Lisa Laurenz

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hr2-kultur | Camino – Religionen auf dem Weg
Eins mit sich und der Welt
Über das vergessene Potential echter Verbundenheit
Autorin: Lisa Laurenz
Musik 1........ (kurz frei stehenlassen….
Take 1
(Christine Beck)
An Verbundenheit denke ich manchmal, wenn ich morgens beim Frühstück
sitze und denke, irgendeiner hat das Brot für mich gebacken, irgendeiner hat
diesen Tee gepflückt. Viele Menschen machen es mir möglich, dass ich hier in
aller Gemütlichkeit sitze und mein Frühstück genieße. Diese Dinge, die mir
früher immer so selbstverständlich schienen, ich nehme sie zum ersten Mal
zum Großteil wirklich wahr.
Autorin
Wach sein und etwas mit allen Sinnen wahrnehmen. Dem Gesang eines Vogels
selbstvergessen lauschen, sich einer Musik hingeben, ganz aufgehen in einem
Gespräch, in einer Arbeit, in einer Meditation oder im Gebet. Es gibt Momente,
in denen sich unverhofft eine große innere Tiefe und Verbundenheit offenbart.
Es ist das wohltuende Gefühl, im Einklang mit sich und der Welt zu sein:
Musik 2....
Take 2
(Christine)
0`27
Es ist schon so, dass ich mich jetzt bewusst mal rausnehme aus meinem
Alltag, die Natur betrachten, in den Himmel schauen, die Wolken ziehen lasse,
den Geist beruhige dadurch. Und dann nehme ich sehr bewusst wahr, dass
ich mich aufgehoben fühle in diesem Augenblick. Ich finde, dass es wichtig ist,
dass ich jeden Tag mir einen Moment schaffe, mir diese Verbundenheit ganz
klar ins Bewusstsein zu rufen. Es gelingt auch.
(Musik kurz hochziehen....)
Take 3
(Katharina Ceming) 0`19
Naturerfahrungen, ich glaub das ist etwas wo viele Menschen wirklich erleben
können, wenn sie in die Natur gehen, dass da so etwas wie eine Verbundenheit
entstehen kann. Dass man wenn man irgendwo in den Bergen ist, wo man merkt,
wow, wir Menschen sind eingebunden in dieses größere Ganze.
Take 4
(Marita von Berghes) 0`32
Dieses Gefühl des Einsseins brauchen wir alle. Traurig macht ja die Isolation.
Wir denken wir sind isoliert, wir können gar nicht isoliert sein, weil wir alle eins
sind. Wir trinken Wasser, das alle schon mal gehabt haben. Die Energie aus
meinen Augen geht in die Augen der anderen, ich sitze auf den Stühlen, auf
denen so viel gesessen haben. Ich kriege die Aura mit, die Atmosphäre mit.
Autorin
Als Menschen atmen wir die gleiche Luft ein und aus wie alle anderen auch. Bäume
und Wälder machen es möglich, dass wir atmen können, weil sie die verbrauchte
Luft in Sauerstoff umwandeln. Und ohne die Fürsorge eines anderen ist der Mensch
nicht überlebensfähig. Die Welt ist ein lebendiges Netz, in dem alles miteinander
verbunden und wechselseitig abhängig ist. Sich dieses unendlich komplexe Geflecht
von Beziehungen bewusst zu machen, vermag Ehrfurcht und ein Gefühl der
Verbundenheit wachzurufen:
Take 5 (Katharina Ceming)
0`33
Verbundenheit ist zunächst etwas was ich wirklich erfahre. Also ich fühle mich
verbunden. Gleichzeitig kann ich mich aber auch verbunden wissen, indem ich
bestimmte Dinge erkennen kann, dass wir z.B. als Menschheit alle im gleichen
Boot sitzen. Es ist zunächst mal auch ne kognitive Leistung, die natürlich nicht
primär dazu führt, dass ich die Verbundenheit auch fühle. Erst wenn dieses
Fühlen dazu kommt, ist es das, was wir mit einer tiefen Verbundenheit
verbinden.
Musik 3.... (unter Ende von Take 5 einblenden...)
Autorin
Katharina Ceming ist Theologin und Philosophin:
Take 6
(Katharina Ceming)
0`33
Ein tiefes echtes Gefühl von Verbundenheit wie man es zum Beispiel in der
Partnerschaft oder in der Freundschaft erleben kann, ist ja etwas was uns
sehr viel Kraft gibt. Das ist etwas ganz Fundamentales, miteinander im Leben
irgendetwas gestalten zu können und nicht nur gestalten zu können, sondern
auch dass ich mich öffnen kann, dass es einen Raum gibt, wo ich einfach
offen sein kann, weil ich auch getragen werde, mich verbunden fühle mit
anderen Menschen, was Sicherheit gibt und nach außen ausstrahlt.
Autorin
Verbundenheit kann sich in kleinen Gesten des Alltags zeigen. In spontaner
Mitfreude, in einer tröstenden Berührung, in einem mitfühlenden Blick oder in
tatkräftiger Unterstützung. Verbundenheit wird meist als ein warmes und wohliges
Gefühl empfunden. Etwas was Kraft gibt und Halt. Die Fähigkeit, sich verbunden zu
fühlen, ist Teil der biologischen Natur des Menschen, so der Neurobiologe Gerald
Hüther. Er weist darauf hin, dass Menschen sich nur entwickeln konnten, weil sie
mehr oder weniger in Liebe verbunden waren:
Take 7
(Gerald Hüther)
0`30
Daraus kann natürlich auch ein anderes Bewusstsein werden, dass wir anfangen
zu verstehen, dass wir auf dieser Erde als Menschen gar keine Einzelwesen
sind, dass es den einzelnen Menschen gar nicht gibt, sondern dass wir nur das
sind, was wir sind und auch nur das werden konnten was wir heute sind, weil wir
es geschafft haben, Erfahrungen miteinander zu teilen, auch über Generationen
hinweg. Erfahrungen, das ist eigentlich das große Geheimrezept, was Menschen
erst zu dem gemacht hat, was Menschen heute sind.
Autorin
Befragt man Menschen, was sie wirklich glücklich macht, dann kommt als erstes:
Familie und Freunde. Der Mensch ist ein soziales Wesen und von Natur aus zu
Kooperation und Vernetzung fähig, wie man heute weiß. Dennoch schaut er meist
nicht auf das was ihn mit anderen verbindet, sondern fühlt sich – besonders wenn er
leidet - isoliert und getrennt. Wenn Angst und Misstrauen, Neid, Gier und Konkurrenz
das Leben bestimmen, können Gefühle der Verbundenheit nicht wahrgenommen
werden:
Musik 4.... (einblenden unter Take 8 ab: „Die eine Grunderfahrung...)
Take 8
(Gerald Hüther)
0`54
Vordergründig können die alle herumackern und nach Geld streben, im
Herzen weiß jeder, dass das Quatsch ist, dass es auf was anderes ankommt.
Und das hängt mit zwei Grunderfahrungen zusammen, die jeder Mensch
schon vor der Geburt gemacht hat und diese sitzen ganz tief im Gehirn
verankert. Die eine Grunderfahrung die wir alle gemacht haben: wir waren
aufs Engste und zwar auf unvorstellbar enge Weise mit einem anderen
Menschen verbunden. Das geht nicht wieder weg und wenn man dann auf die
Welt kommt und plötzlich aus dieser Verbundenheit herausfällt, ist klar, dann
hat man die Erwartungshaltung, die Hoffnung, dass man wieder in Verbindung
kommt. Und das bleibt dann zeit-lebens eine Sehnsucht, dass man in
Verbindung bleiben möchte mit anderen.
Autorin
Und noch eine Verbindung stiftende Grunderfahrung hat jeder Mensch schon vor der
Geburt gemacht:
Take 9 (Gerald Hüther)
0`47
Die heißt, wir sind gewachsen, unvermeidlich, erst mal körperlich, dann auch
mental, geistig, psycho-emotional in unseren Fähigkeiten und Fertigkeiten.
Eigentlich jeden Tag als Kind ein Stück über uns hinaus gewachsen, das
ist auch im Hirn als implizite Erfahrung verankert. Und aus dieser Erfahrung
erwächst dann diese Erwartungshaltung oder diese Sehnsucht, dass man im
Leben Gelegenheiten finden möge, um wieder wachsen zu dürfen. Da haben wir
die beiden Grundbedürfnisse. Wir alle wollen wachsen und zeigen was wir können,
unsere Potenziale entfalten, frei sein und wir alle wollen gleichzeitig dazugehören,
gewertschätzt werden und uns aufgehoben wissen. Diese beiden Grundbedürfnisse hat auch noch ein Mensch wenn er 80 ist, die gehen nie weg.
(Musik soll hier weg sein)
Autorin
Nicht alle Menschen sind gleich fähig, Verbundenheit zu empfinden. Wer als Kind
echte Verbundenheit erlebt hat, wächst auf mit dem natürlichen Gefühl, dem Leben
vertrauen zu können und in dieser Welt geborgen zu sein. Wer jedoch ohne sichere
Bindung oder in einer zu engen Umklammerung aufgewachsen ist, wird sich später
eher schwer tun, sich zugehörig und verbunden zu fühlen. Doch jede und jeder wird
sich an Momente der Verbundenheit erinnern. Das kann ganz unerwartet geschehen,
indem man Liebe oder Mitgefühl für jemanden empfindet, einem anderen selbstlos
hilft, Dankbarkeit verspürt oder zu Tränen gerührt ist.
Die Lebenswege hin zu mehr Verbundenheit können manchmal sehr verschlungen
sein. Christine Beck, gelernte Krankenschwester, hatte eine schwierige Kindheit. Sie
war immer auf der Suche nach Antworten für ihr persönliches Leben. Unglück und
Leid in der Familie sowie eine tiefgreifende Unzufriedenheit mit sich selber lasteten
auf ihr. Als junge Frau war sie zehn Jahre Nonne bei den Benediktinerinnen, später
lernte sie Zen-Meditation. Sie habe eine Odyssee durch die Religionen und die
Literatur gemacht, erzählt sie:
Musik 5.... (unter Take 11 ausblenden)
Take 10
(Christine Beck)
0`38
Irgendwann mal hatte ich so etwas wie eine Initialzündung. Da ist mir aufgegangen, dass ich mein Leben wirklich in Dankbarkeit hinbringen kann. Ganz
intensiv, viel intensiver als vorher und dass es für mich die Lösung ist. Ich
brauche nicht mehr nach Erleuchtung zu suchen, ich brauche eigentlich gar
nicht mehr suchen, ich habe alles und das macht mich dankbar. In einem
Zustand großer Ernüchterung und Kraftlosigkeit hat mich das überwältigt, sag
ich jetzt mal, weil es auch so ein Augenblick war. Ich habe es so in der Form
nicht gesucht, keineswegs erkämpft, es wurde mir einfach so in den Schoß
gelegt, sage ich mal.
Autorin
Über die Dankbarkeit entdeckte sie ihre Verbundenheit. Wer aufrichtig dankbar ist,
fühlt sich automatisch verbunden. Es geschah in einem Seminar. Da ging es nicht
um die großen Ereignisse im Leben, sondern um die unendlich vielen Kleinigkeiten,
die man als Mensch vom ersten Lebenstag an bekommen hat und an die man
vielleicht noch nie gedacht hat:
Take 11
(Christine Beck)
0`28
Ein Resultat war für mich, diese Verbundenheit zu erkennen, nicht gleich am
ersten Tag, aber so nach und nach. Früher hab ich da dran gedacht und hab es
mir gewünscht, heute weiß ich und ich fühle, dass ich mit allem verbunden bin,
ob ich das will oder nicht. Ich bin mit allem verbunden, mit allen Dingen, allen
Menschen, auch mit denen, wo es mir vielleicht nicht so ganz recht ist. Wir sind
einfach miteinander ganz eng verbunden. Das hat einen sehr schweren Aspekt
und einen sehr schönen.
Musik 6.....
Zitator
Im Herzen jedes Menschen finden sich unbequeme, störende, negative
Eigenschaften oder Kräfte. Es ist eine unserer heiligsten Pflichten, ihnen freundlich
und nachsichtig zu begegnen.... Sobald wir beschließen, uns in innerer Gastlichkeit
zu üben hört alle Selbstquälerei auf. Die verlassenen, vernachlässigten, negativen
Selbste verschmelzen zu nahtloser Einheit... Die Seele liebt die Einheit.
John O`Donohue
Autorin
Die Erfahrung von wahrer Verbundenheit geht über eine heilsame Beziehung zu sich
selbst und zu anderen hinaus. In der Meditation oder im Gebet kann ein noch tieferes
Gefühl von Einheit erfahren werden. Die religiösen und spirituellen Wege lehren auf je
eigene Weise, wie der Mensch in der Hinwendung zum Göttlichen oder Absoluten
tiefes Einssein erfahren kann. In der christlichen wie auch in der östlichen Mystik gibt
es den Grundgedanken:
Zitator
„Alles ist mit allem verbunden.“
Take 12
(Katharina Ceming) 1`05
Es gibt eine Verbundenheit, die viel tiefer geht als das was wir in unserer
alltäglichen Erfahrung so wahrnehmen. Die ist aber darin gegründet, dass es
eigentlich gar keine Unverbundenheit gibt. Also unsere alltägliche Wahrnehmung von einer radikalen Getrenntheit basiert eigentlich auf einer falschen
Sicht der Dinge, die dann einen ganzen Rattenschwanz von Übeln nach sich
zieht. Gewalt, Unterdrückung, also all die negativen Seiten. Weil und das ist
das Konzept was dahinter steht, diese Wirklichkeit, in der wir uns bewegen,
letzlich nur eine einzige ungeteilte Wirklichkeit ist, an der wir alle als diese eine
Dimension auch partizipieren. Nur unser Alltagsbewusstsein sieht nicht die
Einheit, sondern sieht die Differenz. Das ist die Tragik, dass wir eigentlich in
dieser Verbundenheit stehen, in dieser Einheit, die alles durchdringt, aber
gleichzeitig gar keine Ahnung davon haben. Und das dann oft als schmerzhaft
in unserem alltäglichen Leben auch erfahren.
Zitator
„Alle Winkel offenbaren ihn. Er wähnt, Gott zu entfliehen, und läuft ihm in den Schoß.
Und Gott gebiert seinen eingeborenen Sohn in dir, es sei dir lieb oder leid, ob du
schläfst oder wachst; er tut das Seine.“
Autorin
So hat Meister Eckhart, einer der größten christlichen Mystiker, die göttliche
Dimension beschrieben, von der alle Menschen durchdrungen sind. Meister Eckhart
hat schon vor 700 Jahren beschrieben, dass sowohl der westliche wie der östliche
Weg letztlich zur gleichen Erfahrung führen: zur Einheit mit dem Göttlichen, zum
Einssein mit dem Ewigen:
Take 13
(Katharina Ceming)
0`42
Im Christentum haben wir diesen Gedanken meines Erachtens ganz stark in
der jesuanischen Lehre, wo es um die Gotteskindschaft geht. Alle Menschen
sind Geschöpfe des einen himmlischen Vaters und damit sind sie natürlich
auch untereinander verbunden in dieser über-fließenden Liebe des Vaters zur
Welt, in die wir uns hineinbegeben können, von der wir uns ergreifen lassen
können, von der wir uns durchdringen lassen können und wenn es uns gelingt,
aus der wir dann auch ganz anders in der Welt handeln können, was dann zu
so was führen konnte wie der Idee der Feindesliebe.
Autorin
Die Feindesliebe ist im Christentum die Steigerung der Nächstenliebe. Diese gilt
als Werkzeug, um Verbundenheit zu kultivieren. Den Nächsten zu lieben kann
jedoch erfahrungsgemäß eine große Herausforderung sein. Spätestens wenn der
nervige Nachbar vor der Tür steht, sei es mit der Nächstenliebe meist schnell
vorbei, meint Katharina Ceming. Sie bedauert, dass es in der christlichen Tradition,
anders als beispielsweise im Buddhismus, nur wenig konkrete Anweisungen
im Sinne von meditativen Übungswegen gibt, um echtes Mitgefühl und tiefe
Verbundenheit zu entwickeln:
Take 14 (Katharina Ceming) 0`37
Allerdings wissen wir aus der Geschichte der Spiritualität in allen Traditionen:
eine Erfahrung einer tiefen Einheit oder Verbundenheit mit dem Göttlichen
führt nicht automatisch dazu, dass die Menschen besonders nett und freundlich miteinander umgehen, was ja durchaus auch ein Teil dieses Ausdrucks
von Verbundenheit miteinander ist. Und man muss auch fairerweise zugeben,
auch in den Traditionen, in denen sehr stark die meditative Einübung im
Vordergrund stand, waren es wahrscheinlich relativ wenige Menschen, die
das wirklich als einen existentiellen Dauerzustand erfahren haben.
Autorin
In den östlichen Traditionen gibt es eine Fülle von Meditationsformen und Techniken,
die helfen sollen, Verbundenheit und Einssein zu erfahren. Der christliche Weg ist die
Kontemplation und die bekannteste Form das Herzensgebet. Es ist ein meditativer
Versenkungsweg, den die Psychotherapeutin Alexia Meyer-Kahlen seit vielen
Jahren geht:
Musik 7.....
Take 15 (Alexia Meyer-Kahlen)
0`41
Ist eigentlich was sehr Einfaches, es ist ein Hinwenden auf Gott in mir, in meinem
Allerinnersten. Und dann einfach ein Warten, ein Empfangen. Dieses auszuhalten, dieses immer wieder in die kontemplative Praxis gehen, immer wieder in
dieses warten und lauschen. Das ist der Weg und dann kommt irgendwann der
Punkt, wo wirklich irgendwas entgegen kommt. Es ist dann wirklich so als würde
Gott einen in die Kontemplation ziehen. Das hört sich jetzt vielleicht sehr
abgehoben an, aber es ist eigentlich etwas sehr Einfaches. Es ist einfach eine
tiefe Ruhe, Frieden. Aber das ist gar nicht das Entscheidende. Das
Entscheidende ist ein Hineingenommenwerden.
Autorin
Meditierende Menschen wissen: wenn der Geist ruhig und ausgeglichen ist, hört
er auf zu beurteilen und zu verurteilen. In der Stille des Gewahrseins können sich
innere Tore öffnen hin zu einer Verbundenheit mit dem Sein oder mit der Schöpfung.
Die subjektiven Erfahrungen von Menschen, die seit vielen Jahren regelmäßig
meditieren, ähneln sich. Es wird berichtet, dass sie tiefe Zustände von Ruhe und
Frieden erleben, Gedankenstille, Klarheit, Verbundenheit und Einssein.
Mystische Einheitserlebnisse in der Meditation sind keine Einbildung, sie lassen
sich im Gehirn nachweisen. Mit bildgebenden Verfahren lässt sich zeigen, dass in
Phasen tiefer spiritueller Verbundenheitserfahrungen der obere Scheitellappen deutlich weniger durchblutet ist. Und zwar genau in dem Bereich, der für die räumliche
Orientierung und Wahrnehmung der Körpergrenzen zuständig ist. Der menschliche
Geist erlebt diese subjektiv empfundene Raumlosigkeit als Einheitsgefühl.
Durch die Meditationsforschung und die Quantenphysik wird altes Wissen heute
immer mehr bestätigt. Für den Quantenphysiker ist alles miteinander verbunden,
hat alles hat Bewusstsein. Hans-Peter Dürr, der kürzlich verstorbene Quantenphysiker, hat immer wieder die Naturvergessenheit des Menschen beklagt. Wir seien
zutiefst miteinander verbunden, wenn wir das nur erkennen würden, meinte er. Im
Gebet sah er für sich selbst eine Möglichkeit, diese Verbundenheit zu erfahren:
Take 16 (Hans Peter Dürr)
0`51
Das Gebet ist etwas, dass ich versuche mich zu trennen von den ganzen
Ereignissen, die um einen herumtoben, in eine Stille hereinzukommen, um
eine höhere Sensibilität zu haben, wo die Wahrnehmung viel empfindsamer
ist. Das ist ein Zustand, wo man sich selber ein bisschen vergisst. Es ist so ein
Gefühl, dass man auf einmal in einen Zustand kommt, wo ein warmer Wind
durch einen weht oder so und kann es gar nicht beschreiben, sondern man ist
auf einmal Teilhabender und nicht Beobachtender. Dass man auf einmal Teil
wird von etwas Anderem ohne dass man fordert. Dass das andere sich mir
zuneigt und mir Antwort gibt auf das was mich vorher bedrängt hat.
Autorin
Solche Momente habe er erlebt wie ein Eintauchen in eine Gemeinschaft, erzählt
Hans-Peter Dürr:
Take 17
(Hans Peter Dürr)
0`40
Was dann auch so ein anderes Gefühl des Ich ergibt, dass ich gar nicht mehr
weiß, dass das Ich, das da jetzt beteiligt ist, vergisst, dass da drunter HansPeter steht. Ich weiß gar nicht, bin ich nun diese Person oder bin ich in einer
größeren Gemeinschaft, wo ich einfach mitmache und meine individuelle
Bedürfnisse gar nicht im Vordergrund stehen, sondern mehr das Gefühl, dass
ich in eine Gemeinschaft hereinkomme, die viel ergiebiger ist als das was ich
selber begreifen kann. Deshalb sage ich gern: wir erleben mehr als wir
begreifen.
(Musik kurz hochziehen und wegblenden)
Autorin
Es gibt derzeit ein großes Unbehangen an unserem gesellschaftlichen System. Viele
sind die Ellenbogengesellschaft leid und wollen so nicht mehr leben. Sie sehnen sich
nach tieferem Sinn in ihrem persönlichen Leben. Verbundenheit ist eine sinnstiftende
und haltgebende Kraft. Diese als solche zu verstehen und im Alltag zu leben, ist für
die Psychotherapeutin Marita von Berghes ein Anliegen.
Take 18
(Marita von Berghes)
0`47
Ich habe einfach eine ganz ganz große Liebe zu Blumen. Ich habe immer viele
viele Blumen, wo ich jede einzelne Blüte wahrnehmen kann und hab dadurch
eine andere Atmosphäre im Raum und freue mich einfach jeden Tag über die
Einzigartigkeit jeder Blüte. Und sie blühen einfach länger, wenn man sie liebevoll begießt und einsteckt. Dasselbe mache ich mit Essen. Ich weiß, wenn ich
das Essen liebevoll zubereite, schmeckt es anders. Es hat eine ganz andere
Energie. Es ist immer mit einer feinsten Schwingung der Liebe verbunden.
Autorin
Die Empfehlungen von Menschen, die sich in ihrem persönlichen Leben um mehr
Verbundenheit bemühen, könnte man so zusammenfassen: in die Natur gehen und
sich für feine Schwingungen öffnen, Liebe und Mitgefühl entwickeln, Dankbarkeit
kultivieren. Und nicht zuletzt: Gemeinschaft mit anderen suchen, individuelle Fähigkeiten einbringen und kooperieren.
Was tun Menschen nicht alles, um sich verbunden zu fühlen. Sie suchen Kontakte
in Gruppen, Vereinen und sozialen Netzwerken. Sie bemühen sich um Liebe und
Freundschaft, entwickeln Interessen und Fähigkeiten. Gelegenheit bietet sich zum
Beispiel in sog. Tauschringen. Ein Tauschring ist eine für jeden offene, sich selbst
organisierende Gemeinschaft und eine bewährte Möglichkeit, Verbundenheit im
Alltag zu leben. Es gibt viele Tauschringe hierzulande. Alle sind miteinander vernetzt und sie haben eine eigene Währung:
Take 19
(Bettina)
Unsere Währung heißt Talente hier in unserem Kreis. Jeder hat hier Talente,
damit arbeiten wir. Jeder kann irgendwas und wenn er nur auf den Hamster
aufpasst oder Blumen gießt. Es gibt immer etwas was man füreinander tun
könnte.
(Atmo Tauschkreis ...)
Autorin
Bettina ist seit zehn Jahren dabei. Jeden ersten Samstag im Monat treffen sich
Mitglieder des Tauschrings Rhein-Westerwald im Cadillac Museum in Hachenburg.
Gleich neben dem Eingang stehen allerhand Dinge auf dem Tisch: Tomatenpflänzchen, Esskastaniensprösslinge, Bohnen und Erbsen, Aloe Vera Pflanzen,
Bücher, Spielzeug und vieles mehr. Auch Salate und Kuchen. An diesem Samstag
sind fünfzehn Frauen und Männer gekommen, in allen Altersgruppen. Eine gesellige
Runde, in der sich die meisten gut kennen:
Take 20
Panhaus)
1`15
(Bettina) Wir tauschen Dienstleistungen, Gegenstände, Saatgut, Erfahrungen,
Kleider, Lebensmittel. Das hat damit zu tun, dass wir die Ressourcen schonen
wollen und achtsamer mit den Dingen umgehen und schauen, was brauchen
wir wirklich. (Gertrud) Ganz viel läuft hier über Ideen. Ach so machst du das,
ich mach das so und und und. Das ist ein Geben und Nehmen. Das ist das
was bei mir Verbundenheit ausmacht. (Andy) Der Uli ist ja auch mit im
Tauschring, ich helfe ihm Auto reparieren, dafür hab ich einen Stellplatz. Da
können wir uns gegenseitig helfen. Kostet keine Euros, kann man mit Talenten
tauschen, wunderbar. (Bettina) Rainer, unser großer Bastler, was der alles
aus Dingen hervorzaubert, was andere weggeschmissen haben. Schneckenzäune zum Beispiel und was nicht alles. (Rainer) Das ist ein Urgefühl würde
ich fast sagen. Mir liegt sehr die Natur am Herzen, weil ich sehr früh schon
in der Natur gelebt habe und ich kann nicht sehen, wie sinnlos die Natur
verbraucht und vernichtet wird.
Autorin
Ein Tauschring bietet nebenbei die Möglichkeit, sich eigener Fähigkeiten und Fertigkeiten bewusst zu werden und neue zu entwickeln. Ein lebendiges Beispiel für das,
was Glücksforscher herausgefunden haben: Glück erwächst aus Verbundenheit, aus
der Gemeinschaft mit anderen und aus kreativer Tätigkeit:
Take 21
(Bettina)
0`16
Wir sind alle Mitbewohner eines Planeten, wir kommen alle aus dem Meer, wir
sind irgendwo alle miteinander verbunden in unserem Schicksal, ob wir das
annehmen wollen oder nicht. Ich finde es schöner, wenn ich aktiv mitwirken
kann, mitentscheiden kann. Wir können ja nicht die Welt ändern, aber wir
können an uns arbeiten und miteinander.
Autorin
Das Leben ist ein großes Übungsfeld für Verbundenheit. Mal zur Freude, mal zur
Auseinandersetzung. Den darin liegenden inneren Reichtum zu erkennen und
leben zu können, ist Teil der Lebenskunst. Die Erfahrung, in der Welt zu sein
und zu einem größeren Ganzen dazuzugehören – für manche istdas wie ein
Geborgensein in einer großen Lebensgemeinschaft:
Musik 8....
Take 22
(Marita von Berghes)
0`48
Ich öffne mich für die göttliche Fülle meistens in der Meditation, indem ich
mich erst mit einer Atemübung hinsetze und dann mich für das Thema öffne,
dass Gott Fülle ist, dass Gott Liebe ist, dass ich den göttlichen Kern in mir
habe, dass meine Seele göttlich ist und alle Menschen um mich herum auch
göttlich sind. Und wenn ich weiß, dass wir Menschen alle eins sind, dann kann
ich das verteilen. Es fließt einfach von Mensch zu Mensch, von Tier zu Tier, zu
den Pflanzen, zu den Steinen und überall hin. Das ist einfach ein Grundgefühl
von uns Menschen. Wenn wir das spüren, so erlebe ich das wenigstens, dann
sind wir glücklich.
(Musik nochmals hochziehen...)
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