DieblutigeEntlassung desBruderholzspitals

| Donnerstag, 3. Dezember 2015 | Seite 9
Wie der Regierungsrat den CEO zum Buhmann macht
Agenda
Offene Gesellschaft,
offenes Visier
Von Roland Stark
Zweifelllos gibt es
achtenswerte Gründe,
warum Politiker,
Schriftsteller oder
auch Journalisten hinter einem Decknamen
verborgen aktiv
werden müssen. Die
Tarnung schützt vor
Verfolgung oder gar
Ermordung in Diktaturen und totalitären
Regimes. Herbert
Frahm engagierte sich im sozialistischen Widerstand gegen die Nazis mit dem Tarnnamen Willy
Brandt, den er schliesslich für die weitere politische Tätigkeit beibehielt. Felipe Gonzaléz arbeitete im Kampf gegen die Franco-Diktatur in
Spanien unter dem Decknamen Isidoro.
Der ehemalige Geheimagent im britischen MI5
und MI6, David John Cornwell, schrieb seine
berühmten Bücher später unter dem Pseudonym
John le Carré. Bekannt ist auch das Beispiel von
Günter Wallraff, der sich unter dem Decknamen
Hans Esser bei der Bild-Zeitung einschleuste.
In der Rubrik «Forum & Leserbriefe» druckte
die Süddeutsche Zeitung nach den blutigen
Anschlägen von Paris einen Brief von Flüchtlingen
aus Sierra Leone, Somalia, Äthiopien und Afghanistan ab. «Dieser Tag darf nie vergessen werden,
er gehört in die Reihe der fürchterlichen Tage, an
denen Menschen ihre Verwandten und Freunde
für immer verloren haben. Auch wir haben Terror
erlebt. Viele von uns sind deswegen aus ihrer
Heimat geflohen. Auch wir möchten in Frieden
leben.» Jedermann versteht, warum dieser
Leserbrief nicht mit den Namen der Verfasser
gezeichnet werden konnte.
Unterdessen sind die Leserbriefspalten in den
Zeitungen, vor allem aber in den (fälschlicherweise so genannten) Social Media teilweise zu
Müllkippen verkommen. Spiegel online sieht sich
gezwungen, gewissen Artikeln, die sich mit der
Flüchtlingsproblematik beschäftigen, folgenden
Warnhinweis anzufügen: «Leider erreichen uns
zum Thema Flüchtlinge so viele unangemessene,
beleidigende oder justiziable Forumsbeiträge,
dass eine gewissenhafte Moderation nach den
Regeln unserer Netiquette kaum mehr möglich
ist.» Deshalb wird das Forum bei einigen
Beiträgen gar nicht mehr geöffnet.
Mehr als bedenklich ist die Praxis einiger
Zeitungen und Blogs, Leserbriefe ohne
identifizierbare Unterschriften, mit Fantasienamen oder seltsamen Kürzeln abzudrucken. Wir
dürfen dann Kommentare geniessen von Figuren
wie «Grummel», «fuzzy», «Schadstoffheini»,
«s chröttli» oder «Schewardnadse».
Diese Unsitte ist auch in denjenigen Medien
verbreitet, die sonst Urteile des Presserates wie
eine Monstranz vor sich hertragen. Der Presserat
empfiehlt jedoch ausdrücklich, dass Leserbriefe
grundsätzlich vom Autor zu zeichnen sind. Nur in
begründeten Ausnahmen, «beispielsweise wenn
der Verfasser bei einer namentlichen Publikation
mit ernsthaften Nachteilen zu rechnen hätte», darf
ein Leserbrief anonym abgedruckt werden. In den
erwähnten Fällen, die alle aus dem gefestigten
Rechtsstaat Basel und Umgebung stammen, kann
von einer derartigen Bedrohung keine Rede sein.
Das kindische Versteckspiel ist eher Ausdruck von
Feigheit und falsch verstandener Freiheit.
Wir haben uns leider schon daran gewöhnt, dass
das Demonstrationsrecht von vermummten Vollidioten missbraucht wird. Und selbst an Fussballspielen
sieht man sich gelegentlich mit einer gewalttätigen
schwarzen Wand sogenannter Fans konfrontiert.
Man kann deshalb nur hoffen, dass wenigstens
die politische Auseinandersetzung, einer
demokratischen Zivilgesellschaft würdig, mit
offenem Visier geführt wird. Anonyme Schreiben
gehören immer in den Papierkorb.
Die blutige Entlassung
des Bruderholzspitals
Von Joël Hoffmann
Während der Baselbieter Gesundheitsdirektor
Thomas Weber (SVP) mit viel Witz bei der Bevölkerung für die Fusion des Kantonsspitals Baselland (KSBL) mit dem Uni-Spital Basel wirbt, leidet
das Nervenkostüm von KSBL-CEO Jürg Aebi. Der
stadtnahe KSBL-Standort Bruderholz soll, so der
regierungsrätliche Plan, zur ambulatorischen
Tagesklinik werden. Und nun rennen deswegen
dem CEO die Chefärzte der Chirurgie und
Medizin weg. Auch leitende Ärzte stehen vor dem
Absprung oder haben ihren Wechsel schon publik
gemacht. CEO Aebi hat den undankbaren Job, das
Bruderholz bis zum Ende abzuwickeln.
Die Chefärzte wollen ein Spital entwickeln. Sie
wollen sich einen Ruf erarbeiten, ihrer Abteilung
und somit ihrem Arbeitgeber zu Renommee verhelfen. Doch seit der Ankündigung der beiden
Regierungsräte im Sommer kann Aebi den Ärzten
keine klaren Perspektiven geben, weil sie ihm
wohl selbst nicht klar sind – noch nicht klar sein
können. Das Vorgehen der Regierungsräte erinnert auf den ersten Blick an einen Schnellschuss:
Getrieben von explodierenden Gesundheitskosten, Einbrüchen bei den Fallzahlen und einem
Betriebsertrag, der nötige Investitionen in die
Zukunft unmöglich macht, sah sich Regierungsrat
Weber zum Handeln gezwungen.
Im Frühling kippte er die bisherige Strategie
des KSBL. Ein paar Monate später trat er bereits
zusammen mit seinem Basler Kollegen Lukas
Engelberger (CVP) vor die Medien, um die
gemeinsame Spitalgruppe und die Umwandlung
des Bruderholzspitals zur Tagesklinik zu verkünden. Weitere Details gabs nicht. Was mit all dem
Verwaltungsratspräsident und Delegierter.
Rolf Bollmann
Verleger und Chefredaktor. Markus Somm (mso)
Stv. Chefredaktor. David Thommen (-en)
Chefredaktion. Michael Bahnerth (mib), Textchef –
Roland Harisberger (rh), Chef vom Dienst –
Laila Abdel’Al, Assistentin
Politik. Martin Furrer (mfu), Leitung –
Viviane Joyce Laissue (vj), stv. Leitung –
Michael Hug (Autor, hu) – Hansjörg Müller (hjm) –
Alessandra Paone (ale) – Samuel Tanner (sta)
Bundeshaus. Dominik Feusi (fi), Leitung –
Daniel Ballmer (dab), Beni Gafner (bg) –
Christian Keller (ck)
Kantonsspital-Direktor
Jürg Aebi hat den Job des
Zauber-CEO gefasst – oder
eher den des Buhmanns.
Kommt die Spitalgruppe zustande, muss das
Bruderholzspital noch bis zu sieben Jahre funktionieren – daran glaubt jedoch niemand. Es wäre ein
Wunder. Und Aebi hat den Job des Zauber-CEO
gefasst – oder eher den des Buhmanns. Wie seine
Chefärzte steuert Aebi ein Schiff und weiss nicht,
welchen Hafen er genau ansteuern darf. Aebis
Rolle in einer künftigen Spitalgruppe ist wohl
ebenso offen wie die der Bruderholz-Kaderärzte.
Ein Job hat Aebi von Weber jedenfalls auf sicher:
Die blutige Entlassung des Bruderholzspitals.
[email protected]
Bahnerths Maladien
Leben mit zerflossenem Leben
Ich hoffte vorgestern bloss, jenes Paris wiederzufinden, das ich nur aus Büchern kenne. Jenes von
Fitzgerald, Hemingway und Joyce und Miller, von
Satie auch, von Man Ray und Kiki de Montparnasse. Jenes, dessen Herz am Boulevard Montparnasse schlug und das seinen Lebenssaft in die Bar
des Le Select hämmerte, ins La Rotonde, ins Café
du Dôme und in die Closerie des Lilas, wo alle das
Unmögliche versuchten; ein Leben so zu leben, als
ob es nicht kurz zuvor einen Krieg gegeben hätte
und den Tod in ganz grossem Stil. Als ich dieses
vergangene Paris zum ersten Mal entdeckte, war
ich ein junger Mann, der durch die Welt lief und
so tat, als ob er schon wäre, was er gerne werden
würde; ein Schriftsteller. Ich war gut damals im
Verwechseln von Wunsch und Wirklichkeit, mehr
noch, ich hielt das für eine ziemlich gute Voraussetzung, um ein Schriftsteller zu sein. Aber in
Wahrheit war ich natürlich ein von der Kraft der
Jugend aufgepumpter kleiner und narzisstischer
Idiot. Ich sass an jenen Bars und an den Tischen
im Montparnasse, trank und schrieb im Rausch
ungefähr zehn Notizhefte voll, fühlte mich als ein
Zukünftiger meiner selbst und dachte, das da
würde bald mein Leben auch in Wirklichkeit verändern. Ich hab den Roman, der von der Suche
eines Taugenichts nach sich selber in unseren Zeiten aber im Setting der 1920er-Jahre spielt, na ja,
vollendet, zuerst in Basel, später in Berlin. Was ich
thematisieren wollte damals, war, dass man sich
entscheiden muss; entweder ein Schauspieler seiner selbst zu sein, was einfacher ist, als den harten
Weg zu gehen und zu versuchen, sich selbst ungeschminkt zu begegnen. Das Buch kam nur fast
raus, und so veränderte sich mein Leben auch nur
beinahe, und jetzt ist es zu spät, zumindest für das
Buch. Woody Allen hat vor ein paar Jahren «Midnight in Paris» auf die Leinwand gebracht, diese
Reise in die 1920er, und ich würde dastehen wie
Basel-Stadt. Nina Jecker (ni), Leitung –
Dominik Heitz (hei), stv. Leitung –
Aaron Agnolazza (aag) – Nadine Brügger (nab) –
Denise Dollinger (dd) – Mischa Hauswirth (hws) –
Jonas Hoskyn (hys) – Franziska Laur (ffl) –
Martin Regenass (mar)
National Zeitung und Basler Nachrichten AG
Gegründet 1842 (NZ) und 1844 (BN)
Personal passieren soll, ist seither unklar. Bei den
Mitarbeitenden heisst es: «Die einzige Sicherheit,
die uns der Regierungsrat gibt, ist die, dass es für
uns keine Zukunft mehr gibt.» Das ist fatal. Auf
der anderen Seite wollten die Regierungsräte sich
nicht den Vorwurf gefallen lassen, «hinter
geschlossenen Türen» Fakten zu schaffen.
So oder so, KSBL-CEO Aebi darf Webers Strategie ausbaden. Im Herbst 2016 erst sollen Details
zur Spitalgruppe bekannt werden. Doch auch nach
einem Jahr Unklarheit geht die Zeit des Abwartens
weiter: Eine Volksinitiative wird zustande kommen. Was die Parlamente in Basel und Baselland
stimmen werden, ist ebenfalls unklar, wenn nicht
willkürlich von aktuellen Befindlichkeiten abhängig. Und irgendwann stimmt auch das Volk ab.
Baselland. Daniel Wahl (wah), Leitung –
Carole Gröflin (cin) – Boris Gygax (bgy) –
Joël Hoffmann (Jho) – Alexander Müller (amu) –
Dina Sambar (dis)
Thomas Dähler (td) – Thomas Gubler (Gu), Liestal
Wirtschaft. Ruedi Mäder (rm), Leitung –
Patrick Griesser (pg), stv. Leitung –
Kurt Tschan (kt) – Daniel Zulauf (dz) (Zürich)
Sport. Marcel Rohr (mr), Leitung –
Andreas W. Schmid (aws), stv. Leitung –
Andreas Eugster (ae) – Oliver Gut (olg) –
Fabian Kern (ker) – Tilman Pauls (tip) –
Dominic Willimann (dw)
Kultur. Raphael Suter (ras), Leitung – Sigfried
Schibli (bli), stv. Leitung – Christoph Heim (hm),
Nick Joyce (nj) – Stephan Reuter (sr) –
Christine Richard (chr) – Jochen Schmid (js) –
Stefan Strittmatter (mat) – Markus Wüest (mw)
Auslandkorrespondenten. Roman Arens (RA),
Rom – Rudolf Balmer (RB), Paris – Sebastian Borger
(bor), London – Wolfgang Drechsler (wdk), Kapstadt –
Paul Flückiger (flü), Warschau – Willi Germund (wig),
Bangkok – Frank Herrmann (fhw), Washington –
Pierre Heumann (heu), Naher Osten – Felix Lee (flp),
Peking – Benedict Neff (ben), Berlin – Thomas
Roser (tro), Belgrad – Stefan Scholl (sch), Moskau –
Reiner Wandler (rwa), Madrid
Meinungen und Profile. Graziella Kuhn (gku)
Kolumnisten. Claude Cueni – Thomas Cueni –
David Dürr – Felix Erbacher (FE) – Allan Guggenbühl –
Markus Häring – Hans-Peter Hammel (-minu) –
Martin Hicklin (hckl) – Walter Hollstein – Helmut
Hubacher – Markus Melzl – Manfred Messmer –
Linus Reichlin – Hansjörg Schneider – Eugen Sorg –
Regula Stämpfli – Roland Stark – Tamara Wernli
Spezialseiten. Bildung, Gesundheit heute:
Denise Dollinger (dd)
Essen & Trinken: Roland Harisberger (rh)
Mobil: Benno Brunner (bb)
Reisen: Sarah Ganzmann (sag)
Beilagen/Projekte. Roland Harisberger (rh) –
Benno Brunner (bb)
Produktion. Benno Brunner (bb),
Stv. Chef vom Dienst – Claudia Blangetti (cbl) –
Peter de Marchi (pdm) – Sarah Ganzmann (sag) –
Christian Horisberger (ch) – Lukas Lampart (lam) –
Eva Neugebauer (ene) – Stephan Reuter (sr) – Stefan
Strittmatter (mat) – Markus Vogt (mv)
ein kleiner Kopist, weil mir keiner glaubte, dass
ich die Idee zuerst hatte. Ich bringe den überstrapazierten Satz jetzt doch: Wer zu spät kommt, den
bestraft das Leben. Zu jener einfachen Zeit jedenfalls machte ich mit mir aus, dass ich zurückkehren werde in den Kosmos des Montparnasse,
irgendwann und mit einem eigenen Buch in der
Tasche. Zugegeben, das war eine lange Einführung, um ein bisschen Werbung für das Buch zu
machen, das zwar nicht Weltliteratur geworden
ist, aber eine kleine, nette Geschichte: Jene einer
Frau, die war wie eine Fee und aussah wie eine
Hexe, die so in der Wirklichkeit lebte, als ob sie ein
Wunsch wäre, und so im Wunsch, als ob er die
Wirklichkeit wäre. Marieli Colomb hiess sie, das
Buch heisst auch so. Das ganze Paris-Schriftsteller-Ding ist mir vorgestern hochgekommen, in
Paris, in der Closerie des Lilas nach dem zweiten
Whisky, als Paul Nizon, der letzte noch lebende
Schweizer Grossschriftsteller, auf Toilette musste
und ich bemerkte, dass ich auf dem ehemaligen
Barhocker von Hemingway sass. Und so streifte
ich findend für die Dauer eines Momentes mein
Leben, spürte den Herzschlag eines vergangenen
Paris in der Gegenwart und tauchte ein in die Welt
eines Mannes, der alles aufgegeben hat damals,
eine ganze Welt der Wirklichkeit und der Wünsche, um sich bedingungslos dem Schreiben, sich
selber und der Ungewissheit auszuliefern. «Bist du
glücklich, Pablo?», fragte ich später.
«Im Moment bin ich betrunken.»
Gestaltung Nino Angiuli (Art Director),
Bettina Lea Toffol (stv. Leitung) –
Jean-Claude Basler – Paul Graf – Monika Müller –
Daniel Schaufelberger – Paul Schwörer
Bildredaktion. Melody Gygax, Leitung –
Jeannette Bölle
Fotografen: Pino Covino – Lucian Hunziker –
Kostas Maros – Dominik Plüss – Nicole Pont
Korrektorat. Lesley Paganetti (Teamleitung) –
Rosmarie Ujak (Teamleitung) –
Katharina Dillier Muzzulini – Andreas Herzog –
Markus Riedel – Dominique Thommen
Sachbearbeitung. Milena De Matteis –
Marcel Münch – Anny Panizzi
Dokumentation/Archiv. Marcel Münch
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Redaktion. Aeschenplatz 7, Postfach 2250,
4002 Basel, Telefon 061 639 11 11, Fax 061 63115 82,
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Redaktion Tel. 061 927 13 33, Fax 061 921 28 48
Büro Laufental/Schwarzbubenland.
Basler Zeitung, Postfach, 4245 Kleinlützel
Tel. 061 639 11 11
Tamaras Welt
Nichts
als Frust
Von Tamara Wernli
Woher kommt eigentlich
dieser Drang, ständig
verreisen zu müssen?
Wenn wir das Bedürfnis
nach Tapetenwechsel
haben oder nach Veränderung, warum streichen wir nicht einfach
im Haus eine Wand neu
oder stellen ein paar
Möbel um? Aber nein,
unser Zuhause ist für
Sehnsuchtsbewältigung offenbar nicht genug, es
muss unter allen Umständen eine Reise her.
Urlaub stillt ja vermeintlich Sehnsucht. Sehnsucht, dass das Leben dann für ein paar Tage perfekt ist. Sehnsucht, eine andere Person zu sein,
kultiviert, weltoffen, wild. Im Mietauto über löchrige Strassen holpern, Club-Sandwiches essen im
Nobelhotel, beeindruckt vor einem Haufen alter
Steine stehen. Die Steine besuchen wir, damit wir
zu Hause davon erzählen können. Und weil der
Kühlschrank nach einem neuen Selfie verlangt.
Ich plane gerade meinen Weihnachtsurlaub.
Es ist zermürbend, führt nirgendwo hin. Verschiedene Studien besagen, das Schönste an einer
Reise sei die Planung, da entstehe der grösste
Glücksschub. Das ist totaler Schwachsinn. Es ist
nervenaufreibend. Ich brüte tagelang über Hotelbewertungen, vergleiche Preise. Früher gabs das
pfannenfertige Urlaubspaket innert Kürze im
Reisebüro, heute surfen wir wegen 80 Franken
Preisunterschied auf 30 verschiedenen Websites
mit je zehn Unterseiten mit 15 Links, um am Ende
festzustellen, dass am gewünschten Abflugtag
kein Hotelzimmer zur Verfügung steht und der
Flug am Vortag fünf Zwischenlandungen enthält.
Ist dann endlich alles gebucht, bedeutet Urlaub
permanente Warterei und Schlangestehen. Bei der
Einwanderungsbehörde, am Skilift, am Frühstücksbuffet, beim Eingang vor dem Haufen alter
Steine. Deshalb hake ich die Malediven sogleich
ab. 15 Stunden Reisezeit, um die Füsschen in Salzwasser zu tauchen? Nein danke. Japan? Noch
länger, aber die Reise würde mich natürlich bei
meinem Umfeld kultiviert erscheinen lassen, und
ist es schön und sauber dort. Ich mag es, wenn im
Urlaub alles genauso ist wie zu Hause. «Ausgerechnet Japan!», kommentiert meine Mutter. «Das ist
doch total verseucht.» Ah, ja. Und die Paläste
ähneln sich dort eh alle, so wie in Thailand ein
reizender Tempel dem anderen gleicht. Ist doch so.
Am Anfang folgen wir dem Guide noch andächtig
zum Schrein, bestaunen jede einzelne Buddhastatue, nach der fünften Besichtigung bevorzugen
wir den Anblick vom klimatisierten Bus aus, ab der
zehnten entwickeln wir eine Tempel-Aversion,
die zeitlebens andauert.
Ferienzeit ist Selbstfindungszeit. Mehr Zeit
haben heisst mehr grübeln, und das fördert unwillkommene Selbsterkenntnisse zutage wie etwa ein
Job, der uns frustriert, oder Schenkel voller Orangenhaut. Und spätestens da wollen wir wieder nach
Hause. Wir wünschen uns ab Tag fünf nichts mehr,
als im eigenen Bett schlafen, heimische Kost essen,
das eigene Klo benützen. Den Bikini verbrennen.
Und auch das Glücksgefühl, das sich angeblich bis
lange nach den Ferien erstreckt – ein Märchen. Zu
Hause angekommen, sinkt bei den meisten Leuten
das Glücksempfinden rapide, das hat eine wissenschaftliche Untersuchung aus Holland ergeben.
«Die Reisenden erlebten keinen besonderen
Höhenflug nach den Ferien. Sie waren nicht glücklicher als Leute, die nicht im Urlaub waren», sagt
Jeroen Nawijn, Verfasser der Studie. Voilà!
Pläne über Bord – die Ferien verbringe ich zu
Hause. Ich werde Weihnachtsguetzli backen, den
Balkon ausgiebig mit roten und grünen
Lichterketten behängen (die Stadtbildkommission
wird es freuen) und draussen einen Baum fällen,
den ich drinnen wieder aufstelle. Meine
Vorfreude ist jetzt schon riesig.
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