© Jörg Bickelhaupt Reformation – Anliegen und Ereignis – weshalb kam es zum Bruch? "Evangelisch – aus gutem Grund!?" - Reformationsgeschichte und Gegenwart I (nachher II) – jetzt: Ref.-Geschichte, nachher Ggw. Reformation: vielschichtiges Ereignis Koinzidenzen von rel., polit., ps. Interessen der Handelnden (v.a. der Mächtigen) "Reformationen" nicht nur Luther wenn ich das nachfolgend weitgehend doch tue: In einer ¾ Stunde hier einen Überblick geben zu wollen: Unmöglichkeit Ich kann das nur reduktionistisch tun ..., hoffe aber, dass ich doch einiges Wesentliche sagen kann. "Grund des Evangelisch"-Seins .. - Anliegen der Reformation(en) Weshalb kam es zum Bruch? 0. Einleitung Der Bruch, zu dem es in der Reformationszeit in der westlichen Christenheit kam, war ein mehrfacher. • Aus dem ersten Bruch entwickelten sich auf der einen Seite die Kirchen der Reformation und auf der anderen die römisch-katholische Kirche in ihrer heutigen Gestalt ◦ Die römisch-katholische Kirche heute ist nicht einfach identisch mit der lateinischen Kirche vor der Reformation … - letztere ist die Vorläuferin auch der Kirchen der Reformation: ◦ Selbstverständnis auch der reformator. Kirchen: Gründung fand nicht 1517 statt, auch nicht 1541 (Genfer KO), sd. im 1. Jh. (Christus und die Apostel) … Die Anglikaner benenne ich als Bsp. für weitere Pluralisierungen, berücksichtige sie aber nicht weiter. Auch innerhalb der Reformation gab es mindestens zwei Brüche: • zwischen den lutherischen und den reformierten Kirchen kam es zu einer Spaltung, die bis ins 20. Jh. hinein wirksam blieb (→ heute Nachm; Leuenberger Konkordie – Mi.) • und es kam zum Bruch mit dem sog. „linken Flügel der Reformation“ (pauschal „Täufer und Spiritualisten“) Im Folgenden: Kein „Überblick über die Geschichte der Reformation“ .. Versuch, im Blick auf unsere Frage (Wo und warum kam es zum Bruch/zu Brüchen?) wesentliches darzustellen aus der Perspektive Luthers 1 I. Wie kam es zur Reformation? Wird nach dem Beginn der Reformation gefragt, ich denke, die meisten (auch unter uns) würden den 31. Oktober 1517 nennen, Luthers Thesenanschlag. Ich gehe jetzt nicht der Frage nach, was sich damals historisch ganz genau zugetragen hat oder nicht - ich setze an bei Anlass und Ziel der Thesen - dem Aufruf Luthers zu einer universitären „Disputation zur Erläuterung der Kraft des Ablasses“. Der Kontext des Ablasses ist das Bußsakrament: Darin wird dem Menschen nach contritio (Reue) und der confessio (Bekenntnis der Schuld) vom Priester die Sündenvergebung sakramental zugesprochen (absolutio). Es bleiben danach noch die sog. „zeitlichen Sündenstrafen“ übrig; für diese ist eine „satisfactio“ (Genugtuung) zu leisten – üblicherweise durch Gebete oder auch eine Wallfahrt. Auf eine Verkürzung dieser im Fegefeuer abzuleistenden „zeitlichen Sündenstrafen“ bezieht sich ein möglicher Ablass. Ablass (lat. „indulgentia“ – Nachsicht) bezeichnet die Nachsicht Gottes, die durch die Fürbitte des Papstes erwirkt wird: Es eröffnet die Möglichkeit der Ablösung von Bußleistungen z.B. auch durch eine Geldzahlung. Ablassbriefe bescheinigen den Gläubigen einen Bußerlass für sie oder für verstorbene Angehörige, sie wurden aber (missbräuchlich) auch als Sündenerlass gegen Geld verkauft: „Wenn das Geld im Kasten klingt, die Seele aus dem Fegfeuer springt.“ In den 95 Thesen verwarf Luther den Ablass (noch) nicht grundsätzlich. Er kritisierte • die falschen Erwartungen, die die Gläubigen damit verbanden; • falsche Versprechungen der Ablassprediger; probl. theol. Implikationen – wenn er als Instrument der Lossprechung von Sünden missverstanden wird. Für Luther war entscheidend: Der Ablass darf die Buße nicht ersetzen! (1. These) Eigentlich, für sich genommen, ist der Ablass eine theologisch eher zweitrangige Frage – warum aber werden der Ablassstreit und Luthers Thesenanschlag zum reformatorischen Fanal? - Der Ablassstreit ist vielleicht der Anlass, aber sicher nicht die Ursache für die Reformation gewesen. Ursachen gab es viele, einige summarisch: • Der Zustand, die innere und äußere Verfassung der spätmittelalterlichen Kirche war (über)reif für eine Reform: ◦ viele Bischöfe verstanden/gerierten sich in erster Linie als weltliche Fürsten (die sie auch waren) und vernachlässigten die geistlichen Pflichten. ◦ Das Evangelium wurde vielerorts aus dem Zentrum kirchlicher Verkündigung gerückt; stattdessen dominierte die Verehrung von Heiligen und Reliquien, ging es um Wallfahrten und Ablässe; aus dem Glauben war ein Geschäft geworden. • Kirchliches Handeln war oft veräußerlicht: Es kam etwa darauf an, dass möglichst viele Messen gelesen wurden; ob sie von vielen Menschen besucht wurden und man mit Andacht dabei war, war weniger wichtig. ◦ Nicht erst die Reformatoren hatten den Eindruck: Der Weinberg des Herrn liegt verwüstet da. • Sicherlich spielten für den Verlauf der Reformation aber auch politisches Kalkül und Zweckmäßigkeitsdenken eine erhebliche Rolle (auf allen Seiten). 2 Aber auch das gibt noch keine Antwort auf die Frage: Warum kam es mit der Reformation zu Brüchen in der westlichen Christenheit? Warum wurde sie nicht zu einer innerkirchlichen Reformbewegung, was die Reformatoren ja wollten. – Die Einheit der Christenheit insgesamt zerbrach auch nicht erst mit Reformation und Gegenreformation; das war schon lange zuvor geschehen; auch 1054 ist nur ein symbolisches Datum; die Ursachen liegen viel länger zurück. Der Frage „Weshalb kam es zum Bruch?“ nähere ich mich auf einem biographischen Weg, anhand der geistlich-theologischen Entwicklung Luthers. Dabei weiß ich (im Blick auf den Mi.-Abend): Die Komplexität von „Reformation“ übersteigt die Person Luthers (bei aller Bedeutung und Wertschätzung). Aber ich muss diese Komplexität jetzt in hoffentlich gangbarer Weise reduzieren. II. Luthers Weg zur „reformatorischen Erkenntnis“ Die Komplexität von „Reformation“ übersteigt die Person Luthers. Aber ich muss diese Komplexität jetzt reduzieren. Luther lernte schon in seiner Schulzeit bei den Brüdern vom Gemeinsamen Leben in Magdeburg und auch während seines Studiums in Erfurt die spätmittelalterliche Spiritualität der „Devotio moderna“ kennen. Für die Menschen des späten Mittelalters war der Tod allgegenwärtig (Pestepidemien etc.). Für die damalige „Spiritualität“ war die Erwartung des baldigen Jüngsten Tages Gemeingut: „Wie werde ich im Endgericht bestehen? Wird Gott mir gnädig sein?“ - das waren Fragen, die die Menschen umtrieben, die sie beschäftigten - in besonderer Weise auch Luther: „Wie bekomme ich einen gnädigen Gott?“ In diesem Kontext wird verständlich, weshalb der Handel mit dem Ablass ebenso florieren konnte wie Missverständnisse über denselben. Im Kontext dieser geistigen Welt ist auch das Ereignis vom 2. Juli 1505 zu verstehen: Nach dem Besuch seiner Eltern in Mansfeld wurde Luther auf dem Rückweg nach Erfurt bei Stotternheim von einem schweren Gewitter überrascht, und rief in Todesangst zur Schutzpatronin der Bergleute: „Heilige Anna, hilf! Lässt Du mich leben, so will ich ein Mönch werden.“ Ein unter solchen Umständen getanes Gelübde war zwar nicht bindend. Luther nahm seine Berufung dennoch an und trat ins Erfurter Kloster der Augustinereremiten ein. 1507 wurde er zum Priester geweiht. Sein Beichtvater Johann von Staupitz, der Generalvikar der Kongregation, empfahl ihn für ein Theologiestudium und versetzte ihn dazu 1508 nach Wittenberg. Dort lernte er die Kirchenväter kennen, diese vor allem vermittelt durch die Sentenzen des Petrus Lombardus, sowie die nominalistische Theologie, die sog. „via moderna“ eines William of Ockham und Gabriel Biel: Diese betonten einerseits Gottes Freiheit (was Luther später beibehielt!), ebenso jedoch die menschliche Willensfreiheit, nach der der Mensch nach Empfang der Gnade meritorisch handeln kann. 3 Gottes vorauslaufende Gnade, die „gratia praeveniens“, ermöglichte es dem Menschen, verdienstliche gute Werke zu tun (als solche galten z.B. auch Mönchsgelübde). Diese Werke waren zusammen mit dem Institut der Beichte der Weg, um das Heil, das ewige Leben zu erlangen. Das Heil war also letztlich auch mit vom Menschen abhängig/beeinflussbar (wenn auch erst in zweiter Linie), konkret: von einem durch Gott ermöglichten Leben in der Gnade, der „gratia cooperans“. Diese Auffassung lies Luther aber in ständigem Zweifel. Es marterten ihn Fragen wie: „Habe ich genug getan? Habe ich alle meine Sünden gebeichtet? Bin ich wirklich von Gott angenommen und geliebt?“ Trotz täglicher Bußübungen litt er große Gewissensqualen, die ihm niemand abnehmen konnte. Als Doktor der Theologie hatte Luther auch Vorlesungen zu halten. In den folgenden Jahren las er die Psalmen, den Römer-, den Galater- und den Hebräerbrief. Darin kann man seine Entwicklung hin zur reformatorischen Wende nachvollziehen. III. Luthers „reformatorische Erkenntnis“ – worum geht es dabei? In der Lutherforschung ist die Datierung der „reformatorischen Erkenntnis“ (das sog. „Turmerlebnis“) umstritten, also die Wieder-Entdeckung der Gerechtigkeit Gottes, der Rechtfertigung sola gratia et fide. Luther beschrieb gegen Ende seines Lebens diesen Wendepunkt als unerwartete Erleuchtung. In seinem Arbeitszimmer im Südturm des Wittenberger Augustiner-Eremitenklosters habe er dies erfahren (daher „Turmerlebnis“). Manche datieren dieses Turmerlebnis auf die Jahre 1511-1513, andere um 1515 oder um 1518, wieder andere nehmen eine allmähliche Entwicklung an. „Wie bekomme ich einen gnädigen Gott?“ Bei der „reformatorischen Erkenntnis“ geht es um eine Antwort auf diese Frage; ... um eine Wiederentdeckung dessen, was 'Evangelium' eigentlich heißt. Im Nachdenken über den Bibelvers Röm 1, 17 entdeckte Luther, was er bislang vergeblich gesucht hatte: Dieser Vers lautet: „Denn darin wird offenbart die Gerechtigkeit, die vor Gott gilt, welche aus dem Glauben kommt und zum Glauben führt; wie geschrieben steht (Hab 2, 4): Der Gerechte wird aus dem Glauben leben.“ Dieser Bibelvers führte ihn zu einem Durchbruch und innerer Befreiung. Ich zitiere aus der Vorrede Luthers zur ersten Ausgabe seiner lateinischen Schriften von 1545: „'Der Gerechte lebt aus Glauben'. Da begann ich, die Gerechtigkeit Gottes zu verstehen als die, durch die als durch Gottes Geschenk der Gerechte lebt, nämlich aus Glauben, und dass dies der Sinn sei: Durch das Evangelium werde Gottes Gerechtigkeit offenbart, nämlich die passive, durch die uns der barmherzige Gott gerecht macht durch den Glauben, wie geschrieben ist: 'Der Gerechte lebt aus Glauben'. Da hatte ich das Empfinden, ich sei geradezu von neuem geboren und durch geöffnete Tore in das Paradies eingetreten. Da zeigte mir sofort die ganze Schrift ein anderes Gesicht ... Wie sehr ich vorher die Vokabel 'Gerechtigkeit Gottes' gehasst hatte, so pries ich sie nun mit entsprechend großer Liebe als das mir süßeste Wort. So ist mir diese Paulusstelle wahrhaftig das Tor zum Paradies gewesen. Später las ich Augustins Schrift 'Über den Geist und den Buchstaben'. In ihr bin ich wider Erwarten darauf gestoßen, das auch er die Gerechtigkeit Gottes ähnlich erklärt: als die, mit der Gott uns bekleidet, indem er uns rechtfertigt.“ 4 Vor dieser Wende hatte Luther Gottes Gerechtigkeit (in der aristotelischen Tradition mittelalterlicher Theologie) nicht als passive, sondern als aktive Gerechtigkeit des richtenden Gottes verstanden: Gott richtet jeden Einzelnen entsprechend dem Gesetz nach individuellem Verdienst. Dies stürzte ihn in die Seelennöte, von denen ich sprach. Denn nach Röm 3, 9 sind alle Menschen Sünder und können als solche Gottes Gesetz nie ganz erfüllen, also letztlich nie vor Gott wirklich gerecht werden. Das hieße: Gott ist gerecht, indem er alle verdammt. Gottes Gerechtigkeit wäre letztlich identisch mit seinem Zorn (Röm 1,18). Gegen diese Deutung ... spricht aber der Kontext in Röm 1,17: Die Gerechtigkeit kommt aus dem Glauben und der Glaube (Röm 10,17) aus der Predigt des Evangeliums. Es ist also entscheidend, dass Gottes Gerechtigkeit im Glauben/durch das Evangelium offenbar wird, nicht durch das Gesetz! - Das Evangelium rechtfertigt den Sünder, nicht das Gesetz; der Glaube, nicht die Werke: Daraus folgerte Luther u.a. die Notwendigkeit, Gesetz und Evangelium zu unterscheiden. Gottes Gerechtigkeit meint für ihn nun also Gerechtsprechung/Rechtfertigung des Sünders, ja des Gottlosen (Röm 4, 5)! - Gott ist gerecht, indem er Gnade übt – aber nicht „Gnade vor Recht“, sondern gerade indem Gott Gnade übt, setzt er sein Recht durch. Gottes Gerechtigkeit ist damit identisch mit seiner Barmherzigkeit; sie ist reines Gnadengeschenk, das dem Menschen durch den Glauben an Jesus Christus gegeben wird (aufgrund des Verdienstes Christi) – ohne eigene Leistung, ohne Werke, ohne menschliches Verdienst. Eben deshalb bleibt der Mensch im Blick auf sich selbst Sünder – im Blick auf Christus ist er gerechtfertigt („simul iustus et peccator“) Auch den Glauben, das Annehmen der zugeeigneten Gnade, begreift Luther nicht mehr als verdienstliches Werk (im Sinne einer gratia cooperans); denn der Glaube ist durch den Hl. Geist gewirkt und damit Gottes Werk am Menschen. Später lehnt darum die CA menschliche Verdienste nicht nur vor, sd. auch solche aufgrund der Gnade ab. Das sola fide in CA 6 ist kein Glaube ohne Werke, wohl aber eine Rechtfertigung sola gratia: Melanchthon versteht gute Werke unter dem Imperativ des Gesetzes (als Glaubens-Frucht); Luther dagegen als selbstverständliche Folge des Glaubens (als Ausdruck des Indikativs!) EG 342,7 - CA 7: Wo die Rechtfertigung durch Glauben wirksam ist, dort ist Kirche. Das Evangelium von der Rechtfertigung des Gottlosen meint im Kern: Gott spricht dem Gottlosen Seine (die göttliche) Gerechtigkeit zu. Im Blick auf sich selbst ist und bleibt auch der Christenmensch Sünder; im Blick auf Christus, im Blick auf Seine (uns fremde, geschenkte) Gerechtigkeit ist der Mensch gerecht: In diesem Sinne spricht Luther dann vom Christen als „simul iustus et peccator“. (Nur) der Glaube empfängt die Rechtfertigung; nur er empfängt das Evangelium in Wort und Sakrament zum Heil. Im Evangelium als der aktualen Zueignung des Christusgeschehens - in ihm offenbart sich Gottes Gerechtigkeit, im Glauben an die Erlösung durch Kreuz und Auferstehung Jesu Christi. Von der reformatorischen Erkenntnis ausgehend, sind Gnade, Heil und Leben einzig und allein Gottes Gabe – der Mensch selbst trägt nichts zu seiner Rechtfertigung bei. Damit war für Luther die spätmittelalterliche Theologie mit ihrer Synergie zwischen menschlichen Fähigkeiten und göttlicher Offenbarung zerbrochen. 5 IV. Luthers reformatorische Entdeckung und ihre ekklesiologischen Auswirkungen – weshalb kam es letztlich zum Bruch? Kurze Vorbemerkung: An vielen Punkten, die ich nennen werde oder schon genannt habe, sind wir heute theologisch/im ökumenischen Gespräch auf einem anderen Sachstand als im 16. Jh. - Ich werde Sie daher zuweilen aus der Reformationszeit in die Gegenwart entführen, um den gegenwärtigen Diskussionsstand und aktuelle Herausforderungen kurz zu skizzieren. Um jedoch die Frage zu beantworten, warum es zum Bruch kam, muss man natürlich auf den damaligen Stand der Dinge rekurrieren. Warum kam es mit der Reformation auch zu Brüchen in der westlichen Christenheit? Warum wurde die Reformation nicht zu einer innerkirchlichen Reformbewegung? (Das wäre bei allem bisher Gesagten immer noch denkbar gewesen). Luther wollte keine neue Kirche gründen, sondern seine Kirche (auf der Grundlage des wiederentdeckten Evangeliums von der Rechtfertigung) reformieren. Nach meiner Auffassung lässt sich an Luthers Schriften aus den Jahren 1518/1519 aufzeigen (→ Sermones von der Bereitung zum Sterben, zur Buße, zu Taufe, zum Abendmahl 1519): Die ekklesiologischen Konsequenzen seiner reformatorischen Erkenntnis wurden ihm nicht unmittelbar, sondern erst allmählich bewusst. Er verstand Gnade und Rechtfertigung nun in einem ganz neuen Sinn – ich füge hinzu: Durch den Schriftbezug, v.a. auf Paulus, wie auch durch den Bezug etwa auf Augustin war dies für Luther natürlich „der alte und eigentliche (lange verschüttete) Sinn“. Allmählich begann er, über die Vermittlung von Gnade und Rechtfertigung nachzudenken und nahm damit auch die Kirche zunehmend kritischer in den Blick konkret ihre Funktion als Vermittlerin der Gnade Gottes an den Menschen. Im April 1518 durfte Luther vor der Augustinerkongregation in Heidelberg seine Theologie erläutern („Heidelberger Disputation“). Hier grenzte er sein exklusives Verständnis von Gnade und Glauben scharf gegen Aristoteles und die menschliche Willensfreiheit ab (→ hier kündigt sich schon die spätere Auseinandersetzung mit Erasmus in „de servo arbitrio“ an). Er gewann eine Reihe von Anhängern, die zu Reformatoren wurden, darunter Martin Bucer, Johannes Brenz und Sebastian Franck. In den 95 Thesen hatte Luther weniger gegen den Ablass an sich protestiert als gegen eine verkehrte Bußgesinnung, die beim Handel mit Ablässen zum Ausdruck kommt - Hintergrund „Petersablass“ - wichtig für Rom .., vielverspr. Geschäft für ... 1518 verfasste er den „Sermon von Ablass und Gnade“. In ihm stellte er die Thematik und seine Auffassung in einfacher, verständlicher Weise dar. ... Kardinal Albrecht von Mainz: Aufgrund der 95 Thesen hatte er Luther in Rom angezeigt. Daher lud die Kurie Luther im Juni 1518 nach Rom vor, um den Vorwurf der Ketzerei in einem Verfahren zu untersuchen. Noch vor dem Termin wurde die Anklage auf notorische Ketzerei geändert: Spitzel in Luthers Wittenberger Vorlesungen hatten ihn mit gefälschten Thesen denunziert. Luther ersuchte aus gesundheitlichen Gründen um eine Anhörung auf deutschem Gebiet. Der sächsische Kurfürst Friedrich der Weise unterstützte ihn dabei. Damit wurde Luthers Prozess in politische Interessen verwickelt: Papst Leo X. brauchte den Kurfürsten für die sich abzeichnende Kaiserwahl und gab daher seinem Wunsch statt. Kardinal Cajetan sollte Luther in Augsburg verhören. 6 Cajetan unterschied gemäß spätmittelalterlicher Gnadenlehre zwischen der „Hoffnungsgewissheit“, die der einzelne Gläubige in seiner persönlichen Schwachheit haben kann, und der „Glaubensgewissheit“, die (nur) die Kirche hat. Im Blick auf sein persönliches Geschick, bleibt der Einzelne also in Unruhe. Die Kirche, die den sog. „thesaurus ekklesiae“ verwaltet – also den Schatz der sog. überschüssigen guten Werke Christi und der Heiligen -, kann Ablässe gewähren. Luther weigerte sich, Cajetan (kirchl. Autorität) gegenüber zu widerrufen, wenn er nicht aus der Bibel heraus widerlegt würde; die Ablassbulle „Unigenitus“ von Papst Clemens VI. aus dem Jahr 1343 widerspreche der Hl. Schrift. Cajetan entgegnete Luther mit der These von der Superiorität des Papstes über Schrift und Konzilien. Damit aber verlagerte sich der Konflikt auf ekklesiologisches Gebiet: Die reformatorische Erkenntnis brachte Luther dazu, jene Distinktion zwischen der Hoffnungsgewissheit des Einzelnen und der Glaubensgewissheit der Kirche aufzugeben. Er fasste beides zur „Heilsgewissheit“ zusammen (Kirche ≠ Vermittlerin von Heil und Gnade, sd. 'Verkündigerin'). Ausgehend vom Evangelium von der Rechtfertigung war für Luther Gottes Wort die maßgebliche Autorität in Glaubensfragen. In seiner Vorstellung von Rechtfertigung und Gnade treten das „Wort Gottes“ (und der „Glaube“) an jene Stelle, die in der spätmittelalterlichen Theologie „die Kirche“ einnahm. Die Kirche – auch der Papst – hatte sich dem Wort Gottes unterzuordnen. Da ein päpstlicher Vorrang de iure divino aus der Hl. Schrift nicht zu erheben sei, verwarf Luther denselben. Er antwortete Cajetan: „Die göttliche Wahrheit ist auch die Herrin des Papstes.“ - Cajetan vermerkte dazu: „Das heißt eine neue Kirche bauen.“ Von da aus – um ein für die Reformation sehr wichtiges Beispiel kurz zu nennen – kritisierte Luther später etwa die gängige Abendmahlspraxis der „communio sub una speciae“ als nicht schriftgemäß – m.a.W.: Luther akzeptierte kein päpstliches Auslegungsmonopol mehr. Im Hinblick auf das Verständnis von Schrift und Tradition hat es natürlich seither Klärungen gegeben. Was aber nach wie vor auf der ökumenischen Agenda steht, ist eine weitere Konvergenz in der Bestimmung des Verhältnisses von Schrift, Tradition und kirchlichem Lehramt. In dem Streit um „Rechtfertigung und Gnade“, für die der Ablass zum Anlass geworden war, war also nun die Kirche in den Blickpunkt gerückt. Die Fragen lauteten: • Wie geschieht/ereignet sich die Rechtfertigung? Wie „erreicht sie den Menschen“? • Wie ist das Verhältnis zu bestimmen zwischen dem Glauben des Einzelnen und dem Glauben der Kirche? • Welche „Rolle“ spielt die Kirche/kirchliche Amt im Kontext der Rechtfertigung? • Geschieht Rechtfertigung in der Kirche oder (auch) durch die Kirche? Im Hinblick auf die Frage nach der Rolle der Kirche im Kontext der Rechtfertigung entzündete sich Luthers Kritik an vielen weiteren Punkten - z.B. am damaligen Verständnis der Eucharistie als Messopfer oder auch im Hinblick auf die Weihevollmacht der Priester: • Für ihn war von da aus die Auffassung nicht mehr akzeptabel, die Kirche bringe in der Messe Gott ein Opfer für Lebende und Verstorbene dar als verdienstliches Werk, das das Opfer Christi am Kreuz unblutig wiederhole; 7 Weil die Rechtfertigung als Inbegriff des Evangeliums einzig und allein Gottes Werk ist, kann sie von der Kirche/Amtsträgern zwar zugesprochen/verkündigt, aber nicht im eigentlichen Sinn „vermittelt“ werden; vermittelt wird die Gnade durch den Glauben - d.h.: von da aus geriet das Verständnis v.a. des kirchlichen Amts als Vermittlerin der Gnade, die Vorstellung eines „character indelebilis“ des geweihten Priesters, eine Unterscheidung zwischen Priestern und Laien in die Kritik. Aufgrund der in der Taufe begonnenen Rechtfertigung des Sünders (als alleinigem Werk Gottes) haben alle ChristInnen den gleichen „geistlichen Stand“. „Allgemeines Priestertum“ bedeutet: Es gibt keine „Laien“ in der Kirche resp. keine ontologische Differenz zwischen Ordinierten und Nichtordinierten. Die Verheißung von Gottes Gerechtigkeit, die Rechtfertigung sola gratia et fide, gilt jedem Glaubenden unmittelbar, d.h.: Das Evangelium von der Rechtfertigung wird wohl in der Kirche verkündigt, die Rechtfertigung selbst wird aber nicht durch die Kirche/Amtsträger vermittelt, sondern durch den Glauben. Confessio Augustana: Art. 4 Art. 5 (Art 6 Art. 7 - Glaube als Grundlage christlicher Existenz (Rechtf.) Aufgabe des Amtes: Verkündigung des Wortes Gottes (Predigt und Sakramente) als „Weg zum rechtf. Glauben“ Das „sola fide“ meint nicht „Glaube ohne Werke“, sd. „Rechtfertigung sola gratia“ Kirche als „congregatio sanctorum“ (nicht 'communio sanctorum' = KJC oder 'congregatio fidelium' = Kirche im Vollzug der Verkündigung), sondern beide Aspekte werden verbunden: Zur Gemeinschaft der (wahren) Kirche - Kirche Jesu Christi - gehören all jene, die durch das Evangelium zum Glauben kommen und die durch den rechtfertigenden Glauben geheiligt sind. „Satis est“ aus CA 7 – unterstreicht dies und bindet die Zugehörigkeit allein an Wort und Sakrament als „Grund der Rechtfertigung/Kirche“, nicht an eine „konkrete Gestalt“ derselben. Aktueller Diskurs um „Rechtfertigung und Kirche“: Das ist genau der Grund, weshalb aus ev. Sicht das Evangelium von der Rechtfertigung (die freie Gnade Gottes) nicht gebunden werden kann an eine bestimmte kirchliche Sozialgestalt. Der heutige Diskurs um diese Fragen dreht sich auch darum, ob diese Auffassung/ob das Glaubensverständnis der Reformation nicht (Zitat J. Ratzinger, Luther und die Einheit der Kirchen in Communio 12, 1983, S. 558ff) „eine radikale Personalisierung des Glaubensaktes darstelle“ und der Glaubensakt (Zitat ders.) „in einem erregenden und in gewisser Weise exklusiven Aug in Aug zwischen Gott und Mensch bestehe“. Also: Glaube als persönliche Gottesbeziehung bzw. Glaube als Mitglauben mit der Kirche. Sie können darüber nachher gern diskutieren. Ich denke, das ist in dieser Polarität nicht der Punkt. Auch aus evangelischer Sicht ist die Kirche beim Glaubensakt nicht ausgeschlossen: Weil der Glaube aus der öffentlichen Predigt des Evangeliums entsteht, bleibt er eben nicht im Subjektiven bei sich selbst stehen, sondern er entsteht im Hören auf Gottes Wort und der Feier der Sakramente – und genau hier ereignet sich Kirche. Auch für evangelisches Verständnis gibt es keinen Glauben ohne Kirche. 8 Im Hinblick etwa auf die Buße haben die Reformatoren schon sehr früh betont: Auch 'ein Christ kann den andern privatim absolvieren' (also ihm/ihr die Vergebung zusprechen) und dies gelte genauso wie die priesterliche Absolution. Natürlich weist die Reformation die öffentliche Verkündigung und die Spendung der Sakramente grundsätzlich dem ordinierten Amt zu (CA 14). In der Folge von Luthers Verhör vor Kardinal Cajetan konkretisierte sich das Thema „Rechtfertigung und Gnade“ v.a. im Streit um das Verständnis von der Kirche und ihrem Amt. Auf einen hierbei (auch für den heutigen ökumenischen Diskurs) schwierigen, aber wichtigen Aspekt möchte ich kurz hinweisen: Mit dem vorhin erläuterten „simul iustus et peccator“ bezeichnet die Reformation zunächst den einzelnen Gläubigen. Es besagt: Auch nach der Rechtfertigung/z.B. auch nach der Taufe ist der Mensch weiterhin auch Sünder; entscheidend ist jedoch: Die Sünde wird dem Glauben den nicht mehr angerechnet! Erst im Jüngsten Gericht jedoch werden Sünde und Tod endgültig vernichtet und es vollendet sich am Glaubenden das, was mit seiner Taufe begonnen hat. Für die „Gemeinschaft der Heiligen“ insgesamt, also die Kirche, gilt dabei grundsätzlich nichts anderes als für jeden einzelnen „Heiligen“ (scil. Glaubenden). Das heißt: Die Reformation überträgt das „simul iustus (sanctus) et peccator“ auch auf die Kirche. Die Kirche ist sozusagen „simul sancta et peccatrix“. In Luthers Ostersonntagspredigt aus dem Jahr 1531 heißt es: (Non est tam magna peccatrix ut ecclesia christiana) „Es gibt keine größere Sünderin als die christliche Kirche. - Wie geht das zu, Heilige und Sünderin zugleich zu sein? - Sie glaubt an die Vergebung der Sünden und sagt: Vergib uns unsere Schuld. - Das sagt niemand, es sei denn, er ist heilig!“ Im Januar 1519 war Kaiser Maximilian gestorben. Dieser hatte den spanischen König Karl I. (Karl V.) als Nachfolger vorgesehen. Der Papst wollte das verhindern, da er wegen Karls Be sitztümern in Italien eine Umklammerung des Kirchenstaats fürchtete. Er ließ Luthers Prozess zunächst ruhen und beauftragte Karl von Miltitz, Kurfürst Friedrich für eine friedliche Lösung zu gewinnen. Der römische Gesandte erreichte, dass Luther sich zum Schweigen verpflichtete (… um auch die polit. Dependenzen anzudeuten ...). Währenddessen stellte J. Eck Thesen für ein Streitgespräch mit Luthers Kollegen Karlstadt auf. Diese richteten sich aber so klar gegen Luther, dass dieser sein Schweigen brach und im Juli 1519 an der Leipziger Disputation teilnahm. Dort spitzte sich der Konflikt zu auf die Frage der Autorität des Papstes. Luther vertrat die These, der Papst sei de iure erst seit 400 Jahren (seit dem Dekret des Grati an) Führer der Christenheit. Eck wollte Luther als Anhänger des Jan Hus überführen, der 100 Jahre zuvor als Ketzer verbrannt worden war. Luther warf Rom im Gegenzug die Abspaltung der Orthodoxie vor. Er ordnete nun auch Konzile der Autorität der Schrift unter. In diesem Kontext fiel Luthers Satz: „Auch Konzile können irren.“ Damit stellte er die individuelle Gewissensfreiheit im Hören auf die Bibel über autoritative Entscheidungen von Päpsten und Konzilien. Deren Entscheidungen müssten schriftgemäß sein, d.h.: Konzilsentscheidungen sind natürlich im Grundsatz verbindlich, müssen aber immer anhand der Schrift überprüft werden können. Zentrale Aufgabe des kirchlichen Amts – bis hin zu Bischof und Papst – ist für Luther, das Evangelium in Wort und Sakrament zu verkündigen, die Herde Christi zu weiden. • • Wo die Amtsträger dieser Verpflichtung nicht nachkamen, wo sie gar die Verkündigung des Evangeliums verhinderten, kam es zum Konflikt. Viele Bischöfe widmeten sich v.a. politischem Ränkespiel; manche Renaissancepäpste glänzten lieber als Feldherrn oder Lebemänner denn als Hirten der Herde Christi – angesichts solcher und anderer kirchlicher Missstände jener Zeit war eine fundamentale Kritik vom Evangelium her unausweichlich. 9 V. Die theologische Entfaltung seiner Entdeckung in Luthers reformatorischen Hauptschriften von 1520 In den drei reformatorischen Hauptschriften des Jahres 1520 entfaltete Luther schließlich seine Theologie. Mit diesen Werken fand sie weite Verbreitung. 1. An den christlichen Adel deutscher Nation von des christlichen Standes Besserung Mit der Adelsschrift wendet sich Luther auf deutsch an die weltlichen Fürsten, denen er die Durchführung der reformatorischen Maßnahmen übertragen will, da die Bischöfe darin nach seiner Meinung versagt haben. Luther argumentiert, dass sich (Zitat) „die Romanisten hinter drei Mauern versteckten“: 1. Sie stellten die kirchliche Obrigkeit über die weltliche. 2. Wenn die Reformation mit Hilfe der Bibel argumentiere, verwiesen sie darauf, dass nur der Papst das Recht habe, die Bibel endgültig auszulegen. 3. Sollte ein Konzil einberufen werden, würde darauf verwiesen, dass nur der Papst das Recht dazu besitze. Damit stehe der Papst über dem Konzil. Außerdem schlägt Luther in dieser Schrift ein politisches Reformprogramm vor. So soll Bildung allen zugänglich sein, nicht nur dem Klerus. Zölibat und Kirchenstaat sollen abgeschafft, der Frühkapitalismus eingeschränkt und das Betteln verboten werden. Dafür soll es eine geregelte Armenfürsorge geben. Luthers forderte von den (christlichen) Fürsten/Magistraten, sich der kirchlichen Reformen in ihren Territorien anzunehmen. Diese griffen das auf, sicher zuweilen auch aus nicht ganz uneigennützigen Motiven. Jedenfalls war dies ein erster Ausgangspunkt für das in der Folge der Reformation in Deutschland entstehende sog. „landesherrliche Kirchenregiment“. Dies widersprach eigentlich der theol. Vorstellung Luthers von der Unterscheidung der beiden Schwerter – es setzte sich jedoch als „Notordnung“ im 16. Jh. durch und wurde in dieser Form erst 1919 abgeschafft. 2. De captivitate Babylonica ecclesiae De captivitate (Von der babylonischen Gefangenschaft der Kirche) behandelt die Sakramente und richtet sich in Latein an Gelehrte. Luther reduziert die Sakramente unter Berufung auf die Einsetzung Jesu von sieben auf drei - Taufe, Abendmahl und Buße. Da er bei letzterer in der Frage der „Materie“ (nicht der Einsetzung Christi!) unsicher ist, spricht er von zwei Sakramenten und einem sakramentalen Zeichen. Doch nicht die Reduktion auf 2 oder 3 Sakramente ist das eigentlich Entscheidende – vielmehr, dass er ihr Wesen, ihre Bedeutung, in Anknüpfung auch an Augustin, vom Wort her bestimmt. Luther versteht das Sakrament nicht mehr als göttliches Gnadenmittel, das unabhängig vom Wort wirkt (↔ Er grenzt sich also ab von der Vorstellung einer Wirksamkeit der Sakramente „ex opere operato“). Vielmehr sind die Sakramente für Luther sichtbare Zeichen der göttlichen Verheißung. Die Sakramente veranschaulichen die Wortverkündigung, fügen ihr aber nichts hinzu. Die bis heute aktuelle Frage lautet: Gibt es im Sakraments- und (letztlich auch im) Kirchenverständnis eine „Grunddifferenz“ oder gibt es Ansätze zu Konvergenzen? 10 3. Von der Freiheit eines Christenmenschen Die von Christus geschenkte Freiheit macht das Leben eines Christen/einer Christin aus. Luther fasst sie, im Anschluss an Paulus, in zwei Sätzen zusammen, die sich dialektisch ergänzen und bedingen: Ein Christenmensch ist ein freier Herr über alle Dinge und niemandem untertan – durch den Glauben. Ein Christenmensch ist ein dienstbarer Knecht aller Dinge und jedermann untertan – durch die Liebe. Luther hatte diese Schrift Papst Leo gewidmet – kurz vor der Bannandrohungsbulle -, um die endgültige Exkommunikation vielleicht doch noch abzuwenden. VI. Die Bedeutung der Rechtfertigungslehre für die Einheit der Kirche Das unterschiedliche Verständnis von Rechtfertigung im Kontext der Ekklesiologie führte letztlich im 16. Jh. zum Bruch der kirchlichen Einheit in der westlichen Christenheit. Mit dem später sog. „articulus stantis et cadentis ecclesiae“, dem Artikel, mit dem die Kirche steht und fällt: mit ihm steht und fällt auch die 'Einheit der Kirche'. Gekennzeichnet wird reformatorisches Verständnis der Rechtfertigung durch das vierfache solus: Solus Christus, sola scriptura, sola gratia, sola fide - allein Christus ist unser Heil, offenbart allein in der Heiligen Schrift Alten und Neuen Testaments, von Gott geschenkt allein aus Gnaden, von uns Menschen empfangen allein im Glauben. Vom Evangelium von der Rechtfertigung her lassen sich m.E. die meisten theologischen Kontroversen des 16. Jh. erklären. Im Umkehrschluss heißt das: Ein Lehrkonsens (zumindest eine grundlegende Konvergenz) an diesem Punkt wäre - jedenfalls aus protestantischer Sicht - die Grundvoraussetzung, den Bruch in der westlichen Christenheit einer Heilung näherzubringen. Genau diesem Anliegen diente z.B. die GER von 1999 - Gem. Verständnis des Ev.: Voraussetzung für die LK. Warum war den Reformatoren/ist uns Evangelischen die „Rechtfertigung des Gottlosen“ ei gentlich so wichtig? - Ich stelle die Frage so direkt, weil man manches Mal hört (sogar inner halb der ev. Kirche!): Das mit der Rechtfertigung, das muss man doch alles nicht so heiß essen ... oder: Rechtferti gung – das Thema ist doch eigentlich längst überholt - … - hochaktuell (nicht aus kontrovers theol. Attitüde heraus) Der Artikel von der Rechtfertigung ist für mich der „hermeneutische Schlüssel“ zum Glauben/Ganzen der christlichen Lehre. Manchmal wird man dann gefragt: Was ist wichtiger, die Rechtfertigungslehre, die Trinitäts lehre oder die Christologie? – Ich denke, die Frage ist falsch gestellt. 11 Alle grundlegenden loci christlicher Lehre beziehen sich aufeinander und sind nicht voneinan der zu trennen. Die Rechtfertigung stellt uns jedoch im Blick auf die anderen loci etwas in be sonderer Weise vor Augen („hermeneutischem Schlüssel“). Sie stellt vor Augen ... • wer der Gott eigentlich im Grunde ist, den wir im 1. Glaubensartikel als „Schöpfer Himmels und der Erden“ bekennen; • ... was Person und Werk Christi für unser Heil bedeuten; • wie Gott durch den Hl. Geist in Wort und Sakrament zu unserem Heil handelt; • … welche Bedeutung Glaube und Kirche für das Heil haben; • ... worauf sich unsere Hoffnung gründet im Leben wie im Sterben. 2 Aktualisierungen: Eine theol., v.a. auch ökumenische Herausforderung für heute: Von Rechtfertigung (Gesetz, Gnade) können wir nur noch „coram Israel“ sprechen! (Exegese: New perspectif on Paul) Was das jedoch bedeutet (hebr. צּדּקּ, zädäk - Ger. Gottes), haben wir m.E. noch nicht ansatzweise begriffen. Wir müssen das ganz neu buchstabieren (ökum.!) „Rechtfertigung“ halte ich theologisch für hochaktuell/-brisant. Wir Menschen verdanken uns nicht uns selbst, nicht unserer Leistungs(fähigkeit), unseren Genen ... – was das heute etwa in den Kontexten der Bioethikdebatte oder Globalisierung bedeutet (um nur 2 Bsp. zu nennen), im Sinne einer „kritischen Funktion des Evangeliums“ kann man gar nicht hoch genug einschätzen: Gemeinsame Anliegen von ChristInnen. VII. Der Bruch zwischen den Kirchen der Reformation Auch die innerevangelischen Kontroversen des 16. Jh. waren z.T. durch ein unterschiedliches Verständnis von Rechtfertigung (oder zumindest durch unterschiedliche Konsequenzen aus ihr) geprägt: a: Die innerlutherischen Konflikte Letzteres gilt z.B. für die innerlutherischen Streitigkeiten - etwa den sog. „Antinomerstreit“ zwischen Melanchthon und Agricola oder den Streit Melanchthons mit den sog. Gnesiolutheranern um die „Adiaphora“ – diese Dissense legte man schließlich mit der Konkordienformel bei. b: Der Bruch zwischen der lutherischen und der reformierten Kirche Der Konflikt zwischen lutherischer und reformierter Tradition war von besonderer theologiegeschichtlicher Relevanz (ggw. Auswirkungen heute Nachmittag und morgen). Schon sehr früh in der Reformationsgeschichte, Mitte der 20er Jahre des 16. Jahrhunderts, wurden Gegensätze deutlich: Zunächst wurden sie literarisch ausgetragen; direkt zum Ausbruch kamen sie beim Marburger Religionsgespräch von 1529 zwischen Zwingli und Luther. 12 15 Artikel wurden als (eine Art) Konkordie niedergeschrieben, wobei allein der letzte Artikel über das Abendmahl umstritten blieb. Einig waren sich Luther und Zwingli hier nur in folgenden Punkten: Beide lehnten die Transsubstantiationslehre ab, ebenso den Gedanken von einer unblutigen Wiederholung des Opfers Christi. Der Zürcher Huldrych Zwingli hatte eine rein signifikative Auffassung der Anwesenheit des Leibes Christi im Abendmahl entwickelt. „Est“ bedeutete für ihn so viel wie „significat“. Er verstand die Nießung als geistliches Essen. Für den Gläubigen ist das Abendmahl Erinnerung an den einmaligen Opfertod Christi am Kreuz und allein deshalb geistlich wirksam, d.h. natürlich auch: Nur dem Glauben wird diese geistliche Nießung zuteil, der Unglaube empfängt Brot und Wein. Zwingli verwies auf Johannes 6,63: „Der Geist ist's, der lebendig macht; das Fleisch ist nichts nütze ...“ - Er deutete diese Worte auf das Abendmahl und verstand sie „tropologisch“, also in einem übertragenen Sinne. Aus dieser Aussage leitete er eine Dualität zwischen Geist und Fleisch ab. Da Christus mit Leib und Geist seit der Himmelfahrt „zur Rechten des Vaters sitze“, könne er nicht körperlich im Abendmahl zugegen sein, sondern es könne nur noch von seiner geistigen Gegenwart gesprochen werden. Die leibliche Gegenwart Christi im Abendmahl, eine Realpräsenz seiner menschlichen Natur sei ausgeschlossen. Für Zwingli war das Abendmahl Gedächtnis- und Bekenntnismahl der Gemeinde. Luther lehnte Zwinglis Auffassungen als spiritualistische Schwärmerei ab. Er bestritt, dass Johannes 6,63 überhaupt etwas mit dem Abendmahl zu tun habe und verwies auf vorhergehenden Aussagen Christi im Joh.-Ev.: „Amen, amen, das sage ich euch: Wer mein Fleisch isst und mein Blut trinkt, hat das ewige Leben ...“ (Joh 6, 53ff). Luther bestand bei der Deutung der Einsetzungsworte auf dem „est“ (Das „ist“ mein Leib). Das Altarsakrament sah er begründet in der sich schenkenden Liebe des in der Feier real gegenwärtigen Herrn. Der wahre Leib und das wahre Blut Christi sind „in, mit und unter“ Brot und Wein gegenwärtig. Luther rezipierte hier nicht die Transsubstantiationslehre, sondern die bis ins hohe MA theologisch gleichberechtigte Vorstellung einer Konsubstantation – eine unio sacramentalis der materia terrestris mit der materia coelestis (luth. Abendmahlsverst. bildet eine theol. Analogie zur 2-Naturenlehre). Die „Rechte Gottes“ verstand Luther nicht als Ortsangabe. Vielmehr sei dadurch gesagt: Christus habe Anteil an der Stellung Gottes und sei, wie Gott selbst, allgegenwärtig. Menschheit und Gottheit Jesu dürfen nicht getrennt werden. Der örtlichen Begrenzung des Leibes Christi setzte er die Ubiquitätslehre entgegen. Diese besagt: Christus hat auch als der Menschgewordene und zum Vater Heimgekehrte an der göttlichen Allgegenwart teil und kann überall und jederzeit seine leibliche Gegenwart schenken. Den Fortgang der innerrefomatorischen Kontroversen der Folgejahre (Bucer, Wittenberger Konkordie von 1536) lasse ich hier außen vor. Seit der Anfang der 40er Jahre des 16. Jahrhunderts war Johannes Calvin aus Genf der theologische Kopf der Reformierten. Seine Abendmahlstheologie unterschied sich deutlich von Zwinglis (v.a. vertrat er ein sakramentales Abendmahlsverständnis). Hinsichtlich der Realpräsenz lehrte er jedoch ähnlich wie dieser: • Jesus sei leiblich nur von der Geburt bis zur Himmelfahrt auf Erden gewesen; am Kreuz habe er als Mensch gelitten. Seit der Himmelfahrt befinde sich Jesu erhöhte menschliche Natur „zur Rechten Gottes“, also im Himmel. Reale Gemeinschaft mit ihm sei nur dadurch möglich, dass sich unsere Herzen mittels des Bandes des Hl. Geistes zu ihm erheben („sursum corda“). 13 In der Person Christi sei der Logos mit der menschlichen Natur zusammengewachsen, aber nicht in ihr eingeschlossen. Die göttliche Natur Christi existiere daher auch außerhalb (extra) seiner Menschheit. Dieses für reformierte Abendmahlslehre wichtige, später sog. „Extra Calvinisticum“ bedeutet: Im Abendmahl ist Christus nicht mit seiner menschlichen Natur gegenwärtig, sondern wird durch den Hl. Geist repräsentiert (vergegenwärtigt) → „Spiritualpräsenz“. Christi Präsenz bezieht sich für Calvin dabei auf eine geistliche Gegenwart in der Feier, aber nicht spezifisch auf die Elemente; diese empfängt der Glaube als „Sakrament“, nicht aber der Unglaube. • Dagegen betonte die lutherische Seite die Realpräsenz Christi als Personalpräsenz „in, mit und unter“ Brot und Wein; Glaube wie auch der Nicht-Glaube empfangen Leib und Blut Christi (aber eben zum Heil bzw. „zum Gericht“: die sog. „manducatio impiorum“ – wobei diese Wendung frömmigkeitsgeschichtlich enorme Auswirkungen hatte!). Wichtig war der lutherischen Seite, die Einheit der Person Christi nicht infrage zu stellen; vor allem aber, zu betonen: Die Wirklichkeit sakramentaler Selbstmitteilung Gottes hängt nicht am persönlichen Glauben oder Unglauben des Empfangenden. Warum trennte dies für 400 Jahre die Kirchen? • Die personale Gegenwart Christi (unabhängig vom subjektiven Glauben oder Unglauben der Hinzutretenden!) war für Luther so wichtig, weil für ihn daran die Heilsgewissheit hing – aus reformierter Sicht hingegen vertrat Luther „eine römische Abendmahlslehre“. Aus der Abendmahlskontroverse ergab sich im Zeitalter der lutherischen und reformierten Orthodoxie – man kann es sich fast denken – auch ein Streit um die Christologie, konkret: Um das Verhältnis der beiden Naturen in Christo. Bedingt waren diese Unterschiede u.a. dadurch, dass man verschiedene theologische Traditionen rezipierte, die antiochenische bzw. die alexandrinische Christologie: • Die Reformierten knüpften an der Vorstellung der antiochenischen Schule an und betonten die Notwendigkeit einer Unterscheidung der beiden Naturen in Christo (→ 3 Kappadozier, Johannes Chrysostomos, Kyrill von Jerusalem; auch Nestorius). Den Reformierten ging es darum: Jesus Christus war ganz Gott und ganz Mensch; daher blieben seine beiden Naturen unversehrt. • Die Lutheraner knüpften an der Christologie der alexandrinischen Schule an und betonten die völlige Einheit der Person (→ Athanasios der Große; Kyrill von Alexandrien; Vorphase: Origenes). Hinter diesen theologischen Schulen steckten natürlich auch die kirchenpolitischen Interessen unterschiedlicher, z.T. stark konkurrierender Patriarchate. Warum trennte dies? • Die Unversehrtheit der Naturen Christi war/ist den Reformierten so wichtig, weil sie bei Luther tendenziell die Gefahr einer monophysitischen Christologie sahen. Die Lutheraner stritten gegen die reformierte Auffassung: Sie sahen die Einheit der Person gefährdet und Christus zerrissen – in heutiger Sprache: Am Ende gäbe es einen Jesus und einen Christus. 14 Die dritte klassische lutherisch-reformierte Kontroverse betraf die Prädestinationslehre, die Gnadenwahl. Calvin lehrte eine sog. „doppelte Prädestination“. Ausgehend von der ja nachvollziehbaren Erfahrung: Manche Menschen glauben an das Evangelium, andere nicht – schlussfolgerte er: Aufgrund des ewigen Ratschlusses Gottes seien manche Menschen zum Heil erwählt, andere zum Unheil bestimmt. Die jeweilige Bestimmung lasse sich im Leben/Ergehen eines Menschen ablesen. Zeichen des Erwähltseins seien z.B. irdischer Reichtum, Erfolg, Macht etc. „Unter Vorsehung verstehen wir Gottes ewige Anordnung, vermöge deren er bei sich beschloss, was nach seinem Willen aus jedem einzelnen Menschen werden sollte! Denn die Menschen werden nicht alle mit der gleichen Bestimmung erschaffen, sondern den einen wird das ewige Leben, den anderen die ewige Verdammnis vorher zugeordnet.“ (Institutio Christianae Religionis 3. 21. 5). Diese auf Augustin zurückgehende P.-Lehre hatte ihren Ort in der Situation verfolgter Christen – seelsorgerliche Relevanz, Zuspruch des Evangeliums für sie. Bei der innerreformatorischen Kontroverse ging es im Kern um eine unterschiedliche Sicht des Zusammenhangs von Erwählung und Gnade. Während die reformierte Seite „sichtbare Zeichen der Gnade“ im Sinne einer Erwählung interpretierte (und umgekehrt natürlich auch) – betonte schon Luther wiederholt, dass die wahren Heiligen verborgen seien. Diese Auffassung der Sichtbarkeit des Erwähltseins wirkt nach bis auf den heutigen Tag – heute weniger im lutherisch-reformierten Kontext als in bestimmten Freikirchen oder auch in Teilen der Pfingstbewegung („Gospel of prosperity“). Die zwischen Lutheranern und Reformierten unterschiedliche theologische Rezeption der Prädestinationslehre wirkte sich aus u.a. in der unterschiedlichen Bestimmung des Verhältnisses von Gesetz und Evangelium, von Glaube und Politik (Bsp.: Genfer Kirchenordnung als staatliches Gesetz), Kirche und Staat (2-ReicheLehre vs. Lehre von der Königsherrschaft Christi ...). Warum trennte dies die Kirchen? • Die „doppelte Prädestination“ stellte für Luther das Werk Christi/die Rechtfertigung in Frage; sie beruhte seines Erachtens auf dem Fehlen der Unterscheidung von Gesetz und Evangelium. Die reformierte Verknüpfung von Gesetz und Evangelium wiederum verband die Rechtfertigung mit der Heiligung/Wiedergeburt, also den „Früchten der Rechtfertigung“, die im Leben sichtbar/erfahrbar sind. Auf den heutigen Stand all dieser Kontroversen kommen wir im Kontext Leuenberg zurück. c: Der Bruch mit dem „linken Flügel der Reformation“ Hinsichtlich der Taufe, dem Verhältnis zur staatlichen Obrigkeit sowie dem Verständnis des 3. Glaubensartikels sahen sich Lutheraner und Reformierte in einem innerprotestantischen Konflikt mit dem sog. „linken Flügel“. 15 Dabei ging es v.a. um die Frage nach der Bedeutung der Taufe; nach dem Verhältnis von Taufe und Glaube sowie nach der Zulässigkeit der Kindertaufe. Theologisch wie politisch brisant wurde dies, da zu jener Zeit die religiöse Orientierung des Einzelnen – auch etwa die Frage, ob man seine Kinder tauft oder nicht „staatlicherseits vorgegeben“ war; es handelte sich hier nicht um eine Privatangelegenheit. Der Konflikt mit der weltlichen Obrigkeit war damit vorprogrammiert (und reichte bis ins 19. Jh.!) ... Eine weitere Differenz betraf den 3. Artikel des Glaubensbekenntnisses: Viele der von ihren Gegnern sog. „Spiritualisten“ beriefen sich auf unmittelbar vom Hl. Geist empfangene Worte und Weisungen. - Dagegen betonten v.a. die Lutheraner die Notwendigkeit kirchlicher Ordnung, einer ordnungsgemäßen Berufung zum Predigtamt sowie die Bindung der Wirkung des Hl. Geistes an Wort und Sakrament. Im Hintergrund dieses Konflikts geht es natürlich auch um das, was wir heute „Schrifthermeneutik“ nennen – und was bis auf den heutigen Tag virulent ist. Schon Luther hatte es als unangemessen und nicht im Sinne des „sola scriptura“ bezeichnet, buchstabilistisch einzelne Schriftworte aus ihrem Kontext zu isolieren, sie Zitat „einfach rips, raps zusammenzuwerfen, es reime sich oder nicht“ und sie gesetzlich-undifferenziert, a-historisch einfach pauschal auf die eigene Situation zu beziehen. Diese Auseinandersetzungen wurden deshalb so vehement geführt, weil • vor allem für Luther die Gültigkeit der Taufe (das Handeln Gottes am Menschen) nicht am Glauben des Getauften hängt; der zentrale Punkt ist auch nicht der richtige Vollzug, wie wohl dieser wichtig ist; sondern alles hängt an der Verheißung Christi! • Lutheraner und Reformierte sahen das Wirken des Hl. Geistes an Wort und Sakrament gebunden, weil „Gott so an uns handeln will“ (Luther) - weil wir sonst, im Hinblick auf unsere Heilsgewissheit nicht auf Gottes Wort und Sakrament vertrauen, sondern uns etwa auf die Geistbegabung von Menschen verlassen würden und müssten. • Im Hinblick auf das Schriftverständnis stellt sich die Frage nach der zugrunde liegenden Hermeneutik, nach dem Auslegungshorizont und -kontext (Mitte der Schrift; Unterscheiden, was Gottes Wort als Gesetz und Evangelium sagt; wem ist dieses Wort wozu gesagt?) • ... einige dieser Themen stellen sich heute auf neue Weise in anderen Zusammenhängen. Abschießend möchte ich hinzufügen: Die Anhänger des sog. „linken Flügels“ haben wie niemand sonst in der Reformationszeit und danach gelitten und wurden verfolgt. Ökumene hat es daher immer auch damit zu tun, solche Konflikte aufzuarbeiten, die oft viele Jahrhunderte zurückliegen aber bis in die Gegenwart wirken. Ich habe versucht, aus meiner Sicht darzulegen, weshalb es im 16. Jh. letztlich zum Bruch in der abendländischen Christenheit kam. Das ist letztlich sicher nicht monokausal zu erklären. Vieles habe ich nicht erwähnt, was zu erwähnen gewesen wäre. Heute Nachmittag und morgen … manches aufgreifen. - Vielen Dank! 16 "Evangelisch – aus gutem Grund!?" Reformation, Anliegen und Ereignis – weshalb kam es zum Bruch? 0. Einleitung – zur Themenstellung Der Bruch, zu dem es in der Reformationszeit kam, war ein mehrfacher (evangelisch – katholisch; lutherisch – reformiert; Lutheraner/Reformierte „linker Flügel“) I. Wie kam es zur Reformation? 31. Oktober 1517, Luthers Thesenanschlag: Aufruf zu einer „Disputation zur Erläuterung der Kraft des Ablasses“ - (noch) keine vollständige Verwerfung des Ablasses, sondern Anliegen: Ablass darf Buße nicht ersetzen! Viele Gründe, weshalb es zur Reformation kam (innere und äußere Verfassung der spätmittelalterlichen Kirche, politisches Kalkül ...), aber: Warum kam es mit der Reformation auch zu einem Bruch der westlichen Christenheit? II. Luthers Weg zur „reformatorischen Erkenntnis“ Spiritualität des späten Mittelalters: Allgegenwart des Todes; „Wie bekomme ich einen gnädigen Gott?“ Nominalistische Gnadenlehre „Gratia praeveniens“ - „gratia cooperans“ (Beteiligung des Menschen am Prozess der Rechtfertigung): Mensch kann nach Empfang der Gnade meritorisch handeln → „Habe ich genug getan“? III. Luthers „reformatorische Erkenntnis“ – worum geht es dabei? „Reformatorische Erkenntnis“: Röm 1, 17 → Wiederentdeckung dessen, was 'Evangelium' eigentlich heißt. Vorher: Nun: Gottes Gerechtigkeit als Gerechtigkeit des richtenden Gottes Gottes Gerechtigkeit als Gerechtsprechung/Rechtfertigung des Sünders/des Gottlosen Gottes Gerechtigkeit = Gottes Barmherzigkeit; reines Gnadengeschenk durch den Glauben an Jesus Christus, ohne Leistung/Werke/Verdienst. 17 IV. Luthers reformatorische Entdeckung und ihre ekklesiologischen Auswirkungen – weshalb kam es letztlich zum Bruch? Die ekklesiologischen Konsequenzen seiner reformatorischen Erkenntnis wurden Luther erst allmählich bewusst. Verhör Luthers durch Kardinal Cajetan beim Augsburger Reichstag 1518 Cajetan: Superiorität des Papstes über Schrift und Konzilien; Unterscheidung zwischen der „Hoffnungsgewissheit“ des einzelnen Gläubige und der „Glaubensgewissheit“ der Kirche. Luther: „Die göttliche Wahrheit ist auch die Herrin des Papstes“. Zusammenfassung von Hoffnungsgewissheit des Einzelnen und Glaubensgewissheit der Kirche zur „Heilsgewissheit“ ↔ Cajetan: „Das heißt eine neue Kirche bauen.“ Thema „Rechtfertigung und Gnade“ → Streit um das Verständnis von Kirche und Amt. Luther: „Es gibt keine größere Sünderin als die christliche Kirche“ (Übertragung des „simul iustus et peccator“ auf die Kirche). Das Evangelium von der Rechtfertigung wird in der Kirche verkündigt, die Rechtfertigung aber nicht durch sie (sondern durch den Glauben) vermittelt. Leipziger Disputation 1519 (J. Eck – Luther): Eck: Luther als Anhänger des Jan Hus Luther: (nicht nur Päpste), „auch Konzile können irren.“ (Entscheidungen von Papst und Konzil sind an der Hl. Schrift zu prüfen) V. Die theologische Entfaltung seiner Entdeckung in Luthers reformatorischen Hauptschriften von 1520 1. An den christlichen Adel deutscher Nation von des christlichen Standes Besserung • • • 2. „Wider die drei Mauern der Romanisten“ Vorschlag eines politischen Reformprogramms Aufforderung an die Fürsten, sich der kirchlichen Reformen in ihren Territorien anzunehmen De captivitate Babylonica ecclesiae Thema: Sakramente - unter Berufung auf die Einsetzungsworte Jesu • Reduktion von sieben auf zwei/drei: Taufe, Abendmahl, (Buße) • Bestimmung ihrer Bedeutung vom Wort her: • Sakramente keine göttlichen Gnadenmittel, die unabhängig vom Wort wirken (↔ „ex opere operato“). • Sakramente als sichtbare Zeichen der göttlichen Verheißung, die die Wortverkündigung veranschaulichen, aber nichts hinzufügen. 3. Von der Freiheit eines Christenmenschen „Ein Christenmensch ist ein freier Herr über alle Dinge und niemandem untertan - ein Christenmensch ist ein dienstbarer Knecht aller Dinge und jedermann untertan“ 18 VI. Die Bedeutung der Rechtfertigungslehre für die Einheit der Kirche Rechtfertigung als „articulus stantis et cadentis ecclesiae“; Vierfaches solus: Solus Christus, sola scriptura, sola gratia, sola fide. Artikel von der Rechtfertigung: für evangelisches Verständnis der „hermeneuische Schlüssel“ zum Ganzen der christlichen Lehre. Theologische., v.a. ökumenische Herausforderung für heute: Von Rechtfertigung (Gesetz, Gnade) können wir nur noch „coram Israel“ sprechen - was heißt es, dass Gott צּדּקּist? VII. Der Bruch zwischen den Kirchen der Reformation a: Innerlutherische Konflikte Antinomerstreit, Adiaphorastreit – beigelegt mit Konkordienformel (1578) b: Der Bruch zwischen der lutherischen und der reformierten Kirche Ausgangspunkt: Marburger Religionsgespräch von 1529 zwischen Luther und Zwingli; in der Folge Streit um Abendmahl: Sakrament oder Bekenntnismahl? (Art der) Realpräsenz Christi? - „in, mit und unter ...“ vs. „repräsentatio Christi“ durch Hl. Geist (Extra Calvinisticum) Christologie: Verhältnis der beiden Naturen in Christo (→ Abendmahl); Unversehrtheit der Naturen (ref.) vs. Einheit der Person (luth.); antiochenische - alexandrinische Schule Prädestination: Calvin „doppelte P.“ stellt (für Lutheraner) Werk Christi infrage; unterschiedliche Vorstellung der Erwählung → Unterschiede in Verhältnisbestimmungen Gesetz – Evangelium, Glaube – Politik ... c: Der Konflikt mit dem „linken Flügel der Reformation“ Konflikt mit der Täuferbewegung um Bedeutung der Taufe, Verhältnis von Taufe und Glaube, Zulässigkeit der Kindertaufe – und mit den sog. „Spiritualisten“ um „Schrifthermeneutik“ und den 3. Glaubensartikel: Wirken des Hl. Geist durch Wort und Sakrament oder auch unabhängig von Wort und Sakrament → Verfolgung des „linken Flügels “ 19 zu a. Dabei ging es v.a. um die Frage nach der Bedeutung der Taufe; nach dem Verhältnis von Taufe und Glaube sowie nach der Zulässigkeit der Kindertaufe. Vor allem für Luther die Gültigkeit der Taufe (das Handeln Gottes am Menschen) nicht am Glauben des Getauften hängt; der zentrale Punkt ist auch nicht der richtige Vollzug, wie wohl dieser wichtig ist; sondern alles hängt an der Verheißung Christi! zu b. Viele der von ihren Gegnern sog. „Spiritualisten“ beriefen sich auf unmittelbar vom Hl. Geist empfangene Worte und Weisungen. - Dagegen betonte v.a. Luther die Notwendigkeit kirchlicher Ordnung, einer ordnungsgemäßen Berufung zum Predigtamt sowie die Bindung der Wirkung des Hl. Geistes an Wort und Sakrament. Lutheraner und Reformierte sahen das Wirken des Hl. Geistes an Wort und Sakrament gebunden, weil „Gott so an uns handeln will“ (Luther) - weil wir sonst, im Hinblick auf unsere Heilsgewissheit nicht auf Gottes Wort und Sakrament vertrauen, sondern uns etwa auf die Geistbegabung von Menschen verlassen würden und müssten. Im Hintergrund dieses Konflikts geht es natürlich auch um das, was wir heute „Schrifthermeneutik“ nennen – und was bis auf den heutigen Tag virulent ist (Segnungs- oder die Kreationismusdebatte). Schon Luther hatte es als unangemessen und nicht im Sinne des „sola scriptura“ bezeichnet, buchstabilistisch einzelne Schriftworte aus ihrem Kontext zu isolieren, sie Zitat „einfach rips, raps zusammenzuwerfen, es reime sich oder nicht“ und sie gesetzlich-undifferenziert, a-historisch einfach pauschal auf sich zu beziehen. Im Hinblick auf das Schriftverständnis stellt sich die Frage nach der zugrunde liegenden Hermeneutik, nach dem Auslegungshorizont und -kontext – für Luther v.a. die Frage nach der Mitte der Schrift (sola scriptura = „Was Christum treibet“ nicht „was geschrieben stehet“); Unterscheidung von Gottes Wort als Gesetz und Evangelium. zu c. Theologisch wie politisch brisant wurde all dies, da zu jener Zeit die religiöse Orientierung des Einzelnen – auch etwa die Frage, ob man seine Kinder tauft oder nicht - „staatlicherseits vorgegeben“ war; es handelte sich hier nicht um eine Privatangelegenheit. Der Konflikt mit der weltlichen Obrigkeit war damit vorprogrammiert (und reichte bis ins 19. Jh.!) .. - die Konflikte wurden natürlich sowohl in reformatorischen als auch in katholischen Landen ausgetragen. Die Anhänger des sog. „linken Flügels“ haben wie niemand sonst in der Reformationszeit und danach gelitten und wurden verfolgt. Ökumene hat es daher immer auch damit zu tun, solche Konflikte aufzuarbeiten, die oft viele Jahrhunderte zurückliegen aber bis in die Gegenwart wirken. Gewisse Ausnahme im Umgang mit der Täuferbewegung: Philipp von Hessen – zumindest ansatzweises Aufgreifen von Anliegen der Täufer: christliche Erziehung der Gemeindeglieder gewährleisten; auf Anraten von Martin Bucer: 1539 „Ziegenhainer Zuchtordnung“ (Geburtsstunde des Konfirmandenunterrichts). 20 Die Täuferbewegung konnte in Mitteleuropa nicht kirchenbildend werden, da sie von keinem Souverän unterstützt wurde und spielte daher nachreformatorisch in Mitteleuropa bis ins 19. Jh. so gut wie keine Rolle (anders in England seit dem 17. Jh.). Das bildet den theologiegeschichtlichen Hintergrund des Taufthemas (..), obwohl die heutigen Baptisten nicht einfach die Nachfolger der Täufer der Reformationszeit sind. In der neueren Entwicklung rund um Leuenberg spielt aber auch die Auseinandersetzung mit der täuferische Tradition (gemeinsamen Geschichte) eine wichtige Rolle; deshalb habe ich dies etwas mehr ausgeführt (Näheres beim Taufthema). Im innerreformatorischen Diskurs setzte jedoch (auch im Blick auf Leuenberg) die lutherisch-reformierte Kontroverse für die folgenden 400 Jahre die Agenda. Worum ging es dabei? 21
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