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Kritische Analysen und Kommentare zu Wirtschaft und Politik
Eine Exportquote von 100 %, wie soll das zugehen?
Friederike Spiecker · Donnerstag den 18. Juni 2015
Ein Zuschauer der Phoenix-Sendung vom 10.6.2015 über den Streit zwischen
Griechenland und seinen Gläubigern fragt, was ich mit dem Satz „In Irland ist es
anders gewesen, weil Irland eine Exportquote von 100 % hat.“ gemeint habe. Ob
Irland also 100% seines Bruttoinlandsprodukts exportiere, was, so kann man die
Anfrage verstehen, doch gar nicht sein könne, weil dann ja für die Iren selbst nichts
mehr von dem übrig bliebe, was sie produzieren? Was hat man sich ganz allgemein
unter einer Exportquote und vor allem unter einer von 100 % vorzustellen?
Zunächst gilt ganz allgemein, wie schon in dem jüngsten Beitrag von Günther Grunert
in ähnlicher Form erläutert: Die Wirtschaftsleistung eines Landes, das
Bruttoinlandsprodukt (BIP), ist die Summe aller im Inland hergestellten Endprodukte
und -dienstleistungen. Verwendet werden können diese Güter (grob gesprochen) für
den privaten und öffentlichen Konsum (C), für private und öffentliche Investitionen (I)
und für den Export (X). Allerdings werden auch Güter importiert (M) und dann im
Inland konsumiert oder investiert. Daher enthalten die Größen C und I möglicherweise
auch Importgüter. Manche Importgüter gehen auch als Vorleistungen in Exportgüter
ein, so dass auch die Größe X Teile von M enthalten kann. Wenn man nun berechnen
will, wie hoch die Wirtschaftsleistung eines Landes ist, zählt man den Konsum, die
Investitionen und die Exporte zusammen und zieht davon die Importe ab, also
BIP = C + I + X – M .
Auf diese Weise kann man sicher sein, nichts zum BIP dazugezählt zu haben, was
nicht im Inland produziert worden ist. (X – M nennt man den Außenbeitrag einer
Volkswirtschaft.)
Nun kann man die einzelnen Verwendungskomponenten des BIP in Prozent des BIP
angeben, also etwa die Konsumquote (C / BIP) oder die Investitionsquote (I / BIP).
Macht man das mit den Exporten, also X / BIP, erhält man die sogenannte
Exportquote. Das sind aber genau genommen unechte Quoten, weil die genannten
Komponenten (C oder I oder X) auch importierte Güter enthalten (können), die in der
Gesamtgröße BIP (im Nenner) gerade nicht vorkommen. Diese Quoten setzen also
sozusagen Bruttogrößen in Bezug zu einer Art Nettogröße.
Das kann zu etwas ungewohnt anmutenden Größenordnungen der Quoten führen.
Wenn ein Land z.B. mehr importiert als exportiert (M > X), dann ergibt die Summe
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aus Konsum- und Investitionsquote mehr als 100 % des BIP. Echte Quoten, die sich zu
genau 100 % aufsummieren, erhält man, wenn man von einer umgeformten Variante
der genannten Gleichung ausgeht, nämlich von
BIP + M = C + I + X.
Inhaltlich ist diese Darstellung leicht zu verstehen: Alle selbst produzierten Güter
eines Landes zuzüglich aller Importe (das besagt die linke Seite der Gleichung) stehen
für die drei Verwendungsmöglichkeiten ‚inländischer Konsum‘, ‚inländische
Investitionen‘ und ‚Export‘ zur Verfügung. Doch üblicherweise bildet man nicht
Quoten gemäß dieser Gleichung (also mit BIP + M im Nenner), sondern Quoten, die
sich nur auf das BIP beziehen.
Ein kleines Zahlenbeispiel zu der vorgenannten Gleichung (in Klammern stehen die
Komponenten, auf die sich die Zahlen beziehen):
100 (BIP) + 100 (M) = 70 (C) + 20 (I) + 110 (X)
Als Konsumquote ergäbe sich 70/100 = 70%, als Investitionsquote 20/100 = 20%, was
zusammen nur 90% des BIP ausmacht. Die „fehlenden“ 10% gehen auf den positiven
Außenbeitrag (X – M = 110 – 100 = 10) zurück. Die Exportquote beträgt in diesem
Beispiel sogar mehr als 100%, nämlich 110/100 = 110%, die Importquote 100%.
Anhand dieser Überlegungen wird klar, warum ein Land eine Exportquote von 100%
oder sogar mehr haben kann, ohne dass die Menschen dort nur von Luft und Liebe
leben bzw. verhungern: Das Land importiert eben auch sehr viel. Die Exportquote
zeigt also an, wie stark ein Land in den internationalen Handel verflochten ist, sie sagt
noch nichts darüber aus, ob ein Land Überschüsse oder Defizite im Außenhandel
macht bzw. ob es besonders wettbewerbsfähig ist. Je höher die Exportquote eines
Landes, desto stärker ist die Volkswirtschaft von Veränderungen im internationalen
Preisgefüge betroffen.
Konkret sehen die Exportquoten in Irland, Griechenland und zum Vergleich in
Frankreich und Deutschland seit 1999 folgendermaßen aus (vgl. Abbildung 1):
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Die Niveaus der Exportquoten unterscheiden sich erheblich. Irland hat mit Abstand
die höchste Quote und erreicht mittlerweile einen Wert von über 110%, während
Deutschland mit ungefähr 45% seiner Wirtschaftskraft im Exportgeschäft unterwegs
ist. In Griechenland und Frankreich wird „nur“ ungefähr ein Drittel des BIP im
Exportbereich abgewickelt. Irland hat – wiederum mit Abstand – die stärkste
Steigerung der Exportquote in den letzten zehn Jahren zu verzeichnen (+ 35
Prozentpunkte).
Stellt man den Exportquoten die Importquoten gegenüber, lässt sich
veranschaulichen, dass auch in Irland niemand wegen umfangreicher Exporte
verhungern muss (vgl. Abbildung 2).
Abbildung 2
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Im Gegenteil: Irland profitiert offenbar als Drehscheibe im internationalen Handel von
dieser Rolle: Die Schere zwischen seiner Ex- und Importquote geht weiter auseinander
in Richtung zunehmendem positiven Außenbeitrag. In Griechenland nähern sich beide
Quoten an, und zwar ebenfalls im Sinne einer Verbesserung des Außenbeitrags: Das
griechische Handelsdefizit ist inzwischen auf ungefähr 2% des BIP geschrumpft nach
einem Extremwert von 13% im Jahr 2008.
Abbildung 3
Auch in Deutschland öffnet sich die Schere zwischen Ex- und Importquote weiter (vgl.
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Abbildung 3, in der der Maßstab geändert ist), was, gemessen an den absoluten
Milliardenbeträgen, angesichts der Größe der deutschen Volkswirtschaft einem
Vielfachen des irischen Handelsüberschusses entspricht: 190 Milliarden Euro
gegenüber 40 Milliarden Euro im Jahr 2014. Aus den Abbildungen 1 und 3 geht auch
hervor, dass die deutsche Volkswirtschaft deutlich stärker in den internationalen
Handel verflochten ist als etwa die französische.
Dieser Beitrag wurde publiziert am Donnerstag den 18. Juni 2015 um 04:00
in der Kategorie: Europa.
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