08. Präsentation - Prof. Dr. Martin Heger - Hu

AG Modul Strafrecht I WS 15/16 Fall 8: Ladendetek=v Sajanee Arzner WissenschaCliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Strafrecht, Strafprozessrecht, Europäisches Strafrecht und neuere Rechtsgeschichte von Prof. Dr. Mar=n Heger Kommode Raum 129 Email: sajanee.arzner@hu-­‐berlin.de Themenübersicht Stunde 8 1.  Das Festnahmerecht gemäß § 127 Abs.1 StPO 2.  Rechtliche Behandlung des ETBI 3.  Fall 8 Ladendetek=v 1. Das Festnahmerecht gemäß §127 Abs.1 StPO (1/4) § 127 Vorläufige Festnahme (1)  Wird jemand auf frischer Tat betroffen oder verfolgt, so ist, wenn er der Flucht verdäch=g ist oder seine Iden=tät nicht sofort festgestellt werden kann, jedermann befugt, ihn auch ohne richterliche Anordnung vorläufig festzunehmen. Die Feststellung der Iden=tät einer Person durch die StaatsanwaltschaC oder die Beamten des Polizeidienstes bes=mmt sich nach § 163b Abs. 1. (2)  Die StaatsanwaltschaC und die Beamten des Polizeidienstes sind bei Gefahr im Verzug auch dann zur vorläufigen Festnahme befugt, wenn die Voraussetzungen eines HaCbefehls oder eines Unterbringungsbefehls vorliegen. (3)  Ist eine StraCat nur auf Antrag verfolgbar, so ist die vorläufige Festnahme auch dann zulässig, wenn ein Antrag noch nicht gestellt ist. Dies gilt entsprechend, wenn eine StraCat nur mit Ermäch=gung oder auf Strafverlangen verfolgbar ist. (4)  Für die vorläufige Festnahme durch die StaatsanwaltschaC und die Beamten des Polizeidienstes gelten die §§ 114a bis 114c entsprechend 1. Das Festnahmerecht gemäß §127 Abs.1 StPO (2/4) Voraussetzungen einer Rech:er;gung gemäß §127 Abs.1 StPO I. 
Festnahmelage •  Täter wird auf frischer Tat betroffen oder verfolgt: Taerische bei zeitlich-­‐ örtlichem Zusammenhang •  Fluchtverdacht •  Iden=tät nicht feststellbar II. 
Festnahmehandlung •  Erforderlichkeit: Geeignetheit und mildestes Mihel •  Zulässig sind nur Beeinträch=gungen, die mit einer Festnahme notwendigerweise einhergehen •  Einschränkung der körperlichen Bewegungsfreiheit (§239), Körperverletzung (§223) •  NICHT: Schwerwiegende Körperverletzung, Tötung, Schusswaffengebrauch nur in besonderen Ausnahmekonstella=onen II. 
Subjek;ves Rech:er;gungselement •  Kenntnis von der Festnahmelage •  Festnahmewille: Handeln um Iden=tätsfeststellung durch StA/Polizei zu ermöglichen 1. Das Festnahmerecht gemäß §127 Abs.1 StPO (3/4) (P) Festnahmelage: Erfordernis einer tatsächlich begangenen Tat oder reicht dringender Tatverdacht? •  Ein dringender Tatverdacht ist anzunehmen, wenn nach gewonnenen Ermihlungsergebnissen eine hohe Wahrscheinlichkeit vorliegt, dass der Beschuldigte eine StraCat begangen hat (Anknüpfungspunkte für den dringenden Tatverdacht: HaCgründe gemäß §§ 112 I 1, II, 112 a I StPO) •  M1: Rechtswidrige und schuldhaTe StraTat erforderlich –  Arg. Da nur staatliche Behörden zum Einschreiten verpflichtet sind, wirkt das Irrtumsprivileg nur zu deren Gunsten –  Geg.Arg. Eine sichere Erkenntnismöglichkeit besteht nie –  Geg. Arg. Dann müsste der Festnehmende immer die hiergegen zulässigen Notwehrhandlungen dulden • 
M2: Rechtswidrige Tat erforderlich, Schuld nicht erforderlich –  Arg. Sinnvolle Differenzierung, da auch gegen Schuldunfähige ein Strafverfahren durchgeführt werden kann –  Geg. Arg. Eine Interessenabwägung ergibt auch hier, dass dem Festnehmenden nicht zugemutet werden sollte, sich dem Notwehrrecht des Festgenommen ausgesetzt zu sehen, falls die Tat nicht rechtswidrig war oder sogar gar nicht begangen wurde 1. Das Festnahmerecht gemäß §127 Abs.1 StPO (4/4) •  M3: Der objek;ve Tatbestand muss tatsächlich erfüllt worden sein. Hinsichtlich der anderen Merkmale reicht ein dringender Tatverdacht aus –  Arg. Die Erfüllung des objek=ven Tatbestandes ist leicht feststellbar und kann beobachtet werden –  Geg.Arg. Für den Laien ist die Erfüllung des objek=ven Tatbestandes gerade nicht leicht feststellbar •  M4 (h.M./BGH): Ausreichend ist ein dringender Tatverdacht –  Arg. Ermihlungsverfahren, dort sind immer nur Verdachtsmomente maßgebend –  Arg. Dem Festnehmenden kann die Last des Irrtums nicht zugemutet werden –  Arg. Der Festnehmende handelt in einer Situa=on, die mit der Situa=on von StA und Polizei vergleichbar ist, sodass insofern auch die gleichen Voraussetzungen gelten müssen –  Geg.Arg. Gewaltmonopol des Staates/ Festnahme durch Private ist Ausnahmeregelung 2. Rechtliche Behandlung des ETBI (1/3) • 
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Inhalt: Der Täter irrt über die sachlichen Voraussetzungen eines anerkannten Rech:er;gungsgrundes Voraussetzungen: –  Der Täter hält irrig Umstände für gegeben, die im Falle ihres wirklichen Vorliegens die Tat recheer=gen würde –  Prüfung also, ob bei Zutreffen der Vorstellung des Täters eine Recheer=gung vorläge (vollständige Prüfung)! Prüfungsort: Zwischen Rechtswidrigkeit und Schuld (eigener Prüfungspunkt: ETBI!) Rechtsfolgen à UMSTRITTEN M1: Strenge Schuldtheorie: Anwendung des § 17 –  Der Täter handelt nur bei Unvermeidbarkeit des Irrtums (sehr selten!) ohne Schuld –  Geg.Arg. Der Täter handelt an sich rechtstreu, Unvermeidbarkeitskriterium und Rechtsfolge des § 17 zu streng –  Geg. Arg. Keine praxisgerechten Ergebnisse –  Geg. Arg. Der Täter irrt auf tatsächlicher Ebene, nicht auf der Bewertungsebene! Die Situa=on ähnelt daher mehr dem Tatbestandsirrtum (§16) als dem Verbotsirrtum (§17)! 2. Rechtliche Behandlung des ETBI (2/3) • 
M2: Lehre von den nega;ven Tatbestandsmerkmalen: Direkte Anwendung des § 16 –  Die einzelnen Recheer=gungsvoraussetzungen sind nega=ve Tatbestandsmerkmale –  Der Vorsatz muss sich auch auf das Fehlen von Recheer=gungsgründen beziehen –  Ein entsprechender Irrtum ist damit Tatbestandsirrtum gemäß § 16, der Vorsatz eneällt dann also beim ETBI –  Geg. Arg. Diese Ansicht widerspricht dem dreigliedrigen Aumau im Strafrecht (TB/
RW/Schuld) • 
M3: eingeschränkte Schuldtheorie: Analoge Anwendung des § 16 –  Variante 1: Eingeschränkte Schuldtheorie i.e.S.: analoge Anwendung des §16 •  § 16 spricht von Umständen, die zum gesetzlichen Tatbestand gehören. Anwendung auf Recheer=gungsumstände daher nur analog denkbar. •  Analog § 16 eneällt beim ETBI daher der Vorsatz (zum Teil wird hier auch vom Wegfall des „Vorsatzunrechts“ gesprochen) •  Geg. Arg. Keine sachgerechte TeilnehmerhaCung möglich 2. Rechtliche Behandlung des ETBI (3/3) –  Variante 2 der eingeschränkten Schuldtheorie: Rechtsfolgenverweisende eingeschränkte Schuldtheorie: Analoge Anwendung nur der Rechtsfolgen des § 16 •  Es eneällt nicht der Tatbestandsvorsatz, sondern nur der „Vorsatzschuldvorwurf“ •  Eine Bestrafung wegen einer vorsätzlichen Tat eneällt, weil die Rechtsfolgen des § 16 analog angewandt werden •  Arg. Teilnahmefähige vorsätzliche, rechtswidrige Hauphat bleibt bestehen! MERKE: Fällt die Möglichkeit einer Bestrafung aus dem vorsätzlichen Delikt gemäß § 16 direkt oder analog weg, ist anschließend die Stramarkeit wegen fahrlässiger Begehung (insofern eine Strafandrohung besteht) zu prüfen Inhalt der Sorgfaltspflichtverletzung ist dann die irrige Annahme des Vorliegens der Recheer=gungsvoraussetzungen 3. Fall 8 Ladendetek=v (1/10) Wie hat sich L straear gemacht? §229 und § 239 sind nicht zu prüfen. 3. Fall 8 Ladendetek=v (2/10) A.  Straearkeit des L gemäß § 223 Abs.1 StGB durch das Anspringen, Niederreißen und das Fixieren des D auf dem Boden I.  Tatbestand 1.  Objek;ver Tatbestand a)  Tathandlung: –  Körperliche Misshandlung durch das Anspringen, zu Boden reißen und das Fixieren + –  Gesundheitsschädigung hierdurch – b)  Kausalität und objek=ve Zurechnung: + 2.  Subjek;ver Tatbestand: Vorsatz +, dolus eventualis 3. Fall 8 Ladendetek=v (3/10) II. Rechtswidrigkeit 1.  Notwehr, § 32 StGB a) 
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Notwehrlage: Gegenwär=ger, rechtswidriger Angriff: -­‐, denn der Angriff auf die Rechtsgüter des Ladeninhabers (Besitz und Eigentum) ist nicht mehr gegenwär=g, da der D die CDs noch vor der Verfolgung im Laden fallen lässt, sodass der Angriff nicht mehr andauert Festnahmerecht, § 127 Abs.1 StPO a) 
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Festnahmelage: Betreffen oder Verfolgen auf frischer Tat: +, sogar tatsächliche Tat, sodass auf den Streit Tat/Tatverdacht nicht ankommt Fluchtverdacht + Iden=tät nicht feststellbar + Festnahmehandlung: Erforderlichkeit: Geeignetheit und das mildeste Mihel Grenze: Schwerwiegende Körperverletzung, Tötung Anspringen, Niederreißen und Fixieren: + 3. Fall 8 Ladendetek=v (4/10) c)  Subjek;ves Rech:er;gungselement –  Kenntnis von der Festnahmelage + –  Handeln um den Festgenommenen den Strafverfolgungsbehörden zuzuführen + 1.  Zwischenergebnis: L ist gemäß § 127 Abs.1 StPO gerecheer=gt III. Gesamtergebnis: L hat sich durch das Anspringen, Niederreißen und Fixieren nicht wegen Körperverletzung gemäß § 223 Abs.1 StGB stramar gemacht 3. Fall 8 Ladendetek=v (5/10) B. Straearkeit des L gemäß § 223 Abs. 1, 224 Abs.1 Nr.2 und Nr.5 StGB durch das Würgen I. 
Tatbestand 1.  Objek;ver Tatbestand a)  Grunddelikt § 223 Abs.1 StGB –  Körperliche Misshandlung: Das Würgen + –  Gesundheitsschädigung: Bewusstlosigkeit + b) Qualifika;on § 224 Abs. 1 Nr. 2 und Nr.5 –  Nr. 2: Körperteile des Täters fallen nicht unter den Werkzeugbegriff – –  Nr.5: +, sowohl abstrakt als auch konkret wegen der Unterbrechung der LuCzufuhr über einen Zeitraum von zwei Minuten 2. Subjek;ver Tatbestand –  Vorsatz bzgl. Grunddelikt + –  Vorsatz bzgl. Lebensgefährdender Behandlung +, Erkennen der lebensgefährlichen Umstände und billigende Inkaufnahme derselben 3. Fall 8 Ladendetek=v (6/10) II. Rechtswidrigkeit 1.  § 127 Abs.1 StPO –  Festnahmelage: D wurde auf frischer Tat betroffen und war auf der Flucht (enger zeitlich-­‐räumlicher Zusammenhang auch noch vor dem Laden) –  Festnahmehandlung: -­‐, denn hier kommt es zu einer Lebensgefährdung, das ist von § 127 Abs.1 StPO nicht erfasst, Unverhältnismäßigkeit –  Grund: Der Strafanspruch des Staates muss hinter der ernsthaCen Gesundheitsschädigung/Lebensgefährdung jedenfalls bei einem einfachen Ladendiebstahl zurücktreten (a.A. ggf. bei schwerwiegenden StraCaten vertretbar) –  Das Würgen ist von § 127 Abs.1 StPO nicht gedeckt! 3. Fall 8 Ladendetek=v (7/10) 2. Notwehr, § 32 StGB a)  Notwehrlage: Gegenwär=ger, rechtswidriger Angriff – 
Perspek=ve: Sicht eines objek=ven Drihen in der konkreten Situa=on – 
Angriff: +, D schlägt wild um sich – 
Rechtswidrig: +, da das Festhalten von § 127 Abs. 1 StPO (siehe oben unter A) gedeckt war, sodass der D sich hiergegen nicht im Rahmen eines seinerseits bestehenden Notwehrrechts dagegen wehren durCe – 
P: Gegenwär;g: -­‐, denn in der Zwischenzeit ist D bewusstlos geworden, sodass sein Angriff auf L beendet war – 
Zwischenergebnis: ab der zweiten Minute (ab Bewusstlosigkeit) lag für den L keine Notwehrlage mehr vor 3. Fall 8 Ladendetek=v (8/10) III. Erlaubnistatbestandsirrtum: Der Täter irrt über die sachlichen Voraussetzungen eines anerkannten Recheer=gungsgrundes, d.h. er hält irrig Umstände für gegeben, bei deren wirklichem Vorliegen eine Recheer=gung gegeben wäre 1. Vorliegen eines ETBI: Wäre der L bei Zutreffen seiner Vorstellung gerech:er;gt gewesen? –  Träfe die Vorstellung des L zu (das D weiterhin angriffsfähig und nicht bewusstlos ist), dann läge weiterhin eine Notwehrlage vor –  Das Würgen wäre dann erforderlich gewesen • 
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Geeignetheit + Rela=v mildestes Mihel +, da D körperlich überlegen ist und sich durch das Festhalten nicht hat abhalten lassen auf den L einzuschlagen Gebotenheit +, da kein krasses Missverhältnis Kenntnis und Verteidigungswille des L + Zwischenergebnis: • 
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L wäre gerecheer=gt gemäß § 32 StGB gewesen Es liegt ein ETBI vor 3. Fall 8 Ladendetek=v (9/10) 2. Rechtliche Behandlung des ETBI? –  Strenge Schuldtheorie: • 
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Lehre von den nega;ven Tatbestandsmerkmalen • 
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Anwendung des § 17 Irrtum war vermeidbar, denn der L hähe die Bewusstlosigkeit erkennen können, der Passant P wies ihn sogar ausdrücklich darauf hin Bestrafung wegen vorsätzlicher vollendeter gefährlicher Körperverletzung, § 17 S.2 StGB Direkte Anwendung des § 16 Vorsatz eneällt Bestrafung nur wegen fahrlässiger Körperverletzung denkbar (à Prüfung!) Eingeschränkte Schuldtheorie: Analoge Anwendung des § 16 • 
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Eingeschränkte Schuldtheorie i.e.S.: Anwendung des § 16 analog auf „Recheer=gungsumstände“ , Vorsatz eneällt, Bestrafung nur wegen fahrlässiger Körperverletzung denkbar (à Prüfung!) Rechtsfolgenverweisende eingeschränkte Schuldtheorie: – 
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Anwendung nur der Rechtsfolgen des §16 Vorsatz bleibt theore=sch „bestehen“ (teilnahmefähige Hauphat!) Aber Bestrafung aus vorsätzlichem Delikt scheidet aus Bestrafung nur wegen fahrlässiger Körperverletzung denkbar (à Prüfung!) 3. Fall 8 Ladendetek=v (10/10) Streitentscheid: Nur bzgl. der strengen Schuldtheorie erforderlich, da die anderen zum gleichen Ergebnis kommen –  Ablehnung der strengen Schuldtheorie: •  Arg. Der Täter irrt nicht auf Bewertungsebene, sondern auf Sachverhaltsebene (= Fall des §16) •  Arg. Der Täter ist an sich rechtstreu! Die Rechtsfolge des § 17 ist daher zu streng 3. Ergebnis: L hat sich nicht gemäß §§223, 224 Abs.1 Nr.2, Nr.5 stramar gemacht. ACHTUNG: An dieser Stelle wäre jetzt die Prüfung des §229 anzuschließen, der im Ergebnis dann auch erfüllt ist –