- 1 - Graus, František: Judenpogrome im 14. Jahrhundert. In: Martin

Graus, František: Judenpogrome im 14. Jahrhundert. In: Martin, Bernd / Schulin, Ernst
(Hrsg.): Die Juden als Minderheit in der Geschichte, München 1981, S. 68-84.
EINLEITUNG ......................................................................................................................2
BEGRÜNDUNGEN FÜR JUDENVERFOLGUNGEN........................................................................2
Sonderbegründung...........................................................................................................2
reeller Bezug zum Judentum.............................................................................................2
Rezeption .........................................................................................................................2
PESTPOGROME.................................................................................................................3
BEDEUTUNG ........................................................................................................................3
Neue "Begründung": ........................................................................................................3
Besonderheiten der Pestpogrome .....................................................................................3
BEISPIEL: REICHSSTADT NÜRNBERG .....................................................................................3
weitere Herrscher, die in Pogrome involviert sind............................................................3
VERLAUF DER POGROME: 3 BEISPIELE ..................................................................................4
Basel:...............................................................................................................................4
Freiburg: .........................................................................................................................4
Straßburg:........................................................................................................................4
CHARAKTERISTIKA: .............................................................................................................5
GRÜNDE FÜR JUDENMORDE ..................................................................................................5
theologische Interpretation: .............................................................................................5
wirtschaftlich: ..................................................................................................................6
Gegensatz Kapitalismus - Pauperismus............................................................................6
psychoanalytisch..............................................................................................................6
Erkenntnis der allgemeinen Judenfeindschaft...................................................................6
Sündenbocktheorie ...........................................................................................................7
Gesellschaftliche Verunsicherung ....................................................................................7
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68:
Einleitung
69:
Begründungen für Judenverfolgungen
Sonderbegründung
o Pogrome = virulente Form der Judenfeindschaft
o diese "Sonderbehandlung" verlangt "Sonderbegründung"
o Spätmittelalter: "Sonderbegründung" durch 2 Fabeln (Vorwand für Pogrome)
Ritualmord von Juden an Christen
Hostienschändung durch Juden
reeller Bezug zum Judentum
o
70:
offensichtlicher Unsinn:
Ritualmord: Blut verunreinigt nach jüdischen Vorschriften bereits jede Speise
Hostienschändung: um eine geweihte Hostie "martern" zu können, müsste man
daran glauben, dass sie sich tatsächlich in den "wahren Leib und das Blut
Christi" verwandelt hat
Rezeption
o offizielle Kirche
- skeptisch gegenüber diesen Vorwürfen
- spricht bei den Vorwürfen oft von Betrug
o Begründung von Pogromwellen
- 1298 Rindfleisch Pogrom: König Rindfleisch
- 1337 Deggendorf
- 1336/38 Pulkau
o
Judenmassaker in der breiten Bevölkerung hervorgerufen durch Ritualmord- /
Hostienschändungsvorwürfe
o Armlederpogrome
- "König Armleder"
- 1336 Franken
- 1338 Elsass
- anderes Bild: Anlass der Pogrome bereits den Zeitgenossen unklar
- Chronisten erklären: Glaubenseifer, Geld der Juden
Raubgier
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Pestpogrome
Bedeutung
o 1348-50: größte Pogromwelle des Mittelalters
- von Süden nach Norden
- die meisten Judensiedlungen im Reich zerstört
Neue "Begründung":
o Vergiftung von Brunnen und Quellen durch Juden (mit christlichen Helfershelfern)
Pest
o Basierend auf weltweiter Judenverschwörung
Besonderheiten der Pestpogrome
religiöse Begründung fehlt (Ritualmord, Hostienfrevel)
Initiative nicht beim lokalen Klerus
Geißler spielen kaum eine Rolle
getaufte Juden werden erst geschont, später jedoch gleichfalls als Giftmischer
verbrannt
o "Judenschläger" aus anderem Umfeld
- vorher lag der Schwerpunkt der Judenverfolgungen im Dorf / bei der
Landbevölkerung
- Mitte des 14. Jahrhunderts: Judenverfolgungen vor allem in der Stadt
o
o
o
o
72:
o keine spontanen Aktionen der Bevölkerung, sondern meist sorgsame Regie
Beispiel: Reichsstadt Nürnberg
o 6. April 1349: Urkunde von Karl IV. : Adelige / Patrizier werden mit Häusern der im
voraus bezeichneten Opfer bedacht
3 Monate VOR den Pogromen
o König söhnt sich mit Markgrafen Ludwig von Brandenburg aus
o 27. Juni 1349 Urkunde: Ludwig soll die 3 besten Judenhäuser Nürnbergs erhalten
o erst 5. Dezember 1349: Pogrom
o Neben dem König haben noch andere Landesfürsten und Bürger Pogrome geplant
weitere Herrscher, die in Pogrome involviert sind
o Friedrich II. :
- Meißen: Pogrom auf direkten Befehl
- 1349: Befehl an Nordhausen, die Juden zu töten
o Markgraf Ludwig:
- Befehl zum Judenmord in Neumark
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Verlauf der Pogrome: 3 Beispiele
Städte haben sich gegenseitig über die sogen. Brunnenvergiftung durch Juden und christliche
Helfershelfer informiert
Basel:
o Auflauf vor dem Rathaus
o Beteiligung von Rittern
o mehrere Tage später (16. Januar 1349): Verbrennung der Juden auf der Rheininsel in
einem eigens dafür errichteten Holzhaus
o
keine spontane Aktion des Volkes, da einige Tage zwischen Auflauf und
Verbrennung liegen
Freiburg:
o
o
o
o
o
o
o
o
von einigen Juden per Folter Geständnis der Brunnenvergiftung erpresst
1. Januar 1349: Einkerkerung aller Juden
30. Januar 1349: Verbrennung aller Juden
Ausnahmen:
- Taufwillige
- die 12 reichsten Juden (sie bleiben in Gewahrsam
in ihrem Namen treibt die
Stadt die Schulden ein, da bei ihrem Tod der offizielle Erbe ihres Vermögens
Karl IV. wäre)
Rat beschließt, von allen den Juden geschuldeten Summen 5 Pfund abzuschreiben, der
Rest ist an die Stadt zu zahlen
erst jetzt kommt es zu Tumulten
Rat greift energisch durch
auch hier keine spontane Aktion des Volkes, da ebenfalls einige Tage zwischen
Auflauf und Verbrennung liegen
Straßburg:
o Rat: Ermittlungen und anschließende Hinrichtung einiger jüdische "Übeltäter", aber
Ablehnung von kollektiver Abschlachtung wegen städtischen Schutzprivilegien
o Aktion der Fleischerzunft:
- angefacht von einigen Rittern / Patriziern
- erzwingt Verbrennung von Juden
o Mord war sorgfältig geplant / wohl vorbereitet
- Opfern wird Vertreibung vorgegaukelt
- dann Ausraubung
- 14. Februar 1349: Verbrennung
o Bargeld verteilt der neue Rat unter die Zünfte
o
seitdem ist Straßburg führend in der Judenverfolgung
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Charakteristika:
75:
76:
o keine spontanen, sondern organisierte, zum Teil sorgfältig geplante Aktionen (auch
durch weitere Beispiele bekräftigt)
o Begründung der Judenmorde mit Brunnenvergiftungen
o teilweise basierend auf Geständnissen gemarterter Juden
o Juden nicht die einzigen Verdächtigen:
- zunächst gegenseitige Beschuldigung Adelige
Arme
- allmähliche Einigung auf Juden
o Vergiftungsbeweise werden gefunden, lange bevor die Seuche ausbricht
o Reihenfolge: Judenmorde - Geißlerzüge - erste Pestwellen
o Bloßes Gerücht vom "großen Sterben" ruft Welle der Beschuldigungen hervor
- Pestwelle selbst weist auf Unsinnigkeit der Beschuldigungen: Juden ebenfalls
von der Pest hingerafft
o gebildete Zeitgenossen glauben nicht an Brunnenvergiftung als Pestursache
- zeitgenössische Mediziner: Vergiftung = Ammenmärchen, doch Volk glaubt
lieber an Erzählungen, die von Fachleuten als unsinnig bezeichnet werden
o breite Kreise sind von der Richtigkeit überzeugt
o Brunnenvergiftungsbeschuldigungen eigentlicher Grund für die Mordwelle, weil
- Anschuldigungen und Pogrome : Monate vor Auftreten der Pest
- erste Berichte über Verschwörung der Juden erwähnen die Pest nicht
- organisierter, geplanter Verlauf der Metzeleien
Gründe für Judenmorde
theologische Interpretation:
o katholisch
- Juden wurde von der Kirche gewisse Sonderstellung eingeräumt
der Lehre
nach das auserwähle Volk und erst durch Leugnung Christi zum verworfenen
Volk geworden
- Demütigungen / Widerwärtigkeiten des Alltags: Strafe Gottes für historische
Schuld
o jüdisch
- Heimsuchungen = Strafe Gottes für Sünden,
- Martyrium um Gottes willen (Befleckung durch Taufe entgehen) = gottgefällig
o grundlegender Unterschied Verfolgungen im Mittelalter - Gegenwart:
- mittelalterlichen Pogromen wird durch theologische Deutung der Juden ein
Sinn abgewonnen,
- moderne Mordaktionen von den Opfern als völlig sinnlos empfunden
-5-
78:
wirtschaftlich:
-
Schuldentilgungen
die reichen Kaufleute, die zunächst ebenfalls beschuldigt wurden, opfern die
Juden gezielt, um sich selbst zu salvieren
- Plünderungen für die städtische Mittel- und Unterschicht (bei echten
Aufständen sind Plünderungen untergeordnet, bei Judenpogromen sind sie
immer eine der wichtigsten Triebkräfte)
o Problem: Kein Hinweis auf
- Anstieg der Verschuldung der Stadtbevölkerung
- Erhöhung des Zinssatzes
- Verschlechterung der Wirtschaftslage
Warum dann aber ausgerechnet jetzt so extreme Ausschreitungen?
79:
Gegensatz Kapitalismus - Pauperismus
80:
o Zusammenhang der Judenmorde mit der sozialen Unrast in Städten:
- Auseinandersetzungen zwischen Zünften und Patriziern
In der Sozialgeschichte wird Gegensatz zwischen Kapitalismus und
Pauperismus als Grund für Verfolgungen angegeben, Patrizier seien
Beschützer der Juden, Handwerker ihre Feinde
o Einwand: Ritter, Patrizier, Adelige beteiligt an Judenverfolgungen
o
es stehen sich keine 2 scharf ausgeprägte Schichten gegenüber
o Schlussfolgerung: nur Erklärungen für allgemeine Judenfeindschaft, nicht für die
Ausmaße der Pogrome; soziale Spannungen müssen berücksichtigt werden, sind aber
keine alleinige Lösung
psychoanalytisch
81:
o Freud: "Der Mann Moses und die monotheistische Religion"
o allgemeiner Rahmen soll abgesteckt und gedeutet werden
- Rolle der Darstellung der Juden als sogen. Gottesmörder
- Ritualisierung der Feindschaft erhellen
o Juden = systematisch offen und bewusst dämonisiert
o unmittelbarer Zusammenhang mit Satan, den Feinden Gottes und der Menschheit
- Synagoge Satans für alle Übel verantwortlich zu machen
Erkenntnis der allgemeinen Judenfeindschaft
o
o
o
o
Pestpogrome = entscheidende Wende
Spätmittelalter: Vertreibung aus fast allen Städten
Ausschluss aus Geldhandel mittleren Umfangs
Beschränkung auf Kleinstkredit und Trödelhandel
Was ist der Grund für dieses Ausmaß und die Folgen der Pestpogrome?
-6-
Sündenbocktheorie
o Jude = idealer Sündenbock
- Anderssein steht fest, oft von ihm selbst herbeigeführt
- religiös-sakrale Sanktion der Fremdenfeindschaft als gottgewollt
o aber: kein isoliertes Phänomen:
- Hexen: Frauenfeindschaft bis zur Hysterie gesteigert
- Arme (Massenerscheinung: Armenproblem), Bettler
- Ketzer / Andersgläubige (Hussiten, Protestanten)
- Aussätzige
- hier: Pauschalbeschuldigung: Verschwörung
o Abgrenzung der Gesellschaft von allen Außenseitern
Außenseiter zur Randgruppe
zusammengefasst
- Kennzeichnung
- Gettoisierung
- Sippenhaft
82:
Gesellschaftliche Verunsicherung
o Vor 14. Jahrhundert
- sozial instabile Gesellschaft
- verunsichert, sich bedroht fühlend
o
panische Reaktion auf wirkliche und vermeintliche Bedrohung
- Gefährdung alter Vorstellungen / Werte
- Wirtschaftslage prekär wegen Verschuldung
- undurchschaubare gesellschaftliche Zustände
- anonyme Kräfte beherrschen Markt, politisches und soziales Leben
- allgemeine Verunsicherung: Verlust traditioneller Werte
o In dieser Situation wird der Volkszorn auf die Juden gelenkt
o ideale Blitzableiter: Rolle des universalen Sündenbocks
o
83:
sobald soziale Ventile zu versagen drohen, war es naheliegend, den Volkszorn zu
steuern (1348-50: Regie)
o Juden erste aber nicht einzige Opfer
o Vorwurf der Verschwörung der Juden effektiv, da sowieso
- allgemeine Dämonisierung erleichtert Glauben an unheilvolle Verschwörung
der Satansrotte
- Dämonisierung auch innerhalb der christlichen Welt
- Verbindungen zum überirdischen und übergesellschaftlichen feindlichen
Kräften
o Die Vorstellung ist sogar so effektiv, dass es auch einen jahrhundertelangen
Antisemitismus ganz ohne Juden geben kann
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