Politiker bremsen Lobbyisten aus

Thema 3
Donnerstag, 7. Januar 2016
Bild: ky/Alessandro della Valle
Blick in die Wandelhalle: Zunehmende Zurückhaltung bei der Vergabe von Zutrittsberechtigungen zum nichtöffentlichen Bereich des Parlamentsgebäudes.
Politiker bremsen Lobbyisten aus
Die nicht verstummende Diskussion über die Einflussnahme von Lobbyisten auf die Parlamentarier und ihre Arbeit scheint Wirkung
zu zeigen: Eine knappe Hundertschaft der Mitglieder des neuen Parlaments verzichtet auf die Abgabe von Zugangsberechtigungen.
RICHARD CLAVADETSCHER
National- und Ständeräte können je
zwei Personen den Zugang zum nichtöffentlichen Bereich des Parlamentsgebäudes ermöglichen. Dies geschieht
mittels Zugangskarten, Badges genannt. Ein Mitglied des Parlaments
kann eine solche Karte seinem Eheoder Lebenspartner geben – oder eben
auch jemandem, die oder der ihm politisch oder beruflich nahe steht. Insbesondere Lobbyisten sind scharf auf eine
solche Zutrittskarte, denn sie erleichtert
ihnen den Zugang zu den Mitgliedern
des Parlaments.
Personen mit solchen Badges sind in
einem Register der Zutrittsberechtigten
erfasst. Einzusehen ist dabei, welches
Ratsmitglied welcher Person einen
Badge gab – und in welcher Funktion
diese Person den Zutritt erhielt.
Die Zutrittsberechtigungen führten
schon in der Vergangenheit regelmässig
zu Diskussionen über die Unabhängigkeit der Parlamentsmitglieder. Dies war
besonders im letzten Jahr wieder über
Wochen der Fall, als die NZZ aufdeckte,
dass Nationalrätin Christa Markwalder
(FDP/BE) einen teilweise in Kasachstan
verfassten Vorstoss im Parlament einreichte. Kasachstan war damals verstärkt bemüht, die Schweizer Behörden
durch Lobbyarbeit zu beeinflussen.
Quasi als Relaisstation fungierte dabei
Lobbyistin Marie-Louise Baumann. Sie
hatte den Badge von einer anderen
FDP-Parlamentarierin.
Noch unschicklicher als zuvor
Die Angelegenheit wuchs sich zur
veritablen Affäre aus. Dies insbesondere, als bekannt wurde, dass Baumann
auch noch von Markwalder erhaltene
Informationen aus der Aussenpolitischen Kommission nach Kasachstan
weitergegeben hatte. Zu klären war in
der Folge, ob Markwalder das Kommissionsgeheimnis verletzt hatte – auch
wenn sie von der Weitergabe der Informationen nichts gewusst haben will.
Wenn auch die Affäre für die heutige
Nationalratspräsidentin
Markwalder
glimpflich ausging, die Vorkommnisse
warfen nicht nur ein schiefes Licht auf
die Berner Politikerin, der enge Kontakt
mit Lobbyisten gilt seither noch mehr
als unschicklich als zuvor schon.
Dies findet auch Niederschlag im
aktuellen Register der Zutrittsberechtigten. Waren es in der letzten Legislatur
lediglich 20 der 246 Parlamentsmitglieder, die vollständig auf die Vergabe
eines Badges verzichteten, sind es zurzeit nicht weniger als 95. Auch wenn anzunehmen ist, dass im Verlaufe der
eben begonnenen Legislatur noch der
eine oder andere Badge vergeben wird,
ist dies eine erstaunliche Zahl. Nach
dem Grund für diese Zurückhaltung be-
fragt, sagen Parlamentarier denn auch
ganz direkt, dass die öffentliche Diskussion dafür ursächlich sei. «Man steht als
Mitglied des Parlaments eben unter Beobachtung», bringt es Ständerätin Brigitte Häberli (CVP/TG) auf den Punkt.
Sie hat einen Badge vergeben, allerdings
an eine Vertrauensperson: Empfänger
ist Medien- und Marketingberater Armin Menzi. Menzi habe ihre bisherigen
Wahlkämpfe begleitet, begründet Häberli.
«Diskussion nervt»
Seit Eintritt ins Parlament im Jahr
2011 nie einen Badge vergeben hat hingegen Häberlis Kollege Roland Eberle
(SVP/TG). Er nennt auch klipp und klar
den Grund: «Die Lobby-Diskussion
nervt mich. Und ich mag es nicht, wenn
man mich kategorisiert.» Eberle ist kein
Einzelfall. Auch Ivo Bischofberger (CVP/
AI) verzichtet auf die Vergabe. Allerdings kann er sich Ausnahmen vorstellen. Kriterium: «Es muss von Nutzen
sein für mein Mandat oder für meinen
Kanton.» Bischofberger macht ein Beispiel: Wenn es im Rat etwa um die
Unternehmenssteuerreform III gehe,
könne es sinnvoll sein, dem Säckelmeister oder einem Gewerbevertreter seines
Kantons Zugang zu verschaffen.
Auch Ständerat Andrea Caroni (FDP/
AR) ist zurückhaltend. Zwar hat er noch
als Nationalrat für begrenzte Zeit einem
Mitglied des Beratungsunternehmens
Burson Marsteller einen Badge gegeben, aber davon ist er abgekommen: Es
bestehe die Gefahr, «in der öffentlichen
Wahrnehmung mit dem Badge-Empfänger zu verschmelzen». Noch als Nationalrat kämpfte der Ausserrhoder erfolglos für ein transparentes Akkreditierungssystem «ohne Schlepper» (Caroni)
für Lobbyisten.
Ständerätin Karin Keller-Sutter vergibt ebenfalls keinen Badge, allerdings
mit einer etwas anderen Begründung:
Sie habe in der letzten Legislatur ihrem
Mann einen gegeben. «Einige Medien»
hätten diese persönliche Verbindung
ignoriert und nur auf den Beruf des Ehemannes fokussiert. (Er ist bekannter
Rechtsmediziner.) Keller-Sutter: «Bei
Ehefrauen von Parlamentariern habe
ich dies hingegen noch nie gesehen.»
Nun verzichte sie halt auf eine BadgeVergabe. Ständerat und Gewerkschaftsbund-Präsident Paul Rechsteiner (SP/
SG) hat beide Badges vergeben, und
zwar in seinem Wirkungskreis: Empfänger sind die Gewerkschafter Alleva Vania und Thomas Zimmermann.
Zurückhaltung der Neuen
Bei den Ostschweizer Nationalräten
fällt die Zurückhaltung der neugewählten auf: Sowohl Marcel Dobler (FDP/
SG) als auch Hermann Hess (FDP/TG),
Barbara Keller-Inhelder (SVP/SG) und
David Zuberbühler (SVP/AR) haben keinen Badge vergeben, Thomas Ammann
(CVP/SG) lediglich einen – aber an unverfängliche Adresse: Empfängerin Gabi
Ammann-Pridgar ist seine Ehefrau.
Ostschweizer Parlamentarier und abgegebene Zutrittsberechtigungen
Der Auszug aus dem Register der Zutrittsberechtigten zeigt, wem die Ostschweizer National- und Ständeräte
einen Badge verschafft haben. Es handelt sich dabei um eine Momentaufnahme (Stichtag 18. Dezember 2015).
In Klammern hinzugefügt sind Ergänzungen zum besseren Verständnis. Sie stammen von der Redaktion.
Ratsmitglied
Partei/Ort
Zutrittsberechtigte
Nationalrat
Ammann Thomas
Brunner Toni
CVP/SG
SVP/SG
Büchel Roland Rino
Büchler Jakob
SVP/SG
CVP/SG
Dobler Marcel
Fässler Daniel
Friedl Claudia
FDP-Liberale/SG
CVP/AI
SP/SG
Graf-Litscher Edith
SP/TG
Gysi Barbara
SP/SG
Hausammann Markus
Herzog Verena
SVP/TG
SVP/TG
Hess Hermann,
Keller-Inhelder Barbara
Lohr Christian
Müller Thomas
Müller Walter
Reimann Lukas
Ritter Markus
Walter Hansjörg
FDP-Liberale/TG
SVP/SG
CVP/TG
SVP/SG
FDP-Liberale/SG
SVP/SG
CVP/SG
SVP/TG
Zuberbühler David
SVP/AR
Ammann-Pridgar Gabi
Gast (Ehefrau)
Friedli Esther
Gast (Lebenspartnerin, PR-Frau)
Bähler Thomas
Verband Stahl-, Metall- und Papier-Recycling Schweiz
–
Christen Beat
Gast (Geistlicher)
Ruckstuhl Thomas
Gast (Geistlicher)
–
Fässler-Eiermann Helen
Gast (Ehefrau)
Schmassmann Eva
Alliance sud
Wittwer Jürg
Hausverein Schweiz
Graf Harry
Elektrizitätswerke Stadt Zürich (Ehemann)
Stüdeli Walter
Köhler, Stüdeli & Partner GmbH (PR-Mann)
Ribi Yvonne
Schweizerischer Berufsverband Pflegefachfrauen und -männer
Baumberger Petra
Fachverband Sucht
–
Gentinetta Pascal
Bank Julius Bär
Wüthrich Hans-Peter
Persönlicher Mitarbeiter (Berater)
–
–
–
(wird noch vergeben: HEV und TCS)
Müller Ottilia
Persönliche Mitarbeiterin (Ehefrau)
(wird noch vergeben: Piratenpartei und Poker-, Geschicklichkeits- und Unterhaltungsspiele)
Rufer Martin
Schweizer Bauernverband
Schneider Urs
Persönlicher Mitarbeiter (stv. Direktor SBV)
Walter Madeleine
Gast (Ehefrau)
–
Ständerat
Bischofberger Ivo
Caroni Andrea
Eberle Roland
Häberli-Koller Brigitte
Keller-Sutter Karin
Rechsteiner Paul
CVP/AI
FDP-Liberale/AR
SVP/TG
CVP/TG
FDP-Liberale/SG
SP/SG
Quelle: Parlamentsdienste/sgt, Tabelle: sgt
–
–
–
Menzi Armin
–
Alleva Vania
Zimmermann Thomas
Funktion
Persönlicher Mitarbeiter (Medien- und Marketingfachmann)
Unia
Schweizerischer Gewerkschaftsbund SGB
Dobler, Hess, Keller-Inhelder und Zuberbühler nennen auf Anfrage identische Gründe: Man wolle unabhängig
sein und bleiben.
Von den Bisherigen unter den Ostschweizern haben Markus Hausammann (SVP/TG) und Roland Rino Büchel ebenfalls keinen Badge vergeben.
Es habe eh zu viele Leute, die im nichtöffentlichen Bereich des Parlaments
umherschwirrten, meint Büchel. Alle
würden sich darüber beklagen, aber zu
wenige handelten konsequent. Christian Lohr (CVP/TG) sieht zurzeit ebenfalls «keinen Bedarf» für die Vergabe. Er
will sich «lieber nicht enger binden».
Im Register ohne Abgabe eines Badges aufgeführt sind auch Thomas Müller (SVP/SG) und Lukas Reimann (SVP/
SG). Doch Müller hat sich schon entschieden, Monika Sommer vom Hauseigentümerverband und Ruedi Zumbühl vom TCS Zugang zu verschaffen.
Beide hatten Müllers Badge schon in der
letzten Legislatur. Reimann will der
Piratenpartei und dem Verband der
Poker-, Geschicklichkeits- und Unterhaltungsspiele-Anbieter in dieser Legislatur erneut Zugang verschaffen.
Sogar zwei Geistliche
Bleiben die übrigen Bisherigen: Toni
Brunner (SVP/SG) hat seine zwei Berechtigungen an Lebenspartnerin Esther Friedli und an Thomas Bähler vom
Verband Stahl-, Metall- und Papier-Recycling vergeben. Jakob Büchler (CVP/
SG), der auch Präsident der parlamentarischen Gruppe Christ und Politik ist,
hat zwei Geistlichen Zutritt verschafft,
Daniel Fässler (CVP/AI) vergab lediglich
einen Badge: an Ehefrau Helen.
Claudia Friedl (SP/SG) verschafft Alliance sud und dem Hausverein Schweiz
Zugang, Fraktionskollegin Edith GrafLitscher (SP/TG) ist mit Ehemann Harry
und dem PR-Mann Walter Stüdeli auf
der Liste, während Barbara Gysi (SP/SG)
die Pflegefachfrauen und -männer sowie den Fachverband Sucht berücksichtigte. Verena Herzog (SVP/TG) wiederum vergab ihre Badges an Pascal Gentinetta, früher Economiesuisse nun Bank
Julius Bär, sowie an den persönlichen
Mitarbeiter Hans-Peter Wüthrich. Offiziell als «persönliche Mitarbeiterin» ist
Ottilia Müller aufgeführt, die Ehefrau
von Walter Müller (FDP/SG). Wie Müller
nur einen Badge vergeben hat Markus
Ritter (CVP/SG). Der Bauernverbandspräsident berücksichtigte wenig überraschend Martin Rufer vom Bauernverband. Hansjörg Walter (SVP/TG), Ritters
Vorgänger im Präsidentenamt, schliesslich hat neben Ehefrau Madeleine ebenfalls den Bauernverband berücksichtigt:
Urs Schneider ist zwar als sein persönlicher Mitarbeiter aufgeführt. Schneiders Hauptjob ist indes stellvertretender
Direktor beim Bauernverband.