Weg vom „einfachen Handlungsmodell“ hin zu Pflegeprozessmodell!

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Weg vom „einfachen Handlungsmodell“ hin zu
Pflegeprozessmodell!
(Schrems, 2006)
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SIS Strukturierte Informationssammlung
1a) …werden Angaben der pflegebedürftigen Person zu
Gewohnheiten und Fähigkeiten sowie ihre Hilfe- und
Pflegebeschreibung im Originalton festgehalten
Was bewegt Sie im Augenblick? Was brauchen Sie? Was können wir für Sie tun?
"Mein Sohn kann zu Hause in folge unserer Berufstätigkeit nicht versorgt werden. Er ist am Gesäß
bereits offen und muss viel öfters umgelagert werden, als wir leisten können. Der ambulante Dienst
kann auch nur maximal 3 mal kommen. Daher möchten wir, dass er unter der Woche im Heim gut
versorgt wird und auch Ansprache und Betreuung hat. Wir wohnen ja gleich zwei Straßen weiter,
dann kann ich Ihn am Nachmittag nach meinem Dienst besuchen und ...." "Mein Sohn wird mir
auch zu schwer um ihn umzudrehen..." "In einem dreiviertel Jahr gehe ich in Rente..." berichtet die
Mutter und äußert den Wunsch den Sohn dann wieder zu Hause zu versorgen.
"...er hat ja niemanden anderen..."
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SIS Strukturierte Informationssammlung
1b) …die Pflegeperson beschreibt zu den Themenfeldern
den Hilfe- und Pflegebedarf sowie die Einschätzung zu
Risikopotenzialen aus ihrer Perspektive.
Themenfeld 1 – kognitive und kommunikative Fähigkeiten
Kann nur nonverbal kommunizieren durch Kopfnicken und unverständlichen Lauten.
Sprachverständnis ist voll vorhanden. Herr Schubert verfolgt das Erstgespräch aufmerksam und
nickt oder schüttelt den Kopf wenn es um konkrete Fragestellungen bezüglich seiner Versorgung
geht. Hören und Sehen ist nicht beeinträchtigt.
Themenfeld 2 – Mobilität und Beweglichkeit
Tetraplegie/-parese, leichte Kraft in beiden Armen vorhanden, Sitzen mit Unterstützung im Rollstuhl
möglich, Kopfstabilität ist gegeben. Er kann den Kopf gut drehen anheben und nicken. Dekubitus
am Gesäß lt. Mutter. Hr. Schubert ist Dekubitusgefährdet (Tetraplegie, Inkontinenz) Rollstuhl wurde
extra für Ihn angepasst, er kann diesen nicht selbst bewegen. Zieht tagsüber hohe Turnschuhe an
um einen Spitzfuß zu vermeiden.
Themenfeld 3 – krankheitsbezogene Anforderung und Belastung
35 Jahre alt, BMI 28,3, Tetraplegie-/parese, Inkontinenz, Schluckstörung ist bekannt, berichtet,
dass er seit dem Unfall häufiger mal Kopfschmerzen hat.
Hr. Schubert hatte vor zwei Jahren ein Schädel-Hirn-Trauma mit Locked in Syndrom, seit einem
dreiviertel Jahr ist er wach und kann nonverbal Kontakt aufnehmen. Einige motorische Funktionen
kann Hr. Schubert wieder durchführen.
10.09.2015: Der Information des Rehaberichtes ist zu entnehmen, dass ein spezielles Ess- und
Trinktraining stattgefunden hat.
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SIS Strukturierte Informationssammlung
1b) …die Pflegeperson beschreibt zu den Themenfeldern
den Hilfe- und Pflegebedarf sowie die Einschätzung zu
Risikopotenzialen aus ihrer Perspektive.
Themenfeld 4 – Selbstversorgung
Kann sich nicht selbst waschen/kleiden, Haare, Rasur, Mundpflege ebenfalls voll abhängig, Zunge ist
belegt, Mutter berichtet, dass Ihr Sohn fast täglich einstuhlt. Er trägt einen Blasendauerkatheter.
Mutter berichtet, dass das Essen und Trinken sehr lange dauert, aber sie froh ist, dass er in der
Reha soweit wieder gelernt hat einigermaßen zu Schlucken. Sie berichtet, dass er sich bei der
Nahrungsverabreichung einige male verschluckt hat. Immer dann wenn sie ihm das Essen im Bett
gegeben hat. Auf die Frage ob Hr. Schubert den Speichel schlucken kann, nickt er mit dem Kopf
und die Mutter bestätigt dieses.
Massiv eingeschränkte Fähigkeit den Alltag selbstständig zu gestalten.
Themenfeld 5 – Leben in sozialen Beziehungen
Die Mutter berichtet, dass Ihr Sohn als Einzelhandelskaufmann bei EDKA gearbeitet hatte.
Lebensmittel sind seine Leidenschaft, er hat in dem Geschäft eine eigene Feinkostabteilung
aufgebaut. Seine Lebensgefährtin hat ihn kurz nach dem Unfall verlassen. Nach der Rehabilitation
hat er jetzt einige Monate zu Hause bei den Eltern gelebt. Die Versorgung konnte aber aufgrund
der Berufstätigkeit nicht sichergestellt werden. Zudem ist ihm Tagsüber wenn er alleine in der
Wohnung war langweilig. Hat früher gerne gelesen und PC-Spiele gemacht.
Themenfeld 6 – Wohnen /Häuslichkeit
Wünscht sich eine Terrasse mit Ausblick. Seine kleine Wohnen die er mit der Freundin vor dem
Unfall bewohnt hatte wurde aufgelöst und er ist nach der langen Reha-Phase bei den Eltern
eingezogen.
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Pflegefachliche Entscheidungsfindungsprozess!
Informationssammlung entsprechend
dem SIS
Inforn
sammeln
Probleme
Ressourcen
erkennen
Wirkung
beurteilen
Maßnahmen
durchführen
Pflegeziele
festlegen
Maßnahmen
planen
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Terminologie des Begriffs „Diagnose“
Diagnostizieren
1. Zweiter Schritt des Pflegeprozesses
2. Denkprozess, in dem die Daten interpretiert
werden, um Schlüsse daraus zu ziehen
Pflegediagnose
Das Produkt des Diagnostizierens: Eine
Schlussfolgerung über den Gesundheitszustand,
welcher unter Verwendung einer
Diagnosebezeichnung schriftlich festgehalten wird
Bezeichnung einer
Pflegediagnose
Nutzung eines Standardkataloges, der von ENP oder
NANDA-I anerkannten diagnostischen
Bezeichnungen
Wilkinson, J. M. (2012). Das Pflegeprozess-Lehrbuch, Deutschsprachige Ausgabe von Jürgen Georg und Jörn Fischer.
Bern: Huber Verlag, S. 173
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Pflegefachliche Entscheidungsfindungsprozess!
Informationen reichen nicht aus!
• kann im Rollstuhl aufrecht sitzen, die Kopfkontrolle ist vorhanden.
• kann nicht selbstständig essen und trinken und den Speichel
schluckt er zuverlässig.
• kann alles verstehen, aber nicht sprechen.
• Zustand nach SHT und Locked-in-Syndrom.
• Zur Abklärung eines urologischen Problems.
daher
Gezieltes Assessment!
Auszug Schluckassessment nach Perry 2001
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Pflegefachliche Entscheidungsfindungsprozess!
Informationen reichen nicht aus!
• kann im Rollstuhl aufrecht sitzen, die Kopfkontrolle ist
vorhanden.
• kann nicht selbstständig essen und trinken und den
Speichel schluckt er zuverlässig.
• kann alles verstehen, aber nicht sprechen.
• Zustand nach SHT und Locked-in-Syndrom.
• Zur Abklärung eines urologischen Problems.
Zusätzlich gewonnene Informationen
durch das Assessment und Schlucktest
• Schlucktest ist mit Wasser positiv verlaufen.
• Kann die festen Speisen zum kauen nicht zwischen die
Zahnreihen bewegen
• Schluckt mit Kompensationsmechanismen wie „Kopf
beim Schlucken nach vorne beugen“ und „kraftvoll
schlucken“ sicher ohne zu aspirieren. Hierzu muss er
immer wieder aufgefordert werden.
• Hand-Mund-Koordination fehlt wegen Tetraparese
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Ergebnis des pflegediagnostischen Prozesses!
Welche Bestandteile sollten dokumentiert werden?
Zunächst aber ein Video wie die Maßnahmen aussehen!
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Ergebnis des pflegediagnostischen Prozesses!
Pflegediagnostisches Ergebnis
in der Pflegedokumentation
aufgrund einer fehlenden Hand-MundKoordination beim Essen/Trinken
beeinträchtigt
• Führen bei Aktivitäten der
Nahrungsaufnahme nach dem AffolterKonzept
• Elementares Führen während der
Nahrungsaufnahme und Trinken
aufgrund einer/eines beeinträchtigten
Bolusformung/ -kontrolle/ -transports beim
Schlucken in der oralen Vorbereitungs-/
-transportphase beeinträchtigt
Kennzeichen
• Beim Herausstrecken der Zunge
Abweichung zur beeinträchtigten Seite
Ursache
• Zungenmotilitätsstörung
• Stabile Sitzposition im Rollstuhl herstellen
und an den Tisch fahren
• Haltungsänderung beim Schlucken
durchführen, Aufforderung zum
Kopfneigung (Kinn zum Hals)
• Kompensatorische Maßnahmen bei der
Nahrungsaufnahme anwenden
• Nahrung auf die weniger betroffen Seite
und feste Speisen mit einem
Essstäbchen zwischen die Zahnreihen
schieben
• Auffordern zum kraftvollen Schlucken
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Ergebnis des pflegediagnostischen Prozesses!
• Elementares Führen während
der Nahrungsaufnahme und
Trinken
• Stabile Sitzposition im
Rollstuhl herstellen und an
den Tisch fahren
• Nahrung auf die weniger betroffen Seite
und feste Speisen mit einem Essstäbchen
zwischen die Zahnreihen schieben
• Haltungsänderung beim Schlucken
durchführen, Aufforderung zum Kopfneigung
(Kinn zum Hals)
E-Learning-Einheit ab 17.11.2015 unter http://healthcare.tricat.net/pkms
kostenfrei verfügbar
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Bisheriges Pflegeprozessmodell (6-schrittig) soll auf ein
4-schrittiges Modell zurückgeführt werden!
Fallbesprechung
Informationen
sammeln
Risikomatrix
Pflegevisite
Im Kopf der
jeweiligen
Pflegeperson
Probleme
Ressourcen
formulieren
Wirkung
beurteilen
Maßnahmen
durchführen
SIS
Nur Abweichungen
vom Maßnahmenplan
im Pflegebericht und
Behandlungspflege
u. dokumentieren
Maßnahmen
planen
Pflegediagnose
Im Kopf der
jeweiligen
Pflegeperson
Pflegeziele
festlegen
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Die Maßnahmenplanung – Unsichtbares Ergebnis der
Denkprozesse der verschiedenen Pflegepersonen!
„Die Maßnahmenplanung im Rahmen des Strukturmodells unterscheidet sich
grundlegend von der bisherigen Praxis.“
Problem:
„Die ausführende PflegefachkraftSelbstfürsorgedefizit
durchläuft einen gedanklich-fachlichen
Ursache
bei (Welche Ressourcen
Problem: keins,
Prozess, der die Erkenntnisse aus der SISApraxie
einbezieht
Demenz, Ressource
kann eigentlich
bestehen? Welche Problemkonstellationen
sind vorhanden? Welche
Aufforderung
Problem:
wäscht
Zielsetzungen
sind anzustreben?).kann
Auch
wenn im Strukturmodell nicht alles
eplizit… Ressource
ist der
selbstständig…,
sichZiele
nicht,
dokumentiert werden, sindfolgen,
sie TeilMaßnahme
des professionellen Denkens und
„Waschtraining am
Maßnahme
Ressource
??, Ziel
Evaluation.“
Waschbecken, verbale
„helfen beim
…y Maßnahme
Impulse,
Ritual…“
„GKW„Das
im Bett“
Ergebnis dieses Prozesses spiegelt
sich
in Form konkreter MaßnahmenAnziehen“
wieder, ohne dass die übrigen Zwischenschritte verschriftet werden.“
Mein pflegediagnostisches Urteil zur EntbürokratisierungsKampagne
1. Ablenkung von den wahren Problemen der „überbordenden“
Dokumentation (fachliche Defizite und Unterbesetzung)
2. Ruhigstellung der Pflegeberufe
3. Unterstützung der Unsichtbarkeit der Versorgungs-Defizite