1 Die geschichtliche Entwicklung: 1. 1931: Erste Flugzeugentführung in Peru (Rebellen, amerikanisches Postflugzeug) 2. Erst ab 1968 bis ca. 1977 sprunghafter Anstieg: • Eiserner Vorhang • Kubanische Revolution • Palästinensische Gruppierungen • Reaktion in Deutschland 1971 mit § 316c StGB („Angriff auf den Luftverkehr“) als Ausfluss des Haager und des Montrealer Übereinkommens (Weltrechtprinzip), aber: Nur kurzer Effekt, der bald abebbte. • Was blieb, ist § 29 LuftVG, eine Generalklausel, die aber nur zum Erlass von Ordnungsverfügungen ermächtigte. • 1972: Bundesverkehrsminister Georg Leber: RGL für Gefahrenabwehr, setzte sich aber nicht durch (Diskontinuitätsprinzip) und lockerer Umgang („Fly national to Miami and get that something extra!“), Verständnis für „Flüchtlinge“, echte Probleme „Deutschland nur Zaungast“ • 13. Oktober 1977 „Landshut“: Waffen an Bord eines Flugzeugs, vorher nur private Sicherheitsmaßnahmen unterschiedlicher Qualität und Güte • Neuntes Änderungsgesetz zum LuftVG 1980: Drei Säulen: Behörden, Luftfahrtgesellschaften und Flughafenbetreiber, § 29c (Sicherheitskontrollen für Personen und Gepäck), Eigensicherungspflichten • 21. Dezember 1988 „Lockerbie“ Zuverlässigkeitsüberprüfungen • 9/11: Zerteilung von „safety“ und „security“ durch LuftSiG: Größtes Novum: Abschussbefugnis § 14 Abs. 3 LuftSiG Einstieg ist § 11 Abs. 1 S. 3 SD bzw. § 5 Abs. 1 WStG (Rechtssicherheit für Soldaten) Die Entscheidung des BVerfG: 1. Gesetzgebungskompetenzen: • Art. 73 Nr. 1 GG („Verteidigung“) und Nr. 6 („Luftverkehr“) (-) • Art. 35 Abs. 2 S. 2 und 35 Abs. 3 GG („besonders schwerer Unglückfall“ bzw. „zur Unterstützung der Polizeikräfte““, aber nicht mit militärischen Waffen, sondern nur im Rahmen der Polizeigesetze 2. Materielle Verfassungswidrigkeit: • „Verdinglichung“ • „in der Regel“ Prognoseunsicherheit • Keine Einwilligung • Todgeweihtheit • Keine Aufopferung Abschuss eines Flugzeugs mit nur Terroristen an Bord ist in Ordnung Rechtssicherheit: Keine Befugnis zur Erteilung des Abschussbefehls Unsicherheit durch „in der Regel“ und „strafrechtliche Konsequenzen“ bleiben unberührt Strafrechtliche Bewertung des Abschusses: 1. Mutmaßliche Einwilligung in den Abschuss: • Nicht ausdrücklich • Art Grundrechtsverzicht? 2 Prognoseunsicherheit Außerdem: § 216 StGB (Tötung auf Verlangen) (-) Aufopferung für das Staatsganze: • § 323c StGB: Hilfeleistung nur „ohne erhebliche eigene Gefahr“ • § 8 Abs. 2 TPG: Nicht an Dritte spenden, sondern nur an persönlich bekannte Personen • Verwendung von Organen nur nach vorheriger Einwilligung: Staat nimmt den Tod vieler in Kauf, um das Persönlichkeitsrecht und damit eine Facette der Menschenwürde der Verstorbenen zu schützen. • Hillgruber: Allgemeine Wehrpflicht als Sonderopfer, aber eben keine Verobjektivierung! (-) Notwehr nach § 32 StGB: • Tötung eines Terroristen (+) • Aber: Kein gegenwärtiger, rechtswidriger Angriff durch die Passagiere (-) Rechtfertigender „Defensivnotstand“: • Kommt von § 228 S. 1 BGB (Eigentum berechtigt und verpflichtet) • Gefahr von Sache kann gebannt werden • „durch sie drohende Gefahr“ Nur Flugzeug, nicht aber die Insassen • Analogie für all diejenigen Angreifer, die nicht unter § 32 StGB fallen (da nicht rechtswidrig), aber die Gefahr in zurechenbarer Weise bedingt haben. • Verbindung mit der technischen Sache „Flugzeug“ reicht für die Zurechenbarkeit aus; a.A. nein, da die Passagiere die Gefahr in keiner Weise erhöhen, außerdem gerade durch die Zurechenbarkeit zum „Flugzeug“ Verdinglichung der Menschen! (-) Rechtfertigender Notstand nach § 34 StGB: • Zur Abwehr einer Gefahr von sich oder einem anderen (+) • Aber: Güterabwägung, d.h. grds. kein Leben gegen Leben • Ausnahmen bei ungeboren Kindern: o Perforation: Gefahr aus der Sphäre des ungeborenen Kindes, die die Mutter abwehren darf. Auf ein Verschulden des Kindes kommt es nicht an. Kind wird vielmehr eher pauschal als Gefahrenherd betrachtet. o Schwangerschaftsabbruch (§ 218a StGB): Fertiges Leben ist höher zu bewerten, da die Mutter keine Aufopferung über die üblichen Gefahren einer Schwangerschaft hinaus auf sich nehmen muss (Roxin). („Spezialfall der Interessenkollision nach § 34 StGB“) • • 2. 3. 4. 5. Abstufung von Leben o o Warum denn dann nicht auch bei § 14 Abs. 3 LuftSiG? Wegen der rechtfertigenden Pflichtenkollision: Pflicht, zur Abwehr von Gefahren zu handeln, kollidiert mit der Pflicht, Rechtsgüter zu schützen (Handlungspflicht Unterlassungspflicht) z.B.: Rettungsschwimmer, der nur einen von zwei Ertrinkenden retten kann Problem hier ist die Schutzpflicht: Bundeswehr kann nur handeln, wenn ein „Verteidigungsfall“ i.S.d. Art. 87a Abs. 1 GG vorliegt. Dies ist der Fall, wenn das Staatsgebiet mit „Waffengewalt“ von außen angegriffen wird oder ein solcher Angriff unmittelbar droht. Str.! 3 Wegen der Formulierung des § 14 Abs. 3 LuftSiG und seiner systematischen Stellung unter „Unterstützung und Amtshilfe durch die Streitkräfte“ gerade keine originäre Aufgabe, sondern nur nach Art. 87a Abs. 2 GG Art. 35 GG: Kein Katastrophennotstand, aber evtl. Unglücksfall (Schadensereignis von besonders großem Ausmaß wegen seiner Bedeutung in besonderer Weise die Öffentlichkeit berührt und auf menschliches Fehlverhalten oder technische Unzulänglichkeiten zurückgeht), jedoch Problem bei der „Hilfe“, die Kampfeinsätze ausschließt. Deswegen keine gesetzlich geregelte Pflicht Aber: Selbst wenn Pflicht bestünde, dann geht die Unterlassenspflicht der Handlungspflicht vor (ergibt sich aus der Abwehrfunktion der Grundrechte) Rechtfertigende Pflichtenkollision hilft nicht, um eine Ausnahme zu bilden! • Ausnahmen bei Vorliegen einer sog. „Gefahrengemeinschaft“: o Lenckner: „Mehrere Rechtsgüter befinden sich in einer gemeinsamen Gefahr, in der sie alle untergehen müssten, wenn nicht wenigstens eines auf Kosten der anderen gerettet würde.“ o Zentrales Problem, das damit gelöst werden soll: Tötungsverbot erhöht den Gesamtschaden o Zwei Konstellationen: Mehrseitige / Einseitige Verteilung von Rettungschancen Mehrseitige: Alle haben die gleichen Chancen zu überleben (Ballonfall, Euthanasiefälle, Fährmannfall, Planke des Karneades) Einseitige: Ein Teil der Gruppe ist sowieso todgeweiht (Bergsteigerfall, Mignonette-Fall) Mehrseitige: „Prinzip des kleineren Übels“ Rechtfertigung (+) in früherer Literatur, da Allgemeinwohlbelang im Vordergrund; nach Euthanasie-Rspr. (-), da jegliche Wertung des Menschenlebens ausgeschlossen (Lenckner: „Idee des Lebens“) Versuch, Leben abzustufen, da sowieso jeder sterben wird, weswegen die Tötung mit einer Lebenszeitverkürzung gleichzusetzen ist. Aber: Jeder Lebensmoment ist gleichwertig, keine zeitliche Komponente Qualitative und quantitative Aspekte funktionieren nicht, wenn man die Menschenwürde ernstnehmen möchte Gegenausnahme: Indirekte Sterbehilfe; Vater, der seine Kinder nicht aus einem brennenden Haus wirft (Abgewogen wird eine potentielle Überlebenschance gegen eine sichere, aber viel kürzere Lebenszeitverlängerung) Hier ist es nicht mehr ganz so eindeutig, aber „heimliche“ Abstufung setzt sich im Vgl. zur § 34 StGB fort. 6. Entschuldigender Notstand nach § 35 StGB: • „Angehörigen oder einer anderen nahe stehenden Person“ (-) • [Spricht für Menschenwürde, da jeder sein Leben im wahrsten Sinne des Wortes „bestreiten“ kann.] 7. Übergesetzlicher entschuldigender Notstand: • Unzumutbarkeit normgemäßen Verhaltens / Motivationsdruck, beruflichen Pflichten nachzukommen (eher nicht existent, siehe oben) 4 Voraussetzungen: o Geschütztes Rechtsgut mit existentiellem Gewicht (+) o Verletztes Rechtsgut ist ohnehin verloren (+) o Keine anderen Abwendungsmöglichkeiten (+) • Problem: Steht nur Leben gegen Leben, so wäre der „übergesetzliche Notstand“ erfüllt. Durch die Problematisierung der Tatmodalität durch das BVerfG steht nun aber Menschenwürde gegen Leben, wobei die Menschenwürde als höher zu bewerten ist. • Darüber hinaus: Nur entschuldigt, aber weiterhin rechtswidrige Tat! 8. Rechtsfreier Raum: • Raum für Gewissensentscheidung, weder falsch noch richtig • Kaufmann: „rechtswertungsfrei“ • Otto: Möglichst viele zu retten entspricht den Wertmaßstäben unserer Rechtsordnung, Opferung anderer nicht. Ist also rechtmäßig/rechtswidrig zugleich, also nichts Strafbares. 9. Fazit: • Keine einheitliche Dogmatik erkennbar • Aber „rechtsfreier Raum“ i.S.d. Gnadenrechts im Grunde bereits vorhanden! • Dieser hilft aber vor dem Hintergrund der Rechtssicherheit nicht den Ausführenden und Entscheidungsträgern im Falle eines Flugzeugabschusses •
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