Pedalverschmierungen

- 10 -
Erstes Kapitel - Pedalverschmierungen
Der häufigste Pedalfehler sind unsaubere Pedalwechsel. Zunächst ein paar bekannte
Tatsachen:
Wenn wir eine Oktave im Bass anschlagen und danach das Pedal sehr schnell wechseln, sind die Töne damit keineswegs gelöscht, vielmehr klingen sie in verminderter
Lautstärke weiter. Schlagen wir die Oktave forte an, dann klingt sie nach einem
raschen Pedalwechsel sogar noch sehr laut weiter. Bis zu 10 Mal hintereinander
können wir in schnellen, zittrigen Fußbewegungen (Flatter-Pedal) Pedal wechseln,
bis die Oktave verklungen ist.
Mit diesem Verfahren, angeschlagene Bässe absichtlich unvollständig zu wechseln,
ist das so genannte Halb-bzw.Viertel-Pedal (bzw. Achtel-Pedal) beschrieben.
Es gibt wohl keine Klavierklasse an einer Hochschule, in der dieses Verfahren nicht
zumindest erwähnt würde.
Hier soll - zunächst - die Rede sein von den Bässen, die nach einem Pedalwechsel
unbeabsichtigt weiterklingen, bzw. die weiterklingen, ohne dass dies dem Spieler
bewusst würde.
Wollen wir mehrere (Bass-)Töne sauber wechseln, also so, dass kein Ton in den
folgenden hineinklingt, müssen wir das Pedal langsamer wechseln: der gehobene Fuß
darf nicht sofort wieder nach unten gehen, sondern muss eine kleine Weile oben
bleiben. Dadurch bleibt der Dämpfer länger auf der Saite liegen statt sie nur kurz
anzutippen.
Bei den stark schwingenden, mit Kupfer ummantelten Bass-Saiten reicht selbst
im piano die üblicherweise schnelle Wechselbewegung des Fußes nicht aus, um
den Ton wirklich zu löschen.
So prüfen Sie Pedalwechsel auf Sauberkeit:
Nach einem Pedalwechsel und bei noch getretenem Pedal den davor gespielten Ton/
Akkord stumm niederdrücken, dann, nachdem die Tasten stumm gedrückt sind, das
Pedal wegnehmen. Ist von den stumm gegriffenen Tönen nichts mehr zu hören, war
der Pedalwechsel sauber
.
Test für Pedalsauberkeit:
Nach dem Pedalwechsel die davor
gespielten Töne stumm drücken,
Pedal wegnehmen, hören !
Anmerkung: Solche Versuche lassen sich mit einem Klavinova nicht machen. Dort sind stumme
Anschläge nicht möglich. Wenn Sie finanziell nicht darauf angewiesen sind, sollten Sie sich
weigern, auf einem Klavinowa oder E-Piano zu unterrichten oder zu spielen.
Die erste und häufigste Ursache von Pedalverschmierungen ist die zu rasche Wechselbewegung des Fußes.
Das ist, selbstverständlich, nur das erste Glied einer Ursachenkette:
Bekanntlich muss das Pedal sehr oft rasch gewechselt werden, z.B. dann, wenn bei
Sprüngen, eine schnell loszulassende Taste noch vom Pedal erfasst werden soll.
- 11 -
Zu rasche Pedalwechsel aber sind, zum Teil, ein davon unabhängiger Reflex; denn
kurzatmig-schnappende Fußbewegungen sind häufig auch dann zu beobachten, wenn
die Finger nicht schnell von den Tasten genommen werden müssen, sondern wenn,
im Gegenteil, genug Zeit bleibt, mit den Fingern in den Tasten zu verweilen.
In Bsp.8 (Chopin, op.10 Nr.1) bleiben die Bässe liegen, das heißt: Es wäre genug Zeit
für ruhige, gründliche Pedalwechsel.
Bsp.8
T.5
T.6
Trotz langer Bässe wird das Pedal in einer hastig schnappenden Fußbewegung
gewechselt. Deshalb schmiert die vorausgehende Oktave E aus T.5, oft auch noch die
Fis-Oktave davor, in beinahe ungeminderter Lautstärke in die D - Oktave von Takt 6.
In Bsp.9 (Beethoven, Sonate op.13) sind zwischen den Takten 125 bis 130 saubere
Pedalwechsel weder möglich noch wünschenswert: Ein gewisses Ineinanderklingen
der Bässe erhöht die Dramatik des mächtigen Sogs. Am Ziel der Entwicklung aber,
bei den Akkorden der Takte 131 und 132, muss sauber gewechselt werden.
In Takt 131 kann die Hand zwar nicht sehr lange, jedoch ausreichend lange in dem
breiten Quintsextakkord verweilen, um dem Fuß einen ruhigen, gründlichen Pedalwechsel zu ermöglichen. Die übliche hastige Fußbewegung aber lässt die Bassoktave
G aus Takt 130 in beinahe ungeminderter Lautstärke in die Fis-Oktave des Taktes
131 hineinschmieren.
Bsp.9
T.125
T.131
Eine hastig schnappende Fußbewegung beim Pedalwechsel bewirkt,
dass die vorausgehende G-Oktave stark in den Takt 131 schmiert
- 12 -
Die Beispiele 8 und 9 zeigen den zu schnellen Pedalwechsel als unabhängigen
Reflex, also unabhängig davon, ob der schnelle Pedalwechsel überhaupt notwendig
ist.
In den meisten Fällen aber besteht eine Wechselwirkung mit den Fingern.
Ob der Fuß sauber Pedal wechseln kann, hängt davon ab, wie lange der Finger
die Taste festhält bzw. wie lange er sie festhalten kann.
Sauberes Pedalisieren ist also auch vom Spieltempo abhängig.
Es gibt drei Arten des Pedalwechsels:
1) Den „Pedalwechsel auf den Punkt“. Das ist der normale, der übliche, der häufigste Pedalwechsel,
2) Die Pedal-Lücke,
3) Das übergehaltene oder überlappende Pedal.
zu 3) Das übergehaltene Pedal ist ein bedeutendes künstlerisches Ausdrucksmittel;
dennoch wird es kaum angewandt. Dabei wird, bei festgehaltenen Tasten, das Pedal
erst einige Zeit nach dem Anschlag des neuen Tones/ Akkordes gewechselt, z.B.
dann, wenn wir wollen, dass sich der Klang, vergleichbar dem langsamen Ein- und
Ausblenden im Film, erst allmählich aus dem vorausgehenden Klang herausschält.
Das übergehaltene Pedal wird weiter hinten, in Kapitel acht, besprochen werden.
zu 1) Beim Pedalwechsel auf den Punkt hebt sich der Fuß genau zusammen mit dem
Anschlag des Tones. Wie schnell er sich anschließend wieder senkt, hängt davon ab,
wie lange der Finger die Taste festhält.
zu 2) bei der Pedal-Lücke geht der Fuß schon vor dem Anschlag des neuen Tones
nach oben und senkt sich wieder mit dem Anschlag des neuen Tones oder kurz
danach, je nachdem wiederum, wie lange die Finger den neuen Griff festhalten.
Viele beherrschen nur den Pedalwechsel auf den Punkt, den so genannten normalen
Pedalwechsel, nur dieser ist automatisiert.
Die Pedal-Lücke ist ein unverzichtbares Mittel, um bei einem hohen Spieltempo
saubere Bässe zu ermöglichen. Auch aus anderen, später (in Kapitel neun) zu erörternden Gründen ist die Pedal-Lücke wichtig.
Viele aber fühlen sich davon überfordert, weil die entsprechende Bewegung nicht als
ein vom Ohr geleiteter Reflex im Kopf verankert wurde.
Das Pedal nicht, wie gewohnt, nur zusammen mit dem Anschlag des neuen Tones zu
heben sondern schon vorher, bedeutet den meisten zuviel zusätzliche Kopfarbeit.
Der Spieler empfindet es, verständlicherweise, als hemmend, wenn ein Befehl nicht
automatisch und unbewusst an den Fuß gelangt, sondern, mitten im Spielfluss, als
Verstandesdirektive („Hebel heben…jetzt!“) erteilt wird.
- 13 -
Das soeben Gesagte trifft auch auf andere Arten des Pedalgebrauchs zu, besonders
auf den Gebrauch des linken, des Sordino-Pedals, mit dem viele nichts anzufangen
wissen. Auch bei Aufnahmeprüfungen ist zu beobachten, dass das linke Pedal gar
nicht benutzt wird oder nur flächig und pauschal überall dort, wo im Text piano steht,
wobei sich die Spieler von den filzig-näselnden Tönen nicht gestört fühlen, die durch
den flächigen Gebrauch des Sordino-Pedals im Diskant entstehen.
Kehren wir zurück zu den sauberen und unsauberen Pedalwechseln.
In Bsp.10 (Chopin, g-moll-Ballade, das Beispiel ist dem Buch von Joseph Banowetz
entnommen) ist das Spieltempo so, dass mit dem normalen Pedalwechsel, dem
„Pedalwechsel auf den Punkt“, gerade noch saubere Bässe möglich sind, vorausgesetzt, die Hand fühlt die Bässe breit, tippt sie nicht nur an.
Einschränkend ist zu sagen: Vollkommen saubere Wechsel sind nicht möglich.
Machen Sie dazu den ein paar Seiten zuvor beschriebenen kleinen Test, machen Sie
ihn am besten mit den Takten 107 und 108, weil die Harmonien dieser Takte keine
gemeinsamen Töne aufweisen. Spielen Sie für den Test die beiden Takte sehr laut,
halten Sie am Ende des Taktes 108 inne und drücken Sie, bei gehaltenem Pedal, die
Bass-Oktave A von Takt 107 stumm nieder; dann das Pedal aufheben und hören! Sie
werden feststellen, dass Tonreste der A-Oktave noch deutlich hörbar sind.
Klinisch saubere Harmonietrennungen aber sind, ähnlich wie zwischen den Takten
125 bis 130 in Beispiel 9, gar nicht wünschenswert. Davon später.
Aber einigen wir uns - vorerst - darauf: In Beispiel 10 sind mit dem „normalen“
Pedalwechsel gerade noch saubere Pedalwechsel möglich.
Bsp.10
T.107
T.108
Bei den Beispielen 11 (Schumann, Davidsbündler Tänze), 12 (Beethoven, EroicaVariationen) und 13 (Chopin, cis-moll-Nocturne) aber führt der übliche Pedalwechsel - unvermeidbar ! - zu schmutzigen Bässen.
- 14 -
Bsp. 11
?
a)
b)
Angemessene Pedalisierung
für die notwendige Pedal-Lücke hebt sich der Fuß
jeweils vor der Eins zusammen mit dem übergehaltenen Achtel (gestrichelte Linie) und senkt sich
wieder zusammen mit der Bass-Oktave.
Bsp.12
?
a)
b)
Das Pedal wird jeweils schon ein wenig vor dem Anschlag der ersten Zählzeit gehoben.
Bsp.13
?
a)
b)
Eine Pedalisierung wie unter a) führt - unvermeidlich (! ) - zu verschmierten Bässen.
Notwendige Pedal-Lücke jeweils durch Heben des Pedals auf dem letzten Achtel des Taktes.
Weiter vorne sagte ich, die richtige Pedalbewegung müsse, als vom Ohr gesteuerter
autonomer Reflex, automatisch geschehen. Autonome Reflexe haben die Aufgabe,
den Kopf zu entlasten. Eine bewusst steuernde Aufmerksamkeit während des Spielflusses empfindet der Spieler als belastend.
- 15 -
Dies ist, in gewisser Weise, vergleichbar mit der Hilflosigkeit mancher Fahrschüler in
den ersten Fahrstunden. Solange die Koordination der verschiedenen Bedienungsgriffe und -Tritte nicht automatisiert ist, kann sich der Fahrschüler nicht auf den Verkehr
(die Musik) konzentrieren.
Die Schwierigkeiten in der Koordination, die Ungeübte mit der Pedal-Lücke haben,
sind: Wer nur den üblichen "Pedalwechsel auf den Punkt" automatisiert hat, hat damit
zwischen Hand und Fuß eine gegenläufige Bewegung automatisiert; gegenläufig,
weil der Fuß immer genau im Moment des Anschlags nach oben geht.
Die Pedal-Lücke aber erfordert oft einen gleichzeitigen Pedaltritt mit dem Anschlag,
weil sich der Fuß schon vor dem neuen Pedalfeld gehoben hat.
Ungeübte können zwar dieses synchrone Pedal bei voneinander abzusetzenden
Akkorden anwenden, sind aber überfordert, wenn sie im schnellen Spiel zwischen
den beiden Pedalarten je nach Notwendigkeit wählen müssen.
Die Pedal-Lücke wird von der Eigenresonanz der Bässe geschlossen. Mit der Eigenresonanz ist der kurze Nachhall gemeint, den ein (Bass-)Ton nach dem Loslassen der
Taste auch dann hat, wenn er ohne Pedal gespielt wird, oder den er noch hat, nachdem das Pedal losgelassen wurde.
Dies ist der Grund, warum die Pedal-Lücke, geschickt ausgeführt, vom Hörer nicht
bemerkt, geschweige denn als Loch empfunden wird. Die Bässe der Beispiele 11, 12
und 13 werden so, im Gegenteil, als klare Fortschreitung gehört.
Ein vollkommen sauberer Pedalwechsel, hatte ich gesagt, sei in Bsp.10 weder möglich noch nötig. Vollkommen saubere Pedalwechsel aber sind, trotz Pedal-Lücke,
auch bei keinem der Beispiele 11, 12 und 13 möglich (bitte machen Sie, vielleicht
mit Bsp.12, den kurz zuvor, bei Bsp.10, beschriebenen Hörtest !).
Die nicht vollständig gelöschten Bässe sind dabei kein Nachteil. Weil dies auch
schon im Zusammenhang mit den Beispielen 10 und 9 erwähnt wurde, ist eine kurze
Erklärung nötig: Vollkommen saubere Pedalwechsel sind keineswegs immer
erwünscht. Ganz klar voneinander abgesetzte, gleichsam klinisch reine Harmonien
sind einer leidenschaftlichen Aufgewühltheit oft nicht angemessen.
Die Dramatik des Geschehens, etwa der letzten fünf Beispiele, erfordert, sozusagen
als Pulverdampf des Gefechts, eine gewisse Trübung.
Auch die Akustik gerade der besten Konzertsäle ist durch einen bewusst berechneten
Nachhall auf ein gewisses Ineinanderwirken der Klänge ausgerichtet.
Bei lautem und schnellem Spiel sind vollkommen saubere Pedalwechsel sogar die
Ausnahme.
Sprechen wir daher von einem sauberen Pedal, ist damit fast immer gemeint:
Die Tonreste des gelöschten Klanges sind so gering, dass der neue Klang in
seiner harmonischen Eigenart noch gut erkennbar bleibt.
- 16 -
Es geht um den Grad der zulässigen Trübung und es geht, vor allem, um die ungewollten, groben Trübungen, die vom Spieler in der Aktion nicht registriert werden.
In Bsp.14 (Liszt, Franziskuslegende II) kommt beides zusammen: die notwendige
Trübung einerseits und, an anderer Stelle, die absolut notwendige Sauberkeit.
Ein Pedal über beide Takte, T.95 und T.96, ist wünschenswert! Dies verstärkt, so die Individualität der
Akkorde auslöschend, den mächtigen Sog hin zum Ziel.
Bsp.14
T.95
Hier am Ziel aber muss der Pedalwechsel unter allen Umständen
sauber sein ! Das heißt: lange in den Tasten verweilen, damit ein
gründlicher ( = langsamer) Pedal-Wechsel möglich ist.
Die Beispiele 10 bis 13 zeigen das dezente Weiterklingen von Tonresten nach einem
Pedalwechsel als zwar nicht unerwünschtes, gleichzeitig aber auch als unvermeidliches Ereignis.
Dass nach einem Pedalwechsel Tonreste absichtlich weiterklingen, ist nicht erst seit
der Zeit romantischer und impressionistischer Musik häufig erforderlich, sondern
schon früher.
Ein gutes Literaturbeispiel dafür bietet Mozarts Rondo a-moll, KV 511 (Bsp.15).
In den Takten 64 bis 68 müssen die Pedalwechsel auf der ersten Zählzeit makellos
sauber sein. Damit die Pausen spürbar werden, muss auf den darauf folgenden
Achtel-Pausen ebenfalls das Pedal gewechselt werden. Diese Pedalwechsel aber
dürfen nicht so gründlich sein, dass der Bass vollständig gelöscht würde, weil dadurch die Harmonien ihre Basis verlören.
Nach den - bewusst - flüchtigen Pedalwechseln müssen vom Bass noch so viele
Tonreste verbleiben, dass die Harmonien in der Funktion hörbar werden, die Mozart
wollte: in Takt 64 ein Sextakkord, in Takt 65 der Terz-Quart-Akkord, Takt 66
grundtongestütztes d-moll, in Takt 67 ein Quint-Sext-Akkord.
- 17 -
Dies ist wichtig, denn: Der Charakter einer Harmonie wird durch den Bass
bestimmt. Über den Klangcharakter entscheidet - nicht nur, aber beinahe
ausschließlich! - der Ton, der im Bass liegt.
Bsp. 15
T.64
flüchtig
flüchtig wechseln!
flüchtig wechseln
gründlich wechseln!
gründlich wechseln
gründlich
T.68
flüchtig
gründlich
flüchtig
gründlich
Für das Legato der Außenstimmen jeweils ganz kurz
nach dem letzten Sechzehntel jeder SechzehntelGruppe, nicht vorher, kurz Pedal nehmen.
zu Bsp.15, Takte 64 bis 68: Auf den Oktaven der ersten Zählzeit müssen die Pedalwechsel
sauber sein, auf den Achtel-Pausen danach aber muss das Pedal „schlampig“ gewechselt
werden; denn einerseits müssen die Pausen spürbar werden, andererseits müssen von den
Oktaven auf der ersten Zählzeit noch reichlich Tonreste übrig bleiben, damit die Harmonien
nicht ihre Basis und damit ihre Charakteristik verlieren.
Hätte Mozart das Stück für Orchester geschrieben, hätte er wahrscheinlich mit einer
Stimme, etwa dem Fagott, die Basstöne durchklingen lassen, gleichzeitig aber für die
Kontrabässe, eine Oktave tiefer, pizzicati notiert.
Was das erwünschte Weiterklingen von Tonresten betrifft, ist Beispiel 16 (Brahms,
Sonate f-moll, op.5, 3.Satz), pedaltechnisch schon heikler.
Die Staccato-Oktave G der Takte 54 bis 60 ist nicht nur ein heftiger Sprungimpuls für
die Landung auf den synkopisch betonten Oktaven der dritten Zählzeit; diese Staccato-Oktave hat zusätzlich die harmonische Funktion eines Orgelpunktes.
Die angemessene Interpretation der Stelle ist somit nicht die, welche diese G-Oktave
nackt hinsetzt und als trockenen Akzent begreift, sondern die, der es gelingt, sie
sowohl als heftigen kurzen Impuls als auch als Orgelpunkt hörbar werden zu lassen,
und zwar dadurch, dass das Pedal nach dem Loslassen sehr schnell getreten wird.
Dadurch können für die Orgelpunktwirkung noch genügend Tonreste der StaccatoOktave eingefangen werden, die in die nachfolgenden synkopisierten Oktaven
hinüberwirken.
- 18 Bsp.16
Die Staccato-G-Oktaven ab Takt 54 haben zwei Funktionen: a) Absprungimpuls, b) Orgelpunkt
Takt 54
Bsp.16: Pedal gleich nach dem Loslassen der Staccato-G-Oktaven treten
und so Tonreste für die Orgelpunktwirkung einfangen.
Wilhelm Kempfs große Pedalkunst fußte nicht zuletzt auf seiner Fähigkeit, Tonreste
gerade losgelassener Staccato-Bässe durch schnelles Nachtreten des Pedals einzufangen. Selbstverständlich war diese Fähigkeit bei Wilhelm Kempf eine rein instinktive,
nie bewusst erlernte.
Für die Entscheidung, welche Klänge makellos sauber sein und bei welchen Trübungen hingenommen werden müssen oder sogar erwünscht sind, gibt es - natürlich keine feste Regel. Ich erlaube mir aber eine allgemeine Empfehlung, die in den
meisten Fällen Gültigkeit besitzt:
Die (dramatische) Entwicklung darf Pedaltrübungen erfahren, das Ziel der
Entwicklung aber muss sauber sein.
„Dramatische Entwicklung“ ist ein sehr allgemeiner Terminus. Man könnte es auch
nennen „Das Geschehen“, um damit alle Arten von Figurationen: Akkordkaskaden,
Oktavenpassagen, Tonleitergängen u.s.w. zusammenzufassen, die zu einem Ziel
hinstreben. Denn die Erfahrung zeigt:
Für hässliche Klangverschmierungen besonders anfällig sind Bässe/Akkorde,
die das Ziel, gewissermaßen den Landepunkt einer dichten und meist schnellen
Tonkette bilden.
Bsp:14 war dafür typisch: Fast immer erfahren die gestoßenen Achtel-Akkorde der
letzten beiden Takte der oberen Zeile viele unnötige Pedalwechsel, das Ziel aber, der
H-Dominantseptakkord, der unbedingt sauber sein sollte, ist hässlich verschmiert.
- 19 -
Berüchtigt ist Bsp.17 (Chopin, Etüde op.10 Nr.5). Diese Etüde wird gerne bei
Aufnahmeprüfungen gespielt. Dabei klingen, ausnahmslos, in der Ziel-Oktave Ges
die vorausgehenden letzten Oktav-Sechzehntel mit, meist in kaum geminderter
Lautstärke, wodurch die Ges-Oktave ihre Funktion einbüßt, Basis des sich anschließenden Akkordes zu sein.
Bsp.17
Emphatisches Emporreißen der Hände mit dem Anschlag
bewirkt, dass die vorausgehenden Oktaven in fast voller
Lautstärke in die Ges-Oktaven schmieren.
Oft müssen wir die Taste tatsächlich sehr rasch loslassen, genauso oft aber wird sie
früher losgelassen als nötig.
Anstatt den Tastengrund mit der notwendigen Breite zu fühlen, werfen viele
Pianisten, als wären sie an eine heiße Herdplatte geraten, Hände und Arme mit
dem Anschlag jäh in die Höhe. Der Fuß, will er den Klang noch einfangen, kann
gar nicht anders, als eine hastig schnappende Bewegung zu vollführen.
Bekannt dafür ist der Schluss von Chopins As-Dur-Polonaise (Bsp.18).
Bsp. 18
Ein großspurig triumphierendes Emporreißen der Hände mit dem
Anschlag bewirkt, dass der vorausgehende Oktavengang in fast unverminderter Lautstärke in den As-Dur-Akkord hineinschmiert.
- 20 -
Dieses Hochwerfen von Armen und Händen ist verständlich; denn nach einem
dramatischen Geschehen erzeugt die Ankunft am Ziel ein starkes und natürliches
Bedürfnis nach einer befreienden Emporbewegung.
Diesem Bedürfnis muss entsprochen werden, jedoch muss die Emporbewegung von
Handgelenk und Armen in einer Weise geschehen, als wollte man sich mit in den
Tasten gestützten Fingern breit abfedern, das heißt: während Handgelenk und Arm
schon in einer runden Aufwärtsbewegung sind, bleiben die Finger noch für einen
Moment in den Tasten, verweilen im Tastengrund so lange, wie es eben das Spieltempo gestattet. Dieses breite und gleichsam knetende Abfedern habe ich im Unterricht als „Zeitlupenstaccato“ bezeichnet.
Die falsche Bewegung besteht darin, dass die Finger die Tasten spitz und nur punktartig berühren, nicht den Tastengrund fühlen, und alle an der Aktion beteiligten
Glieder: Finger, Handgelenk, Arm gleichzeitig und gewissermaßen schon im Anschlag nach oben gerissen werden, so als sollten Löcher in die Luft geschlagen
werden.
Diese Art der Bewegung konnte ich, amüsiert, in einem Film beobachten, als sich die
wunderbare Audrey Hepburn mühte, zu von Arthur Rubinstein gespielter Klaviermusik eine Pianistin zu mimen.
Ich sagte weiter vorne, die erste und häufigste Ursache schmutzigen Pedals sei die zu
rasche Wechselbewegung des Fußes. Dies bezeichnete ich als einen von der Tätigkeit
der Finger teilweise unabhängigen Reflex, da diese zu schnelle Wechselbewegung
des Fußes oft auch dann gemacht wird, wenn - siehe die Beispiele 8 und 9 - der
Finger Zeit hat, in der Taste zu verweilen, diese also nicht rasch loslassen muss.
Aber in den meisten Fällen besteht natürlich eine Wechselwirkung, das heißt: Statt zu
sagen, die Hauptursache für schmutziges Pedal sei die zu rasche Fußbewegung, kann
man genauso gut sagen: der Hauptgrund ist das unnötig schnelle Wegnehmen der
Finger von den Tasten, das dem Fuß die hastig-schnappende Bewegung aufzwingt.
Es sind die zwei Seiten derselben Münze.
Daraus folgt als wichtigste Empfehlung für sauberes Pedalisieren:
- Fühle Bässe stets bewusst und breit.
- Halte Bässe, die sauber ins Pedal gelangen sollen, lange manuell fest, so
lange es eben das Spieltempo und der Notentext erlauben.
Daraus leitet sich eine weitere Empfehlung ab, von der noch viel die Rede sein wird:
Wähle nach Möglichkeit einen Fingersatz bzw. eine Handverteilung,
die das notwendige lange Festhalten der Bässe möglich machen.
- 21 -
In den letzten beiden Beispielen (17 und 18) hat Chopin an den besprochenen Stellen
Staccato notiert. In dem abrupten Hochreißen der Hände, von dem soeben die Rede
war, zeigt sich auch ein falsches Verständnis des Begriffes Staccato.
Ich sprach eingangs von der Klaviernotation: der Notenwert (z.B. ein StaccatoAchtel) sagt nichts darüber aus, wie lange die Note tatsächlich klingen soll; darüber
hinaus gibt der Notenwert auch nur sehr eingeschränkt Auskunft darüber, wie lange
der Finger diesen Notenwert, z.B. ein Staccato-Achtel, festhält.
Es ist in diesem Zusammenhang lohnend, sich die Bedeutung des Wortes Staccato
bewusst zu machen.
Das italienische Verb staccare bedeutet nicht „kurz spielen“ oder „spitz spielen“, es
bedeutet einfach wegnehmen, losmachen (staccare un quadro dalla parete - ein Bild
von der Wand nehmen) und in seiner intransitiven Form staccarsi „sich lösen“, im
Gegensatz zu at-taccare = festmachen, heften (attaccare un manifesto al muro - ein
Plakat an die Wand kleben).
Diese Bedeutung des Wortes staccare/ staccarsi – losmachen/sich lösen liefert den
Schlüssel für die richtige Ausführung: Staccato ist eine Bewegung von der schon
vorher berührten Taste weg, nie eine Bewegung aus der Luft in die Taste hinein.
Im Abstoßen bzw. im Abfedern von den Tasten erfahren Handgelenk und Arm eine
Bewegung nach oben, die Finger machen im Abfedern den Ansatz einer Greifbewegung. Vergleicht man die Aktion mit dem Sich-Abfedern vom Sprungbrett im
Schwimmbad, dann entspricht das Kniegelenk dem Handgelenk.
Staccato kann aber auch ganz aus den Fingern, in einer Kratzbewegung weg von den
Tasten, ausgeführt werden, wobei Handgelenk und Arm ruhig bleiben. Diese Art des
Staccato ist angebracht, wenn die Staccati schnell und in einem leggiero-Charakter
kommen sollen.
Ich gebrauchte die Wörter „Greifbewegung“ und „Kratzbewegung“. Dem Anschlag
am Klavier liegt die Idee des Greifens zu Grunde, die Idee, als ob die Töne von den
Tasten weggenommen würden. Jede Bewegung also, bei der das Fleisch der
Fingerkuppen an die Fingernägel angedrückt wird, ist daher grundsätzlich
richtig, dagegen ist jede schiebende Bewegung der Finger auf der Tastatur, bei
der das Fleisch von den Fingernägeln weggeschoben wird, grundsätzlich falsch.
Selbstverständlich bedeutet Staccato sehr oft, dass der Ton real kurz zu sein hat, oft
aber ist dies, besonders bei Beethoven und Schubert, auch eine Ermessensfrage.
Wegen der spärlichen Pedalhinweise Beethovens und der noch spärlicheren Schuberts „muss der Spieler oft selbst entscheiden, wo das Pedal der Notation zu Hilfe
kommt“ (A.Brendel).
Staccati und kurz notierte Notenwerte sind also keineswegs ein zwingender Hinweis
darauf, dass die Töne real kurz klingen sollen, sie sind nicht einmal ein Hinweis
dafür, dass der Finger die Taste nur kurz berührt.
- 22 -
In erster Linie ist Staccato ein interpretatorischer Hinweis, ein Hinweis darauf,
dass, im Sinne der Bedeutung des italienischen Wortes staccare, der so bezeichnete
Ton als pulsierend und federnd und nicht als schwer und lastend aufzufassen ist.
Was vielen nicht bekannt ist: eine Staccato-Artikulation ist auch im Pedalfeld hörbar.
Machen Sie ein kleines Experiment: Spielen Sie, bei getretenem Pedal, einer Person
zweimal einen aufgelösten Dreiklang vor, einmal in strengem Fingerlegato, einmal
in einer Staccato-Artikulation, bei der die Finger den Ton von der berührten Taste
„kratzen“. Die Person, die während des Versuchs der Tastatur den Rücken zugewandt
hat, wird den Unterschied bemerken.
Was die künstlerisch sinnvolle Leseart und Ausführung von Staccati betrifft, darf ich
ein Buch empfehlen, Alfred Brendels „Nachdenken über Musik“, speziell des Kapitel
„Schuberts Klaviersonaten“, und daraus wiederum, auf unser Thema zutreffend, den
Abschnitt „Viertes Vorurteil: Schuberts Sonaten sind unpianistisch.“
In Bsp. 19 (Schubert, Wanderer-Fantasie) ist das pulsierende Staccato trotz reichlichem Pedaleinsatz gut hörbar zu machen „und behält dadurch einiges von den
Eigenschaften einer secco-Artikulation“ (A.Brendel).
Bsp.19
Um die pizzicato-Idee in Beispiel 19 schön hervorzubringen, empfehlen sich unvollständige und flüchtige Pedalwechsel am besten jeweils auf dem zweiten und dritten
Sechzehntel jeder Vierergruppe; bei den tiefen Bässen jedoch, die einen Harmoniewechsel einleiten, z.B. dem tiefen Gis am Anfang der zweiten Zeile des Beispiels,
muss das Staccato-Sechzehntel für einen gründlichen Pedalwechsel manuell breit
genommen werden.
Aber auch wer das Pedal nur flächig, pro Harmonie, nimmt, kann die pizzicati noch
hörbar machen, vorausgesetzt die Finger machen die leichte Staccato-Kratzbewegung
von den Tasten weg.
Mit unvollständigen und flüchtigen Pedalwechseln ist gemeint: Der Fuß macht eine
schnelle Auf- und Abbewegung, wobei der Pedalhebel nicht bis zu seinem Anschlag
geht, sondern nur die Hälfte oder ein Viertel der Strecke zurückliegt. Deshalb heißt
- 23 -
diese Pedalbewegung auch Halb- bzw. Viertel-Pedal. Die Dämpfer berühren dabei
die vibrierenden Saiten nur leicht und flüchtig, so dass die Vibration nur eingedämmt
aber nicht ganz unterbrochen wird.
Bei einem gründlichen Pedalwechsel lässt der Fuß den Pedalhebel ganz nach oben bis
zu seinem Anschlag gehen, wo er einen Moment verweilt, bevor der Fuß den Hebel
wieder nach unten drückt. Dadurch werden die Dämpfer fest auf die Saiten aufgesetzt.
Wenn ich, das Klavier betreffend, von „einem Moment“ spreche, so handelt es sich
dabei meist nur um Sekundenbruchteile, eine Viertel-Sekunde aber bedeutet am
Klavier, z.B. bei der Ausführung von Sprüngen, viel Zeit, wozu Sie wieder einen
kleinen Versuch machen wollen: Stellen Sie das Metronom auf 60 und führen Sie
pro Schlag vier Oktav-Sprünge aus. Für einen geübten Klavierspieler ist dies leicht
auszuführen.
Eine Viertelsekunde bedeutet am Klavier „viel Zeit“. Für einen geübten Klavierspieler
ist es nicht schwer, pro Sekunde (Metronomeinstellung = 60) vier Oktavensprünge
auszuführen ! Mit schwarzen Tasten, außer Gis, ist die Übung noch leichter.
Wieder an die Beispiele 18 und 19 anknüpfend, folgen nun etliche Literaturstellen, in
denen ein mit Staccato bezeichneter Ton manuell sehr breit genommen werden muss,
weil er, nach einer vorausgehenden Tonkette, einen Landepunkt markiert, an dem ein
sauberer Pedalwechsel unerlässlich ist.
Meist sind diese Zieltöne in einer unsauberen Pedalisierung zu hören, und der Grund
dafür ist stets der gleiche: Die Hand verlässt die nur punktartig angefasste Taste zu
schnell: Dem Fuß bleibt keine Zeit für einen gründlichen Pedalwechsel.
Bsp. 20, Brahms Sonate op.5, 1.Satz
Die Staccato-Achtel auf der ersten Zählzeit sehr
breit nehmen! Werden sie zu kurz angerissen,
klingen, wegen ihrer starken Eigenresonanz, die
vorausgehenden Sechzehntel-Oktaven selbst dann
mit in die Eins hinein, wenn sie - richtig - ohne
Pedal gespielt werden.
Diesen Zielakkord hört man meist
unvollständig: Der wichtige Grundton
Cis gelangt nicht mehr mit in das
Pedalfeld.
Davon ausführlich später im fünften
Kapitel „Weite Griffe“
- 24 -
In Fällen wie dem soeben vorgestellten Bsp.20, wenn das Pedal nach einer Reihe
pedallos gespielter Töne wieder einsetzt (hier: nach den letzten vier SechzehntelOktaven vor der ersten Zählzeit), ist es oft der zu frühe Pedaleinsatz, der die Verschmierung hervorruft.
In Beispiel 21 (Bach/Busoni, Chaconne) ist die irreale Vierundsechzigstel-Pause
(Ende der ersten Zeile) nichts anderes als eine Warnung des erfahrenen Praktikers
Ferruccio Busoni, auf keinen Fall Töne des rauschhaften, mit viel Pedal zu versehenden Unisonoganges in das bedeutende, fundamentale D hineinklingen zu lassen.
Dieses Staccato-D muss sehr breit und bedeutend gegriffen werden.
Kommentar zu Bsp.21: Die winzige, unrealistische Pause ist nichts anderes als ein
Hinweis des Komponisten auf die unerlässliche Pedallücke, ist eine Warnung, auf
keinen Fall Töne des Unisonogangs in den Zielton D hineinklingen zu lassen.
Ausführung: Die letzten sieben Töne des Unisonolaufs ohne Pedal spielen, vor dem
Zielton D manuell trennen, die Staccato bezeichnete D-Oktave sehr breit nehmen (=
lange in der Taste verweilen). Diese Basis-D-Oktave muss unbedingt sauber sein.
Bsp. 21
Bsp. 22 (Chopin, f-moll-Fantasie, op.49) ähnelt insofern den beiden vorausgegangenen, als auch hier die starke Eigenresonanz tiefer Basstöne eine saubere Pedalisierung
erschwert.
Ich erlaube mir, Ihnen dazu wieder einen kleinen Versuch vorzuschlagen: Spielen Sie
bitte die letzten vier Sechzehntel des Beispiels, F-Es-D-Des, in schnellem forte in den
Zielton, das Kontra-C, hinein, machen Sie es aber so, dass Sie den letzten Ton Des
vor dem C manuell absetzen, also kein Fingerlegato spielen. Am einfachsten geht
dies, indem Sie entweder einen Fingersatz, nehmen, mit dem sich die gewünschte
Trennung von selbst ergibt, z.B. den von mir notierten, oder indem Sie verteilen: die
Sechzehntel rechts, den Zielton C links.
Spielen Sie nun bitte diese Tonfolge dreimal, einmal zwei Oktaven höher als notiert,
einmal eine Oktave höher als notiert, einmal in der notierten tiefen Kontra-Lage.
- 25 -
Wenn Sie nun das Pedal zusammen mit dem Anschlag des Zieltones C treten, dann
erhalten Sie in der um zwei Oktaven höheren Position ein ganz sauber pedalisiertes
C, eine Oktave höher gespielt als notiert, gerät der Zielton C gerade noch sauber, in
der sehr tiefen Originallage aber klingt das Des noch sehr stark im C mit (machen Sie
den schon beschriebenen Test: nach dem Anschlag des C Pedal halten, das vorausgehende Des stumm nachgreifen, Pedal loslassen, hören !).
Die sauberen Zieltöne in den beiden höheren Lagen gelingen bei dem Versuch aber
nur, wenn das dem C vorausgehende Des wirklich abgesetzt wird, spielen Sie es mit
Fingerlegato in das C hinein, ist der Zielton C in allen drei Fällen - unvermeidlich! verschmiert. Vom Zusammenhang zwischen Fingerlegato und Pedalbindung wird
noch die Rede sein.
Bsp. 22
C lange festhalten, nicht sofort loslassen !
Pedaleinsatz spät ! (siehe Kommentar)
Kommentar zu Bsp.22: Um nach einer Kette von Tönen mit starker Eigenresonanz einen
sauberen Pedalwechsel zu erhalten, ist es nötig, das Pedal spät zu treten.
Ausführung: 1) die zweite Takthälfte des Abwärtslaufes ohne Pedal spielen, 2) den letzten Ton
des Laufes, das Des, vom Zielton C manuell absetzen (= kein Fingerlegato!), 3) den Zielton C
lange, bis in die Viertelpause hinein, manuell festhalten (= in der Taste verweilen), 4) das
Pedal spät treten, das heißt: erst dann, wenn der Finger schon seit “einer Weile“ in der Taste
liegt.
Günstig ist es, das tiefe C mit dem Finger festzuhalten und das Pedal erst mit dem Einsatz des C
im oberen System zu treten. Es tut sich so, nach dem vorangegangenen Flirren, ein beeindruckender, großer, leerer Raum auf, abgesteckt durch die beiden weit auseinander liegenden C.
Es gilt also: das Pedal spät treten, damit keine Tonreste des vorausgehenden Tones
vom Pedal mit eingefangen werden.
Dafür ein weiteres Beispiel, Bsp.23 (Chopin, Sonate b-moll, op.35). Auch hier ist es,
wie bei fast allen Pedalfehlern, ein Zusammenwirken mehrerer Ursachen, warum die
Cis-Oktave meist zusammen mit dem vorausgehende D zu hören ist.
Diese Cis-Oktaven aber sollten, als Basis des energischen QuartsextakkordAufganges, auf jeden Fall sauber sein.
- 26 -
Neben dem üblichen Fehler, die Cis zu schnell loszulassen, was gleichbedeutend mit
einem zu frühen Pedaltritt ist, liegt der Fehler auch darin, die vorausgehenden DOktaven mit Pedal zu spielen. Probieren Sie es aus: Spielen Sie sowohl die D - als
auch die folgenden Cis-Oktaven mit dem normalen Pedalwechsel. Weil das Cis
relativ schnell losgelassen werden muss, ist ein sauberer Pedalwechsel unmöglich.
Bsp. 23 a
Bsp.23 a: Um die Cis-Oktave sauber zu bekommen, muss die D-Oktave davor ohne Pedal
gespielt werden ! So entsteht, links und mit dem rechten Daumen, eine manuelle Trennung vor
dem Cis, die der Hörer aber nicht als Klangloch wahrnimmt; denn die starke Eigenresonanz der
tiefen D-Oktave schließt die Lücke vollkommen. Obendrein wird die Oberstimme rechts mit
Fingerlegato gespielt. Das Pedal bei den breit zu nehmenden Cis-Oktaven wiederum spät treten,
also ein wenig nach dem Anschlag der beiden Cis-Oktaven, keinesfalls mit dem Anschlag.
Einige fragen sich womöglich, warum hier noch nicht von der Möglichkeit die Rede
war, das Tonhaltepedal einzusetzen.
Tatsächlich wären die Bässe der vorgenannten Beispiele mit dem Tonhaltepedal
problemlos und ohne die begleitenden Maßnahmen absolut sauber zu bekommen, so
zum Beispiel auch die Bass-Oktaven Cis des soeben besprochenen Beispiels 23.
Wenn Sie das Tonhaltepedal an der Stelle benutzen, und nur dann ( ! ), können Sie
auch die vorausgehenden D-Oktaven mit Pedal spielen.
Der Einsatz des mittleren bzw. dritten Pedals ist mit einem Pfeil am Ende der gestrichelten Linie angezeigt.
Bsp. 23 b
?
rechtes Pedal hinzu, kurz nach
dem Einsatz des 3.Pedals
Der “normale“ Pedalwechsel
führt, unvermeidlich ( ! ), zu
einem stark verschmutzten Cis,
es sei denn, Sie setzen bei dem
Cis das Tonhaltepedal ein.
Wenn Sie das Cis in das Tonhaltepedal nehmen,
können Sie im Takt zuvor ganz normal mit jedem
Viertel pedalisieren. Vor dem Cis sind dann weder
eine Pedal-Lücke noch eine manuelle Lücke nötig.
- 27 -
Tatsächlich ist das Tonhaltepedal bei Beispielen wie Nr.23 ein gangbarer Weg.
Die Möglichkeiten des Tonhaltepedals sind vielfältig, reizvoll und - manchmal künstlerisch unabdingbar. Trotz seiner erwiesenen Nützlichkeit wird es nur selten
angewandt.
Aber weder für die Lösung der Beispiele 21, 22, 23 noch für das folgende Beispiel 24
ist das 3.Pedal zwingend erforderlich, so nahe liegend und elegant sein Einsatz auch
erscheint.
Für eine Entscheidung, so oder so, muss der Pianist die Alternativen kennen. Oft
werden das 3.Pedal und andere Klang- und Pedaltechniken nur deshalb verworfen,
weil die Pianisten sich nie damit vertraut gemacht haben.
Vor einer inflationären Benutzung des 3.Pedals, z.B. aus Freude darüber, seine
Anwendung für sich entdeckt zu haben, ist abzuraten.
Einer der Nachteile des Tonhaltepedals ist, dass die mit seiner Hilfe arretierten
Bässe oft zu plakativ durchdröhnen.
Oft viel reizvoller sind indirekte Klangwirkungen, die mit Hilfe des Tonhaltepedals
erzielt werden, z.B. dadurch, dass man vor Spielbeginn oder in einer Pause stumm
gedrückte Tasten in das Tonhaltepedal nimmt.
Für Prof. Ludwig Hoffmann, einem der prägenden Lehrer der Münchner Musikhochschule in den 70-iger und 80-iger Jahren, war das 3.Pedal zur Marotte geworden.
Er hat die Literatur nach Einsatzmöglichkeiten für das 3.Pedal geradezu abgesucht.
Das Tonhaltepedal bzw. dritte Pedal soll weiter hinten, in Kapitel 10, besprochen
werden, weshalb ich es hier nur insoweit erwähnt habe, als es die Vollständigkeit der
Beispiele erforderte.
Instruktiv ist eine für Pedalverschmierungen berüchtigte Stelle aus Chopins Scherzo
b-moll, op.20, dargestellt in Bsp.24.
Zusammen mit dem ff-Einsatz des hohen F im Diskant ist meist ein gestaltloser
Cluster, bestehend aus den vier engen Sekund-Intervallen im Bass, zu hören.
Die Stelle aber ist pedaltechnisch tatsächlich heikel: die Des-Oktave soll, einigermaßen, sauber sein, aber man muss sie, wegen des schnellen Grundtempos, rasch
loslassen. Und voraus geht der dröhnende Doppeltriller in einer tiefen Lage mit
starker Eigenresonanz.
Wer darauf Wert legt, dass der Pedalwechsel auf dem ff-Des absolut sauber gerät,
kann das wiederum nur mit dem Tonhaltepedal erreichen, und er muss dann so
verfahren, wie in Bsp.23 b beschrieben. Wie in Bsp.23 ist im Falle des Einsatzes des
Tonhaltepedals (und nur dann!) vor dem Des weder eine Pedal-Lücke noch eine
manuelle Lücke nötig.
- 28 -
Die bessere Lösung, die ohne das dritte Pedal, sieht so aus, wie in den Kommentarkästen zu Bsp.24 beschrieben.
Bsp. 24
zusätzlicher kleiner Pedalwechsel, um die
erdrückende Wucht der Bass-Oktave zu mildern
Der Ton D des Trillervorschlags
darf nicht mit in das Pedalfeld
gelangen ! Deshalb das Pedal
auf dem Doppeltriller spät
nehmen.
Die notwendige Pedal-Lücke wird erreicht durch Aufheben
des Pedals genau zusammen mit dem Anschlag des (sehr laut
zu spielenden !) Triller-Nachschlag-Tones Es. Die unerlässliche manuelle Lücke und die ebenso unerlässliche Pedallücke ergeben sich an dieser Stelle von selbst.
Oft treten mehrere erschwerende Umstände zusammen auf: Am Ende einer Tonkette
soll das Pedal sauber gewechselt werden, der Finger aber muss, z.B. wegen eines
Sprunges oder des hohen Spieltempos, die Taste schnell verlassen.
Kommt dann noch hinzu, dass vor dem Pedalwechsel auch eine Pedal- oder manuelle
Lücke entweder nicht möglich oder musikalisch nicht vertretbar sind, dann muss in
solchen Fällen der Ton mit einer gewissen Rubato-Dehnung versehen werden, damit
der Finger die Zeit in der Taste liegen bleiben kann, die der Fuß für einen gründlichen Pedalwechsel braucht.
Die Rubato-Dehnung ist in diesen Fällen ohnehin angebracht, um so den Ton als
bedeutend im Ohr des Hörers zu verankern, etwa in Bsp.25 (Schubert, Sonate D 960).
Bsp. 25
Kommentar zu Bsp.25: Das tiefe Ges wird manuell lange festgehalten und
erfährt so eine gewisse Rubato-Dehnung, die den gründlichen Pedalwechsel
ermöglicht. Künstlerisch ist es ein Unglück, wenn, infolge zu frühen Loslassens der Taste und des daraus resultierenden zu frühen Pedal-Einsatzes, das
vorausgehende G in das Ges hineinschmiert.
- 29 -
Ähnlich verhält es sich mit Bsp.26 (Chopin, Ballade f-moll, op.52).
Bsp. 26
Den letzten Ton des Sechzehntelabgangs manuell vom folgenden Des trennen !
Das Tempo, das durch die notwendige Rubato-Dehnung auf dem Des
“gestohlen“ wurde (rubare heißt stehlen), wird durch ein leichtes Anziehen
des Tempos in den Tönen des Sechzehntel-Aufgangs „zurückerstattet“.
In Bsp.27 (Schubert, Impromptus f-moll, D 935/ Nr.1) geben die Begleitsechzehntel
für die notwendige Rubato-Dehnung auf dem Ces im Tempo ein wenig nach.
Kommentar zu Bsp. 27 : Damit die linke Hand das Ces ohne hastigen Absprungakzent verlassen kann, und der Fuß genügend Zeit für einen gründlichen Pedalwechsel erhält, werden die
über dem Ces liegenden Begleitsechzehntel, Es und Ges, etwas langsamer genommen. Damit
diese Verlangsamung des Tempos nicht ruckartig wirkt, sollten schon die beiden vorausgehenden Sechzehntel, Ges und Des, etwas langsamer gespielt werden.
Bsp.27
Zwischen B und Ces Gefahr der Verschmierung, weil das Ces rasch losgelassen werden muss.
Zwischen B und Ces auf Fingerlegato verzichten, das B also vorzeitig loslassen !
- 30 -
Zum Thema „Pedalunsauberkeit durch zu frühes Loslassen kurzer Notenwerte“ ein
weiteres Beispiel einer Verschmierung, die an einer Stelle aus Brahms' Intermezzo
op.117 Nr.2 besonders bedauerlich ist (Bsp.28).
Das feine Gespinst dieses Intermezzos, das lange scheinbar ziellos flottiert, verwandelt sich, wahrhaft genial erdacht, ab T.64 in einen unerbittlichen Sog, einzig ausgerichtet auf das Ziel in T.67, welches - unerwartet - in T.69 noch eine eruptive
Steigerung erfährt.
Wenn nur irgendwo ein absolut sauberer Pedalwechsel unverzichtbar ist, dann ist es
der in Takt 67 des Intermezzo op.117 Nr.2.
In über 25 Jahren Arbeit an Musikhochschulen habe ich es noch kein einziges Mal
erleben dürfen, dass dieses eminent wichtige Bass-H aus T.67 nicht von dem vorausgehenden C verschmiert gewesen wäre.
Bsp. 28
Mögen, meinetwegen, die chromatischen Bässe getrübt sein, wenn nur - bitte! - das
Bass–H in Takt 67 sauber ist !
T.67
Das Bass-H sehr lange festhalten,
damit der saubere Pedalwechsel
garantiert ist.
Das Sopran-A und die nachfolgenden
32-tel erhalten dadurch ebenfalls eine
Rubato-Dehnung, die im Folgenden bis
zum Melodie-Gis des nächsten Taktes
wieder ausgeglichen wird.
Nach dem Ped.-Wechsel in T.67 ist erst wieder
auf dem Melodie-Fis in Takt 68 ein Ped.Wechsel erforderlich, damit die Harmonie vor
dem überraschenden Ausbruch in T.69 noch
einmal gereinigt auftreten kann, gereinigt von
dem ausdrucksstarken Vorhalt-Ton Gis.
Bei dem Pedalwechsel auf Fis soll das tiefe H
übergehalten werden, damit es mit in das
neue Pedalfeld gelangt.
- 31 -
Das Beispiel 28 zeigt - wieder - das Nebeneinander von einer hinnehmbaren, ja
beinahe wünschenswerten Trübung in der Entwicklung und dem Gebot eines reinen
Klanges am Ziel dieser Entwicklung.
Natürlich ist es, im Gegensatz etwa zu Bsp.14, bei Brahms’ b-moll-Intermezzo
günstig, wenn auch die zu Takt 67 hinführenden, bohrenden Bässe gut gewechselt
werden, jedoch: Probieren Sie es, sozusagen zum Spaß, aus und spielen den Takt
davor in einem Pedal, also ohne zwischen den Bässen Des und C zu wechseln.
Unter der Voraussetzung, dass der folgende Pedalwechsel auf T.67 makellos sauber
gelingt, werden Sie feststellen, dass das Ineinanderklingen der Bässe viel weniger
stört, als zu erwarten gewesen wäre.
In der Klangverschmutzung ist die zu erwartende Reinigung, im Klangnebel
dessen Auflösung im nächsten Moment spürbar.
Über dieses Prinzip wird weiter hinten, in dem Kapitel über das übergehaltene bzw.
das überlappende Pedal, zu reden sein.
Oft empfinden wir einen Klang als noch schöner und befreiender, wenn er sich zu
seiner Reinheit gewissermaßen erst durchkämpfen, zuerst seinen Kokon aus Trübungen und Dissonanzen abstreifen muss.
Bsp.28 zeigt auch die simple Wahrheit, dass es der Zusammenhang ist, ob eine
Dissonanz stört oder nicht.
Schlagen Sie a) eine scharfe Dissonanz, eine große Septime, in starrem forte an.
Abgesehen von den Narren, die Ihnen weismachen wollen, das sei nur das Ergebnis
erzieherischer Konditionierung, wird jeder diesen Klang als unangenehm empfinden.
Dann wird b) die Dissonanz noch einmal gespielt, nun aber als Bestandteil eines
Dominantseptakkordes mit Quintvorhalt. Die Dissonanz tut, sozusagen, nicht mehr
weh, weil ihr jetzt, im Verbund mit den anderen Tönen, eine Strebetendenz zur
Auflösung innewohnt. In der Reibung hört man deren Auflösung voraus.
Aber um den Faden wieder aufzugreifen: Natürlich werden auch Töne, die nicht als
kurze Notenwerte notiert sind, zu früh losgelassen. Dazu die folgenden Beispiele.
- 32 -
Bsp. 29, Beethoven, Sonate op.28
Häufiger Fehler: Emporreißen der Hände mit dem Anschlag bewirkt, dass die Oktaven des vorausgehenden
Taktes in die Zieloktaven G hineinschmieren.
Die drei letzten
Oktav-Achtel des
Taktes ohne Pedal !
In Takt 17 von Liszts h-moll-Ballade (Bsp.30) baut sich ein auf der VI.Stufe leitereigener G-Septimenakkord auf. Am Taktende treten die beiden hoch expressiven, weil
akkordfremden, Töne Cis und E als melodische Figurationstöne hinzu.
Es ist der Moment in der Ballade, in dem, nach Claudio Arraus Deutung, Leander
dem Wasser entsteigt, nachdem er, um zu Hero zu gelangen, soeben den stürmischen
Hellespont durchschwommen hat. In der Stelle werden das schwere Schnauben des
Anlandens, das Stampfen, das Ausschütteln, das schwere Atmen hörbar.
Dergestalt könnte sich auf dem in leidenschaftlicher Emphase gehaltenen Tenor-E ein
Klang von hohem sinnlichen Reiz ausbreiten.
Sechzehntel-Bässe aus Takt 16, die in den Takt 17 hineinschmieren, lassen den
aparten Klang zu einem gestaltlosen Geräusch verkommen.
Bsp. 30
T.17
Pedaleinsatz spät !
großes Atemholen, sehr deutlich absetzen!
Das tiefe G lange festhalten und das Pedal erst treten,
wenn nur noch dieses G zu hören ist (und sonst nichts).
Bass - G und D manuell lange festhalten.
Vorauspedal !
- 33 -
In Bsp.31 (Schubert, Sonate a-moll, D 784) brauchen die Oktaven-Gänge für die
notwendige orchestrale Wirkung reichlich Pedal. Die Ziel-Oktaven auf der ersten
Zählzeit aber müssen als Basis des folgenden Pedalfeldes sauber sein.
Bsp.31
Kommentar zu Bsp. 31: Unsaubere Basis-Oktaven auf der ersten Zählzeit lassen sich so
vermeiden: 1) Die Bässe auf der Eins so breit nehmen, wie es eben das Spieltempo erlaubt,
2) Pedaleinsatz auf der Eins "spät", nicht direkt zusammen mit dem Anschlag, sondern etwas
danach, 3) zusätzlich vor der Eins eine Pedal-Lücke machen derart, dass das letzte OktavSechzehntel vor der Eins ohne Pedal, also wörtlich Staccato gespielt wird.
Auch in Beispiel 32 (Chopin, Scherzo cis-moll, op.39) sind die Viertel-Staccati auf
der Eins der Takte 6, 14 und 18 breit zu nehmen, wie es eben das Spieltempo erlaubt.
Diese Staccato-Viertel müssen sauber sein, weil sie die Basis der darauf folgenden
mächtige Bläsersignale sind. Die Pedalzeichen sind von Chopin.
Bsp. 32
T.6
Staccato breit und Pedaltritt spät !
T.14
Wer das Cis absolut sauber haben will, erreicht dies nur mit dem Tonhaltepedal.
T.18
- 34 -
Das cis-moll-Scherzo, Bsp.32, ist Anlass für die Empfehlung, die Chopin-Ausgaben
der Edition Peters zu meiden. Diese Ausgaben stammen noch aus dem Jahre 1879.
Der Band mit den Polonaisen und der mit den Scherzi und der f-moll-Fantasie in der
Ausgabe von Scholtz/ von Pozniak enthalten eine Fülle falscher Pedalangaben.
Töne werden dort, als unter ein Pedal gehörig, in einer Weise zusammengefasst, die
oft das Gegenteil dessen ist, was Chopin in seinen Pedalzeichen mit eigener Hand
niedergelegt hat.
Liszts Werke kursieren bei der Edition Peters immer noch in den Ausgaben seines
Schülers Emil von Sauer aus dem Jahre 1917. Auch er fasst Pedalfelder falsch
zusammen, verlangt, oft nachweislich gegen Liszts klangliche Absichten, unnötige
Pedalwechsel oder Pedalwechsel an der falschen Stelle.
Dies soll, weiter hinten, mit etlichen Beispielen belegt werden. Die Pedalangaben
Emil von Sauers werfen kein günstiges Licht auf die klangliche Imagination dieses
bekannten Mannes.
Als äußeren Grund für die Pedalverschmierungen an fast allen der bisher vorgestellten Literaturstellen haben wir festgestellt: Die Taste wird zu früh losgelassen.
Der Schluss der Chopin’schen g-moll-Ballade (Bsp.33) soll die lange Reihe der
Beispiele vorerst beenden.
Hätte Chopin diese Passage irgendwo in der Mitte des Werkes verwendet, hätte er am
Ende des chromatischen Oktavenganges, in Takt 262, vielleicht eine mit Staccato
bezeichnete Viertelnote gesetzt. Hier am Ende sagt die breite halbe Note: ich bin
angekommen, hier setze ich mich hin.
Bsp. 33
T.262
Kommentar zu Bsp. 33: Statt, die Sache beschließend, sich in die breite halbe Note hineinzusetzen, werden die Arme mit dem Anschlag emporgerissen ("Heiße-HerdplatteSyndrom"!). Das solcherart von den Oktaven davor verschmierte G kann nicht mehr als
Basis des folgenden Akkordes dienen (siehe auch die Beispiele 17 und 18).
Das theatralische Emporreißen der Hände mit dem Anschlag hat seinen Grund nicht
nur darin, dass sich der Vortragende beim Spielen nicht zuhört, oft liegen solch jäh
ausfahrenden Bewegungen auch im Charakter des Spielers begründet: Viele gefallen
sich am Klavier in einer großspurigen, auf äußere Wirkung angelegten Gestik.
Als harmlosen Fall erwähne ich das Verhalten eines prahlerischen Klavierstudenten
der Würzburger Musikhochschule, der sich als Begleiter eines Liedes aus Schumanns
„Dichterliebe“ (Bsp.34) zu sehr im Hintergrund und pianistisch unterfordert fühlte.
- 35 Bsp. 34
Statt die Bässe ruhig in der Taste zu führen, tippte er sie nur an, wobei er, als Ausdruck lässiger Überlegenheit, den linken Arm bei jedem Anschlag aus dem Ellenbogen bis an die Schulter zurückwarf.
Es teilt sich untrüglich mit, wenn die Bewegungen des Körpers und der Arme aufgesetzt und nicht im Einklang mit der Musik sind.
Wer selbst bei vereinzelten Tönen die Hand jäh von der Taste auffahren lässt, den
gestreckten Arm in einer ausladenden Bewegung über den Kopf führt und dort, wie
der senkrecht emporgeschossene Pfeil im Scheitelpunkt seiner Bahn, verharrt, der
verrät in einer solchen Gestik nicht den leidenschaftlichen Musiker sondern eitle
Selbstgefälligkeit.
In diesem Zusammenhang erwähne ich eine Begebenheit, die sich an der Musikhochschule Freiburg, meiner ersten Hochschulstelle, zugetragen hat.
Dort gab ein Kollege, der die soeben beschriebene Art der Gestik sehr ausschweifend
pflegt, im Mai des Jahres 1992 einen Klavierabend.
In einer - von Noten abgespielten - Aufführung von Beethovens Hammerklaviersonate op.106 nutzte er die Pausen der Takte 113 und 114 (Bsp.35) des Scherzos dazu,
das gerade beendete Akkordtremolo in der Luft durch auffällige Schüttelbewegungen
des Handgelenks fortzusetzen, wobei er gleichzeitig, nach Lachern heischend, das
Gesicht grinsend dem Publikum zuwandte.
Bsp. 35
Takt 114
Anmerkung: Seit den 1990-er Jahren war unter Pianisten eine wachsende Neigung zu beobachten,
Klavierabende von Noten abzuspielen, und alle, wirklich alle, auch der soeben erwähnte Kollege,
haben sich dabei auf Sviatoslav Richter berufen, der ab einem bestimmten Alter ebenfalls von
Noten gespielt hat. Regelmäßig vergessen wurde dabei, dass Richter, bevor er begann von Noten
zu spielen, weit über tausend Konzerte auswendig bestritten hatte.
- 36 -
Zweites Kapitel - Hörkontrolle
Die bisherigen Beispiele enthielten "Kommandos" der Art „Fuß heben hier!“, „Finger
festhalten bis genau da!“ etc. Damit ist nur die, sozusagen, „gymnastische“ Seite
richtigen Pedalisierens angesprochen, und damit ist es natürlich nicht getan.
Die Bedienung der Pedale ist bekanntlich eine komplizierte Beziehung vielfältiger
Bewegungen zwischen Füßen und Händen. Die richtige Dosierung etwa von Halbbzw. Viertelpedal-Tritten, obendrein von Flügel zu Flügel verschieden, genau beschreiben zu wollen, wäre absurd. Es wäre der gleiche Unsinn, wie wenn der Flötenlehrer, um eine bestimmte Tonqualität zu bekommen, zu seiner Schülerin sagte:
“Schiebe die Unterlippe um 1,4 mm nach vorne!“ Die richtige Dosierung der
Bewegungen und des Drucks, bei Pedalisieren und Klangbildung, kann niemals
durch Direktiven des Verstandes an die Muskeln erreicht werden. Dies zu
glauben, ist bestenfalls naiv.
Es sind allein die Vorstellung und der unbedingte Wille, dass etwas so und nicht
anders zu klingen habe, die den Körper, nach und nach, dazu bringen, die dafür
notwendigen Bewegungen (= Technik) zu finden und, vom Ohr gesteuert, auszuführen. Also der unbedingte Wille, in Bsp.33 wirklich ein sauberes G und sonst
nichts zu hören, und dann erst den Schlussakkord folgen zu lassen, in Bsp.32 in Takt
6 ein wirklich sauberes H und sonst nichts zu hören und dann erst das Bläsersignal
draufzusetzen, in Bsp.30, Takt 17 nur G hören zu wollen und sonst nichts und dann
erst mit dem Akkordaufbau zu beginnen u.s.w.
Der Gedanke, dass allein der Klangwille dem Körper die Technik baut, ist in einem
bedeutenden Buch dargelegt: „Die individuelle Klaviertechnik auf der Grundlage des
schöpferischen Klangwillens“ von Carl Adolf Martienssen (Leipzig, 1930).
Der durchwegs hochgestimmte, erhabene Stil geht mit der Zeit etwas auf die Nerven,
auch verschont uns der Autor nicht mit etlichen sprachlichen Scheußlichkeiten
(„Versuche an geeignetem Schülermaterial haben ergeben…“). Diese Punkte aber
tun dem Inhalt keinen Abbruch. Das Buch ist, nach wie vor, sehr zu empfehlen.
Ich zitiere daraus einen Abschnitt, in dem Martienssen die Unmöglichkeit aufzeigt,
einen Klang durch bewusste Befehle an den „Spielapparat“ zu erzeugen:
“Die Aufgabe sei beispielsweise zunächst, einen Dreiklang in weiter Lage im Zusammenklang so anzuschlagen, dass über dem dunklen Untergrund der tieferen Töne
der Spitzenton in mattem hellen Glanz aufleuchte. Was hätte da der menschliche
Spielapparat in rein physiologischer Hinsicht beim Anschlag zu leisten ? Er hätte die
Mischung der Obertöne des Baßtones so haargenau zu dosieren, dass die Klangfärbung des Basses zwar matter ist als die des Spitzentons, dass sie aber dennoch so viel
Leuchtkraft hat, um den Spitzenton zu untermalen. Andererseits hätte auch der
Anschlag des Spitzentones auf den Baßton Rücksicht zu nehmen, um nicht grell gegen
ihn abzustechen. Es kommen noch die Mittelstimmen hinzu. Natürlich hätten sie
zurückzutreten. Aber wie weit jede einzelne zurückzutreten hat, das bestimmt in
eminentem Maße der Gesamtklang. Durch die Quinte kann man die Klangfarbe des