Positionspapier Drogenpolitik

Legalisieren statt kriminalisieren: Für eine moderne
Drogenpolitik!
Vorschlag der Geschäftsleitung zuhanden der Delegiertenversammlung der JUSO Schweiz
vom 19. September 2015 in Liestal BL
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Einleitung
In den 90er-Jahren schockierte die offene Drogenszene in der Schweiz die Öffentlichkeit
und zwang den Bund, sich mit Hilfe des Vier-Säulen-Modells drogenpolitisch zu engagieren.
Die Verbindung von Prävention, Therapie, Schadensminderung und Repression war in
dieser Zeit ein grosser Schritt in die richtige Richtung und erzielte sehr gute Ergebnisse.
Aber mittlerweile ist die Situation hat sich die Situation verändert und die nötigen Reformen
lassen auf sich warten.
Denn tatsächlich ist das Thema Drogen immer noch heikel. Die Hirngespinste, die Ängste
und moralisierende, manichäische Sichtweise erschwert die Debatte. Konsumierende von
illegalen Substanzen werden als verdorben, unmoralisch und damit auch schuldig
wahrgenommen, während gleichzeitig die Effekte von manchen legalen Produkten (wie
Alkohol) kleingeredet werden. Der Krieg gegen die Drogen kann jedoch nicht erfolgreich
sein, solange man nicht die damit verbundenen gesundheitspolitischen und sozialen
Herausforderungen angeht. Die Debatte wird gelähmt durch die Heuchelei und die
Wahnbilder einer politischen Welt, der oft aus wahltaktischen Gründen der Mut fehlt, das
Thema anzugehen.
Es ist jedoch wichtig, unsere Drogenpolitik auf der Basis von empirischen Fakten zu
modernisieren und nicht in politische Hirngespinste und Moralapostelei zu verfallen. Der
Krieg gegen die Drogen ist zum Scheitern verurteilt, wenn man nicht gleichzeitig die sozialen
und gesundheitspolitischen Probleme des Drogenkonsums anpackt. Die JUSO Schweiz
fordert, dass der Bund dies erkennt und sich einer mutigen Drogenpolitik zuwendet, die auf
die allgemeine Gesundheitsversorgung, die gesellschaftliche Sicherheit und die
Menschenrechte ausgerichtet ist.
Drogen?
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Medizinisch gesehen
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Streng gesehen ist eine Droge eine chemische Substanz, welche die neuronale Aktivität im
menschlichen Körper verändert und folglich auch die Physis und die Psyche beeinflussen
kann. Bei der psychischen Beeinflussung unterscheidet man zwischen stimulierenden,
hemmenden und bewusstseinsverändernden Drogen, die das Verhalten der Person auf
unterschiedliche Arten verändern. Eine einzige Substanz kann verschiedene Auswirkungen
hervorrufen: sie kann hemmend oder stimulierend sein, je nach Anwendungskontext.
Laut dem DSM-IV, dem Leitfaden psychischer Störungen, und dem CIM-10, der
internationalen Klassifikation von Krankheiten, ist eine Sucht gekennzeichnet durch eine
unverhältnismässige Verwendung einer Substanz, gefolgt von Entzugssymptomen, Verlust
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der Kontrolle über den Konsum mit gescheiterten Versuchen, diese zurückzuerlangen,
verbrauchsbezogenen Probleme für die konsumierende Person sowie einer Abnahme der
sozialen Aktivitäten der_des Konsumierenden.
Die meisten Drogen können zu einer Sucht führen, eine solche Abhängigkeit geschieht
jedoch nicht zwingend. Eine Sucht muss aber nicht zwingend mit einer Droge
zusammenhängen. So existieren auch Süchte nach Sex, Sport, Videogames, Shopping etc.
Jede Droge hat ein eigenes Suchtpotential; bei Cannabis und Alkohol ist dieses Potential
eher tief, während es bei Heroin, Nikotin und Kokain stark ist. In der Schweiz haben 5% der
Bevölkerung eine Alkoholsucht und 15% geben an, unter einer anderen Form von
Alkoholismus zu leiden1. Wir reagieren nicht alle gleich auf Drogen; einige entwickeln viel
schneller eine Sucht als andere.
Rechtlich gesehen
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Die Drogen sind in mehrere Kategorien gegliedert: Drogen im freien Verkauf, rezeptpflichtige
Drogen und Substanzen, deren Produktion, Verkauf und Konsum verboten ist. Trotz seiner
grossen Suchtwirkung wird der Tabak in der Schweiz frei verkauft. Heroin und Kokain, die
ebenfalls grosse Suchtwirkungen haben, sind jedoch verboten. Cannabis ist verboten, aber
Alkohol ist im freien Handel verfügbar. Die Befugnisse und die Verbote hängen also mehr
von der Geschichte der Substanz ab als von wissenschaftlichen Belegen zur Schädlichkeit
der Substanzen. Lungenkrebs, zum Beispiel, gehört zu den häufigsten Todesursachen in
der Schweiz, wobei 85% der Lungenkrebsfälle auf Tabakkonsum zurückzuführen sind.2 Und
trotzdem wird Tabak offen verkauft. Im Gegensatz dazu ist Cannabis verboten, obwohl der
Verdacht auf Schizophrenie als Folge von Cannabis-Konsum nie belegt werden konnte. Die
heutige Verbotspolitik wurde aus einer konservativen Moral heraus gefertigt. Sie wird
geleitet durch wirtschaftliche Interessen und nicht durch wissenschaftliche Logik.
Als Folge entstehen Verbote und Befugnisse, die absolut willkürlich sind. Für uns ist klar:
Anstatt eine veraltete Moralvorstellung als Grundlage für Verbote zu nutzen, muss der
wissenschaftliche Aspekt neu zum Hauptgrund für das Verbot oder die Genehmigung von
Substanzen werden.)
Der Krieg gegen die Drogen
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Ursprünge
Im Jahre 1971 erklärte der amerikanische Präsident Richard Nixon den “Krieg gegen die
Drogen”. Daraus entstand eine Verbotspolitik, in der Produktion, Vertrieb und/oder Konsum
von Drogen bestraft wird. Sie kennzeichnet sich durch eine besonders klare Gesetzgebung
gegenüber den Konsumierenden und Dealenden und beachtliche Investitionen in den
Repressionsapparat (Polizei, Gerichtshöfe...), um eine drogenfreie Gesellschaft zu erreichen.
Die Welt folgte diesen Gesetzgebungen unter Schirmherrschaft der UNO 1961, 1971 und
1
http://www.hug-­‐
ge.ch/sites/interhug/files/structures/medecine_de_premier_recours/documents/infos_soignants/probleme_d
_alcool_2010df.pdf
2
R.Lazor, A.Lovis, L.P.Nicod, J.Cornuz, Dépistage du cancer pulmonaire par scanner thoracique. Rev Med Suisse 2012;2206-­‐2211
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1988 mit diversen Konventionen zur Drogenpolitik. Diese Konventionen beeinflussten die
nationalen Gesetzgebungen der unterzeichnenden Länder, die nun ihre Drogenpolitik auf
Repression ausrichteten. Um den internationalen Charakter des „Kriegs gegen die Drogen“
zu sichern, übten die Vereinigten Staaten regelmässig Druck auf die Länder aus, die ihre
Drogenpolitik neu ausrichten wollten.
Fazit
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Nach mehr als 50 Jahren internationaler Drogenpolitik, welche sich der Repression und dem
Verbot zuwandte, ist es heute nötig, Schlüsse daraus zu ziehen. Ist die Repression mit
einem Milliardenbudget (ungefähr 3 Milliarden im Jahr 2014 allein für die Drug Enforcement
Administration (DEA) in den Vereinigten Staaten) wirksam? Hat der globale Konsum
abgenommen? Ist das Produktions-, das Zustellungs- und das Verteilungsnetz
verschwunden? Haben wir die drogenfreie Gesellschaft erreicht?
Die Schlappe dieser Politik ist offensichtlich. Trotz Milliardeninvestitionen und einem
Repressionsapparat, der täglich komplexer wird, haben wir die Drogenprobleme nicht
gelöst. Seit den 80er-Jahren hat die Opiumproduktion um 380% zugenommen. Der
Heroinpreis ist seit 1990 um 75% gesunken und der Zugang ist einfacher geworden. Das
UNODC (Büro der Vereinten Nationen für Drogen- und Verbrechensbekämpfung) schätzt,
dass die Zahl der Drogenkonsumierenden zwischen 2008 und 2012 um 18% gestiegen ist.
Auch wenn Frankreich eine sehr restriktive Politik im Kampf gegen den Cannabis praktiziert,
ist sein Konsum seit den 90er-Jahren stagniert. Zu der Nichtfunktion kommt hinzu, dass die
Prohibition und die Repression eine Vielzahl an Kehrseiten mit sich bringt, welche einen
grossen Einfluss auf unsere Gesellschaft haben.
Die Kehrseiten
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Bereicherung der kriminellen Netzwerke
Wie mit dem Alkohol zu Beginn des Jahrhunderts in den Vereinigten Staaten hat die
Prohibition der Drogen einen extrem lukrativen Markt geschaffen, auf den sich die
kriminellen Netzwerke offensichtlich gestürzt haben. Tatsächlich hat 2005 der Einzelhandel
mit Drogen Einnahmen im Wert von 322 Milliarden erzielt. Ausserhalb der staatlichen
Kontrolle und steuerfrei ist der Drogenmarkt auch eine interessante Geldquelle für
terroristische Gruppen, für Guerillas, oder im Fall der CIA, für Geheimdienste.
Ursache für Kriminalität
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Ein illegaler Markt löst Gewalt aus. Die Kämpfe zwischen den Drogenkartellen, den Gangs
oder der Mafia, aufgrund der Kontrolle des Drogenhandels, sind extrem brutal. Ist die
Bekämpfung der Drogennetzwerke wirksam und bewirkt die Zerschlagung eben dieser,
erzeugt dies paradoxerweise wiederum Gewalt. Denn kaum ist der Markt von einem
Kartellen befreit, beginnen die verbleibenden Händler_innen um die neuen Marktbereiche zu
kämpfen.
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Ausserdem driften oft auch die Konsumierenden selber, welche durch die Gesetzeslage
bezüglich Konsum sowieso schon marginalisiert werden, in die Kleinkriminalität ab, um ihre
Drogenbeschaffung zu sichern.
Epidemien und Gesundheitsrisiken
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Die repressive Gesetzeslage verursacht die Marginalisierung der Drogenkonsumierende.
Dies führt eine Verbreitung von Epidemien herbei, besonders bei Drogen, die mit der Spritze
verabreicht werden. In der Tat ist diese so schon schwache Bevölkerung vielen Krankheiten
ausgesetzt und kann nicht von der notwendigen Versorgung profitieren um Ansteckungen
zu verhindern. Aufgrund dessen sind 37% der Personen, die sich in Russland Drogen
injizieren, HIV infiziert. Die Tatsache, dass die auf dem Schwarzmarkt verkauften Produkte
keiner Kontrolle unterliegen, birgt ein Gesundheitsrisiko in sich. Viele Produkte werden
verfälscht oder gestreckt mit anderen Substanzen verkauft. Über Heroin das mit Anthrax
gestreckt wird, wurde vielfach berichtet. Vergiftungs- oder Überdosisrisiken sind
dementsprechend sehr hoch.
Ein Krieg gegen die Armen
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Wie bei allen Kriegen sind die, welche die Konsequenzen tragen, nicht die Bosse sondern
die Schwächsten. Strassendealer und Drogenkuriere sind essenzielle Probleme der
Armenmilieus. Sie suchen nach dem naheliegenden Weg um ihren Drogenkonsum zu
garantieren und sozial aufzusteigen. Wenn sie verhaftet werden, wird ihr Platz sofort von
andern eingenommen, getrieben aus finanzieller Not.
Genauso sind die Drogenproduzierenden, z. B. Drogenanbauende, meist nur auf diesem
Markt tätig, um sich eine finanzielle Lebensgrundlage zu schaffen. Ihre Produktionsbasis
(wie Felder und Pflanzen) zu zerstören hat nur zur Folge, dass man eine
Bevölkerungsgruppe aushungern lässt, deren Platz sofort von einer anderen, ebenso
verzweifelten Gruppe eingenommen wird. In der Schweiz betrifft die Repression vor allem
die Menschen aus den ärmsten und wehrlosesten sozialen Schichten. In erster Linie sind
dies Personen ohne Aufenthaltserlaubnis, die hier keine Möglichkeit zu einer geregelten
Arbeit haben. Solange diesen Bevölkerungsgruppen nicht eine angemessene
Existenzgrundlage geboten wird, wird es eine endlose Armee von Menschen geben, die
gezwungen sind alle Strafen zu riskieren, um Geld zu verdienen. So werden heute unsere
Gefängnisse gefüllt mit Menschen aus einer sozial unerwünschten Gruppe.
Fazit
Die Drogenbekämpfung ist einerseits ineffektiv, sie verschlingt aber auch Unmengen an
Geld. Milliarden, die für Prävention, Pflege oder Reduktion konsumbedingter Risiken
eingesetzt werden könnten, werden für einen unnützen Repressionsapparat verpulvert. Sie
kommt einer Arznei gleich, die schlimmer ist als die Krankheit.
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Konfrontiert mit dem klaren Versagen der heute herrschenden Drogenpolitik ist es Zeit, eine
neue Politik zu fordern und die Strategie von Prohibition und Repression klar abzulehnen.
Wer heute trotz allen Fakten und Beweisen die vorherrschende Politik verteidigt, leidet im
besten Fall unter dogmatischer Blindheit oder denkt im schlimmsten Fall nur an die
Wählendenstimmen.
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Das Schweizer System – die vier Säulen
Geschichtliches zum Schweizer System
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Die heutige Drogenpolitik hat ihre Ursprünge in der Gründung der ersten AntialkoholikerVereinigungen vor mehr als einem Jahrhundert. 1924 ratifizierte die Schweiz die
internationale Konvention zu Opium von La Have (1912), die zum Ziel hatte den
Opiumkonsum zu reduzieren und die Produktion und den Export zu kontrollieren. Das erste
Eidgenössische Gesetz dazu, welches 1924 in Kraft trat, stammte direkt aus dieser
Konvention. 1951 wurde ein neues Drogengesetz verabschiedet und mehrere Male
überarbeitet, das letzte Mal im Jahr 2013. Die Anfänge des Vier-Säulen-Modells, welches
wir heute kennen, kamen in den 70er-Jahren mit der Verbreitung des Heroinkonsums und
mit der ersten Heroin-Überdosis 1972 auf. Zuvor kannte die Politik man nur drei Säulen:
Repression, Prävention an den Schulen und abstinenzorientierte Therapie mit einem
Entzugsprogramm und der Verschreibung von Methadon. Während der 80er-Jahre stellte
man eine weltweite Verschlechterung der Gesundheit von Drogenabhängigen fest, die auf
das System der damaligen Drogenpolitik zurückzuführen sind. Vielerorts tauchten in diesem
Jahrzehnt Probleme auf und erschwerten die Betreuung von Drogenabhängigen.
Insbesondere die Preiserhöhung von Suchtmitteln in dieser Zeit, lösten einen Anstieg der
Kleinkriminalität aus. Das Wachstum der offenen Drogenszenen sowie das Problem der
gemeinsamen Verwendung von Spritzen waren Gründe für die Verbreitung von
verschiedenen Krankheiten. Ausserdem war der Status von Drogenabhängigen immer noch
schlecht: halb galten sie als krank, halb als kriminell. 1991 verabschiedete der Bundesrat
das erste MaPaDro (Massnahmenpaket des Bundes zur Verminderung der
Drogenprobleme), ein Programm, das die vierte Säule mit sich brachte: die
Schadensminderung. 1994 wurde schliesslich das Vier-Säulen-Modell vom Bundesrat
formell verabschiedet.
Seither ist das Vier-Säulen-Modell nicht unumstritten geblieben. 2004 wurde eine Revision
des Gesetzes verhindert, welche einen Rahmen zur Entkriminalisierung von Cannabis
geschaffen hätte. Zur gleichen Zeit zeigten Umfragen, dass es keine deutliche Mehrheit in
der Bevölkerung dafür gab, der Drogenpolitik eine neue Ausrichtung zu geben. 2008 kehrte
die Drogenpolitik zurück auf die öffentliche Bühne. Zuerst wurde eine Initiative, die
Cannabis liberalisieren wollte, mit 63% Nein-Stimmen abgelehnt; darauf folgte die Revision
des Bundesgesetzes über Betäubungsmittel. Letzteres verankerte das Prinzip der vier
Säulen schlussendlich im Gesetz. Genauso ebnete es den Weg für die medizinische
Nutzung von Hanf. Das Parlament verabschiedete die Revision, welche die sensiblen
Punkte der Initiative von 2004 ausliess, trotz heftiger Gegenwehr durch SVP und EDU,
welche eine komplette Repression befürworteten und ein Referendum ergriffen. Die
Abstimmung entschied mit 68% Ja-Stimmen zugunsten des neuen Gesetzes. Die letzte
Änderung der Drogengesetzlage geschah 2013. Erwachsene Cannabis-Konsumierende
müssen seither nicht mehr mit einer Strafverfolgung rechnen, sie trifft nur noch die Strafe
einer Ordnungsbusse von 100 Franken.
Die vier Säulen – Prävention/Therapie/Schadensminderung/Repression
und Regulierung
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Das Wesen der Schweiz ist der Föderalismus, bei dem die Massnahmen und
Ausführungskompetenzen auf verschiedene Kräfte verteilt sind. Die Massnahmen obliegen
im Wesentlichen den Kantonen. Diese sind verantwortlich für die Prävention, die
Therapieausführung und die Umsetzung von Repressionsmassnahmen innerhalb ihres
Kantongebiets. Die Kantone verfügen über viel Autonomie zur Umsetzung von Massnahmen
und auch für die Konzipierung ebendieser. In zahlreichen Kantonen werden einzelne
Aufgaben auch den Gemeinden delegiert. Vor allem Städte übernehmen viele Aufgaben
selber. Die Aufgaben des Bundes sind im Wesentlichen, das Gerüst der vier Säulen
zusammenzuhalten. Die Grundlage dazu bildet das Bundesgesetz zu den Betäubungsmittel
und psychotropen Substanzen. Ausserdem unterstützt der Bund die Kantone über das
Bundesamt für Gesundheit (BAG), das Bundesamt für Polizei (Fedpol) oder die
Eidgenössische Zollverwaltung. Das grosse Ziel der Vier-Säulen-Politik ist in erster Linie
eine Reduktion des Drogenkonsums, im speziellen die Zahl der Drogeneinsteigenden zu
minimieren und den Ausstieg zu vereinfachen. Ausserdem strebt diese Politik nach einer
Senkung der negativen Folgen durch den Konsum, namentlich die gesundheitlichen
Auswirkungen und auf ihre soziale Eingliederung. Und schliesslich will dieses Modell die
Gesellschaft schützen vor den negativen Folgen, wie zum Beispiel die Kriminalität oder die
gesundheitlichen Probleme.
Die Prävention
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Durch Information und Aufklärung soll die Prävention verhindern, dass Menschen beginnen
Drogen zu konsumieren. Man geht heute davon aus, dass trotz der Prävention vor allem
junge Menschen eines Tage ein Suchtmittel ausprobieren. Auf Grundlage dessen orientiert
sich die Prävention nicht auf dem reinen Konsum an sich, sondern insbesondere auch auf
der Suchprävention und den Folgen für die Gesundheit der Konsumierenden. Für die
Prävention ist deshalb auch die Unterscheidung zwischen legalen und illegalen Drogen
irrelevant, sondern bezieht sich auf alle Produkte, die zu einer Abhängigkeit und
medizinischen Komplikationen führen können. Die Präventionsmassnahmen kommen dabei
auf verschiedenen Ebenen vor: in der Familie, auf der Strasse, in den Schulen, etc.
Die Therapie
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Diese Säule dient einer Redaktion des Drogenkonsums und hilft den Konsumierenden beim
Ausstieg aus ihrer Sucht sowie der Reintegration in die Gesellschaft. Die Therapie soll den
Süchtigen auch helfen, während des Konsums die Möglichkeit eines Ausstiegs offen zu
halten und Zugang zu Pflege und Betreuung zu erhalten.
Die Therapien können sehr unterschiedlich sein:
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Die abstinenzorientierte Methode hat das Ziel, dass die abhängigen Menschen ihren
Konsum bezwingen können. Sie verbringen Zeit in einer spezialisierten Institution
und besuchen therapeutische Einheiten.
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Die Substitutionstherapie basierend auf der kontrollierten Abgabe von Substituten
(z.B. Methadon im Falle von Heroin).
Die Repression und die Regulierung des Marktes
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Diese Säule fokussiert sich auf die Bekämpfung des Drogenhandels, womit der Konsum
vermindert werden soll. Der Gedanke dahinter: Drogen stellen gesundheitliche Risiken dar,
deshalb sollen sie nicht oder nur schwer zugänglich sein. Es ist jedoch erwiesen, dass ein
erschwerter Zugang zu Produkten eine Ausgrenzung der Konsumierenden und eine
Preissteigerung herbeiführt, dies ist eine Quelle der Kriminalität. Die grosse Herausforderung
dieser Säule ist es, diese möglichen negativen Aspekte zu berücksichtigen.
Die Repression basiert auf verschiedenen Handlungsebenen, einschliesslich der
Bekämpfung der Geldwäsche, die Verfolgung der organisierten Kriminalität, Bekämpfung
des Strassenhandels und der Durchführung von Grenzkontrollen. Dies beinhaltet auch die
Inhaftierung von Akteuren des Drogenhandels. Derzeit wird der Drogenkonsum noch immer
als schweres Vergehen geahndet, selbst der Konsum von Cannabis wird noch immer mit
einer Ordnungsbusse bestraft.
Die Schadensminderung
Diese Säule zielt darauf ab, die negativen Auswirkungen des Drogenkonsums für die
Konsumierenden, aber auch für das Umfeld und die Gesellschaft, zu reduzieren. Dieses
Prinzip ist in den 90er-Jahren entstanden und anerkennt, dass es immer einen
Drogenkonsum geben wird. Das Ziel der Schadensminderung ist dabei nicht in erster Linie
den Konsum direkt zu vermindern, sondern einen möglichst risikoarmen Konsum zu
ermöglichen (sozial, psychisch, medizinisch). Beispiele einer Schadensminderung können
sein, eine Ausgrenzung der Süchtigen zu verhindern, die Übertragung von Krankheiten zu
unterbinden oder auch den Weg zu einer Therapie aufzuzeigen. Die Möglichkeit der Wahl für
die Süchtigen ist dabei sehr wichtig, denn es hat sich gezeigt, dass der Zwang zum
Ausstieg kein gangbarer Weg ist. Dieser Ansatz führt auch zu einem grösseren
Verantwortungsbewusstsein der Konsumierenden. Allgemein betrachtet kann man somit
dank der Schadensminderung auch die negativen Effekte der Drogen auf die Gesellschaft
verkleinern, namentlich bei den Kosten und der Kriminalität.
Die Anzahl der Massnahmen kann sehr verschieden sein. Massnahmen gegen den
Mehrfachgebrauch von Spritzen können die Übertragung von Krankheiten limitieren. Die
Einrichtung eines “Fixer-Stübli” reduziert die Risiken für die Konsumierenden. Die Verteilung
von Lebensmitteln hilft die sozialen Bindungen zu erhalten und die grundlegenden
Bedürfnisse von Konsumierenden zu befriedigen. Ein Angebot an Aktivitäten oder
Arbeitsplätze, ermöglicht eine Reduktion der Kriminalität und fördert die soziale
Eingliederung. Die Schaffung von Obdachlosenunterkünften hat einen positiven Einfluss auf
die Gesundheit von obdachlosen Menschen und reduziert die Belastung für die
Gesellschaft. Ebenfalls können wir in dieser Säule Massnahmen nennen, die auf
Bundesebene ergriffen wurden: die Plattform Infodrog (Schweizerische Koordinations- und
Fachstelle Sucht), die Forschungen des Bundesamtes für Gesundheit oder die Schliessung
der offenen Drogenszenen in den 90er-Jahren.
Bilanz
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Die Politik der vier Säulen erwies sich bis heute als positiv und hat zahlreiche erfreuliche
Resultate ermöglicht. Der Konsum von harten Drogen ist zurückgegangen und die Zahl der
Neueinsteigenden ist kleiner geworden. Bei Heroin beispielsweise sank die Zahl von
Neueinsteigenden von 850 im Jahr 1990 auf 150 im Jahr 2000. Die Therapien sind ein
Erfolg, weil heute 20’000 Menschen in verschiedenen Programmen teilnehmen, um den
Ausstieg aus der Sucht zu schaffen. Die Zahl der Drogentoten ist ebenfalls von 400 in den
90er-Jahren auf 152 im Jahr 2007 zurückgegangen. In die selbe Richtung gehen auch die
Massnahmen zur erheblichen Reduzierung von HIV-Übertragung durch den gemeinsamen
Spritzengebrauch. Man kann ebenfalls feststellen, dass die Zahl der Straftaten stabil
geblieben seit Mitte der 90er-Jahre mit einem leichten Rückgang von 2004 bis 2008. Dank
den vielen positiven Effekten, insbesondere dem Aspekt der Schadensminderung, haben 83
Staaten (Stand 2008) Programme auf Basis der Praktiken aus der Schweiz lanciert.
Allerdings ist auch die Schweizer Drogenpolitik zu sehr nach der Säule der Repression
ausgerichtet. Die Repression bezieht fast zwei Drittel des Drogenpolitik-Budgets, während
die Schadensminderung und die Therapie nur je 5 % vom Budget erhalten. 25 % des
Budgets entfallen auf die Prävention. Wie sich zeigte, kann die Repression den
Drogenhandel nicht beseitigen, aber ihre Konsequenzen sind gravierend für die
Konsumierenden (unkontrollierte Produkte, hohe Kosten als Quelle der Kleinkriminalität,
etc.) und auch für die Gesellschaft als ganzen (Strassenhandel, Kriminalität).
Die Repression betrifft in mehr als der Hälfte der Fälle den Konsum. Die Repression der
Konsumierenden bleibt ein Hindernis für die Politik der Schadensminderung und überfüllt
unnötigerweise die Gerichtssäle. Weiter ist es ungerecht, hilfsbedürftige Menschen als
Kriminelle zu behandeln, denn schliesslich sind sie das Opfer der Droge. Trotz den
negativen Folgen der Repression, verändert sich die Politik in diesem Bereich nur sehr
langsam, da können auch die 2013 eingeführten Ordnungsbussen für kleine Mengen
Cannabis nicht darüber hinwegtäuschen.
Die neuen Erfahrungen
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Nach der langen Zeit des Krieges gegen die Drogen und nach dessen Scheitern haben
verschiedene Staaten unterschiedliche Ansätze ergriffen, um die Risiken und damit
verbundenen Krankheiten im Bezug auf den Drogenkonsum und den -handel zu minimieren.
Ein Beispiel findet sich in Portugal. Angesichts des Scheiterns der Verbotsmodellen und der
hohen Verbreitung von Drogen im Lauf der 90er Jahre - während derer 1 % der Bevölkerung
heroinabhängig war - begann die portugiesische Regierung im Jahr 1998 seine
Drogenpolitik vollständig zu reformieren. Die portugiesischen Rechtsvorschriften traten 2001
in Kraft und entkriminalisierten die Konsumation aller Drogen. Die öffentliche Meinung in
Portugal ist heute, dass ein_e Konsument_in in erster Linie ein_e pflegebedürftige_r
Bürger_in ist, und nicht ein_e Kriminelle_r. Dementsprechend geht es bei der Politik im
Bezug auf Konsumation nicht in erster Linie um Justiz und Polizei, sondern um
Gesundheitsdienste. Es muss aber erwähnt werden, dass es sich bei der Gesetzlage nicht
um eine Liberalisierung von Drogen handelt: Verkauf, Produktion und Transport von
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Betäubungsmitteln bleibt unter Strafe. Auch ist der Verbrauch nicht legalisiert, sondern nur
entkriminalisiert. Dennoch ist die Bilanz des Modells positiv. Die Konsumation hat bei den
15-19-Jährigen stark nachgelassen. Die Zahl der Personen, die wegen Drogenabhängigkeit
in Behandlung sind, hat zwischen 2001 und 2008 um einen Drittel zugenommen, und der
Gesundheitszustand von Drogenabhängigen hat sich massiv verbessert dank einer
Reduktion der durch unsauberen Konsum verbreiteten Krankheiten, darunter besonders
HIV. Die Zahl der Todesfälle pro Jahr im Zusammenhang mit Drogen ist von rund 80 im Jahr
2001 auf weniger als 20 im Jahr 2012 zurückgegangen. Darüber hinaus wurde der
Gerichtsapparat davon befreit, sich mit geringfügigen Fällen von Drogenkonsum
herumzuschlagen.
Im Spanien wurde 2002 die Schaffung sogenannter "Cannabis Social Clubs" erlaubt. In
diesen Verbänden wird Cannabis produziert und legal an Mitglieder verkauft. In Spanien ist
es auch gesetzlich erlaubt, als Privatperson bis zu drei Cannabispflanzen zu besitzen. Der
Vorteil der Clubs ist in erster Linie, dass sie eine Alternative zum illegalen Drogenhandel
bieten. In ihnen können Qualität genauso wie die produzierten und konsumierten Mengen
kontrolliert werden. Sie garantieren soziale Bindungen zu und zwischen den
Konsumierenden und tragen damit zur Verringerung der Risiken bei. Zusätzlich können sie
Steuereinnahmen generieren. In Spanien wurden weiter, wegen unklarer Gesetzgebung, in
einigen von Tourist_innen frequentierten Grossstädten viele Clubs eröffnet um ausländische
Besucher_innen anzuziehen, die dort von den lockeren Zugangsregeln mancher Clubs
profitieren. Diese Zugänglichkeiten hängen stark von der Region und der Strenge ihrer
jeweiligen Behörden ab. Nichtsdestotrotz ist und wäre es möglich, einer solche Bewegung
mit den entsprechenden Rechtsvorschriften zu begegnen und damit mögliche negative
Aspekte der Social Clubs zu verhindern.
Im Dezember 2013 wurde das neue uruguayische Gesetz verabschiedet, welches den
Cannabiskonsum vollständig legalisierte. Das Produkt wird unter direkter staatlicher
Kontrolle produziert und verkauft und unterliegt strengen Auflagen. Das Gesetz erlaubt
ebenfalls den Anbau von 6 Cannabispflanzen pro Person oder die Schaffung von Cannabis
Social Clubs, in welchem 15 bis 45 Mitglieder bis zu 99 Pflanzen bewirtschaften dürfen. Der
Verkauf wird in staatlich lizenzierten Apotheken durchgeführt. Personen, die Cannabis
kaufen wollen, müssen mindestens 18 Jahre alt sein und in einer Datenbank werden ihre
monatlichen Käufe registriert. Die Menge ist auf 40 Gramm pro Monat beschränkt. Die
Preise entsprechen den gleichen wie auf dem Schwarzmarkt.
Die primäre Motivation dieses neuen Gesetztes in Uruguay ist die Beseitigung des
Schwarzmarktes und der Kampf gegen die damit verbundene Gewalt und Korruption. Für
viele Politiker ist der illegale Handel schlimmer als die Produkte an sich. Darüber hinaus
lässt sich allgemein beobachten, dass viele lateinamerikanische Länder im Angesicht der
verheerenden Auswirkungen des Drogenkrieges auf der Suche nach alternativen Lösungen,
auch der Legalisierung, sind. Die Legalisierung ermöglicht eine bessere Kontrolle des
Konsums und auch der Gesundheit der Konsumierenden. Die Abkehr der Kriminalisierung
erleichtert auch die Präventionsarbeit: das Thema kann freier angegangen werden. Darüber
hinaus erlaubt die neue Regelung auch, die produktbezogenen Arbeitsplätze zu legalisieren
und Steuereinnahmen zu generieren.
Fazit
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Bis heute haben die liberale Drogenpolitik, die Entkriminalisierung und die Legalisierung und
die damit verbundene Reduktion der Risiken deutlich bessere Resultate erzielt als die, von
der USA ausgehende, repressive Drogenpolitik der letzten 50 Jahre. Aus Sicht der
Konsumierenden gibt es Verbesserungen in den Bereichen Gesundheit, soziale
Eingliederung und Therapie. Für die Gesellschaft resultieren ein Rückgang der Kriminalität,
geringere Kosten und vor allem ein kleineres gesundheitliches Risiko.
Natürlich sind die innovativsten Lösungen oft noch im Stadium der Debatte. Aber wir
können schon heute festhalten: die Repression war ein Misserfolg. Hingegen wurde für jede
alternative Lösungsform ein Misserfolg vorausgesagt, aber das Gegenteil ist eingetroffen.
Unsere Forderungen
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Auch wenn die Drogenpolitik in der Schweiz im Gegensatz zu zahlreichen anderen Ländern
schon fortschrittlich ist, bleibt noch einiges zu tun. Ein grosser Teil des Geldes im Kampf
gegen die Drogen wird immer noch in die unwirksame Repression gesteckt.
Drogenabhängige Menschen werden immer noch kriminalisiert. Dies drängt sie an den Rand
der Gesellschaft und erschwert ihnen dadurch den Zugang zu Betreuung und Pflege.
Ausserdem wird nicht genügend in die Forschung und die Prävention investiert, obwohl dies
ein sehr effektiver Weg im Kampf gegen Drogen ist.
Eine Gesellschaft ohne Drogen wäre kaum denkbar. Besonders weil einige Drogen, wie z.B.
Alkohol, einen festen Platz in unseren Sitten und Traditionen haben. Deswegen fordert die
JUSO Schweiz auf langfristige Sicht eine kontrollierte Legalisierung aller Drogen zur
Unterbindung des Schwarzmarkts. Dennoch ist es möglich, den Konsum in der Bevölkerung
zu verringern, die gesundheitlichen Risiken und Schäden zu mindern und die Gewalt und die
Kriminalität zu verhindern, die oftmals zusammenhängen mit illegalen Vertreibendennetzen.
Dies ist jedoch nur möglich, wenn wir eine Drogenpolitik haben, welche empirisch fundiert
ist und wir aus den Erfahrungen eines verfehlten Krieges gegen die Drogen gelernt haben.
Wir brauchen heute eine mutige Politik, befreit von veralteten politischen Dogmen und
wahltaktischen Slogans.
Die JUSO Schweiz stellt aus diesem Grund folgende Forderungen auf:
●
Die totale Entkriminalisierung des Konsums aller Drogen für eine medizinische
Versorgung der Konsumierenden
●
Die sofortige und komplette Legalisierung von Cannabis und seinen
Folgeerzeugnissen
●
Ein staatliches Monopol auf den Handel neu legalisierter Drogen
●
Die Entwicklung von gesetzlichen Standards bezüglich des medizinischen
Gebrauchs von Drogen und Folgeerzeugnissen
●
Ein Werbeverbot für alle Drogen, einschliesslich Alkohol und Tabak.
●
Eine Fokussierung der Ressourcen im Kampf gegen Drogen auf die Prävention, die
Forschung, die Therapie und die Schadensminderung
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Eine Konzentration der Repression auf die organisierte Kriminalität
●
Ein empirischen und wissenschaftlichen Ansatz für Prävention und Therapie, und
nicht eine moralischen Herangehensweise
●
Ein Mindestalter 16 für den legalen Drogenkonsum
●
Die Schaffung eines Fonds zur Förderung der Landwirtschaftsentwicklung in den
Produktionsländern, um die Kleinbauern wieder vom Drogenmarkt abzubringen