Paula McLain Eine Frau und Kriegerin E s ist keine Übertreibung, die Protagonisten der geheimen Dreiecksbeziehung im kolonialen Kenia als maßlos kompliziert zu beschreiben: den Jäger und Herzensbrecher Denys Finch Hatton, die Baronin und Schriftstellerin Karen Blixen und deren Freundin, die mutige und wunderbar draufgängerische Beryl Markham. Gewiss kommen manche Menschen schon als Rebellen auf die Welt, doch die meisten werden durch ganz spezielle Umstände und (leider unerlässliches) Leid dazu geformt. Beryl Markham ist eine von ihnen. Die in England geborene Flugpionierin verbrachte den größten Teil ihres Lebens im britischen Protektorat Ostafrika, ab 1920 die Kolonie Kenia, die sich 1963 unter der Führung von Premierminister und später Präsident Jomo Kenyatta aus der Fremdherrschaft befreite und zur Republik Kenia wurde. Während all dieser Umwälzungen blieb Markhams Afrika stets Antrieb und zugleich Anker ihres waghalsigen,oft rückhaltlosen Lebens. Ihr Vater Charles Clutterbuck war ein Pferdezüchter und -trainer, der seine Familie 1904 aus den friedlichen englischen Midlands in 607000 Hektar unberührte Savanne im Rift Valley verpflanzte, hundert Meilen landeinwärts von Nairobi. Da Clutterbuck seine gesamte Energie darauf verwandte, aus dem Nichts eine Farm ent- 1 stehen zu lassen, und Beryls Mutter Clara die Familie bald im Stich ließ, um nach England zurückzukehren, wuchs diese wild und ungebändigt auf. In Begleitung ihres Freundes Kibii, eines künftigen Kipsigis-Kriegers, jagte sie mit dem Speer in Busch und Mau-Wald und stellte sich an den dornigen Rändern ihrer Welt auf die Probe. Sie ritt ein Pferd, ehe sie laufen konnte, lernte Suaheli als erste Sprache und wuchs zu einer langbeinigen, komplexen Schönheit heran, die instinktiv den Tieren und der unbarmherzigen Landschaft mehr traute als den Menschen, und die Gefahr suchte, um nicht zuvor von ihr gefunden zu werden. Ihr standen jedoch weitere Verluste bevor. Als eine drohende Insolvenz Clutterbuck zwang, seine Farm Stück für Stück zu verkaufen, wurde auch die sechzehnjährige Beryl veräußert (wie sie es später Freunden gegenüber bezeichnen würde) – an den benachbarten Farmer Jock Purves, der doppelt so alt war wie sie. Erschüttert und gedemütigt erkämpfte sie sich mühsam ihre Unabhängigkeit, indem sie mit achtzehn Jahren eine Pferdetrainerlizenz erwarb, als erste Frau in Afrika, wahrscheinlich sogar auf der ganzen Welt. Später lernte sie eine Gruppe glamouröser europäischer Auswanderer kennen, darunter die dänische Schriftstellerin, Farmerin und Baronin Karen Blixen, Autorin von Jenseits von Afrika, und der Großwildjäger Denys Finch Hatton – ein Mann, dem Markham über zehn Jahre lang ohne Rücksicht auf Verluste nachstellen würde. Finch Hatton war es auch, der Markham zur Fliegerei ermutigte und sie damit auf einen Kurs brachte, der darin gipfelte, dass sie 1936 als erster Pilot – und natürlich erste Frau - den Atlantik allein, nonstop und auf dem schwierigen Weg, von Ost nach West, überquerte, geplagt von Stürmen und heftigem Gegenwind. 2 In Markhams Erinnerungen Westwärts mit der Nacht, 1942 veröffentlicht, zeigt sich in den Beschreibungen ihres transatlantischen Fluges und anderer Abenteuer eine Menge Schneid und Wagemut. Dieses Buch löste meine Begeisterung für Markham aus und inspirierte mich dazu, einen Roman über ihr Leben zu schreiben. Ich erfuhr jedoch schon bald, dass es noch viele weitere Geschichten gab, an die sie in ihrem Buch nicht rührte, Geschichten, die sie wie eine Sphinx hütete. Sie neigte weniger zu Diskretion, als vielmehr zu Verschwiegenheit, und so schwieg sie auch eisern angesichts des Geredes, das sie bei jedem ihrer Schritte wie einen leuchtenden Kondensstreifen hinter sich herzog. Tatsächlich haben die Spekulationen über Beryl Markham sie selbst um mittlerweile dreißig Jahre überlebt. Sie starb 1986 im Alter von dreiundachtzig Jahren in Nairobi, doch noch heute wird behauptet, Westwärts mit der Nacht sei nicht von ihr, sondern von ihrem dritten Ehemann, dem Journalisten und Ghostwriter Raoul Schumacher, verfasst worden. Auch heißt es, ihr einziger Sohn Gervase sei das Ergebnis einer Affäre mit Prinz Henry, dem Herzog von Gloucester gewesen (der mit seinem Bruder Edward, Prince of Wales, 1928 auf Safari durch Kenia reiste), Beryls zweiter Ehemann, Mansfield Markham, habe gedroht, den Herzog in seiner Scheidungsklage gegen sie als Mitverantwortlichen zu nennen, und die Gelder, die Prinz Henrys Mutter, Königin Mary, auf ein Treuhandkonto überwiesen habe, damit alle Beteiligten den Mund hielten, hätten Markham für den Rest ihres Lebens eine Rente beschert. Schenkt man diesen und anderen Gerüchten Glauben, könnte man Markham leicht als ungebildete Alkoholikerin mit äußerst unstetem Lebenswandel abtun. Doch nachdem ich über ein Jahr damit verbracht hatte, ihre Stimme und 3 ihre Psyche von meinem Schreibtisch aus zu ergründen, war ich der Anspielungen müde und hielt es für an der Zeit, mich von meinen Bücherstapeln abzuwenden und sie auf ihrem eigenen Terrain aufzusuchen. Ich wollte herausfinden, ob Markhams Kenia noch immer zu finden und ob es möglich wäre, den Einfluss, den diese ganz besondere Welt auf ihre Persönlichkeit und ihren Lebensweg ausübte, am eigenen Leib zu erfahren. Abgesehen vom Ausgangspunkt meiner Reise war nichts offensichtlich. Ich kontaktierte die Mitarbeiter des renommierten Safari-Anbieters Micato, ließ sie wissen, wonach ich suchte und weshalb, und machte mich dann auf den Weg nach Nairobi. „Und deshalb gibt es viele Afrikas“, schrieb Markham in Westwärts mit der Nacht. „Es gibt so viele Afrikas, wie es Bücher über Afrika gibt.“ In der Tat. Meine Recherchen hatten mir ein prächtiges sepiafarbenes Bild von Nairobi vermittelt, doch ich wusste auch, dass ich eine krisengeschüttelte moderne Welt zu erwarten hatte, sich ausdehnende Slums und Hochhäuser, Verkehrschaos und bewaffnete Askaris, die Lastwagen nach Bomben absuchen. Der radikale Islam und Ebola haben Kenias Wirtschaft ins Wanken gebracht. Der für das Wohlergehen des Landes so wichtige Tourismus befindet sich im freien Fall, aber insgesamt glaube ich nicht, dass man für eine Reise nach Afrika heute mehr Mut benötigt als zu irgendeinem früheren Zeitpunkt. Als Markham die Stadt zum ersten Mal sah, war Nairobi nicht mehr als ein aus einer Handvoll Blechhütten bestehender Außenposten in einem besonders unwirtlichen Landstrich zwischen Mombasa und dem Viktoriasee, erschlossen nur durch die Uganda-Bahn, auch bekannt als Lunatic Express. Erbaut zwischen 1899 und 1903, als sich 4 die Briten gerade das gesamte Land unter den Nagel rissen, war die Bahnstrecke das erste strategische imperiale Projekt in Afrika, ins Innere des Landes vorzustoßen. Mit ihm kamen all jene wagemutigen (und, ja, sehr wahrscheinlich auch verrückten) anglo-irischen und europäischen Pioniere, die diesem abwegigen Ort, wo malariaverseuchte Papyrussümpfe auf staubige rote Erde und marodierende Löwen trafen, ein neues Leben abringen wollten. Postkarten und Flugblätter versprachen den Tapferen ein Paradies. Für 1000 Pfund konnte man etwa 400000 Hektar fruchtbaren Landes und die adamitische Phantasie schrankenlosen Neubeginns erwerben – aber auch Tsetsefliegen und Puffottern und Ameisen, die grausam genug waren, ein ganzes Fohlen zu verschlingen. Afrika erforderte Schneid und einen gewissen unbeirrbaren Sinn für Romantik, und wenn man wie Beryl Markham bereits als Kind ins Land kam, schien der Ort selbst diese Eigenschaften in einem zu erwecken. Das unentdeckte Land schien auf mysteriöse Weise etwas Ursprünglichem und Unerschöpflichem in ihrem Inneren zu entsprechen. Treffpunkt für alle frühen Siedler war das Norfolk Hotel, – wo auch ich meine Reise begann. 1904 erbaut, spielte Nairobis erste Adresse eine wichtige Rolle in der gesellschaftlichen Geschichte der Stadt als einziger Brückenkopf der „Zivilisation“, wo jeder Neuankömmling ein kühles Bad, einen guten Gin und Berichte über die aktuelle Lage im Land bekam. Heute steht das Hotel auf dem Campus der Universität von Nairobi, wo die Stadt pulsiert und tost, bis man durch die Lobby in den Innenhof tritt. Und dann: Vogelgesang. Jakaranda-Bäume. Die Zeit fällt in sich zusammen wie ein Papierfächer. In der Veranda-Bar Cin Cin mit ihren dickgepolsterten Rattanmöbeln muss ich nur einen einzi- 5 gen erfrischenden Negroni zu mir nehmen und die Augen ein wenig zusammenkneifen, um alles so sehen zu können, wie es vor hundert Jahren war, als sich Siedler, Jäger und Würdenträger neben illustren Angehörigen des britischen Hochadels zu Tee und Tratsch versammelten oder auf eine Safari vorbereiteten. Markham tanzte hier in ihrer Hochzeitsnacht 1919 in elfenbeinfarbenem Satin mit Perlenbordüre und einem meterlangen Schleier aus hauchdünner Seide. Ich habe jede Fotografie von ihr, die ich finden konnte, eingehend studiert, aber hier, wo sie selbst gewesen ist, kann ich mich sehr viel besser in sie einfühlen. Noch keine siebzehn Jahre alt und traumatisiert durch den bevorstehenden Verkauf der Farm ihres Vaters, musste sie angesichts der Zukunft und ihres neuen Ehemanns äußerst verwirrt gewesen sein – und bereit, einige ihrer berüchtigten Fehler zu begehen. Sind Sie verheiratet, oder leben Sie in Kenia?, scherzte man damals. Untreue wurde erwartet, wenn nicht vorausgesetzt – das galt jedoch ebenfalls für das verhüllende Tuch gesitteter Täuschung, das die Oberfläche intakt hielt. Markham konnte oder wollte sich nicht an die Regeln halten. Als Berichte über die sexuelle Freizügigkeit seiner Ehefrau zu Jock Purves durchdrangen, provozierte dieser laute öffentliche Streitigkeiten, die die Gemeinde schockierten. Einige meinten, er habe ein Alkoholproblem. Außerdem war er womöglich impotent. Markham wurde die Sache bald leid und zog zu Lord Delamere, um auf dessen riesiger Soysambu Ranch im Großen Afrikanischen Grabenbruch Rennpferde zu trainieren. 6 Delamere (bekannt als „D“) war während ihrer Kindheit in Njoro ihr Nachbar gewesen und nach dem Fortgang ihrer Mutter zu einem Ersatz-Elternteil geworden. Außerdem war er der inoffizielle Anführer der weißen Siedler und gilt bis heute als einflussreichster Landbesitzer in Kenias Geschichte. Seine Ranch wird seit 1906 durchgehend von seiner Familie geführt, seit 2007 ist das Gelände auch ein Naturschutzgebiet. Die heute 19400 Hektar, bieten 12000 wilden Tieren eine Heimat, von Erdferkeln bis zu Zorillas. Mein Besuch fällt in die schlimmste Phase der Trockenzeit, und die Tiere halten sich versteckt. Ich sehe hauptsächlich Zebras, Gazellen und Staubteufel, die durch das ausgetrocknete Tal rund um den inaktiven Vulkan „Schlafender Krieger“ fegen – bei der lokalen Bevölkerung auch als Delameres Nase bekannt. „Er sieht aus wie Großvater, der auf dem Rücken liegt und schläft“, erklärt der gegenwärtige Lord Delamere, Hugh Cholmondeley, beim Nachmittagstee auf der behaglichen Veranda mit Blick über den schwefelhaltigen Elmenteitasee. „Mit solch einer Nase hätte man meinen sollen, er wäre in der Lage gewesen, Geld zu machen“, prescht er provokant vor. Doch als D 1931 starb, hatte er eine halbe Million Pfund Schulden. Cholmondeley ist ein „junger Hüpfer von einundachtzig Jahren“ und immer noch eine beeindruckende Erscheinung mit seinen 1,95 Metern. Während seine Frau Anne Zitronenkuchen an ihre Labradore verfüttert, erzählt Cholmondeley mir, dass Markham Mitte der fünfziger Jahre, als er während der Schulferien in Eton gerade zu Hause war, auf der Suche nach Arbeit vorbeikam. Da sie viel zu gut aussah, schickte man sie fort. „Die Ehefrauen anderer Männer konnten sie nicht ausstehen“, fügt Anne hinzu, „aber wenn 7 wir sie in der Stadt sahen, sammelten wir sie auf und luden sie zum Essen ein. Wir vergötterten sie.“ Als der Kuchen verputzt ist, folgen mir die gelangweilten Hunde auf meinem Rundgang über das Anwesen. Ich stelle fest, dass der Stall, die Koppel und sogar die niedrigen Hütten aus norwegischem Holz, von denen Markham eine bewohnte, nachdem sie Purves verlassen hatte, noch nahezu genauso aussehen wie 1922. D „hatte weder Ahnung vom Bauen noch von der Landwirtschaft“, wettert Cholmondeley, und dennoch besteht das materielle Vermächtnis seines Großvaters fort, so hartnäckig wie der Einfluss des Kolonialismus selbst. Die britische Krone regierte diesen Teil Afrikas nur etwas mehr als sechzig Jahre lang – nicht mehr als ein Wimpernschlag, gemessen an seinem geologischen Alter –, doch hier sitzt Cholmondeley nun, dessen langer Schatten über die Veranda fällt. Zumindest für den Moment. 2009 wurde der nächste Erbe der Baronetswürde, Hughs und Annes einziger Sohn Tom Cholmondeley, wegen Totschlags verurteilt, nachdem er einen Farmarbeiter erschossen hatte, den er der Wilderei bezichtigte. Nach einer aufsehenerregenden Gerichtsverhandlung büßte Tom einen Teil seiner Strafe ab und wurde dann entlassen. Hugh spricht den Skandal nicht an, geht jedoch mit Vergnügen die Liste möglicher Täter des Happy-Valley-Mordes von 1941 durch, der in dem Buch und dem Film Die letzten Tage in Kenya drastisch geschildert wird. „Aber es war Diana, nicht wahr?“, fragt er fröhlich. „Immerhin war sie von Kopf bis Fuß mit dem Blut des Earl of Erroll bedeckt.“ Er meint Lady Diana Delves-Broughton, die 1955 seinen Vater heiratete. (Es war Dianas vierte Ehe, die dritte seines Vaters.) Die Siedler ließen sich häufig gegenseitig in verschiedenen Partnertausch-Rekombinationen 8 für ihre Nachbarn sitzen. Der gesellschaftliche Kreis war damals so überschaubar wie heute, und die Nachkommen, wie der derzeitige Lord Delamere, kennen die Leichen im Keller der anderen nur zu gut. Aus irgendeinem Grund hat Delamere jedoch nichts davon gehört, dass Purves bei einem betrunkenen Ausraster im nahegelegenen Nakuru auf seinen Großvater losgegangen war, weil dieser Markham auf der Ranch allzu viel Freiraum ließ. Mit mehreren gebrochenen Knochen verbrachte D sechs Monate im Bett, um sich zu erholen. Purves kam ungeschoren davon, und die meisten Siedler waren der Ansicht, Markham trüge an allem die Schuld. D sah sich gezwungen, sie hinauszuwerfen, und viele aus ihrem Kreis wandten sich von ihr ab, darauf beharrend, sie hätte Purves nicht herausfordern sollen. Eine dieser Freundinnen war Karen Blixen, über Jahre hinweg eine Vertraute Markhams. Als es mit Jock anfangs schwierig wurde, war Markham oft auf Blixens Kaffeeplantage außerhalb von Nairobi geflüchtet, um Trost zu finden, und hatte dafür die fünfundsiebzig Meilen offenen Buschlands auf dem Pferderücken zurückgelegt, ohne einen einzigen Gedanken an lauernde Raubtiere zu verschwenden. Leoparden hatten ihr noch nie Angst eingejagt, die Liebe hingegen tat es. Den Großteil ihrer fragwürdigen Lebensentscheidungen traf sie auf der Flucht vor oder auf der Jagd nach romantischen Verwicklungen, dennoch glaube ich nicht, dass Finch Hatton ein Fehler war. Es stimmt natürlich, dass er ihrer Freundin gehörte, der Baronin Blixen – so sehr er eben jemandem „gehören“ konnte. Doch sein Freiheitsdrang und seine Abneigung gegen alle Konventionen waren denen Markhams so ähnlich, dass er sie – so denke ich – näher zu sich selbst brachte. Indem sie wider alle Vernunft nicht von ihm abließ, wurde sie selbst gefestigt, so- 9 gar indem sie über ihre eigenen Grenzen hinausdrängte. Sie begann, die Dinge zu tun, die sie nicht tun konnte (um Eleanor Roosevelt zu paraphrasieren). Sie lernte zu fliegen. Es ist kaum bekannt, dass Finch Hatton sich 1931, zum Zeitpunkt seines tragischen Todes im Alter von vierundvierzig Jahren – als er in seiner de Havilland Gipsy Moth auf die Erde stürzte wie Ikarus, der der Sonne zu nahe gekommen war –, von Blixen getrennt und eine enge Beziehung mit Markham begonnen hatte. Weder spielt eine der beiden Frauen in ihren Erinnerungen auf diese Dreiecksgeschichte auch nur an, noch lassen sie durchblicken, dass jede von ihnen sich zu unterschiedlichen Zeitpunkten schwanger von Finch Hatton wähnte. Markham floh 1925 nach London, um die Schwangerschaft abzubrechen, und verzichtete darauf, es Finch Hatton mitzuteilen, der zu langfristiger Monogamie oder zum Schultern der Last emotionaler Verpflichtungen nicht fähig zu sein schien. Blixen hatte nach eigener Einschätzung zwei Fehlgeburten, Verluste, die sie tief betrübten und einen Keil zwischen sie und Finch Hatton trieben. Diese Schatten bleiben unsichtbar in Jenseits von Afrika, worin sie Finch Hatton verklärt und ihre Liebesgeschichte perfekter darstellt, als sie es in Wirklichkeit war. Nur in den Briefen an ihre Familie gab Blixen zu, sich von ihrer Liebe zu ihm so geschwächt zu fühlen, dass sie manchmal an Selbstmord dachte. „Ich muss ich selbst sein“, schrieb sie im April 1926 an ihren Bruder Thomas, „etwas erreichen, das mir gehört und das ich bin, um überhaupt leben zu können.“ Dass sie sich verzweifelt um die Unabhängigkeit bemühte, die für Markham etwas ganz Natürliches war, ist beinahe schmerzhaft ironisch, da Finch Hattons Tod Blixens Schicksal als seine 10 untrennbare Witwe besiegelte. Er, ihr verschwundener Geliebter, war wie in Bernstein eingeschlossen. Genauso wie ihre Farm, die sie 1931 durch Insolvenz verlor. Sydney Pollacks erfolgreiche Filmadaption von Jenseits von Afrika aus dem Jahr 1985 gab den Anstoß zur Entstehung des Karen Blixen Museums. Gegen eine kleine Gebühr kann man sich dort in eine elegantere Zeit zurückversetzen lassen. Während ich das wunderbar erhaltene Mahagoniholz in Blixens Wohnzimmer, ihren gemauerten Kamin und die duftenden Frangipani-Bäume bewundere, kommt mir der Gedanke, dass jeder Zentimeter dieses Hauses ein Museum ist – nicht nur ein Museum ihres Lebens, sondern ein Museum der Komplexität des menschlichen Herzens. Markham, Finch Hatton, Blixen: Diese drei waren keine einfachen Menschen. Und wenn sie auch manchmal verschlossen und schwierig waren – unzuverlässige Erzähler ihres eigenen Lebens –, finde ich dennoch etwas Bewundernswertes an ihnen. Nach Finch Hattons Tod schwor die traumatisierte Markham, sie werde keinem weiteren Begräbnis mehr beiwohnen, und sie hielt Wort. Stattdessen nutzte sie den Schmerz wie so häufig als Antriebsfeder, um sich direkt in den Kern dessen zu katapultieren, wovor sie sich am meisten fürchtete: Einen Monat nach dem Unfall absolvierte sie, ebenfalls in einer Gipsy Moth, ihren ersten Soloflug über dem Flugplatz des Wilson Aero Club in Nairobi. Als einer der ältesten Fliegerclubs der Welt besteht dieser bis heute, und dort, mit Blick auf die Start- und Landebahn, auf der Markham 1929 das Fliegen erlernte, treffe ich mich zum Mittagessen mit Mark Ross, einem amerikanischen Wildbiologen, der als Buschpilot und Safari-Guide arbeitet, in der Hoffnung, von ihm etwas über Abenteuerlust und 11 Furchtlosigkeit zu erfahren. Ross ist ganz offensichtlich ein geistiger Nachfahre der mutigen und exzentrischen Pioniere, denen ich auf der Spur bin. Er erwarb seine A-Lizenz nach nur neunzehn Tagen Ausbildung, brachte sich selbst die Kunstfliegerei bei, indem er ein Buch darüber las, landet sein 9000 Pfund schweres Buschflugzeug regelmäßig hoch oben auf dem Mount Kenya auf Sandpisten, die kaum länger sind als 400 Meter, und schlug einmal einen Leoparden nieder, der in ein Fahrzeug voller Safarikunden springen wollte. „Was treibt Menschen dazu, gefährliche Dinge zu tun?“, frage ich ihn. „Ich gehe nur kalkulierte Risiken ein“, erwidert er und verengt dabei seine strahlend blauen Augen zu Schlitzen, als ob ich ihn herausfordern wollte. Dann erklärt er, dass es Teil seines Jobs als Safariführer sei, die Menschen dazu zu bringen, sich von ihrer Angst vor dem Unbekannten zu befreien. Ich vermute jedoch schon lange, dass irgendetwas an Afrika unvermeidlich den Mut einer bestimmten Sorte abenteuerlustiger Geister wie Ross befeuert und sie dazu anstachelt, sich bis an ihre äußersten Grenzen vorzuwagen, so wie es Markham immer wieder getan hat. Sie war von ihrem Wesen her nicht in der Lage, einer sicheren, gewöhnlichen Arbeit nachzugehen oder die Dinge auch nur für einen Augenblick langweilig werden zu lassen. „Ein Leben muss sich bewegen, oder es stagniert“, schrieb sie in Westwärts mit der Nacht. „Jeder Tag sollte anders sein als der vorige.“ Nicht lange nach Finch Hattons Tod wurde sie einer der ersten Piloten in Afrika mit einer gewerblichen Lizenz, transportierte mit ihrer Avian für einen Schilling pro Meile Post und Passagiere und spürte für Blixens Ehemann Bror unter unbeschreiblich gefährlichen Bedingun12 gen Elefanten aus der Luft auf. Zu jener Zeit gab es in Ostafrika so viele Elefanten, dass Markham minutenlang über eine Herde fliegen konnte, ohne deren Ende zu sehen. Sie und jene frühen Freizeitjäger, die den Wildreichtum voll auskosteten, hätten sich wohl kaum vorstellen können, dass Kenia einmal verzweifelt um seine wilde Tierwelt kämpfen würde. Viele Nachfahren jener Pioniere – wie Hugh Cholmondeley oder Will Craig und seine Familie im Lewa-Reservat im Norden, das ich ebenfalls besuche – haben riesige Familienbesitze in Naturschutzgebiete umgewandelt. Der deutsche Unternehmer und Philanthrop Jochen Zeitz hat Segera erschaffen, ein etwa 20200 Hektar großes Reservat auf dem Laikipia-Plateau, das ein sozial verantwortliches Retreat und Wildschutzgebiet beherbergt, welches eine Balance der „vier Cs“ anstrebt: Conservation, Community, Culture und Commerce. Damit schlägt er einen ganz anderen Weg ein, Pionier in Afrika zu sein, als ihn seine Vorgänger beschritten haben. Dennoch ist Zeitz gar nicht so weit von Landbesitzern wie Delamere oder dem Ehrenwerten Berkeley Cole oder selbst Clutterbuck entfernt. Er hat die Seele eines Abenteurers und sammelt seit langem die unveröffentlichten Briefe anderer, die Afrika erkundeten, darunter David Livingstone, Karen und Bror Blixen und Ernest Hemingway. Zeitz besitzt die Gipsy Moth, Baujahr 1929, die beim Dreh von Jenseits von Afrika verwendet wurde, da sie Finch Hattons Maschine genau entsprach. Wie sie so agil und glänzend in ihrem kleinen Hangar steht, ist sie eine prachtvolle Zeitkapsel. Ich möchte am liebsten hineinklettern, sie wie eine zweite Haut tragen und über die Graphitspitze des Mount Kenya davonfliegen. Stattdessen werde ich auf eine lange Fahrt durch das Segera-Reservat mitgenommen. Der klare Him- 13 mel, die Dornbäume und die dramatischen Felsformationen haben sich seit präkambrischer Zeit nicht wirklich verändert. Beinahe augenblicklich entdecken wir eine Elefantenherde im Wasserloch. Unser Führer Philip Rono erklärt, dies sei ihr tägliches Trinkritual – eine Familienangelegenheit. Als die Herde glatt und tropfend aus dem Wasser waten, führt sie ihr Weg in die Fieber-Akazien direkt an unserem Land Cruiser vorbei, so nah, dass ich hören kann, wie ihre riesigen nassen Füße auf dem roten Staub aufstampfen und das Wasser in ihren Bäuchen wie in einem schweren Weinschlauch gluckert. Wir sehen eine Gruppe Giraffen, die mit wie Pendel schwingenden Schwänzen in Zeitlupe zu rennen scheinen. Grevyzebras tauchen auf, Elenantilopen, schwerfällige Büffel in einer trockenen Suhle – und immer im Hintergrund der Mount Kenya, um den sich jetzt gerade Wolken wie Baiser-Kringel hoch auftürmen. Am Ngare Nyiro River gibt es ein Jenseits-von-Afrika-Picknick (Plüschkissenstapel im sonnengesprenkelten Schatten, ein mit Silberbesteck und feinem Porzellan gedeckter Tisch), und später kehre ich in mein Cottage zurück, um direkt nach Sonnenuntergang ein ausgedehntes Bad in der Steinwanne auf der Veranda zu nehmen. Einer nach dem anderen tauchen Sterne aus der dichten Schwärze der Nacht auf, ihnen folgt eine hauchdünne Mondsichel. Dies ist derselbe unvergängliche Himmel, den Markham sah, wenn sie als Buschpilotin im Freien schlief, aber auch als Kind in Njoro. Afrika war „der Atem und das Leben meiner Kindheit“, schrieb Markham. „Es ist noch immer die Heimstatt meiner dunkelsten Ängste, die Wiege stets faszinierender, jedoch nie ganz ergründeter Geheimnisse.“ Ihr eigenes Ge- 14 heimnis wird durch ihre Schriften nur noch mehr verschleiert, raffiniert verborgen unter lyrischen Schilderungen eines Paradieses. Statt erfahrene Verletzungen – etwa durch ihre Mutter oder den Verrat ihres Vaters – zu enthüllen, verklärt sie die Härte der Natur und die Schwierigkeiten auf Green Hills, der Farm ihres Vaters, die sie so makellos darstellt wie den Garten Eden vor dem Sündenfall. Das üppige Tal in Njoro, in dem Markham ihre Kindheit verbrachte, ist immer noch eine Pferdefarm, die heute von Bruce Nightingale geführt wird, einem der erfolgreichsten Vollblutzüchter Afrikas. Sein Sohn und seine Schwiegertochter Andrew und Zoe Nightingale leiten die Kembu Farm und eine Reihe von Gäste-Cottages, direkt unterhalb von Clutterbucks alten Galoppstrecken. Zwanzig Jahre lang versuchte Andrew einen benachbarten Farmer dazu zu bringen, ihm das Bilderbuch-Cottage zu verkaufen, das Beryls Vater für sie gebaut hatte, als sie vierzehn war: drei gemütliche sechseckige Räume unter einem Schindeldach. Als sie es endlich den Hügel hinunter an seinen gegenwärtigen Ort transportierten, war es beinahe abbruchreif. Ich verbringe dort eine meiner letzten kostbaren Nächte in Kenia und stehe vor dem Morgengrauen auf, um einen Blick auf Markhams Lieblingsaussicht zu werfen: den in blauen Nebel gehüllten namensgebenden grünen Hügel, die ferne Aberdar Range, den MenengaiKrater und, näher dran, ein paar Dutzend Jährlinge mit der Nase am Zaun, die darauf warten, dass einer der Stallburschen ihnen ihr Frühstück bringt. Die Vergangenheit ist für mich nicht direkt stehengeblieben. Auch Markham nicht, dennoch erfahre ich etwas nicht Greifbares über sie, indem ich an dieselbe Decke starre und unter derselben versen- 15 genden Äquatorsonne durch den Staub laufe. Wie sollte es auch anders sein? Den Hügel hinunter befindet sich der von den Einheimischen nach Markhams Vater benannte Bahnhof Cluttabucki. Dort betrat D 1902 zum ersten Mal das Rift Valley, um sich dauerhaft niederzulassen, und dort begann die wirkliche Pioniererfahrung. Markham ist mit Sicherheit eine Tochter des Kolonialismus, sie hätte jedoch lieber zum Kipsigis-Dorf auf dem Land ihres Vaters gehört. Nachts kletterte sie regelmäßig aus ihrem Fenster, um sich an das Feuer in der Hütte von Kibiis Familie zu setzen, hungrig nach deren Geschichten statt ihrer eigenen. Vor meiner Abreise aus Afrika bin ich in ein ähnliches Dorf eingeladen – allerdings eins der Massai. Hinter einer hohen Dornenhecke, die das Vieh und die Kinder vor Raubtieren schützen soll, stehen die Hütten aus Schlamm und Lehm genauso da wie schon seit Hunderten von Jahren. Innen ruhe ich auf einer niedrigen Pritsche aus Tierhaut, so glatt wie Pergament, und schließe meine Augen. Die Wände riechen nach Rauch, genau wie die Morani, oder Krieger, die dekorative Speere tragen und in rot gemusterten Shukas um ein Asche spuckendes Lagerfeuer herumtanzen. Ihre Füße wirbeln Staub auf, während sie in immer schneller werdendem Rhythmus Melodien singen, die sie tief aus ihrem Inneren hervorholen. In Westwärts mit der Nacht beschreibt Markham, wie sie mit Kibii darum wetteifert, wer von ihnen höher springen kann, was ich immer als einfaches Kinderspiel verstanden hatte, bis ich sehe, wie die Massai-Morani es, in prächtige Stoffe gehüllt, vor ihren weiblichen Zuschauern tun. In diesem Augenblick wird mir bewusst, dass Markham eher ein Krieger war als eine Frau – oder ein Krieger und eine Frau zu- 16 gleich. Wegen des besonderen Ortes, von dem sie stammte. Weil ihre Mutter verschwand. Weil die Welt ihr alle Sicherheit nahm, und die Regeln sich auflösten. Gewaltsam und Stück für Stück passte sie sich ihrem Afrika an, und Afrika passte sich ihr an. Hier, an diesem Ort, der sie so wunderbar beschädigt erschaffen hatte, stieg sie zum Himmel empor, in dem Glauben, sie könne ihn zähmen. Und das tat sie auch. Auf Beryls Spuren – Reisetipps der Autorin F ast ein Jahrhundert später ist noch vieles vom sepiagetönten Kenia Markhams, Finch Hattons und Blixens erhalten geblieben. Meine fünfzehntägige Reise wurde äußerst stilvoll von Micato Safaris organisiert, die fest im Land verwurzelt sind und bewundernswerterweise für jede gebuchte Safari einem Kind vor Ort ermöglichen, die Grundschule zu besuchen (MICATO.COM). Fairmont the Norfolk, mein Ausgangspunkt in Nairobi, hat sein koloniales Erbe stets hochgehalten. Überall hängen historische Fotografien, und das Frühstück wird auf der Lord Delamere Terrace serviert. Von dort aus lassen sich das Karen Blixen Museum, Finch Hattons Grab in den Ngong Hills und die Ngong-Rennbahn bequem besichtigen. Das Laikipia Plateau um das luxuriöse Segera Retreat herum ist ergreifend karg: ausgebleichte Felsformationen und Flötenakazien. Zu den weiteren Besonderheiten des Retreats gehören die Sammlung afrikanischer Gegenwartskunst seines Besitzers Jochen Zeitz, dessen Nachbau von Finch Hattons Gipsy Moth und eine seltene Sammlung von 17 Briefen afrikanischer Pioniere (Auszüge aus Blixens Briefen zieren die Bettüberwürfe). Lewa Wilderness, ursprünglich eine 1922 von der Familie Craig gegründete Farm, besteht heute aus neun Gäste-Cottages und bietet Besuchern verschiedene Möglichkeiten, die Gegend aktiv zu erkunden, unter anderem bei einem Jenseits-von-Afrika-würdigen Flug in Will Craigs Doppeldecker mit offenem Cockpit. Der Mount Kenya Safari Club in Nanyuki wurde in den fünfziger Jahren von William Holden als elitärer Privatclub gegründet (Mitglieder waren unter anderem Steve McQueen und Conrad Hilton). Er befindet sich direkt auf dem Äquator – man kann auf beiden Seiten der Erdhalbkugel ein Zimmer buchen. Der Lake District in der Nähe von Nairobi war der Tummelplatz des Happy Valley Sets. Übernachten Sie in Kembu Cottages, um vollkommen einzutauchen. Die Besitzer Zoe und Andrew Nightingale haben Markhams Cottage (das man mieten kann) auf ihr Grundstück geholt. Das Soysambu-Naturschutzgebiet (einst Lord Delameres privates Jagdrevier, heute ein wunderschönes Naturreservat am Elmenteitasee) beheimatet das Sleeping Warrior Camp. Der Fairmont Mara Safari Club war mein Zuhause in der Massai-Mara. Hier arbeitete Markham als Buschpilotin. Der Club bietet unglaubliche Tierbegegnungen und Zeltunterkünfte der Spitzenklasse. Alle Zitate aus Westwärts mit der Nacht entnommen aus: Beryl Markham, Westwärts mit der Nacht, übersetzt von Günter Panske, Piper 2001. 18
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