DIE
SCHWARZEN
PHARAONEN
Als dunkelhäutige Nubier
die Macht im
Reich am Nil ergriffen
Taharqa
Pharao aus Nubien
im 7. Jh. v. Chr.
WALFANG EXTREM Mit Ruderboot und Speer auf der Jagd nach Pottwalen in Indonesien
RELIGION Warum sich im russischen Tatarstan Muslime und Christen vertragen
HEILUNG NACH MASS Wie Biomarker und Big Data die Medizin revolutionieren
EUR 5,– / CHF 7,–
AUSGABE 03
APRIL & MAI 2015
E I N E P U B L I K AT I O N V O N
ARCHÄOLOGI E
DAS VERGESSENE
REICH DER
SCHWARZEN
PHARAONEN
In einer kurzen Zeitspanne von 90 Jahren herrschten Könige
aus dem schwarzen Afrika über das antike Ägypten,
vom Mittelmeer bis nach Khartoum. Die Pharaonen aus Nubien,
dem heutigen Sudan, schufen eine hoch entwickelte Zivilisation
und bauten doppelt so viele Pyramiden wie die Ägypter.
Erst langsam legen Archäologen die Geheimnisse dieser Kultur
im Wüstensand frei. Eine Spurensuche.
Text: Fabian von Poser
Fotos: Robbie Shone
42
Foto: Rich haRdcastle
Taharqa,
der mächtigste der
Schwarzen Pharaonen:
Zum ersten Mal
in seiner stolzen
Geschichte wurde
ganz Ägypten im
7. Jahrhundert vor
Christus von
Eroberern regiert.
43
TIEF IM WÜSTENBODEN
DES SUDAN VERBORGEN,
ERZÄHLEN 2.700 JAHRE ALTE FRESKEN VON
EINER VERSUNKENEN KULTUR.
NUR WENIGE MENSCHEN
HABEN DIESE GRABKAMMER GESEHEN.
44
ARCHÄOLOGI E
45
46
ARCHÄOLOGI E
DIE PYRAMIDEN DER NUBIER
WAREN NIEDRIGER UND SPITZER
ALS JENE DER ÄGYPTER.
DAS LAG DARAN, DASS SIE MIT KRÄNEN
AUS ZEDERNHOLZ ARBEITETEN.
47
48
ARCHÄOLOGI E
AM FUSS DES BERGES
GEBEL BARKAL
BEFINDEN SICH DIE ÜBERRESTE
DES AMUN-TEMPELS.
ER WAR DAS WICHTIGSTE
HEILIGTUM NUBIENS.
PRIESTER ZOGEN
IN FEIERLICHEN PROZESSIONEN
DURCH DIE ALLEE
VON WIDDERSTATUEN,
UM IHREM GOTT ZU HULDIGEN.
49
Stolze Herrscher, ganz in Schwarz:
Bis zu ihrer Machtübernahme waren
Nubier in Ägypten bestenfalls als Söldner,
Diener oder Tagelöhner geduldet worden.
50
ARCHÄOLOGI E
V
I E L L E IC H T WA R E S ein sorgfältig
überlegter Schachzug eines Meisterstrategen. Oder es war heißblütiger, religiöser
Furor – wir werden nie erfahren, was König Piye
dazu brachte, ein neues Kapitel der Weltgeschichte
aufzuschlagen. Überliefert ist nur, was er tat: Im
Jahr 730 vor Christus ließ er seine Soldaten zusammenrufen, gefürchtete Kämpfer allesamt und
ausgerüstet mit den besten Waffen ihrer Zeit. Und
dann zogen sie los: Barken trugen den Herrscher,
seine Kämpfer und die Pferde auf dem Nil flussabwärts. Aus dem Königreich Kusch, im heutigen
Sudan gelegen, nach Norden, in die Heimat der
schillerndsten Zivilisation dieser Epoche: Ägypten.
In Theben, dem politischen und religiösen
Zentrum Oberägyptens, gingen die Männer an
Land, brachten ihrem Gott Amun Opfer dar,
reinigten sich rituell im Nil – und zogen weiter.
Ein Regionalfürst nach dem anderen musste vor
den Kriegern aus Kusch kapitulieren. Nach einem
Jahr hatten die Eroberer das Nildelta erreicht und
Ägypten unterworfen. Piye war nun Herrscher
über Nubien und Ägypten – plötzlich Pharao.
Für Ägypten war dies der Beginn eines erstaunlichen Intermezzos: Zum ersten Mal in seiner
stolzen Geschichte wurde das Land von Eroberern
regiert – ausgerechnet von Kuschiten, dunkelhäutigen Afrikanern, die bis zu diesem Zeitpunkt bestenfalls als Söldner, Diener oder Tagelöhner in
Ägypten geduldet worden waren und deren Land
als Hinterhof des Reiches galt – genutzt als Exerzierplatz für Expansionsgelüste und Quelle unermesslicher Goldschätze.
Für die Kuschiten war die Herrschaft über
Ägypten nur eine kurze Episode in ihrer Geschichte, die lange vor jener der Nachbarn im Norden
begonnen hatte – und über die doch bis heute weniger bekannt ist als über Ramses, Tutanchamun,
Kleopatra und Co. Auf welcher Grundlage gelang
den Menschen aus Kusch der Aufstieg zur größten
Macht am Nil? Wie konnten sie ein Reich beherrschen, das zum Zeitpunkt seiner größten Ausdehnung von der Region des heutigen Khartoum im
Sudan bis ins mehr als 2.500 Kilometer entfernte
Israel reichte? Wie bauten sie ihre charakteristischen Pyramiden? Und wohin verschwanden sie
nach wenigen Jahrzehnten wieder?
Lange Zeit konnte niemand diese Fragen beantworten. Als die Herrschaft der Schwarzen zu
Ende ging, bemühten sich die Ägypter, ihre Spuren
möglichst gründlich zu beseitigen. Nichts sollte die
Nachwelt an die Schwarzen Pharaonen erinnern.
Die Rechnung ging auf. Wer immer sich in den
folgenden Jahrtausenden mit der Region am Nil
befasste, war fasziniert von den Gräbern, Mumien
und Schriften entlang des Unterlaufs des Nil, von
Ägypten. Kusch? Uninteressant!
„Als ich vor 50 Jahren hier ankam, wurde ich
gefragt, was ich denn hier suchen würde“, erzählt
der Schweizer Archäologe Charles Bonnet. „Man
sagte mir: ‚Die wahre Geschichte findet doch in
Ägypten statt!‘“ Doch er ließ sich nicht beirren.
Heute gilt der mittlerweile 82-Jährige als Doyen
einer verhältnismäßig kleinen Gemeinschaft von
Archäologen, die sich auf die Spuren der Schwarzen Pharaonen geheftet haben.
Die Hartnäckigkeit wurde belohnt: In den
vergangenen Jahren gelangen Charles Bonnet und
seinen Kollegen wesentliche Erkenntnisse über
die rätselhafte Zivilisation im Norden des Sudan.
Sie fanden die Spuren einer verdrängten reichen
Hochkultur, die sich nicht nur aufs Kriegführen
verstand, sondern auch spektakuläre Bauwerke zuwege brachte und – laut jüngeren Theorien – über
detaillierte astronomische Kenntnisse verfügte.
Lokalaugenschein im heutigen Sudan. Die Expedition beginnt in der Hauptstadt Khartoum, von
hier aus geht es Richtung Norden. Selbst im Dezember ist es extrem heiß, die Luft flirrt über der
weitläufigen Sandlandschaft. Den einzigen Schatten weit und breit spenden ein paar dornige Akazien. Nach 590 Kilometern auf staubiger Piste und
einer Überquerung des Nil erreichen wir die Region um die historische Stadt Kerma.
Vor rund 10.000 Jahren hatten sich Menschen aus dem zunehmend vertrocknenden Umland hierher ans Ufer des Nil geflüchtet. Im Laufe
der Zeit entdeckten sie Landwirtschaft und Viehzucht für sich. Es war ein günstiger Ort, um eine
Zivi lisation zu begründen: Hier kreuzten sich die
Handelswege von Zentralafrika zum Roten Meer
und von Nord nach Süd, der Handel mit Tierhäuten, Tropenhölzern, Elfenbein und Gold schuf
Afrika
Sudan
Kerma
51
ARCHÄOLOGI E
Wohlstand. Archäologen finden hier Scherben von
mit Ritzdekoren verzierten Tongefäßen – aus einer
Zeit, in der das Töpfern in Ägypten noch völlig
unbekannt war.
Die Kunde von dem reichen Land erreichte
auch den Norden, wo vor 5.000 Jahren das ägyptische Reich entstand. Truppen der aufstrebenden
Großmacht starteten regelmäßig Raubzüge in die
schwarzen Fürstentümer. Vor 4.200 Jahren erlebte
Ägypten wegen innerer Streitigkeiten das Ende
seiner ersten Blütezeit, das Alte Reich zerfiel und
zog sich nach Norden zurück. So konnte die Region um Kerma erstmals richtig aufblühen, die
Hochkultur der Kuschiten entstand. Im Umkreis
der Stadt stießen Archäologen auf mehr als 130
archäologische Fundstellen aus dieser Zeit.
Die eindrucksvollste von ihnen ist die sogenannte Deffufa, ein massiver Lehmziegelbau von
19 Metern Höhe, der sich eindrucksvoll über das
Niltal erhebt. Seine Funktion ist umstritten. Möglicherweise handelt es sich um den kolossalen Unterbau für einen Tempel oder einen Palast.
Freigelegt hat die Deffufa Archäologe Charles
Bonnet. Wir sitzen in dem Haus, das ihm die su-
danesische Regierung zur Verfügung gestellt hat.
Kisten voller archäologischer Fundstücke füllen
den Raum, an der Wand hängen die Grundrisse
verschiedener Tempel. Vom Nil her weht eine frische Brise durch die offenen Fenster.
Kaum jemand kennt die Geschichte Nubiens
so gut wie Bonnet. Seine wichtigste Grabungsstätte derzeit liegt zwei Kilometer von Kerma entfernt,
nahe der Ortschaft Doukki Gel. Hier gräbt der
Archäologe eine mehr als 4.000 Jahre alte Zeremonienstadt aus. „In dieser Region existierte eine Zivilisation, die stark genug war, um Ägypten Angst
zu machen“, sagt der Archäologe.
Angst? Tatsächlich muss die Beziehung zwischen Kusch und Ägypten kompliziert gewesen
sein, und das über rund drei Jahrtausende: Einerseits gab es regen Waren- und Kulturaustausch
zwischen Nord und Süd. So nutzten die Menschen
in Kusch die ägyptische Schrift. Der ägyptische
Amun-Kult wiederum hat seine Wurzeln in Kerma. Die Verehrung der widderköpfigen Gottheit
war in Kusch tief verwurzelt, seine wichtigsten
Tempel wurden hier errichtet. Andererseits zogen
ägyptische Herrscher wiederholt in den Süden, um
Ausgrabung nahe Kerma: „Hier existierte
eine Zivilisation, die stark genug war, um Ägypten Angst
zu machen“, sagt Archäologe Bonnet.
52
LAND AM STROME
ISRAEL
tt
er
Jerusalem
Gizeh
JOR DA NIEN
Kairo
Memphis
S AU DI A R A BI E N
ÄGY P T EN
Ro
Theben
te
Luxor
sM
ee
r
Assuan
Abu Simbel
2. Katarakt
3. Katarakt
Doukki Gel
Kerma
Napata
4. Katarakt
Pyramiden
el-Kurru
Machtbereich der
Schwarzen Pharaonen
während der 25. Dynastie
Gebel Barkal
6. Katarakt
Kernland der Kuschiten
Meroë
Naga
S U DA N
au
er
Ni
l
500
Bl
250
5. Katarakt
Atbata
Khartoum
Traditionelle Grenze
zwischen Ägypten
und Nubien
0 km
Nuri
il
We i ß e r N
IllustratIon: ander Pecher
Mi
hier Menschen, Vieh und Schätze zu rauben – das
Wort „Nub“, Kern des Namens „Nubien“, ist die
Hieroglyphe für „Gold“.
Dazu kamen auf Seiten der Ägypter auch
Ressentiments gegenüber den Nachbarn im Süden:
Ägyptische Darstellungen der Nubier zeigen Menschen mit karikaturhaft dicken Lippen und flacher
Stirn. Im Grab des Pharaos Tutanchamun fanden
Archäologen Sandalen mit Bildern von Nubiern
auf den Sohlen – so konnte der xenophobe Ägypter bequem auf ihnen herumtrampeln.
Die Nubier ihrerseits nutzten Phasen des politischen Chaos im Norden, um ihr Herrschaftsgebiet auszudehnen. Mitte des achten Jahrhunderts
vor Christus war es so weit: Die Herrscherhäuser
Ober- und Unterägyptens waren zerstritten. Und
als die Oberägypter ihre südlichen Nachbarn
um Unterstützung baten, starteten die Nubier ihren ersten große Feldzug in den Norden. König
Kaschta drang dabei bis in die Gegend des heutigen Assuan vor.
Dabei war es nicht nur Machtgier, die die Kuschiten nach Ägypten trieb. Es ging auch um den
Amun-Kult. Verstört mussten sie zusehen, wie sich
die Menschen in Ägypten vom gemeinsam verehrten Gott Amun abwandten. Der Kult, den die Nubier so erfolgreich nach Ägypten exportiert hatten,
drohte in Vergessenheit zu geraten.
Höchste Zeit für einen heiligen Krieg. Kaschtas Sohn Piye übernahm diese Aufgabe und beherrschte nach seinem legendären Eroberungsfeldzug fast ganz Ägypten. Als er acht Jahre
später starb, errichteten ihm seine Gefolgsleute
eine Pyramide – es war dies der erste derartige
Neubau am Nil seit 500 Jahren – und bestatteten
den einbalsamierten Leichnam nebst ein paar
Lieblingspferden unter dem Monument, in einer
über 19 Treppen erreichbaren Grabkammer.
Bald darauf übernahm Piyes Sohn Taharqa
die Macht. 26 Jahre lang (nach anderen Quellen 31)
hielt er das Reich zusammen. Er hatte auch Glück:
Im sechsten Jahr seiner Regentschaft sorgten ungewöhnlich starke Regenfälle und eine seit Jahrhunderten nicht erreichte Nilschwemme für besonders
ergiebige Ernten. Den folgenden Wirtschaftsboom
nutzte der Pharao: Er ließ bestehende Tempel restaurieren und neue errichten. Besonders beeindru-
e
elm
ckend sind die Erweiterungen am Tempel von Karnak in der Gegend des heutigen Luxor sowie der
Ausbau des Amun-Tempels in Napata in Nubien.
Doch längst nicht alles war eitel Wonne und
Wohlstand. Taharqas Herrschaft war überschattet
vom ständigen Kampf gegen die Assyrer, die vom
Nordosten nach Ägypten drängten.
Der Pharao hielt entschlossen dagegen. Auf
einer seiner Strafexpeditionen verfolgte er die Angreifer bis in die Gegend des heutigen Jerusalem
– vermutlich ist er jener Pharao, von dem im Alten
Testament, im zweiten Buch der Könige, die Rede
ist. Demnach hat er mit seinem Gegenangriff auf
die Assyrer auch gleich die im heutigen Israel belagerten Hebräer gerettet.
53
WIE NUBIER UND ÄGYPTER
UM DIE MACHT AM NIL KÄMPFTEN
Zwei Völker entwickeln sich nebeneinander, miteinander und gegeneinander.
Sie pflegen kulturellen Austausch, führen aber auch heftige Kriege.
Ägypten
4.000–3.000 v. Chr.
ca. 2.700–2.216 v. Chr.
ca. 2.050–1.781 v. Chr.
Prädynastische Zeit
Die Naqada-Kultur kennt
Ackerbau, Bewässerungskanäle, Viehwirtschat mit
domestizierten Rindern,
Schweinen und Ziegen.
Mehrere Königreiche
ringen um die Vorherrschat. Beginnender Handel am Nil bis ins Delta.
Altes Reich
3. bis 6. Dynastie. Das Goldene Zeitalter Ägyptens: Eine
perfektionierte Verwaltung bringt Stabilität und Wohlstand. Die Pyramiden von Gizeh entstehen. Vermutlich
führt anhaltende Trockenheit zum Niedergang.
Mittleres Reich
11. und 12. Dynastie. Die Pharaonen führen Feldzüge bis
Palästina und laut einzelnen Überlieferungen weiter nach
Asien durch. Besser gesichert sind Expeditionen in den Süden.
Raumgewinne in Nubien werden mit Festungen manifestiert.
Tempel in Karnak. Die Anlage
wurde 2.200 Jahre lang immer
wieder erweitert und ist heute Teil
des UNESCO-Weltkulturerbes.
Der Pharao
besiegt einen
Widersacher
aus dem
Norden.
Geschichte, geritzt
in ein Elfenbeinplättchen.
2.216–ca. 2.050 v. Chr.
ca. 3.000–2.700 v. Chr.
Frühdynastische Zeit
1. und 2. Dynastie. Das erste
Reich entsteht, es erstreckt sich
vom Nildelta bis rund 850 Kilometer in Richtung Süden (wo
heute Assuan liegt). Insgesamt
acht Pharaonen, rege Handelsbeziehungen mit Nubien.
Tonvase mit stilisierten
Giraffen. Das Zentrum
dieser Kultur lag nördlich des
heutigen Luxor.
Pharao Mentuhotep II.
Er lässt zahlreiche Tempel
in Oberägypten errichten.
Erste Zwischenzeit
7. bis 11. Dynastie. In schneller
Abfolge wechseln Könige einander
ab, keiner kann dauerhat oder
gar über den Nord- und dem Südteil des Landes herrschen. Erst
Mentuhotep II. gelingt eine Einigung. Er drängt die Nubier bis zur
heutigen Landesgrenze zwischen
dem Sudan und Ägypten zurück.
Jahre v. Chr.
5.000
4.000
3.000
2.900
2.800
2.700
2.600
2.500
2.400
2.300
2.200
2.000
1.900
ca. 10.000–5.000 v. Chr.
ca. 2.500–1.480 v. Chr.
Klimawandel im
heutigen Nordsudan
Fruchtbare Savannen verwandeln
sich in Wüsten. Menschen suchen
die Nähe des Nils. Jäger und
Sammler werden teilweise
sesshat, züchten Tiere, betreiben
Landwirtschat und Handel.
Königreich von Kerma
Mit Kerma entsteht die erste
große Stadt: mit starken
Befestigungsanlagen,
Tempeln, Palästen und mehreren ausgedehnten Nekropolen. Sie entwickelt sich
zum Handelszentrum. Eine
eigene Schrit gibt es nicht.
In ägyptischen Dokumenten
ist stets die Rede vom
„Königreich Kusch“. Seine
Blüte erreicht es zwischen
1.750 und 1.480 v. Chr.
In dieser Zeit haben die
Herrscher Einluss bis weit
in den Norden, Dokumente
belegen eine Allianz mit
den lokalen Herrschern
(„Hyksos“) im Nildelta.
Deffufa in Kerma. Der Ziegelbau galt
lange Zeit als Kopie ägyptischer Baukunst,
heute als eigenständiges nubisches Bauwerk.
Seine Funktion bleibt – noch – unklar.
ca. 3.500–2.500 v. Chr.
Prä-Kerma-Kultur
Sie hinterlässt Spuren im gesamten
heutigen Sudan: Menschen leben
in größeren Siedlungen, betreiben
Handel mit Gold, Elfenbein und
Ebenholz entlang des Nil bis nach
Ägypten.
Nubien
54
2.100
Sayala-Keule (ca 3.200 v. Chr.). Der goldüberzogene Stab
diente wohl nur rituellen Zwecken. Er wurde 1910 entdeckt und
zehn Jahre später gestohlen. Wer ihn heute hat, weiß niemand.
1.800
1.700
ARCHÄOLOGI E
332 v. Chr.–395 n. Chr.
Ramses II. kämpft
gegen die Hethiter.
Der Pharao war aber
auch für sein diplomatisches Geschick berühmt,
mit dem er einen 50-jährigen Frieden schuf.
1.648–1.550 v. Chr.
Zweite Zwischenzeit
13. bis 17. Dynastie.
Die Zentralmacht zerfällt,
nur wenige Herrscher
hinterlassen Spuren.
Zeitweise wird Ägypten
von Kanaanäern aus
dem Gebiet des heutigen
Israel regiert, die sich
im östlichen Nildelta
niederlassen. Pferd
sowie Streitwagen mit
Speichenrädern verbreiten
sich von Ägyptens
Norden bis Nubien.
1.600
1.500
1.400
Griechisch-römische Zeit
Alexander der Große besiegt in der Schlacht bei Issos die
Perser, marschiert durch Gaza bis nach Memphis, wo er
freundlich empfangen wird. Prompt lässt er sich zum Pharao
krönen, huldigt dem alten ägyptischen Gott Amun, um nicht
als Fremdherrscher zu gelten. Er lässt von den Persern
zerstörte Tempel restaurieren, gründet aber auch Alexandria
nach griechischem Vorbild. Seinem Tod folgen die Diadochen­
kriege, danach wird Ägypten Teil des Römischen Reiches.
Totenmaske des
Tutanchamun.
Er regierte im
14. Jh. v. Chr.
2015 brach im
Kairoer Museum
der Bart ab.
ca. 1.550–1.071 v. Chr.
Neues Reich
18. bis 20. Dynastie. Expansion
Ägyptens: Eroberung Nubiens; rege
Bautätigkeit im Tal der Könige.
Ramses III. gilt als letzter großer Pharao.
Danach folgen Bürgerkriege und
Priester, die sich als Herrscher sehen.
1.300
1.200
1.100
1.000
900
1.070–664 v. Chr.
664–332 v. Chr.
Dritte Zwischenzeit
21. bis 25. Dynastie.
Regionale Herrscherhäuser sorgen für unklare
Verhältnisse. Fürsten
aus Libyen bringen ihre
eigene Kultur ins Land.
Der bisher bestimmende
Amun-Kult verliert
an Bedeutung, nur
in Nubien ist er noch
immer stark, sein
Zentrum ist der dortige
Berg Gebel Barkal.
Spätzeit
26. bis 31. Dynastie.
Assyrische Herrscher
installieren ägyptische
Könige, die sich später
emanzipieren können.
Letzter kultureller
Aufschwung, Ägypten
erobert die Meere, eine
erste Umsegelung
Afrikas gelingt.
Wachsender Einluss
der Griechen, später
herrschen die Perser.
800
700
600
500
400
300
Stein von Rosetta.
Die Huldigung an König
Ptolemaios V. ermöglichte,
weil sie in drei Schriften
abgefasst wurde, erstmals die
Deutung von Hieroglyphen.
200
Fotos: Robbie shone, Getty imaGes, WWW.PictuRedesk.com, caPtmondo, cecil mallaby FiRth, John camPana
1.100–ca. 800 v. Chr.
Königin Teje,
Kopf aus dem
Holz der Eibe
und Leinwand
(ca 1.370 v. Chr.).
Beleg für nubischen Einfluss in
Ägypten.
300 v. Chr.–
350 n. Chr.
Dunkles Zeitalter
Ägypten verliert sein
Interesse am Süden, das
Mittelmeer scheint
interessanter. Aus den
folgenden drei Jahr­
hunderten gibt es kaum
Funde, die etwas über
das Leben und die Politik
im Süden aussagen.
Pyramiden bei Meroë.
Letzte Bastion einer
eigenen Kultur, sicher vor
den Nachbarn im Norden.
1.480–ca.1.100 v. Chr.
Ägyptische Herrschat
Eroberer aus dem Norden be­
setzen Kusch. Thutmosis I.
gründet eine neue Stadt,
einen Kilometer von Kerma
entfernt: Doukki Gel. Vermut­
lich von hier aus regiert der
ägyptische Statthalter. Kinder
der lokalen Elite werden an
den Hof des Pharaos ge­
schickt, um den kulturellen
Wandel zu beschleunigen.
Nubier werden in der Verwal­
tung eingesetzt, ofenbar wird
auch Heiratspolitik betrieben:
Die aus bürgerlichem Hause
stammende, aber einlussrei­
che Königin Teje, Großmutter
des Tutanchamun, soll eine
Nubierin gewesen sein.
100
800–753 v. Chr.
Nubische Renaissance
Nahe dem heiligen Berg
Gebel Barkal entsteht Napata,
Zentrum eines starken
Königreiches, das geprägt ist
von ägyptischer Kultur.
Siegesstele von
Psammetich II.
bei Kalabscha.
Hier ließ sich der
Pharao für seinen
Feldzug preisen.
Das Königreich
von Meroë
Die Nubier errichten
ihr neues Königreich
tief im Süden, die
Stadt Meroë wird
Regierungssitz.
Weitab von Ägyptern
und später den
Römern erblüht eine
reiche Kultur. Aus
dieser Epoche
sind Schritstücke
überliefert, die bis
heute nicht entzifert
werden konnten.
591–300 v. Chr.
Unterwerfung
591 v. Chr. führt Psammetich II. einen Präventivschlag
gegen Kusch: Er zerstört Tempel und Denkmäler, lässt
Statuen zertrümmern und verscharren.
ca. 753–664 v. Chr.
Pyramiden in Napata. Hier sind die
Herrscher von Kusch bestattet, die ab ca. 750 v. Chr.
ihre Hauptstadt hierher verlegen.
Die Epoche der Schwarzen Pharaonen
730 bricht König Piye nach Norden auf, erobert und befriedet
Ägypten, vereinigt das Land am Nil vom Mittelmeer bis südlich des
heutigen Khartoum. Damit gründet er die 25. Dynastie von Pharaonen.
55
1
Richtig wohl fühlte sich der
mächtige Krieger aber nur zu Hause in Napata. Die Stadt lag weiter
stromaufwärts als Kerma, also weiter weg von aufmüpfigen Ägyptern
und feindseligen Assyrern. Und sie
hatte noch einen einzigartigen Vorteil: Sie lag im Schatten des mächtigen Berges Gebel Barkal.
Wie ein hingeworfener Brocken ragt der mächtige Felsen aus
der ringsum flachen Wüstenlandschaft. In ihm verschmelzen die religiösen Wurzeln Ägyptens und Nubiens. Dort, wo die Nubier bereits
seit Jahrhunderten den Amun-Kult
pflegten, ließ der ägyptische Pharao
Thutmosis III. im 15. Jahrhundert
vor Christus den ersten Tempel errichten. In der markanten, 74 Meter
hohen Felsnadel an der Südflanke
des Berges sahen die Zeitgenossen
eine aufgerichtete Kobra, das Totemtier der Pharaonen.
2
3
Im Morgengrauen steigen wir von der Nordseite her auf den Gebel Barkal. Noch weht aus der
Wüste ein kühler Wind. Wer zu spät aufsteht,
kann die Kletterpartie gleich vergessen – schon
am Vormittag ist die Hitze zu groß, um an einen
Aufstieg auch nur zu denken. Vom flachen Plateau
des 104 Meter hohen Berges öffnet sich ein atemberaubender Blick in die Unermesslichkeit der nubischen Wüste. Smaragdfarben mäandert der Nil
durch den Sand, an seinen Ufern grüne Felder und
Palmenhaine. Am Fuß des Berges sind alte Mauern und Säulen zu erkennen: Es sind Überreste
des Amun-Tempels, des einst bedeutendsten Hei-
1: Archäologe Charles Bonnet: Er gräbt seit 50 Jahren im Sudan
und gilt als einer der besten Kenner der Geschichte der Nubier.
2: Unverarbeitetes Gold: Mit einfachen Metallsuchgeräten finden
Bauern bis heute Gold im Sand. Das Edelmetall weckte schon in der
Antike Begehrlichkeiten der Nachbarländer.
3: Wandmalerei in der Grabkammer: Nach mythischer Überlieferung
wird hier über das weitere Schicksal des Verstorbenen entschieden.
56
ligtums von Nubien. Nur zu gut kann man sich
von hier oben vorstellen, wie Priester in feierlichen
Prozessionen durch die Allee aus Widderstatuen
zogen, um ihrem Gott zu huldigen.
In diese ihm wohlvertraute Welt flüchtete
sich Taharqa, als er 664 vor Christus in blutigen
Schlachten den Kampf gegen die Assyrer und
damit auch Ägypten verloren hatte. Hierher zog
er sich zurück, in sicherem Abstand vor dem Feind
aus dem Norden, geborgen im Schatten des heiligen Gebel Barkal, in tröstlicher Nähe zu den Gräbern seiner Ahnen. Die sind heute noch zu bestaunen – in el-Kurru, zehn Kilometer südwestlich des
Berges. Generationen nubischer Könige sind hier
bestattet, darunter auch Kaschta, der Begründer
der Dynastie der Schwarzen Pharaonen. Und Taharqa selbst? Ausgerechnet er, der mächtigste der
Schwarzen Pharaonen, wählte das 20 Kilometer
flussaufwärts gelegene Nuri als letzte Ruhestätte.
Seine Grabkammer liegt unter der größten je im
Sudan gebauten Pyramide, sie war 63 Meter hoch.
Lange wussten die Archäologen nicht, warum Taharqa seine Grabstätte an einem so entlegenen Ort errichten ließ. Timothy Kendall, Archäologe von der Harvard-Universität bei Boston, ist
nach jahrelanger Forschung überzeugt, dass der
Pharao seine Wahl offenbar nach astronomischen
Erwägungen getroffen hatte. Die Felsnadel des
Gebel Barkal hatte dabei die Funktion des Zeigers
einer Sonnenuhr – diese Anordnung sollte dem
Pharao die alljährliche Wiedergeburt garantieren
(siehe Kasten S. 58/59).
Taharqas Nachfolger Tanwetamani blieb König von Kusch. Die Zeit der Schwarzen Pharaonen war endgültig vorbei. Viel mehr ist über Tanwetamani eigentlich nicht zu berichten, wäre da
nicht seine Grabkammer. Vor uns geht Ali Awad
Alkream Mohammed, im Ort bekannt als „Onkel
Ali“, über die Nekropole bei el-Kurru. Und dann
steigt er in den Untergrund, öffnet ein Gittertor,
steigt tiefer. Die Luft ist feucht, es riecht nach Erde, es wird dunkel. 33 Stufen später sind wir acht
Meter unter der Erde und stehen in einer rechteckigen Zelle. Mit seiner Lampe leuchtet Onkel
Ali an die Wände. Im Scheinwerferkegel kommen
fast 2.700 Jahre alte Fresken zum Vorschein, in
Rot, Gelb, Grün und Blau. Sie zeigen König
ARCHÄOLOGI E
NACH SEINER NIEDERLAGE
GEGEN DIE ASSYRER
ZOG SICH PHARAO TAHARQA
NACH NUBIEN ZURÜCK –
IN DEN SCHATTEN DES
HEILIGEN BERGES GEBEL BARKAL,
WO SEIT JAHRHUNDERTEN
KUSCHITISCHE KÖNIGE
BESTATTET WORDEN WAREN.
57
DIE WIEDERAUFERSTEHUNGS-MASCHINE
Wie Pharao Taharqa den Standort für seine Pyramide wählte
Landstrich mit Blickachsen:
Vom Berg Gebel Barkal
aus gesehen geht die Sonne
am altägyptischen Neujahrstag genau hinter Taharqas
Grabstätte auf.
Friedhof el-Kurru
(10 km)
TaharqaPyramide
AmunTempel
Gebel Barkal
SE I T DE R US-A M E R I K A N I SCH E Archäologe George A. Reisner
1917 das Grab des nubischen Pharao Taharqa (ca. 690–664 v. Chr)
in Nuri freilegte, stellten sich Wissenschafter die Frage, warum
der größte aller Schwarzen Pharaonen seine Pyramide an
einem so abgelegenen Ort errichten ließ – mehr als 26 Kilometer vom Friedhof in el-Kurru entfernt, auf dem die übrigen
Mitglieder der Herrscherfamilie begraben liegen. Wollte Taharqa
Abstand wahren, weil es Streit gegeben hatte? Oder war sein Grab
nach Nuri verlegt worden, weil ihm die Herrschaft über Ägypten
entglitten war?
Der US-amerikanische Archäologe Timothy Kendall vertritt die
These, dass Taharqa seine letzte Ruhestätte nach kultischen
Erwägungen erwählte: Von el-Kurru aus konnte man den heiligen
Grabmale im Vergleich:
Taharqas Pyramide war mit 63 Metern die höchste Nubiens. Die
Cheops-Pyramide in Ägypten ist mehr als doppelt so hoch.
Berg Gebel Barkal nicht sehen. Von Nuri aus aber schon.
Das war deshalb von Bedeutung, weil die Nubier glaubten, der
Berg samt seiner markanten Felsnadel sei der Geburts- und
Wohnort ihres Staatsgottes Amun.
Um einen Zusammenhang zwischen Fels und Pyramide zu
belegen, bestieg Kendall 1987 mit dem befreundeten Kletterer
Paul Duval die 74 Meter hohe Felsnadel – ein Wagnis, das seit
der Zeit der Pharaonen offenbar niemand mehr unternommen
hatte. Dabei entdeckte der Wissenschafter, dass der Pharao direkt
unterhalb der Spitze eine Inschrift mit seinem Namen und eine
heute fast völlig verwitterte Statue von sich selbst hatte anbringen
lassen. Doch was hatten Inschrift und Statue mit der Errichtung
der Pyramide in Nuri zu tun?
Kendall glaubt, dass das mit den wichtigsten Terminen im Kalender der Nil-Anrainer zusammenhängt: Das neue Jahr beginnt
nach der Überlieferung an jenem Tag, an dem der Wasserstand
des Nil zu steigen beginnt. Denn dieses Ereignis kündigt das jährlich wiederkehrende Hochwasser an, das für Fruchtbarkeit auf
den Äckern am Ufer sorgt. Deshalb galt dieser Tag in der Mythologie auch als Geburtstag des Osiris, Gott der Unterwelt und
der Wiedergeburt. Jener Tag, an dem der Pegel wieder zu fallen
begann, galt als der Todestag des Gottes. Und: Wie jeder
König verschmolz Taharqa in seinem Tod mit dem Gott.
So weit die Überlieferung.
Entscheidend für Kendalls Theorie sind zwei Daten: In Taharqas
Todesjahr 664 vor Christus fiel der Neujahrstag (nach moderner
Zeitrechnung) auf den 31. Juli. Osiris’ Tod fiel auf den 16. November. Und nun fand der Wissenschafter Erstaunliches heraus:
Am Morgen des 31. Juli geht die Sonne – vom Gebel Barkal aus
betrachtet – direkt hinter Taharqas Pyramide auf. Und am
16. November geht sie – von Taharqas Pyramide aus gesehen
– direkt hinter der Felsnadel des Gebel Barkal unter. Vom Berg
Zustand 1822: So sah die Pyramide
aus, als Europäer sie fanden.
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Zustand 2015: Mittlerweile ist
Taharqas Grabstätte völlig zerfallen.
ARCHÄOLOGI E
wiederum kann man an diesem
Tag beobachten, wie der
Schatten der Felsnadel kurz vor
Sonnenuntergang in die Mitte
der Pyramide in zehn Kilometer Entfernung zeigt.
„Der Sonnenaufgang hinter der
Pyramide sollte sicherstellen,
dass der mit dem Gott Osiris
Heiliger Berg mit Zinken. Der Berg Gebel
vereinigte Herrscher jedes Jahr
Barkal war nach Vorstellung von Nubiern und
aufs Neue wiederauferstehen
Ägyptern der Hort des Staatsgottes Amun.
würde“, sagt Kendall. Und
am 16. November wird Taharqa durch den immer länger werdenden
Schatten gleichsam zu seinem Grabe getragen. „Taharqas Pyramide war
also wie eine Wiederauferstehungsmaschine“, so der Wissenschafter,
„eine Sonnenuhr mit fast zehn Kilometer Durchmesser.“ Bisher ist keine
vergleichbare Anordnung im Niltal bekannt. Für Taharqas Nachfahren
war Nuri aber offenbar ebenfalls ein guter Platz für ihre letzte Ruhestätte. 54 der folgenden Königinnen und 19 Könige ließen sich über die
Jahrhunderte hier bestatten – aus welchem Grund auch immer.
Fotos: Dr.AngelA lohwAsser, Österreichische nAtionAlbibliothek; illustrAtion: AnDer Pecher
Himmelsmechanik, 1. Teil: Beim Sonnenaufgang am 31. Juli weist der Schatten der
Pyramide exakt in Richtung des heiligen Berges. Zeit für die Auferstehung des Königs.
Himmelsmechanik, 2. Teil: Beim Sonnenuntergang am 16. November fällt der
Schatten des Berges in Richtung Pyramide – er geleitet den König gleichsam ins Grab.
Tanwetamani auf dem Sterbebett. Die Göttin Isis
blickt auf den Toten herab. Im Dämmerlicht der
Lampen erkennen wir die fein gezeichneten Hieroglyphen und die Insignien des Herrschers.
Seit die Antikenbehörde des Sudan Onkel
Ali im Jahr 1966 den Schlüssel zur Grabkammer
anvertraute, ist er der Einzige, der Zutritt zum
Königsgrab hat. „Das hier“, sagt Ali und schwenkt
die Lampe, „ist die wichtigste Szene.“ Das Licht
fällt auf ein Bild von König Tanwetamani. Neben
ihm sitzt der Ba-Vogel, hinter ihm steht Maat, die
Göttin der Gerechtigkeit. Auf der Waage in der
Mitte der Darstellung liegen das Herz des Tanwetamani in einer Waagschale und eine Feder in der
anderen. Das Herz ist leichter als die Feder. „Ein
gutes Zeichen für das Leben nach dem Tod“, sagt
der Hüter des Grabes.
Im Diesseits mühten sich Tanwetamanis
Nachfolger, Ägypten erneut zu erobern – doch sie
scheiterten. Die einzige Folge ihrer Feldzüge war
der wohl erste Präventivkrieg der Menschheitsgeschichte. Um den Kuschiten ein für alle Mal ihre
Ambitionen auszutreiben, führte im Jahr 591 vor
Christus der ägyptische Pharao Psammetich II.
eine Kampftruppe nach Süden. Die Männer erreichten Doukki Gel – und sie waren gründlich
bei ihrer Mission, die Nubier zu demoralisieren.
Auf die Spuren ihres Wütens stieß erst fast 2.600
Jahre später der Archäologe Charles Bonnet mit
seinem Team von der Universität Genf. Am 11.
Jänner 2003 legte er in einem kuschitischen Tempel Dukki Gel eine drei Meter tiefe Grube frei. Zunächst fanden sie einen massiven Granitbrocken
mit einer Inschrift. Die konnten die Forscher sofort identifizieren: Da stand der Name des Taharqa! Nach und nach gruben die Archäologen weiter, der Rumpf einer Statue kam zum Vorschein.
Später fanden sie Arm, Faust und den Kopf des
Herrschers.
Zusammengesetzt misst die Plastik 2,70 Meter. Das Gesicht zeigt entschlossene Züge, der Körper ist von kräftiger, schwarzafrikanischer Statur.
Es zeigte sich, dass die Schöpfer dieses Denkmals
die hellen Adern im dunklen Stein mit Farbe übertüncht hatten, damit die Pharaonen wirklich makellos schwarz erschienen.
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ARCHÄOLOGI E
Sudanesische Helfer nahe Kerma.
Hier gibt es noch Arbeit für Jahrzehnte.
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Religion und Regierung vor 2.000 Jahren:
Ägyptische Götter (li.) treffen Nubiens König.
Nördlich von Kerma: eine Statue von
Taharqa im Staub der Hauptstraße.
Die Pyramiden bei Meroë markieren den
Ort der letzten Hochblüte des Königreiches.
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Als wir die Pyramiden von Meroë kurz nach Sonnenaufgang besuchen, liegen sie beinahe so anmutig da wie 1822, als die Franzosen Louis Maurice
Adolphe Linant de Bellefonds und Frédéric Cailliaud sie entdeckten. Feuerrot beleuchtet die Sonne
ihre Spitzen. Ganz Meroë scheint zu dieser Tageszeit in Flammen zu stehen. Wie zu groß geratene
Zuckerhüte liegen die über 2.000 Jahre alten Grabtürme im wogenden Dünenmeer.
Das gewaltige Pyramidenfeld ist eines der
größten der Erde. Rund 120 Spitzbauten zählt die
Nekropole von Meroë, insgesamt 220 sollen es im
Sudan sein – doppelt so viele wie in ganz Ägypten.
Immer wieder fragten sich Wissenschafter,
warum die Nubier zwar die Bestattungskultur
der Ägypter kopierten, ihre Pyramiden aber deutlich kleiner bauten – in Meroë etwa erreichen sie
nur Höhen bis zu 30 Meter. Zum Vergleich: Die
Cheops-Pyramide in Gizeh war 147 Meter hoch.
Auch die Neigungswinkel waren mit 65 bis 70
Grad deutlich steiler als die ihrer ägyptischen Pendants mit etwa 50 Grad.
Der deutsche Archäologe Friedrich Hinkel,
der viele der Pyramiden in Meroë restaurierte,
fand heraus, dass es an der Bautechnik lag. Während die Ägypter die tonnenschweren Steine mittels Rampen auf die Pyramiden schafften, arbeiteten die Nubier mit Kränen aus libanesischen
Zedern. Da die Länge der Stämme begrenzt
Schrein des Taharqa: Der mächtigste der
Schwarzen Pharaonen ließ zu Ehren des Gottes
Amun-Re einen Tempel renovieren – und mit
Darstellungen seiner selbst schmücken.
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Foto: Rich haRdcastle
Nach und nach fanden die Archäologen in
der Grube insgesamt 52 Fragmente von sieben
schwarzen Statuen. Sie waren von Psammetichs
Männern zerschlagen und verscharrt worden.
Doch auch dieser Schlag konnte die Kultur
von Kusch nicht auslöschen. Die Nubier zogen sich
noch tiefer in den Süden zurück, wo sie 300 vor
Christus ihre dritte Hauptstadt gründeten: Meroë.
Ohne ständigen Zoff mit den Ägyptern konnten
sie hier, am Ufer des Nil zwischen dem fünften
und sechsten Katarakt, einige der eindrucksvollsten Zeugnisse der nubischen Hochkultur schaffen.
ARCHÄOLOGI E
Pyramiden bei
Meroë: Der Niedergang der Hochkultur begann, als
die Händler keine
Abnehmer für ihre
Waren mehr fanden.
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war, konnten auch die Pyramiden nicht endlos in
den Himmel wachsen.
Ab dem dritten Jahrhundert vor Christus
kontrollierte Meroë die Verkehrswege entlang des
Nil. Die Nubier trieben Handel mit dem mittlerweile griechisch-römischen Ägypten und den Staaten am Mittelmeer. Meroë wurde zum Zentrum
für Metallarbeiten, Keramik und Glasmacherei.
Im ersten vorchristlichen Jahrhundert erlebten
Meroë und die nahegelegenen Städte Musawwarat es-Sufra und Naga ihre Hochblüte. Großartige Tempel zeugen noch heute vom einstigen
Reichtum.
Reisenden aus Schwarzafrika muss die Skyline von Naga wie eine Fata Morgana vorgekommen sein. „Wer an dieser Stelle von Süden in das
Königreich gelangte, sollte sofort sehen, welch reiches Land er betritt“, sagt die deutsche Archäologin Karla Kroeper, als wir mit ihr durch die
Ausgrabungen spazieren. Gemeinsam mit Dietrich Wildung – langjähriger Leiter des Ägyptischen Museums in Berlin und eine der herausragenden Persönlichkeiten der Sudan-Archäologie
– gräbt sie seit fast 40 Jahren im Land. Mit einem
Team des Berliner Museums haben die beiden die
beeindruckendsten Relikte der nubischen Kultur im Wüstensand entdeckt: den Amun-Tempel,
flankiert von zwölf kolossalen Widderstatuen, einen dem meroitischen Gott Apedemak geweihten
Löwentempel und den Hathor-Tempel. Für die Archäologen bietet das Erbe von Kusch noch Arbeit
für Jahrzehnte. Derzeit graben Kroeper und ihre
Kollegen – seit 2013 unter der Regie des Ägyptischen Museums München – am „Tempel 120“:
Entdeckt hat sie ihn vor einigen Jahren beim
Spazierengehen.
Noch lange träumten die meroitischen Herrscher
davon, Ägypten zurückzugewinnen. Doch zu einer Vereinigung kam es nie mehr. Der Niedergang
des Römischen Reichs ab dem dritten Jahrhundert
nach Christus hatte einen Dominoeffekt bis Nubien: Die Waren fanden keine Abnehmer mehr.
Gleichzeitig entstanden neue Handelsrouten von
Zentralafrika ans Rote Meer, die vom christlichen
Königreich von Aksum im heutigen Äthiopien
kontrolliert wurden.
Als der aksumitische König Ezana um 350
nach Christus Meroë zerstörte, waren die Tage
der nubischen Herrscher gezählt. Die Stadt wurde umgehend verlassen. In Meroë ging die große
Kultur Nubiens Mitte des vierten Jahrhunderts genauso lautlos unter, wie sie fast
3.000 Jahre zuvor entstanden war.