7_Besprechungsfall 2015

Juristische
Fakultät
Übung im Strafrecht
für Anfänger
Prof. Dr. Frank Saliger
Lehrstuhl für Strafrecht,
Strafprozessrecht, Wirtschaftsstrafrecht und Rechtsphilosophie
Sachverhalt
Das Einzelkind T will seinen Vater (V) umbringen, um an dessen Erbschaft zu gelangen. Dafür will er den verwitweten V, der kein Testament gemacht hat, in seinem Landhaus aufsuchen. Weil er keinen Führerschein hat, bittet er seinen Kumpel (K), ihn zum Haus des V zu
fahren. Während K im Auto wartet, geht T ins Haus und wird von seinem Vater begrüßt.
Nachdem T dem V – wie geplant – mehrere Minuten lang Vorwürfe „wegen seines verkorksten Lebens“ gemacht hat und es der V, der die gewalttätigen Neigungen seines Sohnes
kennt, schon seit langem mit der Angst zu tun bekommen hatte, stürzt sich der T auf V und
erstickt ihn mit einem Kissen. Zufrieden lässt sich T von K wieder nach Hause fahren. K
wusste über Plan und Motivation des T Bescheid, hatte selbst jedoch kein Eigeninteresse am
Tod des V, sondern wollte dem T einfach einen Gefallen tun.
K ist von seinem Verhalten aufgewühlt. Am nächsten Tag setzt er sich daher wieder in sein
Auto und fährt los, um sich auf andere Gedanken zu bringen. Auf der Landstraße trifft er auf
den langsam fahrenden Radfahrer R und beschließt, diesen zu überholen. Während des
Überholvorgangs hält K jedoch aus Unachtsamkeit nicht den gebotenen Sicherheitsabstand
zu R ein. Als K mit seinem Auto dann gerade auf der Höhe des R an diesem vorbei fahren
will, zieht der für K unerkennbar stark angetrunkene R aufgrund einer alkoholbedingten
Kurzschlussreaktion sein Fahrrad plötzlich nach links und wird vom Auto des K erfasst. R
stürzt, gerät unter den rechten Hinterreifen und wird in den Straßengraben geschleudert.
Durch den Aufprall ist er sofort tot. Später wird festgestellt, dass sich der Unfall möglicherweise auch bei Einhaltung des gebotenen Sicherheitsabstandes nicht hätte vermeiden lassen.
Ks Gemütszustand hat sich durch den Vorfall noch erheblich verschlechtert. Er beschließt
daraufhin, seine Stimmung durch die Einnahme von Kokain zu verbessern. Da er seine Nasenschleimhaut nicht beeinträchtigen möchte, beschließt er, sich das Kokain intravenös zuzuführen. Er bittet daher den T als Gegenleistung für seinen Gefallen, ihm eine Spritze zu
besorgen. T, der sieht, dass K erkennbar noch bei klarem Verstand ist und die Gefahren des
Drogenkonsums kennt, kommt diesem Wunsch nach. Die Drogen holt sich K dagegen bei
seinem alten Bekannten X. Auch dieser weiß, dass K ein bewusster Gelegenheitskonsument
ist und sein Handeln einschätzen kann. Versehentlich gibt er ihm jedoch Heroin, das optisch
nicht von Kokain zu unterscheiden, aber wesentlich gefährlicher ist, und das K ungekennzeichnet in derselben Schublade aufbewahrt. Wieder zu Hause, zieht K das Heroin auf die
von T besorgte Spritze und injiziert es sich. Das Heroin führt zu einer Lähmung der Atemmuskulatur des K, an der dieser wenig später verstirbt.
Wie haben sich T, K und X nach dem StGB strafbar gemacht? K ist trotz seines Todes (der
ein Verfahrenshindernis darstellt) zu prüfen.
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Lösungsskizze
1. Tatkomplex: Der Tod des V
A.
Strafbarkeit des T gem. §§ 212 I, 211 I, II Gr. 1, Var. 4 StGB 1
T könnte sich wegen Mordes gem. §§ 212 I, 211 I, II Gr. 1, Var. 4 strafbar gemacht haben,
indem er den V mit einem Kissen erstickte.
I.
Tatbest and
1.
Objektiver Tatbestand
Der Erfolg, der Tod des V, ist eingetreten. Hätte T ihn nicht mit einem Kissen erstickt, hätte V
überlebt, so dass die Handlung des T auch für diesen Erfolg kausal war. Der Tod des V ist T
zudem objektiv zurechenbar.
T könnte des Weiteren heimtückisch gehandelt haben. Dafür hätte er die auf Arglosigkeit
beruhende Wehrlosigkeit des V ausnutzen müssen. Arglos ist, wer sich keines Angriffs auf
sein Leben oder seine körperliche Unversehrtheit bewusst ist. V kannte hingegen die gewalttätigen Neigungen seines Sohnes und hatte während der langen Konfrontation schon Angst
bekommen. Er war sich daher des Angriffs bewusst und mithin nicht arglos. T handelte nicht
heimtückisch.
2.
Subjektiver Tatbestand
Der T muss vorsätzlich gehandelt haben. Vorsatz ist der Wille zur Verwirklichen des Tatbestands in Kenntnis aller objektiven Tatumstände. T kam es gerade darauf an, den V zu töten.
Er handelte insofern sogar absichtlich.
Weiterhin könnte er aus Habgier gehandelt haben, also ein subjektives Mordmerkmal erfüllt haben. Habgier ist das übersteigerte, verwerfliche Gewinnstreben um jeden Preis, auch
den eines Menschenlebens. T wollte an das Erbe des V kommen und strebte insofern einen
Gewinn an. Diesem Gewinn ordnete er das Leben des V unter. Er handelte daher habgierig.
II.
Rechtsw idrigkeit
Es sind keine Rechtfertigungsgründe ersichtlich. T handelte daher rechtswidrig.
III.
Schul d
Er handelte auch schuldhaft.
IV.
Ergebnis
T hat sich wegen Mordes an V strafbar gemacht.
B.
Strafbarkeit des K gem. §§ 212 I, 211 I, II Gr. 1, Var. 4, 27 I
K könnte sich wegen Beihilfe zum Mord gem. §§ 212 I, 211 I, II Gr. 1, Var. 4, 27 I strafbar
gemacht haben, indem er den T zum Haus seines Vaters fuhr.
1
§§ ohne Gesetzesangaben sind im Folgenden solche des StGB.
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I.
Tatbest and
1.
Objektiver Tatbestand
a.
Vorsätzliche, rechtswidrige Haupttat
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Der Mord des T an V stellt eine vorsätzliche rechtswidrige Haupttat dar.
b.
Hilfeleisten
K fuhr den T zum Haus des V. Er war nicht am Tatort direkt anwesend, sondern wartete im
Auto, verwirklichte kein Tatbestandsmerkmal eigenhändig, leistete keinen wesentlichen Planungsbeitrag leistete und hatte auch keinerlei Interesse an der Tat, sondern wollte dem T nur
einen Gefallen tun. Er war daher nach keiner Ansicht Täter, könnte jedoch zum Mord des T
Hilfe geleistet haben. Hilfe leistet derjenige, der die Haupttat des Täters in irgendeiner Weise
ermöglicht oder erleichtert. Hätte K den T nicht zum Tatort gefahren, wäre dieser mangels
Führerscheins nicht oder schlechter dorthin gekommen. Der Beitrag des K förderte daher die
Haupttat und war sogar für ihre Begehung in der konkreten Form mitursächlich. K leistete
daher physisch Hilfe.
2.
Subjektiver Tatbestand
K kannte Plan und Motivation des K und half ihm trotzdem bereitwillig. Er hatte daher Vorsatz sowohl bezüglich des Mordes des T als auch bezüglich seines eigenen Gehilfenbeitrags. Eigene subjektive Mordmerkmale sind jedoch bei ihm nicht ersichtlich.
3.
Akzessorietätslockerung
T wies keine eigenen Mordmerkmale auf, sondern wusste nur, dass der T aus Habgier handelte. Insofern könnte er gem. § 28 II nur wegen Beihilfe zum Totschlag strafbar sein. Dafür
muss § 28 II anwendbar sein. Dies ist nur der Fall, wenn die Habgier, das subjektive Mordmerkmal, das T verwirklicht hat, als strafschärfendes besonderes persönliches Merkmal
eingeordnet wird. Das subjektive Mordmerkmal macht einen Teil des Unrechts der Tat aus
und stellt insofern ein besonderes persönliches Mordmerkmal und nicht nur ein Merkmal der
Schuld i.S.d. § 29 dar. Es ist aber nur dann als strafschärfend und nicht als strafbegründend
gem. § 28 I – mit der Folge der Annahme einer Beihilfe zum Mord und lediglich einer Strafmilderung – einzustufen, wenn § 211 als Qualifikation zum Totschlag und nicht als ein eigenständiger Tatbestand gesehen wird. Für die Eigenständigkeit der Tatbestände könnte
man zunächst den Wortlaut anführen. So spricht § 212 I vom „Totschläger“ und § 211 vom
„Mörder“. Zudem ist es systematisch gesehen ungewöhnlich, dass die Qualifikation vor dem
Grundtatbestand steht. Allerdings wird dieses Argument bei der Erörterung des Verhältnisses zwischen dem Raub und der räuberischen Erpressung auch nicht als zwingend angesehen und ist es denkbar, dass der Mord als schwerstes, mit zwingender lebenslanger Freiheitsstrafe zu bestrafendes Delikt aus symbolischen Gründen an erster Stelle steht. Der
Wortlaut ist zudem ein Relikt aus der Zeit des Täterstrafrechts, das nicht mehr dem heutigen rechtsstaatlichen Strafverständnis eines Tatstrafrechts entspricht. Es gibt nicht den
„Mörder“ oder „Totschläger“, sondern nur eine Person, die gewisse Tatbestandsmerkmale
verwirklicht, die zu einer Bestrafung wegen Mordes oder Totschlags führen. Die Tatbestandsmerkmale des Totschlags, die zurechenbare Verursachung des Todes eines Menschen, sind zudem vollständig in denen des Mordes enthalten und werden nur durch zusätzliche Merkmale, die Mordmerkmale, ergänzt. Dies stellt aber die typische Struktur einer
Qualifikation – eine Qualifikation fordert alle Merkmale des Grundtatbestandes plus mindes-
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tens ein zusätzliches Merkmal – dar. Zudem ermöglich die Anwendung des § 28 II in allen
Konstellationen, also auch dann, wenn nur der Teilnehmer und nicht der Haupttäter ein
Mordmerkmal aufweist oder beide jeweils verschiedene Mordmerkmale verwirklichen, eine
dogmatisch klare und angemessene Lösung, ohne aus Billigkeitsgründen auf Hilfskonstruktionen wie die der gekreuzten Mordmerkmale zurückgreifen zu müssen. Insofern ist es vorzugswürdig, den Mord als Qualifikation des Totschlags zu sehen und somit die subjektiven
Mordmerkmale als strafschärfend i.S.d. § 28 II einzustufen. § 28 II ist daher anwendbar und
K nur wegen Beihilfe zum Totschlag gem. § 212 I, 27 I zu bestrafen.
II.
Rechtsw idrigkeit und Schuld
K handelte rechtswidrig und schuldhaft.
III.
Ergebnis
K hat sich daher nur, aber immerhin wegen Beihilfe zum Totschlag gem. § 212 I, 27 I strafbar
gemacht.
2. Tatkomplex: Der Tod des Radfahrers
A.
Strafbarkeit des K gem. § 222
K könnte sich wegen fahrlässiger Tötung gem. § 212 I strafbar gemacht haben, indem er R
anfuhr.
I.
Tatbest andsmäßigkeit
1.
Erfolgseintritt
Der tatbestandliche Erfolg, der Tod des R, ist eingetreten.
2.
Kausalität
Hätte der K den R nicht angefahren, wäre dieser nicht gestorben. Die Handlung des K war
daher kausal i.S.d. conditio-sine-qua-non-Formel.
3.
Objektive Sorgfaltspflichtverletzung
K muss daneben objektiv sorgfaltswidrig gehandelt haben. Art und Maß der anzuwendenden
Sorgfalt ergeben sich aus den Anforderungen, die bei einer Betrachtung der Gefahrenlage
ex ante an einen besonnenen Menschen in der konkreten Lage und der sozialen Rolle des
Handelnden zu stellen sind. Vorliegend ergibt sich aufgrund von § 5 IV Satz 2 StVO, dass
beim Überholen ein ausreichender Seitenabstand zu anderen Verkehrsteilnehmern, insbesondere Fußgängern und Radfahrern, einzuhalten ist. Dadurch dass K den gebotenen Sicherheitsabstand zu R nicht einhielt, hat er gegen dieses Gebot verstoßen und somit die
objektiv im Verkehr erforderliche Sorgfalt außer Acht gelassen.
4.
Objektive Vorhersehbarkeit
Aus der Sicht eines umsichtig handelnden Menschen unter den gegebenen Umständen war
die Kollision mit R aufgrund allgemeiner Lebenserfahrung auch objektiv vorhersehbar.
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5.
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Objektive Zurechnung
Weiterhin muss der eingetretene Verletzungserfolg dem K auch objektiv zugerechnet werden
können. Die objektive Zurechnung liegt vor, wenn der Täter ein rechtlich missbilligtes Risiko
geschaffen hat, das sich im Erfolg verwirklicht hat. Im vorliegenden Fall könnte es am
Pflichtwidrigkeitszusammenhang fehlen. Der Pflichtwidrigkeitszusammenhang entfällt auf
jeden Fall, wenn der Erfolg auch beim rechtmäßigen Alternativverhalten mit an Sicherheit
grenzender Wahrscheinlichkeit eingetreten wäre. Dem Sachverhalt ist zu entnehmen,
dass sich der Unfall (nur) möglicherweise bei Einhaltung des gebotenen Sicherheitsabstandes hätte vermeiden lassen. Insofern könnte man denken, dass der Pflichtwidrigkeitszusammenhang hier entfällt. Dabei darf die bloße gedankliche Möglichkeit des Erfolgseintritts
trotz rechtmäßigen Handelns nicht ausreichen, um den Pflichtwidrigkeitszusammenhang
entfallen zu lassen, da sonst die Möglichkeit einer Bestrafung wegen Unterlassungsdelikten
oder Fahrlässigkeitsdelikten zu stark eingeengt würde bzw. ganz entfiele. Vielmehr müssen
ausreichende tatsächliche Anhaltpunkte bestehen, die es vermögen, die richterliche Überzeugung zu erschüttern. Ein Überwiegen der Zweifel ist dafür allerdings nicht notwendig. Im
vorliegenden Fall bestanden wegen der starken Alkoholisierung des R und dessen darauf
beruhender Kurzschlussreaktion derartige tatsächliche Anhaltspunkte, die die Möglichkeit
des gleichen Geschehensverlaufs nahelegen und weit über eine bloße gedankliche Möglichkeit und pauschale Schutzbehauptung hinausgehen. Stellt man also auf die an Sicherheit
grenzende Wahrscheinlichkeit ab, wäre das Vorliegen des Pflichtwidrigkeitszusammenhangs
zu verneinen.
Man könnte es jedoch für die Bejahung des Pflichtwidrigkeitszusammenhangs ausreichen
lassen, dass der Täter die Gefahr für das Rechtsgut unerlaubt erhöht hat und der Erfolg bei
rechtmäßigem Alternativen immerhin möglicherweise ausgeblieben wäre. Stellt man auf diese Risikoerhöhung durch das sorgfaltswidrige Verhalten ab, wäre hier der Pflichtwidrigkeitszusammenhang anzunehmen. Für die letztere Ansicht spricht, dass dadurch der Schutz
für das Rechtsgut erhöht wird und das sorgfaltswidrige Halten des Täters nicht sanktionslos
bleibt. Allerdings schränkt man durch sie auch den Grundsatz in dubio pro reo ein und ändert
vor allem den Deliktscharakter der fahrlässigen Tötung vom Erfolgs- zum Gefährdungsdelikt.
Daher ist auf dem Vorliegen der an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit der Erfolgsvermeidung zu bestehen und die objektive Zurechnung hier zu verneinen.
II.
Ergebnis
K hat sich nicht wegen fahrlässiger Tötung strafbar gemacht.
B.
Strafbarkeit des K gem. § 315c I Nr. 2b, iVm. III Nr. 2
K könnte sich durch dieselbe Handlung wegen fahrlässiger Gefährdung des Straßenverkehrs
gem. § 315c I Nr. 2 lit. b iVm. III Nr. 2 strafbar gemacht haben.
I.
Tatbest and
1.
Führen eines Kfz
Indem K mit seinem Auto über die Landstraße fuhr, führte er ein Kfz.
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2.
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Grob verkehrswidriges und rücksichtsloses Fehlverhalten
Hier missachtete K den vorgeschriebenen Sicherheitsabstand beim Überholen gem. § 5 IV
Satz 2 StVO und überholte i.S.d. § 315c I, Nr. 2 lit. b falsch. Dieses Verhalten muss grob
verkehrswidrig gewesen sein, also einen besonders schweren Verstoß gegen die Vorschriften darstellen, sowie rücksichtslos, also durch Eigensucht oder aus Gleichgültigkeit gegenüber anderen Verkehrsteilnehmern motiviert sein. K handelte aus Unachtsamkeit. Zumindest
die Rücksichtslosigkeit ist daher zu verneinen
II.
Ergebnis
K hat sich nicht wegen fahrlässigen Eingriffs in den Straßenverkehr strafbar gemacht.
Exkurs
Der Erfolg der Gefährdung des Straßenverkehrs ist eine konkrete Gefahr für Leib, Leben
oder eine fremde Sache von bedeutendem Wert. Der Tod bzw. der Eintritt eines anderen
Schadens beinhaltet als Zwischenstadium die konkrete Gefahr. Der Erfolg hätte hier daher
vorgelegen. Auch bei § 315c wäre allerdings die objektive Zurechnung zu prüfen gewesen
und insofern zu fragen gewesen werden, ob gerade die objektive Sorgfaltswidrigkeit (hier in
der speziellen Form des Fehlverhaltens gem. der Nr. 2) für den Erfolgseintritt kausal war
(Pflichtwidrigkeitszusammenhang). Dieser wäre entsprechend der Argumentation bei § 222
zu verneinen gewesen. Es entspricht insofern einer guten Schwerpunktsetzung, § 315c
nicht mehr bzw. nicht mehr ausführlich zu prüfen. Die ausführliche Prüfung dient hier
didaktischen Gründen.
§ 315c kann in mehreren Varianten auftreten: Der Täter kann vorsätzlich handeln und vorsätzlich die Gefahr verursachen, er kann vorsätzlich handeln und dabei die Gefahr fahrlässig
herbeiführen (§ 315c I, III Nr. 1) oder er kann sowohl fahrlässig handeln als auch die Gefahr
fahrlässig herbeiführen (§ 315c I, III Nr. 2).
3. Tatkomplex: Der Tod des K
A.
Strafbarkeit des X gem. § 222
X könnte sich wegen fahrlässiger Tötung gem. § 222 strafbar gemacht haben, indem er K
Heroin verschaffte.
I.
Tatbest and
1.
Erfolg
Der Tod des K ist eingetreten.
2.
Kausalität
Hätte X dem K keine Drogen überlassen bzw. nur das ungefährlichere Kokain, wäre K nicht
gestorben. Die Handlung des X war daher kausal für den Tod des K.
3.
Objektive Sorgfaltspflichtwidrigkeit
K muss sorgfaltspflichtwidrig gehandelt haben. Hier kommen zwei Anknüpfungspunkte in
Betracht. Zum einen verstößt es gegen das Betäubungsmittelgesetz, einem anderen über-
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haupt Heroin zu überlassen, so dass K schon deshalb sorgfaltspflichtwidrig gehandelt hat.
Darüber hinaus könnte auch gerade die Verwechslung der Drogen sorgfaltspflichtwidrig gewesen sein. Heroin ist wesentlich gefährlicher als Kokain, wobei beide Substanzen von sich
aus schon sehr gefährlich sind und einen durchschnittlichen Drogendealer zum vorsichtigen
Umgang verpflichten. Zwar kann man von Drogendealern gewiss nicht eine Sorgfalt eines
Apothekers verlangen, jedoch ist auch für einen durchschnittlichen Menschen ohne spezielle
Ausbildung, der mit gefährlichen Substanzen umgeht, einsichtig, dass er zwei optisch nicht
zu unterscheidende, unterschiedlich gefährliche und potentiell tödliche Substanzen nicht ungekennzeichnet am gleichen Ort aufbewahren darf. Auch die Verwechselung beruhte daher
auf der Verletzung einer Sorgfaltspflicht.
4.
Objektive Vorhersehbarkeit
Einem durchschnittlichen Drogendealer dürfte bewusst sein, dass immer mit dem Tod eines
seiner Kunden zu rechnen ist und er sich auch mit den verschiedenen von ihm vertriebenen
Substanzen auskennt. Eine Verwechselung zweier gleich aussehender Stoffe in einer
Schublade ist ebenfalls nicht fernliegend. Dass dabei gerade das unterschiedliche Gefährdungspotential verschiedener Stoffe zu einem Unfall führt ist naheliegend. Der Todeseintritt
des K war daher objektiv vorhersehbar.
5.
Objektive Zurechnung
a.
Pflichtwidrigkeitszusammenhang
Hätte der X rechtmäßig gehandelt, also dem K keine Drogen verschafft, wäre dieser mit Sicherheit nicht verstorben. Auch die zusätzliche Pflichtwidrigkeit, das Verwechseln der Drogen, könnte nicht hinweggedacht werden, ohne dass der Tod des K entfiele. Der Pflichtwidrigkeitszusammenhang ist daher gegeben.
b.
Eigenverantwortliche Selbstgefährdung des K
Der Zurechnungszusammenhang könnte jedoch dadurch unterbrochen sein, dass der K sich
eigenverantwortlich selbst gefährdete. Auf die eigenverantwortliche Selbstgefährdung kann
zunächst nur dann abgestellt werden, wenn K Tatherrschaft über die unmittelbar todbringende Handlung hatte. Hier setzte er sich die Spritze selbst und verstarb allein in seinem
Zuhause. Insofern konnte allein er Einfluss auf das Tatgeschehen nehmen. Da X selbst
nichts von der Verwechslung bemerkt hatte und daher kein überlegenes Sachwissen besaß, hatte er auch keine Wissensherrschaft über K. T gefährdete sich somit selbst. Weiterhin
muss der K sich aber auch eigenverantwortlich selbst gefährdet haben. Zwar war K bei
klarem Verstand und nicht etwa so stark drogensüchtig, dass er überhaupt nicht mehr in der
Lage war, die mit Drogenkonsum verbundene generelle Lebensgefahr einzuschätzen. Hinsichtlich des Drogenkonsums als solchem handelte er insofern eigenverantwortlich. Allerdings irrte er sich darüber, dass es sich bei der von ihm verwendeten Droge um Heroin und
nicht um Kokain handelte. Angesichts der größeren Gefährlichkeit handelt es sich auch um
einen rechtsgutsbezogenen Irrtum, der die Eigenverantwortlichkeit entfallen lässt. Die objektive Zurechnung ist daher nicht aus diesem Grund unterbrochen.
c.
Schutzzweckzusammenhang
Das Gebot, beim Umgang mit Drogen sorgfältig umzugehen, dient dem Schutz des Lebens
der Abnehmer. Der Schutzzweckzusammenhang ist daher zu bejahen.
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Rechtsw idrigkeit und Schuld
X handelte rechtswidrig und schuldhaft.
III.
Ergebnis
X hat sich daher wegen fahrlässiger Tötung strafbar gemacht.
B.
Strafbarkeit des T gem. § 222
T könnte sich wegen fahrlässiger Tötung gem. § 222 strafbar gemacht haben, indem er dem
K die Spritze überließ.
I.
Tatbest and
1.
Erfolg
Der Tod des K ist eingetreten.
2.
Kausalität
Hätte T K die Spritze nicht gegeben, hätte sich dieser nicht mit ihr die tödliche Dosis Heroin
spritzen können, so dass er nicht auf diese Weise gestorben wäre. Die Handlung des T ist
daher kausal.
3.
Objektive Sorgfaltspflichtwidrigkeit
Weiterhin muss es objektiv sorgfaltspflichtwidrig gewesen sein, dem K die Spritze zu geben.
Generell handelt es sich bei einer Spritze um einen Alltagsgegenstand. Allerdings war hier
die Spritze gerade dazu bestimmt, dem K Drogen zuzuführen, so dass ihre Abgabe der illegalen Gesundheitsschädigung diente und insofern sorgfaltspflichtwidrig war.
4.
Objektive Vorhersehbarkeit
Es ist für einen durchschnittlichen Erwachsenen erkennbar, dass Drogenkonsum zum Tod
führt und insofern auch die Gabe der Spritze letztendlich zu diesem beitragen kann. Auf den
genauen Geschehensablauf, die Verwechslung der Rauschmittel, kommt es insofern nicht
an.
5.
Objektive Zurechnung
a.
Pflichtwidrigkeitszusammenhang
Hätte T dem K die Spritze nicht gegeben, hätte dieser überlebt.
b.
Eigenverantwortliche Selbstgefährdung
K könnte sich allerdings eigenverantwortlich selbst gefährdet haben. Insofern ist auch hier zu
sagen, dass er hinsichtlich des Irrtums über die Eigenschaft der Drogen nicht eigenverantwortlich handelte. Dieser Irrtum stellt allerdings nicht das typische Risiko dar, das mit der
Übergabe einer Spritze zum Drogenkonsum regelmäßig einhergeht. Insofern könnte die objektive Zurechnung trotz des Irrtums aus zu verneinen sein. Das Risiko der Verwechslung
steht in keinem inneren Zusammenhang mit der Übergabe der Spritze, und der K steht diesem Risiko auch viel näher als der T, der nur weit im Vorfeld in Erscheinung getreten ist. Es
kann aber nicht Sinn der Fahrlässigkeitsstrafbarkeit sein, das potentielle Opfer vor Risiken
durch sich selbst bzw. durch Dritte, denen das Opfer selbst näher steht und die in keinem
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Zusammenhang mit dem ursprünglichen Risiko stehen, zu schützen. Das reguläre Risiko,
das mit der Übergabe der Spritze einhergeht, hat K aber eigenverantwortlich auf sich genommen. Der Erfolg war dem T daher nicht zuzurechnen.
II.
Ergebnis
T hat sich nicht wegen fahrlässiger Tötung strafbar gemacht.
Ergebnis
T hat sich wegen Mordes gem. §§ 212 I, 211 I, II Gr. 1, Var. 4, K wegen Beihilfe zum Totschlag gem. §§ 212 I, 27 und X wegen fahrlässiger Tötung gem. § 222 strafbar gemacht.
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