StopEPA-Tour 2015: Es gibt keinen Grund, an den Wirtschaftspart

Boniface Mabanza I Kirchliche Arbeitsstelle Südliches Afrika I Heidelberg I November 2015
StopEPA-Tour 2015: Es gibt keinen Grund, an den Wirtschaftspartnerschaftsabkommen (EPAs) festzuhalten.
Vom 24. September bis 10. Oktober 2015 fand eine StopEPA-Tour in zehn verschiedenen
deutschen Städten statt. Die erste Etappe führte die SprecherInnen nach München, Stuttgart, Mannheim, Darmstadt und Aachen, während die zweite Etappe nach Bielefeld, Hamburg, Leipzig, Fulda und Berlin führte. Die Tour wurde von Attac Deutschland in Kooperation
mit Brot für die Welt organisiert. Der Schlusspunkt war die Beteiligung an der Mega-AntiFreihandelsabkommen-Demonstration in Berlin. SprecherInnen waren Sylvester Bagoroo
von Trade World Network (TWN, Ghana), Kwabena Otoo Nyarko von Trade Union Congress
(TUC, Ghana), Gygye Tanoh (TWN, Ghana), Yvonne Takang von der Kamerunischen NRO
Bürgervereinigung zur Verteidigung von Kollektivinteressen (Association des Citoyens pour
la défence des intérêts collectifs, ACDIC) und Boniface Mabanza von der Kirchlichen Arbeitsstelle Südliches Afrika (KASA, Heidelberg), der diese Tour auch als Handelsberater für
Brot für die Welt begleitete.
Die Tour: warum Ende September und warum Westafrika?
Als sich die neu formierte EPA-Arbeitsgruppe der deutschen Zivilgesellschaft im Januar 2014
in Hannover traf, wurde die Notwendigkeit thematisiert, erneut eine StopEPA-Tour durch
Deutschland wie im Jahr 2007 zu organisieren. Damals war der Anlass die gesetzte Frist
zum Abschluss der EPA-Verhandlungen bis 31.12.2007. In diesem Jahr hat sich eine solche
Speakers-Tour aufgrund der sich anbahnenden Ratifizierungsprozesse als notwendig erwiesen. Beim zweiten Treffen der EPA-Gruppe im Juli in Aachen lag bereits die Information vor,
dass ein breites Bündnis zivilgesellschaftlicher Organisationen eine Mega-Demo gegen Freihandelsabkommen im Allgemeinen und besonders gegen TTIP für den 10.10.2015 in Berlin
plante. Daraus entwickelte sich die Idee, die Speakers-Tour zu den EPAs so zu legen und zu
gestalten, dass Wechselwirkungen zwischen der EPA-Gruppe und den zahlreichen AntiTTIP-Bündnissen in Deutschland entstehen können. Die Idee war, die Aufmerksamkeit um
TTIP zu nutzen, um die deutsche Öffentlichkeit darüber zu informieren, dass es mehr als
TTIP und CETA gibt. Während die Verhandlungen um TTIP noch laufen, steht das bereits
unterzeichnete EPA mit Westafrika kurz vor der Ratifizierung und somit des Inkrafttretens.
Andererseits wurde mit der Planung, dass die EPA-Tour in der vorletzten Septemberwoche
begann und am Vorabend der großen Demonstration in Berlin endete, bezweckt, dass die
Veranstaltungen der Speakers-Tour als Plattform zur Mobilisierung für diese Demonstration
genutzt werden. Ob über die EPA-Veranstaltungen und die Werbung dazu mehr Menschen
für die Demonstration in Berlin tatsächlich mobilisiert worden sind, ist eine relevante Frage,
die dennoch den Rahmen dieses Berichts sprengen würde. Relevant an dieser Stelle ist die
Kirchliche Arbeitsstelle Südliches Afrika
KASA im WeltHaus Heidelberg
Willy-Brandt-Platz 5 | 69115 Heidelberg
06221-4333612 | www.kasa.woek.de | [email protected]
Frage, die auch bei vielen Veranstaltungen gestellt wurde: warum Westafrika und keine andere afrikanische EPA-Region? Die Vorbereitungsgruppe der Speakers-Tour hatte sich für
Westafrika als Schwerpunkt der diesjährigen Tour entschieden, weil zum Zeitpunkt der Planung feststand, dass das Europa-Parlament die Ratifizierung mit dem Westafrika-EPA beginnen sollte. Erst während der Tour zeichnete sich ab, dass die Ratifizierung des Westafrika-EPA im EU-Parlament nicht mehr in diesem Jahr stattfinden wird, weil es nach wie vor
westafrikanische Länder gibt, die das Abkommen immer noch nicht unterzeichnet haben. Es
hätte keinen Sinn gemacht, ein Abkommen zu ratifizieren, das von einigen der betroffenen
Länder noch nicht unterzeichnet worden ist. Dennoch gilt es festzuhalten, dass die Festlegung Westafrikas als Schwerpunkt der Speakers-Tour nicht als exklusiv, sondern als exemplarisch verstanden wurde, da die Grundproblematik in allen Regionen die gleiche ist. Die
ReferentInnen nahmen auch Bezug auf die anderen afrikanischen EPA-Regionen. Und zwar
immer dann, wenn Beispiele aus und Vergleiche zwischen Westafrika und diesen anderen
Regionen besser geeignet waren, um bestimmte Aspekte der EPAs verständlicher zu vermitteln. Da die ReferentInnen sowieso nicht nur aus Westafrika kamen, kamen die anderen afrikanischen EPA-Regionen keineswegs zu kurz. Im Südlichen Afrika zum Beispiel spielte die
Diskussion um die Exportsteuern eine zentrale Rolle, weil die EU auf deren Verbot beharrte,
um Unternehmen aus dem EU-Raum Zugang zu billigen Rohstoffen zu gewähren, während
Namibia, Südafrika und andere Länder dieser Region die Exportsteuern als Instrument der
Selbstfinanzierung und der Industrialisierung verteidigten. Am Ende der Verhandlungen ist
es der SADC-Region gelungen, die Exportsteuern zumindest für ein paar Produkte durchzusetzen. Dies ist in West- und Ostafrika nicht der Fall. Durch solche Vergleiche konnte die
deutsche Öffentlichkeit die unterschiedlichen Dynamiken der Verhandlungen in den einzelnen Regionen nachempfinden und realisieren, dass was die einzelnen Regionen letztendlich
an Ergebnissen erzielt oder nicht erzielt haben, nicht unbedingt von den ökonomischen Notwendigkeiten angesichts ihrer Transformationsagenden , sondern von ihren internen politischen Konstellationen und vor allem von ihren Verhandlungskapazitäten gegenüber dem
Machtapparat der Europäischen Union abhängt.
Die Tour: Verlauf und Schwerpunktthemen
Die Resonanz auf die Tour war insgesamt sehr gut, auch wenn die Veranstaltungen unterschiedlich erfolgreich waren. Am erfolgreichsten war Leipzig mit mehr als 200 Teilnehmenden, gefolgt von Aachen mit mehr als 120 Personen und von München und Berlin mit jeweils
knapp über 80 Teilnehmenden. Daneben gab es Veranstaltungen mit mehr als 50 Teilnehmenden, aber auch zwei Veranstaltungen mit mindestens 25 Personen. Die Teilnehmenden
aller Veranstaltungen waren vor allem daran interessiert, sowohl über den Prozess der Verhandlungen als auch über die Inhalte der EPAs aufgeklärt zu werden. Die Veranstaltungen
mit weniger Teilnehmenden haben sich dadurch ausgezeichnet, dass die Diskussionen fokussierter waren. Die Teilnehmenden schienen sich im Vorfeld schon Gedanken über die
EPAs gemacht zu haben. Bei den meisten Veranstaltungen waren zwei ReferentInnen anwesend. Dies hat sich als bereichernd erwiesen, weil sich die Perspektiven ergänzen ließen.
Bewährt hat sich auch, dass bei vielen Veranstaltungen sowohl die Inhalte der EPAs als
auch der Weg zu deren Paraphierung und/oder Unterzeichnung thematisiert wurden. So
wurde etwa in Aachen an den Verhandlungsprozess der Wirtschaftspartnerschaftsabkommen, an die von der EU-Kommission immer wieder neu gesetzten Fristen und an den daraus
2
resultierenden Druck auf die Länder Afrikas erinnert. Das Ergebnis dieses Druckes ist für
Westafrika zum Beispiel die Tatsache, dass das Abkommen mittlerweile von mehr als elf
Ländern der Region heimlich unterzeichnet worden ist. Viele dieser Länder sind Least Developed Countries (LDCs) und brauchen dieses Abkommen für einen präferentiellen Zugang
zum EU-Raum eigentlich nicht, da sie mit der Initiative „Alles außer Waffen“ über einen solchen Zugang verfügen. Aber aufgrund des Druckes, der auf Ghana und der Elfenbeinküste
lastete, haben auch einige dieser LDCs das regionale EPA unterzeichnet, obwohl sich die
Inhalte dieses Abkommens zwischen 2009, dem Jahr, in dem sich die Fronten verhärtet hatten, und dem 1.10.2014, Datum des Auslaufens der ultimativen Frist der EU-Kommission,,
nicht wirklich verändert hatten.
Dieser Prozess bildete den Hintergrund, auf deren Basis die inhaltlichen Auseinandersetzungen artikuliert wurden. Bei diesen Auseinandersetzungen über die EPAs hat sich als hilfreich für die deutsche Öffentlichkeit erwiesen, daran zu erinnern, dass die EPAs nicht das
erste Kapitel der Handelsliberalisierung für den afrikanischen Kontinent darstellen. So betonte Sylvester Bagoroo (TWN, Ghana) in seinen Ausführungen, dass der afrikanische Kontinent auf mehrere Jahrzehnte von Handelsliberalisierung zurückblickt. Sowohl die Weltbank
und IWF mit ihren Strukturanpassungsprogrammen der 1980er und 90er Jahre als auch die
WTO mit ihrer Liberalisierungsagenda hatten Wachstum und Wohlstand für alle versprochen.
Dieses Versprechen konnte nicht eingelöst werden. Mehr noch: einige Länder stehen
schlechter da, als Anfang der 1980er Jahre. Dies begründet den Widerstand der Gewerkschaften, Kirchen, zivilgesellschaftliche Organisationen und sozialen Bewegungen gegenüber den EPAs. Dieser Widerstand wird dadurch verstärkt, dass alle ernst zu nehmenden
Analysen zeigen, dass die Länder Westafrikas durch den weiteren Abbau der Zölle im Rahmen der EPAs Staatseinahmen verlieren würden. Die EU-Kommission hat darauf eine Antwort parat: sie stellt Kompensationen in Aussicht. Unabhängig davon, dass es verrückt klingt,
dass ganze Volkswirtschaften auf Einnahmen verzichten, die sie selbst generieren und kontrollieren können, um sich von einem Versprechen abhängig zu machen, gilt es zu berücksichtigen, dass die 6,5 Milliarden Euro, die die EU für die nächsten fünf Jahre mobilisieren
will, nicht deckungsgleich mit den Verlusten sind. So würde Ghana beispielsweise 300 Millionen US-Dollar pro Jahr verlieren, während sich die Kompensationen auf 85 Millionen beliefen. Mehr noch: diese Kompensationen stellen kein frisches Geld dar, sondern ein Recycling
der Finanzmittel, die im Rahmen des Europäischen Entwicklungsfonds den Ländern Afrikas,
der Karibik und des Pazifischen Raumes sowieso zur Verfügung stehen. Auch durch das von
der EU im Westafrika-EPA durchgesetzte Verbot der Exportsteuern werden die Länder dieser Region Einnahmen verlieren. Darüber hinaus werden Anreize weggenommen, durch die
Unternehmen animiert werden, die Verarbeitung vor Ort zu machen, um Arbeitsplätze zu
schaffen. Dies ist angesichts einer jungen Bevölkerungsstruktur dringend notwendig. Ein
anderer problematischer Aspekt ist die Meistbegünstigungsklausel, die die Souveränität der
Länder Westafrikas erheblich einschränkt und strategische Partnerschaften mit Schwellenländern verhindert. Generell schränkt das Abkommen die politischen Handlungsspielräume
der Region ein, da sie für jeden Rekurs auf Instrumente wie Quoten und Zölle, die die Region gegen Schwankungen auf dem Weltmarkt schützen können, immer die EU konsultieren
muss. Hinzu kommt, dass diese Region in ihrer Ausgangsposition sehr unterschiedliche Voraussetzungen zwischen den verschiedenen Ländern ausweist. Das Abkommen verschärft
3
die Konflikte zwischen den unterschiedlichen Handelsregimen, die nun entstanden sind. Ein
solcher Effekt produziert auch den gemeinsamen externen Tarif, der parallel zum EPA mit
Westafrika verhandelt wurde und als unverzichtbare Voraussetzungen für die Implementierung dieses Abkommens im Eiltempo verabschiedeten werden musste.
Nach den Impulsvorträgen ergab sich in der Regel eine lebendige Diskussion, die sich oft mit
folgenden Themen auseinandersetzte: Fahrplan für die Ratifizierung in Westafrika und in der
EU, Kohärenz zwischen Entwicklungspolitik und EPAs, Rolle der afrikanischen Regierenden,
Chancen für eine Verhinderung der Ratifizierung, Nachteile der EPAs für Europa, Zusammenhänge zwischen Handelspolitik und Flüchtlingskrise, Notwendigkeit, die Mobilisierung
gegen die Freihandelsabkommen aufrechtzuerhalten.
Fazit
Durch die Speakers Tour 2015 ist es im hohen Maß gelungen, zu vermitteln, dass es mehr
als TTIP und CETA gibt und dass diese beiden Abkommen Teil einer umfassenderen Agenda sind, die auch die Interessen der Mehrheit der Menschen auf dem afrikanischen Kontinent
bedrohen. Die interessierte Öffentlichkeit konnte über den Verhandlungsprozess der EPAs
und über die Gefahren, die aus diesem Regelwerk für die afrikanischen Ökonomien ausgehen könnten, informiert werden. Zusammenfassend kann man sagen, dass das WestafrikaEPA wie auch die Abkommen anderer Regionen gemessen an den afrikanischen Entwicklungsagenden, die sowohl von der AU als auch von den regionalen Zusammenschlüssen
konzipiert wurden, zerstörerisch ist. Es dient vor allem den Interessen von Unternehmen auf
beiden Seiten: Zugang zu billigen Rohstoffen und Absatzmärkten für Unternehmen aus Europa, Beibehaltung des EU-Marktes für Unternehmen, die in Afrika produzieren, welche auch
zum großen Teil in europäischen Händen sind, auch wenn einige der afrikanischen Regierenden daran beteiligt sind. Für die Mehrheit der Menschen in Westafrika und in anderen
EPA-Regionen stellen die EPAs eine Gefahr dar. Diese Gefahr gilt es wahrzunehmen und
Kräfte zu bündeln, um eine Umsetzung dieses Regelwerkes abzuwenden. Die SpeakersTour fand in einem Kontext statt, in dem Europa mit dem konfrontiert ist, was viele als Flüchtlingskrise bezeichnen. In vielen Veranstaltungen wurde die Frage nach den Zusammenhängen zwischen Handelspolitik und Flucht gestellt. Diese Zusammenhänge sind offensichtlich
und die Speakers-Tour hat ermöglicht, diese ausführlich zu thematisieren. Auffallend war,
dass die von den ReferentInnen der Tour an den Tag gelegten Analysen über Fluchtursachen, unter denen Handel eine zentrale Rolle spielt, diametral mit der Art und Weise kontrastiert, wie viele EU-EntscheidungsträgerInnen über Fluchtursachen sprechen. Diese sehen
nur die Binnenprobleme, zu deren Lösung die EU durch mehr Geld beitragen will. Somit weigern sie sich, sich damit auseinanderzusetzen, was die Nutzung vieler Länder Westafrikas
als Absatzmärkte für Billigprodukte aus Europa ausmacht, was die EU-Fangflotten an den
Küsten Westafrikas anrichten, wie sich der erzwungene Zugang zu billigen aber strategischen Rohstoffen auf die Ökonomien, auf die Umwelt und auf das soziale Gefüge der betroffenen Länder auswirkt, was Land Grabbing auslöst und was der Waffenhandel mit Libyen
für die Destabilisierung von Mali und Nigeria bewirkt hat. Indem sie diese Faktoren außer
Acht lassen und entsprechend handeln, leisten sie dem Reparaturbetrieb Vorschub, während
die Zerstörung weitergeht. So gesehen konnte diese Speakers-Tour einen Perspektivenwechsel einleiten und zeigen, dass die lang anhaltenden Angriffe auf die Ökonomien der
4
Länder Westafrikas und Afrikas mitverantwortlich sind für die Flüchtlingsproblematik. Von
Fluchtursachen zu sprechen und ein Handelssystem zu ignorieren, das sich wie Krieg gegen
die Armen auswirkt und wie jeder Krieg, Flüchtlinge produziert, kann nur mit einer gestörten
Selbst- und Fremdwahrnehmung erklärt werden. Die Wirtschaftspartnerschaftsabkommen
von heute sind ein Teppich für die Flüchtlinge von morgen. Die EPA-Speakers-Tour 2015
konnte dies deutlich vermitteln.
5