Abschied vom Wirtschaftswachstum „Wir stoßen an

Abschied vom Wirtschaftswachstum
„Wir stoßen an Wachstumsgrenzen – nicht nur ökologisch sondern auch
ökonomisch
und
sogar
psychisch.
Ein
„Weiter-so“
wird
es
ohne
Anspruchsreduktion nicht geben.“ Davon ist Professor Niko Paech, renommierter
Experte für Postwachstumsökonomie, überzeugt. Aber, wenn wirtschaftliches
Wachstum keine Option mehr sein kann, bleibt uns nur die romantische
Verklärung der „guten, alten Zeiten“ oder gibt es wissenschaftliche
Begründungen und Belege, dass ein Versorgungsmodell, das gleichzeitig modern
ist, aber innerhalb ökologisch vertretbarer Grenzen bleibt, funktioniert?
Bevor Professor Paech Lösungsmöglichkeiten aufzeigt, skizziert er die Situation,
in der sich die Gesellschaft heute befindet und zeigt einige – wie er es nennt:
Sollbruchstellen – auf. Zunächst: Produkte sind Botschaften. Über unsere
Konsumaktivitäten und unsere Mobilität stellen wir unsere Identität her.
Sag´mir, welche Jeans oder welche Uhr du trägst, welches Smartphone du
besitzt, wo du im Urlaub warst? – ich sage dir, wer du bist.
Die wichtigste Ressource, um all diese Güter produzieren zu können, ist das
Rohöl. Dies ist ein knappes Gut, genau wie seltene Erden, die zur Herstellung
von digitalen Endgeräten gebraucht werden. Der Kampf um Erzvorkommen, aus
denen der wichtige Rohstoff Coltan gewonnen wird, führt heute schon zu
Bürgerkriegen in Afrika. Welche Entwicklung das nehmen wird, vermag keiner
vorherzusagen.
Es werde viel vom Klimaziel gesprochen. Wenn man dieses erreichen wolle,
müsse man den Pro-Kopf-Ausstoß von CO² von 11 Tonnen auf 2,7 Tonnen pro
Jahr begrenzen. So werde aus der ökologischen schnell eine soziale Frage: Was
ich mir zu viel nehme, hat ein anderer auf der Welt zu wenig.
Nächste Sollbruchstelle: Energiewende oder auch „grünes Wachstum“. „Alles ein
großer Etikettenschwindel,“ so Herr Paech. Der Anteil der Windenergie am
Gesamtenergiemix in Deutschland betrage lediglich 1,2 %, der über
Photovoltaik-Anlagen sogar nur 0,8%. Biogas komme zwar auf 8 %, weise aber
eine negative Energiebilanz auf. Und: bei regenerativer Energie sprächen wir nur
von Strom, für den es bis heute keine effiziente Methode der Speicherung gäbe.
Bleibt also nur die Reduktion von Wirtschaftswachstum, aber wie soll das
funktionieren? Niko Paech nennt vier Säulen, auf denen seine Theorie fußt:
Suffizienz, Selbstversorgung, Regionalökonomie und Umbau der Industrie.
Es ist eine Erschöpfung moderner Gesellschaften zu beobachten. Stichworte wie
Depressionen, Burnout, Reizüberflutung sind jedem bekannt. Wir seien bisher
immer davon ausgegangen, dass mehr Wohlstand zu mehr Wohlbefinden führe,
d.h. wir wollen immer mehr konsumieren und der Engpass scheine das Geld zu
sein. Aber stimme das noch? „Nein, wir brauchen Zeit!“ ist sich Paech sicher.
Unsere physiologischen Kapazitäten seien beschränkt, unsere Sinnesorgane
bräuchten Zeit. Wir könnten beispielsweise einen Film nicht in doppelter
Geschwindigkeit sehen, um Zeit zu sparen, weil unsere Augen und unser Gehirn
das gar nicht mitmachten. So litten wir unter Zeitknappheit und das führe zu
Stress. Es gäbe also eine Sättigungsgrenze für Konsum und Reduktion werde
zum Selbstschutz.
Zur Selbstversorgung gehöre, Dinge selbst produzieren, vom Brot backen über
Textilien herstellen bis hin zum Anbau von Gemüse.
Regionalökonomie bedeute, handwerkliche Kompetenzen nutzen, sich Produkte
wie Waschmaschine oder Auto mit anderen zu teilen. Aber auch die Lebensdauer
der Dinge zu erhöhen, indem man sie repariere, gehöre dazu.
Da man dann insgesamt weniger Produkte brauche, könne die Arbeitszeit
verkürzt werden, sodass man Zeit habe für die Selbstversorgung oder Reparatur.
Dafür seien soziale Netzwerke wiederum wichtig, da die Spezialisierung bzw.
Arbeitsteilung auch hier greife. So schrumpfe die Wirtschaft, weil wir weniger
produzierten. Wir hätten dann zwar weniger Geld, aber da wir Dinge selbst
produzierten, gemeinschaftlich und lange (Reparatur) nutzten, bräuchten wir
auch nicht mehr. Letztendlich habe dies Auswirkungen auf die Gesundheit, da wir
weniger Stress hätten.
Damit endete der Vortrag von Professor Paech und das Publikum hatte
Gelegenheit, Fragen zu stellen. Die Gelegenheit wurde rege genutzt und die
Hauptfrage ging in die Richtung: Wie soll das funktionieren? Muss man die
Gesellschaft dann nicht zum Umdenken zwingen? Das klänge ja sehr nach
Kommunismus? Ein Patentrezept konnte Herr Paech natürlich nicht liefern,
betonte aber, dass er an einen Prozess der Aufklärung glaube und nicht des
Zwanges. (BI)