602166 34 FEUILLETON Mittwoch, 30. Dezember 2015 Eine lange Kunstleine Grütters: Raubkunst bei Gurlitt zügiger aufklären Max Messemers Kleiderbügel-Installation im Industriegebiet Straubing-Sand Von Ines Kohl Rund sechstausend Kunststoffkleiderbügel hängen an rund sechseinhalb Kilometern Schnur, die sich zwischen den Baumreihen über einem Feuchtbiotop im Straubinger Industriegebiet Sand spannt. Max Messemer, Lehrbeauftragter am Wissenschaftszentrum Straubing für den Bereich Gestaltung, hat sie dort in zehn Tage langer Arbeit aufgehängt. Die Idee zu der Aktion entstand bei der Bearbeitung des Themas „Nachwachsende Rohstoffe“ mit Studenten, die in diesem Zusammenhang das Hafengelände am Gründerzentrum besichtigt hatten. Eine ähnliche Idee wurde schon einmal im Herbst 2013 auf dem Reutlinger Marktplatz als interaktive Kunstaktion mit Passanten verwirklicht. Auch in Straubing trugen „Zulieferer“, vorwiegend Mitarbeiter des Zentrums Abfallwirtschaft Straubing, zum Gelingen dieser sozialen Plastik bei, indem sie Kleiderbügel sammelten und brachten. In dem Areal, auf dem sich das Innovations- und Gründerzentrum des Industriegebietes StraubingSand befindet, haben sich Wasser- läufe erhalten und Kleintieren ein Überleben ermöglicht. Max Messemer möchte mit seiner Aktion die Straubinger zu einem Spaziergang nach Sand motivieren. Nicht nur, um die Kleiderbügelparade zu betrachten, sondern auch, um zu sehen, was sich in Sachen Nachwachsende Rohstoffe im Industriegebiet tut. So könnte sich zu jedem Kleiderbügel ein Spaziergänger gesellen. In dem Gedicht von Hermann Hesse, dessen Anfangszeile „Seltsam im Nebel zu wandern“ Max Messemers Aktion den Titel gab – die Ausstellung wurde im Morgengrauen eröffnet –, bleibt allerdings jeder für sich allein. Mittlerweile sind die Kleiderbügel leider bereits lückenhaft, und es haben sich Witzbolde gefunden, die Spaß daran hatten, alte Unterhemden und Pullis auf die Bügel zu hängen – nicht im Sinne des Erfinders. „Seltsam im Nebel zu wandern“ ist mindestens bis 2. Januar entlang des Europarings im Industriegebiet Straubing-Sand zu sehen, in der Hoffnung auf Winterstimmung und Schnee ist eine Verlängerung möglich – wenn bis dahin nicht alle Bügel geklaut worden sind. Kleiderbügel bis zum Horizont: Rund 6000 hängen in Straubing. Foto: Kohl Aus den Tiefen der Natur Fritz Winters farbintensive Arbeiten der 60er Jahre in der Münchner Pinakothek der Moderne Von Christa Sigg Münchens Ausstellungskalender ist so voll, dass sich manchmal erstaunliche Zuspiele ergeben. Oder der ideale Hintergrund wie im Fall von Fritz Winter (1905-1976) in der Pinakothek der Moderne. Dessen Farb-Exzesse der 1960er Jahre erhalten ein paar Meter weiter in der Klee-Kandinsky-Schau im Kunstbau des Lenbachhauses (noch bis 24. Januar) eine wunderbare, vielsagende Ergänzung. Museumsgänger haben Winters Werk nach dem Zweiten Weltkrieg und der russischen Gefangenschaft im Gedächtnis. Und hier vor allem die oft von Schwarz dominierten, kraftvollen informellen Arbeiten, die irgendwo zwischen Willi Baumeister und Ernst Wilhelm Nay, Hans Hartung und Pierre Soulages treiben, doch selbstgewiss und unabhängig. Winter hatte seinen eigenen Kopf, anders wäre es ihm kaum möglich gewesen, sich nach der Elektrikerlehre zum Kunststudium durchzubeißen: Tagsüber besuchte der hagere Mann aus dem Revier das Gymnasium, nachts verdiente er seinen Lebensunterhalt als Bergmann. Leicht war das nie, das Leben sowieso nicht, das kann diese Kunst selten verbergen. Und nun fühlt man sich vor farbintensiven Orthogonen und Streifen plötzlich an die Anfänge dieses Malers erinnert. Von 1927 an studierte Winter am Bauhaus Dessau, neben Oskar Schlemmer und Josef Albers waren Wassily Kandinsky und vor allem Paul Klee seine Lehrer. Und man gewinnt den Eindruck, der Sturschädel bekennt sich nach Jahren der notwendigen Distanzierung wieder zu den Wurzeln. Wurzeln, die er ganz eigenwillig variiert und mit neuen Strömungen auffrischt. Im von Blautönen dominierten „Regentag“ und in den „Breiten Horizontalen“ (1964), in denen sich blaugrüne und erdtonige Felder sanft aneinanderreihen, knüpft Winter an seine verhangenen, in ihren Ebenen kaum auszumachenden Räume der 1930er Jahre an. Genauso fallen einem die schwebenden Farbflächen Mark Rothkos ein. Doch Winter setzt nicht auf dessen meditative Ruhe, er bleibt deutlich kleinteiliger („Rothko komponiert für mich mit zu wenig Elementen. Es besteht die Gefahr der Verarmung und Monotonie“, sagte Winter einmal), und es überwiegt ein nervöses Flirren, ein Vibrieren, das aus der Tiefe zu dringen scheint. Denn der Künstler, der mehr als sein halbes Leben in München und bald am Ammersee mit einem großen Garten vor dem Atelier verbracht hat, wollte nichts weniger als das Innerste, wenn man so will: die Seele der Natur erkunden. Auch darin ist er seinem alten Lehrmeister Klee ziemlich nahe. Jahrzehnt der Farbe Fließende Übergänge: Fritz Winters „Der Regentag“ (1964) Foto: Sibylle Forster, Bayerische Staatsgemäldesammlungen / © Fritz-Winter-Stiftung bis 28. Februar in der Pinakothek der Moderne, Barer Straße 40, München (Di-So 10-18, Do 10-20 Uhr); Katalog (Kehrer-Verlag) 19,80 Euro Vor 150 Jahren wurde der Schriftsteller Rudyard Kipling geboren, der erste britische Nobelpreisträger Mit seiner Geschichtensammlung „Die Dschungelbücher“ erschrieb sich Rudyard Kipling die Unsterblichkeit: Der Junge Mogli wächst bei Wölfen im Urwald auf und lernt das harte Gesetz des Dschungels von seinen tierischen Freunden, Balu dem Bär und dem schwarzen Panther Baghira. Im Original ist die moralische Fabel eher düster, wurde aber 1967 schwungvoll von den Disney-Studios in einen Zeichentrickfilm verwandelt und zu einem der erfolgreichsten Filme der Geschichte. Kein Wunder, dass Kipling Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts zu den beliebtesten englischsprachigen Schriftstellern gehörte. Sprachmächtig, elegant und exotisch formte er das Bild der Briten von ihren Kolonien. Heute vor 150 Ergebnisse sollen online einsehbar sein die Aufklärung voranbringen. Grütters sagte, sie erhoffe sich davon auch eine breitere Einbeziehung internationalen Fachwissens und die Aufmerksamkeit möglicher Anspruchsteller. Abhängig sind die Pläne noch vom Ausgang des Rechtsstreits um das Erbe. Der 2014 verstorbene Cornelius Gurlitt hatte seine mehr als 1500 Werke umfassende Sammlung dem Kunstmuseum Bern vermacht, eine Cousine ficht das Testament an. Die teils hochkarätigen Bilder stammen von Gurlitts Vater Hildebrand, der einer der wichtigsten Kunsthändler der Nazis war. 2012 waren sie beim Sohn entdeckt und beschlagnahmt worden. ■ Fritz Winter. Die 1960er Jahre – Indien ist das Glück Von Uli Hesse, dpa (dpa) Das umstrittene Erbe des Münchner Kunstsammlers Cornelius Gurlitt soll nach den Worten von Kulturstaatsministerin Monika Grütters (CDU) restlos auf NSRaubkunst hin untersucht werden. „Wir wollen möglichst jedes von den Nazis geraubte Werk zurückgeben. Das ist unser einziges Ziel“, sagte Grütters der Deutschen Presse-Agentur. Die Ende des Jahres auslaufende Arbeit der verantwortlichen Taskforce soll deshalb wie angekündigt unter dem Dach des Deutschen Zentrums Kulturgutverluste in Magdeburg fortgesetzt werden. Die Staatsministerin will die Kosten für die Aufklärungsarbeit übernehmen. Die bisherigen Forschungsmitarbeiter bekämen neue Verträge, kündigte sie an. Projektleiterin werde die bisherige wissenschaftliche Koordinatorin Andrea Baresel-Brand. „Wir erwarten, dass die Arbeit mit schlankeren Strukturen und mehr Transparenz auch zügiger vorankommt“, sagte Grütters. Die 2013 eingesetzte Taskforce hat in ihrer fast zweijährigen Arbeit bisher bei nur fünf von rund 500 Werken einen NS-Raubkunstverdacht nachweisen können. Vor allem Opferverbände warfen dem international besetzten Gremium Geheimniskrämerei und mangelnde Offenheit vor. Mitte Januar soll der Abschlussbericht vorgelegt werden. Grütters kündigte an, die Zwischenergebnisse zum Forschungsstand nach der Sichtung „wenn irgend möglich“ im Internet zu veröffentlichen. Zudem solle die Auswertung von Gurlitts Geschäftsunterlagen öffentlich gemacht werden. Auch die Ausstellung raubkunstverdächtiger Bilder in der Bundeskunsthalle in Bonn Ende 2016 solle Jahren wurde Kipling in Bombay (heute Mumbai) geboren. In Indien fühlte Kipling sich mehr daheim als in England: Seine Eltern waren Briten, die in die Kronkolonie ausgewandert waren. Mit sechs Jahren wurde er zu Pflegeeltern in England geschickt, um dort eine gute Schulbildung zu erhalten. Er war sehr unglücklich Rudyard Kipling Foto: dpa und kehrte 1882, mit 16 Jahren, nach Lahore im heutigen Pakistan zurück. Er wurde Journalist bei einer Lokalzeitung, für die er kreuz und quer durch die indischen Bun- desstaaten reiste. Nebenher schrieb er Kurzgeschichten und Gedichte. In ihnen zeichnete Kipling mit Ironie die Schwächen und Konflikte der englischen Bevölkerung in Britisch-Indien nach. „Der Mann, der König sein wollte“ („The Man Who Would Be King“) wurde mit Sean Connery und Michael Caine verfilmt. 1889 kehrte Kipling nach London zurück, dem literarischen Zentrum des Empires, und wurde einer der bekanntesten und beliebtesten Schriftsteller. 1907 erhielt er als erster Brite den Liternaturnobelpreis. Seine Lage änderte sich nach dem Ersten Weltkrieg, als die britische Kolonialherrschaft Risse bekam. Kipling war überzeugt, dass die angelsächsische Zivilisation anderen Völkern weit überlegen sei, und zog damit Kritik auf sich. Schriftstel- lerkollegen wie der Argentinier Jorge Luis Borges warfen ihm vor, er sei „ein Barde des britischen Empires“, der in Gedichten wie „Die Bürde des Weißen Mannes“ koloniale Ausbeutung besang. George Orwell beschrieb ihn 1942 in einem Essay als „Hurrapatrioten, moralisch unempfindlich und ästhetisch abstoßend“. Andere dagegen lasen Warnungen vor den Gefahren des Imperiums in seinen Gedichten, und Kiplings Meisterwerk „Kim“ (1901) zählte zu den Lieblingsbüchern des ersten indischen Ministerpräsidenten Nehru. Am 18. Januar 1936 starb Kipling kurz nach seinem 70. Geburtstag. Seine Asche wurde in der Poets’ Corner der Londoner Kathedrale Westminster Abbey neben den Gräbern von Thomas Hardy und Charles Dickens beigesetzt. Verleger Gottfried Arnold gestorben (dpa/lnw) Der Herausgeber der „Rheinischen Post“ (RP), Gottfried Arnold, ist im Alter von 82 Jahren gestorben. Das teilte sein Verlag gestern in Düsseldorf mit. Der gebürtige Düsseldorfer stand lange der Mediengruppe in seiner Heimatstadt vor, und er prägte seine Region als Politiker: Zwischen 1961 und 1983 vertrat der Christdemokrat Arnold einen der Düsseldorfer Wahlkreise als direkt gewählter Abgeordneter im Bundestag. „Gottfried Arnold war ein Verleger, wie wir in der Redaktion es uns nur wünschen konnten“, schrieb RPChefredakteur Michael Bröcker. Arnold sei „ein leidenschaftlicher Demokrat, ein kluger Geist und bis zuletzt ein bewundernswert scharfsinniger Beobachter des Zeitgeschehens“ gewesen. Die „Rheinische Post“ gehört mit mehr als 300000 verkauften Exemplaren zu den größten regionalen AbonnementZeitungen Deutschlands. Arnolds Vater, der frühere Düsseldorfer Oberbürgermeister und spätere nordrhein-westfälische Ministerpräsident Karl Arnold (CDU), hatte die Zeitung 1946 mitgegründet.
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