die Geschichte
des Islamismus“
Inhalt:
• Unterscheidung Islam – Islamismus
• Kurzübersicht Geschichte des Islam
• Die europäische Expansion, Dominanz
und Reaktionen darauf
• Vordenker und Akteure islamistischen
Gedankengutes
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„Die Geschichte
des Islamismus“
Unterscheidung Islam – Islamismus
Definition Islamismus:
„Islamismus„ ist eine Sammelbezeichnung für alle politischen Auffassungen
und Handlungen, die im Namen des Islam die Errichtung einer allein
religiös legitimierten Gesellschafts- und Staatsordnung anstreben.
Allen Strömungen war und ist die Absicht eigen, den Islam nicht nur zur
verbindlichen Leitlinie für das individuelle, sondern auch für das
gesellschaftliche Leben zu machen.
Dies bedeutet: Religion und Staat sollen nicht mehr getrennt und der Islam
institutionell verankert sein. Damit einher geht die Ablehnung der
Prinzipien von Individualität, Menschenrechten, Pluralismus,
Säkularität und Volkssouveränität.
Quelle:
Prof. Dr. Armin Pfahl-Traughber, Bundeszentrale für politische Bildung
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Das liberale Bildungswerk in Bayern
„Die Geschichte
des Islamismus“
Unterscheidung Islam – Islamismus
Zentrale Fragen für „Nichtmuslime“:
Ist der Islamismus ein wesentlicher
Bestandteil des Islam?
Ist der Islamismus in erster Linie
ein religiöses oder politisches
Phänomen?
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„Die Geschichte
des Islamismus“
Kurzübersicht Geschichte des Islam I
570
622
Geburt Mohammeds
Auswanderung Mohammeds nach Medina. Beginn der
islamischen Zeitrechnung, n. H. = nach der Hidschra)
632
Tod Mohammeds
632–661 Zeit der vier „Rechtgeleiteten Kalifen“
661 – 750 Omayyadendynastie (Residenz: Damaskus),erste Blüte
arabischer Kultur
680
Schlacht von Kerbela: Trennung von Sunniten und Schiiten,
Tod des Hussain bei Kerbela
711
Arabische Heere erreichen die Iberische Halbinsel
732
Schlacht von Tours und Poitiers
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„Die Geschichte
des Islamismus“
Kurzübersicht Geschichte des Islam II
8. – 9. Jh.
ab 8. Jh.
9. Jh.
10. – 13. Jh.
1055
1111
Entstehung der vier islamischen Rechtsschulen
Entstehung des Sufismus, der mystischen Richtungen
im Islam
Entstehung der wichtigsten Traditionssammlungen
(Sunna)
Hochblüte des Sufismus
Türkische Seldschuken übernehmen die Herrschaft in
Bagdad, der Kalif wird entmachtet und untersteht
fortan dem seldschukischen Herrscher („Sultan“)
Tod al-Ghazalis: Tor des Ijtihad wird geschlossen
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„Die Geschichte
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„Die Geschichte
des Islamismus“
Die islamische Welt heute:
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Quelle: https://de.wikipedia.org/wiki/Islam
„Die Geschichte
des Islamismus“
Die Zeit der europäischen Dominanz
• das osmanische Reich um das Jahr 1790
• Russisch Türkischer Krieg 1768-1774 endet im
Frieden von Kücük Kaynarca
• Napoleons Ägyptenfeldzug 1798 bis 1801
• Abkommen von Sykes-Picot 1916
• Gründung des Staates Israels 1948
• 6-Tage-Krieg 1967
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„Die Geschichte
des Islamismus“
Der Niedergang des osmanischen Reiches:
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„Die Geschichte
des Islamismus“
Europäische Dominanz und Reaktionen
1. Bewusstsein der Rückständigkeit (takhalluf) ab dem 18. Jahrhundert
2. Etablierung von Reformen, um Fortschritt (taqaddum) zu erreichen
im 19. und 20. Jahrhundert (Nahda-Bewegung)
1. mit säkularem Bezug
1. Erziehungs- und Bildungsbereich
2. Rechts- und Verwaltungswesen
3. Aufkommen eines arabischen Nationalismus als Quelle
von Identität und Würde
2. mit religiösem Bezug
1. Integration von westlichen Ideen in den Islam (Djamal
ad-Din al-Afghani und Mohammad Abduh)
2. absolute Ablehnung von westlichen Ideen
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„Die Geschichte
des Islamismus“
Der Islam als Stifter von Identität I
„Auf diese Weise wurde aus dem Islam für viele
Muslime etwas, was in ihrem Bewusstsein überwiegend
– und bei manchem von ihnen sogar ausschließlich –
ein Wesenselement ihrer kulturellen Identität darstellt,
das gegen äußere Einflüsse verteidigt werden muss, und
nicht so sehr eine Art des Gottesglaubens, der
Entdeckung von Ziel und Sinn des Lebens und eine
ideale Gesellschaftsordnung. Um diese neue Aufgabe
erfüllen zu können, musste der Islam zu etwas
werden, auf das man stolz sein konnte.“
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Quelle: Rudolph Peters „Der Islam in der Gegenwart“
Das liberale Bildungswerk in Bayern
„Die Geschichte
des Islamismus“
Der Islam als Stifter von Identität II
„Aber wie sollte man auf ihn stolz sein angesichts der
gegenwärtigen Schwäche und Unterwerfung der
islamischen Welt? Eine Lösung bestand darin, den
Blick zurück zu wenden, zu den vergangenen
Ruhmeszeiten der mittelalterlichen islamischen
Zivilisation.“
Quelle: Rudolph Peters „Der Islam in der Gegenwart“
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„Die Geschichte
des Islamismus“
Exkurs: Taqlid und Ijtihad
• Seit dem 10. Jahrhundert und insbesondere seit al-Ghazali besagte das
Prinzip des Taqlid, dass Gläubige sich in Ihrem Handeln an religiösen
Vorbildern auszurichten haben.
• Ijtihad bezeichnet im Gegensatz dazu die Befähigung und Erlaubnis eines
Religionsgelehrten, Koran und Sunna selbstständig auszulegen.
• Während vieler Jahrhunderte ist den Muslimen abgeraten worden, das
eigenständige Studium von Koran und Sunna zu pflegen. Es wird vielmehr
von ihnen erwartet, dass sie sich an die Regeln dieser etablierten
Rechtsschulen halten: „das Tor des Ijtihad ist geschlossen.“
• Islamisten brechen mit dieser Tradition und berufen sich auf das Prinzip
des Ijtihad, u.a. mit der Argumentation, dass die Rechtsschulen erst im 3.
Jahrhundert des Islam entstanden sind und daher nicht authentisch.
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„Die Geschichte
des Islamismus“
Exkurs: Quellen der Rechtsprechung
Koran
Sunna
Konsens (Idschma)
Analogieschluss (Qiyas)
Historische Vielfalt an weitere Rechtsprinzipien:
• "Billigkeitserwägung" (istiḥsān)
• "Orientierung am Gemeinwohl" (istiṣlāḥ)
• "Versperren der Mittel (zum Verbotenen)" (sadd aḏ-ḏarāʾiʿ)
• "Annahme von Kontinuität" (istiṣḥāb)
• Berücksichtigung von "Gewohnheitsrecht" (ʿUrf)
• "Abwägen" (Tardschīh) von Beweisen.
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Das liberale Bildungswerk in Bayern
„Die Geschichte
des Islamismus“
Islamistische Vordenker und Akteure
• Muhammad ibn AbdalWahhab und die Al-Sa‘ud
• Hassan al-Banna und die
Muslimbrüder
• Sayyid Qutb und „Ma‘alim
fi-t-Tariq“
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„Die Geschichte
des Islamismus“
Muhammad ibn Abdal-Wahhab (1703-92)
• Islamischer Gelehrter hanbalitischer
Lehrrichtung
• Begründete eine neue religiöse Lehre, die
streng an Koran und Sunna orientiert und
auf die Verwirklichung des Tauhīd
(„Monotheismus“, „Ein-Gott-Glauben“)
ausgerichtet ist.
• Auf seinen Nachnamen geht der Begriff
Wahhabismus zurück.
• Bündnis mit dem Emir von Diriyya
Muhammad ibn Saud im Jahre 1744,
Grundlage des heutige Saudi-Arabien.
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„Die Geschichte
des Islamismus“
Muhammad ibn Abdal-Wahhab (1703-92)
• Ibn ʿAbd al-Wahhāb und diejenigen, die ihm
folgten, hielten den Großteil der Muslime für
Ungläubige.
• Muslime, die in einem Gebiet leben, das von
Muschrikūn („Polytheisten“) dominiert wird,
sollen dieses verlassen, sich auf das von
richtigen Muslimen beherrschte Territorium
begeben und den Kampf gegen die
Manifestationen des Schirk (Polytheismus)
aufnehmen.
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„Die Geschichte
des Islamismus“
Hassan al-Banna (1906-49)
• Gründer und erster geistlicher Führer der
Muslimbruderschaft.
• Al-Banna setzte sich für eine Rückkehr
zum ursprünglichen Islam und die
Errichtung einer islamischen Ordnung
ein.
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„Die Geschichte
des Islamismus“
Hassan al-Banna I
„Wir glauben nämlich, dass der Islam ein umfassendes
Konzept ist, das alle Bereiche des Lebens ordnet,
Aufschluss zu jeder ihrer Angelegenheiten gibt und dafür
eine feste und präzise Ordnung vorgibt. Er steht nicht
hilflos vor den Problemen des Lebens oder den Systemen,
die notwendig sind, um das Wohlergehen der Menschen
zu befördern.“
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des Islamismus“
Hassan al-Banna II
„Einige Menschen haben fälschlicherweise angenommen,
dass der Islam auf bestimmte gottesdienstliche Handlungen
oder geistliche Haltungen beschränkt ist. So haben sie ihr
Verständnis auf diese engen Kreise beschränkt. Wir aber
verstehen den Islam anders in einem klaren und breiten Sinn
als etwas, das die Angelegenheit des Diesseits und Jenseits
ordnet. Wir stellen diese Behauptung nicht von uns aus auf.
Vielmehr haben wir das aus dem Buch Gottes und der
Lebensweise der ersten Muslime gelernt.“
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„Die Geschichte
des Islamismus“
Sayyid Qutb (1906-66)
• Ägyptischer Journalist und Theoretiker der
ägyptischen Muslimbruderschaft.
• Einer der wichtigsten islamistischen
Denker des 20. Jahrhunderts.
• Prägte den Begriff hākimiyyat Allāh, der
die absolute Souveränität Gottes
bezeichnet, die jeder Form von
Nationalstaat, Demokratie oder
Souveränität eines Volkes entgegensteht.
• Mit seinem Jihad-Konzept ist Sayyid Qutb
ein Vordenker des militanten politischen
Zweiges des Islams und einer der geistigen
Väter des islamistischen Terrorismus.
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Sayyid Qutb
„Es besteht die Pflicht, dass die
muslimische Gemeinschaft so lange
Jihad betreibt, bis jegliche Verführung
von Gottesgläubigen keiner Macht der
Erde mehr möglich ist und die ganze
Ordnung Gottes Ordnung ist.“
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Sayyid Qutb
„Es ist die Pflicht der muslimischen
Gemeinschaft, sie mit Gewalt vor
denjenigen zu verteidigen, die sich ihr
mit Schaden entgegenstellen. [...] Es ist
eine Pflicht für die Gemeinschaft der
Muslime, jede Macht zu zerstören,
die sich dem Aufruf zum Islam in den
Weg stellt.“
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Sayyid Qutb
„Der weiße Mann tritt uns mit Füßen,
während wir unseren Kindern in der
Schule von seiner Zivilisation, seinen
höheren Prinzipien und seinem edlen
Vorbild erzählen. [...] Lasst uns
versuchen, Samen der Abneigung, des
Hasses und der Rache in den Herzen
unserer Millionen Kinder zu säen. Lasst
uns sie von frühester Jugend an lehren,
dass der weiße Mann der Feind der
Menschheit ist und dass sie ihn bei der
ersten Gelegenheit, die sich bietet,
zerschmettern mögen.“
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„Die Geschichte
des Islamismus“
Fazit und Ausblick
• Nicht der Islam an sich ist das Problem, er ist so pluralistisch
wie andere Religionen auch.
• Die islamische Welt besitzt eine Jahrhunderte alte
Rechtstradition, die dem Extremismus entgegensteht.
• Die zentrale Herausforderung heute ist Entflechtung des
Politischen vom Religiösen. Wo geht es um konkrete
Lebensumstände, wo um religiöses Dogma?
• Sprechen wir besser von Djihadisten statt von Islamisten.
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