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Spiritualität, die zu denken gibt
Dies academicus am 8. Dezember 2015
Einen vielseitigen und fesselnden Dies academicus beging die PTH Münster
am 8. Dezember 2015, ihrem Patronatsfest. Es ging um das Verhältnis von Theologie und Spiritualität – Schwerpunktfach der PTH. Zahlreiche Dozierende,
Studierende und Gäste nahmen an dem intensiven Studientag teil, der von
namhaften Referenten aus dem In- und Ausland gestaltet wurde.
Die empirisch forschenden Mediziner und Pastoralsoziologen Prof. Dr. Arndt
Büssing (Universität Witten-Herdecke) und Prof. Dr. Christoph Jacobs (Katholische Fakultät Paderborn und PTH Münster) präsentierten in einem fulminanten Einführungsreferat Ansätze, Methoden und Ergebnisse zu der komplexen Materie „Wie messbar ist Spiritualität?“. Dabei boten sie zahlreiche interessante Erkenntnisse. Es ist z. B. keineswegs so eindeutig, dass spirituelle Praxis
zu einem gesünderen Leben oder Innerlichkeit zu diakonischem Verhalten führt.
Weniger überraschend scheint, dass nicht die Häufigkeit, sondern die Erfahrungstiefe spirituell-religiösen Tuns lebenszufriedener macht.
Prof. Dr. Marianne Schlosser, Inhaberin des Lehrstuhls für Spiritualität an der
Universität Wien und Mitglied der römischen Theologenkommission und lange
der PTH verbunden, rekurrierte in ihrem Vortrag „Der große Atem christlicher
Spiritualität. Was uns die Tradition zu sagen hat“ auf die mittelalterlich-scholastischen Spuren von Spiritualität bei Thomas von Aquin und Bonaventura. Mit
ihnen mahnte sie neben der „sitzenden“ eine „kniende“ Theologie an. Theologie
müsse immer im guten Sinne doctrina (Lehre) sein, die „prophetisch“ der Offenbarung Gehör verschafft und zum Glauben (biblisch: Umkehr) hinführt.
Am Nachmittag referierte Prof. Dr. Simon Peng-Keller, Universität Zürich, ausgewiesener Experte in Sachen Spiritualität, über „Kontemplation und Theologie.
Verhältnisbestimmungen im Horizont gegenwärtiger spiritueller Suchbewegungen“. Ausgehend von einer Parabel Paul Claudels, die Animus und Anima als
gegensätzliches Paar zeichnet, plädierte Peng-Keller für eine Wiederentdeckung des erfahrungsbezogenen, sinnenhaften Strangs biblisch-christlicher
Traditionen („hot knowledge“). Die Diskussion zeigte, dass u. a. beim Begriff
Kontemplation durchaus noch Klärungsbedarf besteht.
Den Abschluss der wissenschaftlichen Einheiten bildete der Vortrag des emeritierten Münsteraner Fundamentaltheologen Prof. Dr. Jürgen Werbick: „Wie
fromm muss Theologie sein? Spiritualität als Methode der Theologie“. Sei es
Aufgabe der wissenschaftlichen Theologie, die den Glauben begründenden
Zeugnisse zu evaluieren, so Aufgabe der Spiritualität, uns von den Zeugnissen
in die Wahrheit des Bezeugten einzuführen. Werbick verwies auf Karl Rahner
und Hölderlin: Wir sind „Gesagte“ aus Gottes Gnadenwort, Angesprochene, Gespräch. Gemeinsame Sorge von Theologie und Spiritualität müsse es sein, die
Frage nach den Quellen des Mutes wachzuhalten und diese Quellen zu hegen.
Beim festlichen Actus academicus hielt Christian Geyer, Feuilletonist der
Frankfurter Allgemeinen Zeitung, den öffentlichen Abendvortrag. Sein ebenso
geistreicher wie provozierender Vortrag „Warum die Theologie wieder mehr
über Himmel und Hölle reden muss. Die Rolle der Jenseitsvorstellungen für eine
kraftvolle Spiritualität“ schalt zunächst die Pluralität heutiger Bibelexegese, die
aus Gott einen zahnlosen Tiger zu machen drohe. Geyer karikierte sodann mit
dem Satiriker Eckhard Henscheid theologische Spitzfindigkeiten über die Himmelsfähigkeit der Tiere. Schließlich zieh Geyer den Wiener Kardinal Schönborn
mit zwei Stellungnahmen von 2008 und 2015 der Widersprüchlichkeit. Geyers
Fazit lautete (mit Thomas Mann): Theologie kann nie modern sein. Eine streitbare These.
Die redliche Erschöpfung nach einem Tag so vieler, ganz unterschiedlicher Einund Ausblicke konnte man im Refektorium des Klosters bei Wein und Gesprächen fröhlich ausklingen lassen.
Bericht: Gerhard Hotze
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