und völkerrechtliche Analyse

EinsatzbewaffneterdeutscherStreitkräfteinSyrien
Eineverfassungs-undvölkerrechtlicheAnalyse
NormanPaech
ProfessorfürVerfassungs-undVölkerrechti.R.derUniversitätHamburg
DieBundesregierungbegründetihrenAntrag„Einsatzbewaffneterdeutscher
StreitkräftezurVerhütungundUnterbindungterroristischerHandlungendurchdie
TerrororganisationIS“v.30.11.2015mitdemSelbstverteidigungsrechtgem.Art.51
UN-ChartaundderEU-Beistandsklauselgem.Art.42Abs.7EU-Vertragsowieden
Resolutionen2170(2014),2199(2015),2249(2015)desUN-Sicherheitsrats.
1.DieBundesregierungberuftsichzunächstaufdieBeistandspflicht,dieder
französischePräsidentHollandegem.Art.42Abs.7vondenEU-Mitgliedstaaten
eingeforderthatunddieihmam17.November2015aucheinstimmigzugesichert
wordenist.DieserBeistandverpflichtetdieStaatenjedochnichtzueinembestimmten
Handeln,geschweigedennzueinerUnterstützungmitmilitärischenMitteln.JederStaat
istsouveräninderWahlseinerMittel.WennjedochdieBundesregierungsichzueinem
militärischenEinsatzentschiedenhat,benötigtsieeinevölkerrechtlicheLegitimation,
diesieindemSelbstverteidigungsrechtdesArt.51UN-Chartasieht.
SieverweistdazuaufdiemilitärischenEinsätzemehrererStaaten(USA,
Australien,Großbritannien,Frankreich),diebereitsseitSeptember2014dem„Irak-auf
dessenErsuchen–inAusübungdesRechtsaufkollektiveSelbstverteidigungimSinne
vonArt.51derChartaderVereinenNationenmilitärischenBeistandleisten“.DieUSA
habeninderTatbereitsam23.September20141demUN-GeneralsekretärBanKiMoon
ihrmilitärischesEingreifenunterBerufungauflegitimeSelbstverteidigungangezeigt.
UmauchdenEinsatzvonMilitärinSyrienzubegründen,schreibtdieBundesregierung:
„IndiesemZusammenhangwerdenauchmilitärischeMaßnahmenaufsyrischemGebiet
durchgeführt,dadiesyrischeRegierungnichtinderLageund/odernichtwillensist,die
vonihremTerritoriumausgehendenAngriffedurchISzuunterbinden.“Offensichtlich
nimmtdieBundesregierungeinkollektivesVerteidigungsrechtsowohlzugunsten
1UNDOCS/2014/695.
1
SyriensalsauchFrankreichsinAnspruch.EinindividuellesSelbstverteidigungsrecht,
wieesinKreisenderKoalition2undz.B.vondenUSA3undFrankreichwegendirekter
BedrohungdurchdenISinAnspruchgenommenwird,nimmtdieBundesregierung
derzeitnichtwahr.
2.WiemandieSacheauchdrehtundwendet,dieganzeKonstruktiondesRechts
aufSelbstverteidigungstehtaufsehrwackeligenFüßen.SoweitsichdieStaatenaufdie
ZustimmungderirakischenRegierungfürihrmilitärischesEingreifenimIrakberufen
können,istdagegennichtseinzuwenden.NichtabersofürdieBombardierungenin
Syrien,wosichnurRusslandaufdieZustimmungdersyrischenRegierungberufenkann.
DieBerufungaufdasRechtzurkollektivenSelbstverteidigungzugunsteneinesStaates
istjedochohneZustimmungdesangegriffenenStaatesnichtmöglich.
DieUSAberufensichaufdieZustimmungderirakischenRegierungund
argumentieren,dasseineInterventioninSyriennotwendigsei,danurdadurchdie
GefahrfürIrakunddieAngriffeaufirakischesTerritoriumabgewehrtwerdenkönnen.
Esistdurchausvölkerrechtlichanerkennt,dasszurVerteidigungderGrenzen,diese
auchindenNachbarstaat,ausdemdieGefahrkommt,überschrittenwerdenkönnen.
DiesabernurinsehrbegrenztemUmfang.DieOperationenderUSAundihrer
VerbündetenbisweitindenWestenSyrienssinddadurchnichtlegitimiert.
3.Verschiedentlich,undinsbes.indenUSA,wirddieAnsichtvertreten,dassdie
ZustimmungeinesStaateszumilitärischenMaßnahmengegenterroristischeAktivitäten
dannnichtnotwendigsei,wennernichtwillensodernichtinderLageist,diesezu
bekämpfenunddieÜbergriffeindieNachbarstaatenzuverhindern.4AufdieseAnsicht
stütztsichdieBundesregierungauch.Abgesehendavon,dassdiesePosition
völkerrechtlichäußerstumstrittenist,dasiedieSouveränitätderStaatenaushöhlt,und
2SoNorbertRöttgen,„InSyrienverteidigenwirunsereSicherheit“,FAZv.28.Nov.2015.
3SodieUS-BotschafterinbeidenVereintenNationenSamanthaPowerinihremBriefandenUN-
Generalsekretärv.23.September2014
4MarcWeller,StrikingISIL:AspectsoftheLawontheUseofForce,https//www.asil.org/print/2475;
ClausKreß,TheFineLineBetweenCollectiveSel-DefenceandInterventionbyInvitation:Reflectionson
theUseofForceagainst‚IS’inSyria,v.17Feb.2015,https://www.justsecurity.org/20118/claus-krebforce-isil-syria/
2
nochnichtalseinegesicherteDoktringeltenkann,5liegenauchdietatsächlichen
Voraussetzungennichtvor.NichtSyrienistunwillig,denISzubekämpfen,sonderndie
USAundmitihnendieVerbündetenweigernsich,mitPräsidentAssadüberhauptüber
dieBekämpfungdesTerrorszusprechen.DiesyrischeRegierunghataufdie
MitteilungenvonGroßbritannienundAustraliengegenüberdemUN-Sicherheitsratvom
8.Und9.September2015,dasssiemilitärischeAktionengegendenISaufsyrischem
Territoriumbeginnen,miteinemBriefvom21.September20156eindeutigerklärt,dass
dieseAktivitätengegeninternationalesRechtverstoßenundsieEingriffefremder
StaateninihreSouveränitätnichtduldenwerde.Hingegenhatsiederrussischen
RegierungihreZustimmungzumgemeinsamenKampfgegendenISgegebenunddamit
eindeutigihrenWillenzurAbwehrbekundet.DasssiebishernichtinderLagewar,den
ISzubesiegen,istkaumeineKritik,dieSyrienalleinetrifft,sondernrichtetsichanalle
Staaten,diedenKampfgegendenISaufgenommenhaben.Mankannauchnichtdavon
ausgehen,wieesmitunterjedochgetanwird,7dassdieBombardierungvonISStellungenimInteresseSyriensliege,undmandeshalbvoneinerstillschweigenden
Zustimmungausgehenkönne.DieUSAhabenausreichendöffentlichundwiederholt
verkündet,dasRegimeAssadbeseitigenzuwollen,sodasssiesichnunkaumaufeine
stillschweigendeZustimmungdieserRegierungberufenkönnen,Bombardierungenim
ganzenLandohneAbstimmungmitDamaskusvornehmenzukönnen.
DieBerufungaufeinkollektivesSelbstverteidigungsrechtzugunstenSyriensist
dahernichtmöglichundscheidetauchfürdendeutschenEinsatzaus.
4.AberauchdieBerufungaufeinRechtaufkollektiveSelbstverteidigung
zugunstenFrankreichsbegegnetschwerenBedenkenundscheidetdeshalbaus.
KlassischerweisefindetdasVerteidigungsrechtgem.Art.51UN-Chartanurzwischen
Staatenstatt.SelbstwennderWortlautdesArt.51dasnichtausdrücklichsagt,soergibt
sichdasjedochausseinerEntstehungsgeschichteinderunmittelbarenNachfolgedes
verheerendstenStaatenkriegesdes20.Jahrhundertsundseinemunmittelbaren
5Vgl.AlexanderSchwarz,DieTerroranschlägeinFrankreich–einFallfürdasRechtauf
Selbstverteidigung?,http://www.juwiss.de/83-2015/;KevinJohnHeller,TheAbsenceofPractice
Supportingthe„UnwillingorUnable“Test,in:OpinioJuris,BlogArchiveTheAbsenceofPractice
Supportingthe‚UnwillingorUnable’Test–OpinioJuris.
6BriefdessyrischenBotschaftersandenGeneralsekretärderUNOunddenPräsidentendesUNSicherheitsratesv.21.September2015,DOCUNSRS/2015/719.
7SoallerdingsClausKreß,TheFineLineBetweenCollectiveSel-DefenceandInterventionbyInvitation:
ReflectionsontheUseofForceagainst‚IS’inSyria,v.17Feb.2015,
https://www.justsecurity.org/20118/claus-kreb-force-isil-syria/.
3
ZusammenhangmitdemGewaltverbotdesArt.2Z.4UN-Charta,welchessichgegen
jeglichezwischenstaatlicheGewaltineinerzukünftigenFriedensordnungrichtet.
UnterstrichenwirddieseBeschränkungdurchdiesog.Aggressionsdefinition,mitderdie
UN-GeneralversammlungimJahr1974denAngriffskriegalsstaatliche
Gewaltanwendungdefinierte.8
FolgtmanderfranzösischenRegierung-bisherallerdingsnureineBehauptung-,
sowurdendieAnschlägeinParis,obwohlvonfranzösischenundbelgischen
Staatsangehörigenausgeführt,vonSyrienausgeplant.SieseienalsodemIS
zuzurechnen.SelbstwennPräsidentHollandevoneinemKriegzwischenFrankreichund
demISspricht–einBegriff,denesimVölkerrechtnichtgibt,derumgangssprachlich
jedochmilitärischeAuseinandersetzungzwischenStaatenbezeichnet–istklar,dasses
sichbeimISnichtumeinenStaathandelt.Bisherverfügterwederumeindefiniertes
TerritoriumnochumeinStaatsvolk,undeinehandlungsfähigeRegierung,diedenStaat
wirksamnachaußenhinrepräsentierenkönnte,isttrotzdeseigenenAnspruchsnicht
vorhanden.Unterstellt,dassderAngriffdefinitivdemISzuzurechnenist,soister
dennochnichteinAngreiferimvölkerrechtlichenSinndesArt.51UN-Charta.
DiesesProblemstelltesichdenUSAunddemUN-Sicherheitsratbereitsim
September2001nachdemTerroranschlaginNewYorkdurchMitgliedervonAl-Qaida.
ManhalfsichmiteinerTheorievom„sicherenHafen“,dieesermöglichte,dieAnschläge
derTerrororganisationdirektdemafghanischenStaatzuzurechnen,derdamitzum
AngriffsobjektderSelbstverteidigungnachArt.51wurde.Nachdamalsherrschender
AnsichtwardieafghanischeRegierungengmitdenTalibanverwobenundbotdadurch
AlQaidaeinsicheresOperations-undRückzugsgebiet,vondemausdieOrganisation
Anschlägeweltweitplanenunddurchführenkonnte.Damithattemaneinedirekte
VerbindungzwischendemafghanischenStaatunddenTerroranschlägeninNewYork
hergestellt,undkonnteafghanischesTerritoriumalsZielfürdieeigenenmilitärischen
AktionenimRahmendesArt.51UN-Chartabestimmen.
8UNGVRes.3314(XXIX)v.14.Dez.1974,Art.1:„AggressionistdieAnwendungvonWaffengewaltdurch
einenStaat,diegegendieSouveränität,dieterritorialeUnversehrtheitoderdiepolitischeUnabhängigkeit
einesanderenStaatesgerichtetodersonstmitderChartaderVereintenNationenunvereinbarist,wiein
dieserDefinitionausgeführt.“
4
5.BeiallerjuristischenProblematikderdamaligenKonstruktion,istdiesejedoch
aufSyrienunddenISnichtzuübertragen.DennSyrienkanninkeinerHinsichtals
„sichererHafen“,dendieRegierungderTerrororganisationeingerichtethätte,
angesehenwerden.DeshalbwerdenÜberlegungenangestellt,dieZurechnungzueinem
Staatzulockern.Terroraktivitätennicht-staatlicherOrganisationenoderEinzelner
sollenauchdannalsbewaffneteAngriffedesStaatsi.S.desArt.51UN-Chartagelten,
wenndiesekeineSchutzverbindungoderDuldungdurchdenStaataufweisen.Essei
notwendig,denVerteidigungsbegriffauchaufdieAbwehrvonAngriffennichtstaatlicherTäterzuerweitern,dadieBedrohungdurchAnschlägetransnationaler
Terrororganisationen1945nochnichtsobekanntgewesensei,jetztabereineRegelung
durchdasVölkerrechtherausfordere.DieGewaltundZerstörungskraftdesTerrorshabe
nach9/11einderartigesAusmaßangenommen,dasserzwischenstaatlichen
militärischenAuseinandersetzungendurchausvergleichbarsei.AktedesTerrorismus
würdengenausoeine„BedrohungdesinternationalenFriedensundderSicherheit“gem.
Art.39UN-Chartadarstellenwie„bewaffneteAngriffe“durchStaaten.Seitden
Resolutionen1368und1373zu9/11habederSicherheitsratbisindiejüngsten
Resolutionen2170,2199und2249ausdenJahren2014und2015immerwieder
Terrororganisationenals„ernstesteBedrohungfürdeninternationalenFriedenunddie
Sicherheit“bezeichnet.
GegendieseErweiterungdesVerteidigungskonzeptsderUN-Chartalassensichjedoch
erheblicheBedenkeneinwenden.DieEinstufungenalsBedrohungsindallenurinden
akklamativenundunverbindlichenPräambelnderResolutionenenthalten,indenen
auchregelmäßigdieGarantiederSouveränitätundterritorialenIntegritätdes
angegriffenenLandesauftaucht.ImoperativenTeil,dernachArt.25UN-Chartafüralle
Mitgliedsstaatenverbindlichist,findetsichkeinederartigeReferenzaufArt.39UNCharta.Dort,imoperativverbindlichenTeil,wodiekonkretenMaßnahmenzur
BekämpfungdesTerrorismusaufgezähltwerden,findenwirinkeinerderResolutionen
dieForderungnachmilitärischenMaßnahmeni.S.Art.42UN-Charta,sondernlediglich
ökonomische,politischeundpolizeilichenMaßnahmeni.S.Art.41UN-Charta.Das
sprichtdafür,dassderSicherheitsratdieTerroristenalsStraftätereinstuft,diemit
polizeilichenundgerichtlichenMittelnundnichtmitmilitärischenverfolgtwerden
sollen.DieErweiterungderVerteidigungsermächtigungaufStaaten,diedenTerroristen
inihremLandwederSchutznocheinen„sicherenHafen“bieten,siesogarbekämpfen,
5
kämeauchinKonfliktmitderSouveränitätdiesesStaates.Die
Verteidigungsmaßnahmengem.Art.51richtensichgegendendirektenAngreifer,
dürfensichabernichtgegeneinenStaatrichten,demdieAnschlägenichtzugerechnet
werdenkönnen.DashatauchderInternationaleGerichtshofinseinenEntscheidungen
zurisraelischenMauer9undzumCongo10bestätigt:„Artikel51UN-Chartaerkenntdas
RechtaufnatürlicheundlegitimeVerteidigungimFallderbewaffnetenAggression
durcheinenStaatgegeneinenandernStaatan.“111983hattederIGH12inseiner
Nicaragua-Entscheidungeindeutigformuliert,dasssicheinStaatdasHandelnnichtstaatlicherAkteurenurdannzurechnenlassenmuss,wennerüberdieseeine„effektive
Kontrolle“ausübe.
WürdenmilitärischeVerteidigungsmaßnahmengegeneinenStaatzugelassen,
demdieTerroranschlägenichtzugerechnetwerdenkönnen,sowürdedasnichtnur
faktischdieAufhebungdesSchutzesderterritorialenIntegrität(Art.2.Z.7UN-Charta),
sondernauchdesGewaltverbots(Art.2Z.4UN-Charta)bedeuten.
6.LassensichdiePariserAnschlägealsonichtdemsyrischenStaatzurechnen,so
bestehtfürFrankreichnachderbisjetztimmernochgültigenVölkerrechtslehrekein
VerteidigungsrechtmitmilitärischenMittelngegenSyrienundfürdieBundesrepublik
keinkollektivesVerteidigungsrecht.PräsidentHollandehätteinsoferndenBeistandder
EU-MitgliedstaatennichtnachArt.42EU-Vertrag,sondernnachArt.222EU-Vertrag
einfordernsollen,derimFalleeinesterroristischenAnschlagesdieMobilisierungaller
zurVerfügungstehenderMittelvorsieht,umdenStaat„innerhalbseines
Hoheitsgebieteszuunterstützen“.
DemwidersprichtauchnichtdieStellungnahmedesUN-GeneralsekretärsBanKi
Moonvom23.September2014,indererunterBetonung,dassalleMaßnahmenin
SyrieninEinklangmitderUN-ChartaunddemVölkerrechterfolgenmüssen,darauf
hinweist,dassdieBombardierungderUSAinGebietenstattfindet,dienichtmehrunter
derKontrolledersyrischenRegierungstehen,unddassdieextremistischenGruppen
9LegalConsequencesoftheConstructionofaWallintheOccupiedPalestinianTerritory,v.9.Juli2004,
I.C.J.Reports,p.136,para138,139.
10ArmedActivitiesontheTerritoryoftheCongo(DemocraticRepublicoftheCongov.Uganda),v.19.
Dezember2005,p.168,para146.
11LegalConsequences...,para138.
12CaseConcerningMilitaryandParamilitaryActivitiesinandAgainstNicaragua(Nicaraguav.United
StatesofAmerica)v.22.Juni1986,I.C.JReports1986,p.14
6
eine„gegenwärtigeBedrohungfürdeninternationalenFriedenunddieSicherheit“
darstellen.13Daskönntedahininterpretiertwerden,dassderUN-Generalsekretärdie
Bombardierungenfürvölkerrechtsmäßighält.EinevorherigeBenachrichtigungüber
einenMilitärschlagersetztjedochinkeinemFalldieZustimmungdazu.AufjedenFall
reichteinsolchesSchreibennichtaus,dieFortentwicklungdesVölkerrechtsineinemso
sensiblenundumstrittenenBereich,wiedemderAusweitungdesVerteidigungsrechts,
zubeweisen.EinesolcheFortentwicklunglässtsichnurmiteinerbreiten
übereinstimmendenStaatenpraxisundderZustimmungderinternationalen
Staatengemeinschaftfeststellen,diederzeitjedochnochnichtvorhandenist.14
7.DieBundesregierungstütztdenEinsatzdesMilitärsferneraufdie
ResolutionendesUN-Sicherheitsrats2170(2014),2199(2014)und2249(2015).Allen
dreiResolutionistdieFeststellunggemeinsam-woraufderBundesministerdes
AuswärtigenunddieBundesministerinderVerteidigunginihremSchreibenvom30.11.
2015besondershinweisen-,dassvonderTerrororganisationISeineBedrohungfürden
WeltfriedenunddieinternationaleSicherheitausgeht.IndenWortender
Bundesregierung:DieAnschlägevonParis„sindeinAngriffaufEuropainsgesamt,
unsereLebensart,unsereKultur,unsereWerte.DieAnschläge,dieAbsagedes
FußballspielsvonHannover,dieBilderausBrüsselzeigen:dieBedrohungdurchden
islamistischenTerroristinderMitteEuropasangekommen.Europamussgegendiese
Bedrohungzusammenstehen.“15DieBundesregierungwilldamitnichteineigenes
individuellesVerteidigungsrechtinAnspruchnehmen,sondernnurdieUnterstützung
fürFrankreichals„BeistandunterFreunden“betonen.AllenResolutionenistebenfalls
gemeinsam,dasssiezwarunterBerufungaufdasKapitelVIIderUN-Chartaergangen
sind,aberkeinMandatfürmilitärischeZwangsmaßnahmengem.Art42UN-Charta
enthalten.SieenthaltenMaßnahmenzurKontrolleundUnterbindungderFinanzierung
13„IamawarethattodaysstrikeswerenotcarriedoutatthedirectrequestoftheSyrianGovernment,but
InotethattheGovernmentwasinformedbeforehand.Ialsonotethatthestrikestookplaceinareasno
longerundertheeffectivecontrolofthatgovernment.Ithinkitisundeniable–andthesubjectofbroad
internationalconsensus–thattheseextremistgroupsposeanimmediatethreattointernationalpeace
andsecurity.“
14ClausKreß,a.a.O.Anm.6,allerdingsmeint,dassdasaktuellemilitärischeVorgehenderUSAundihrer
VerbündeteninSyrienunddieAkzeptanzdurchdiemeistenStaateneinesolcheFortentwicklung
unterstützt,S.7,8.ÄhnlichMarcWeller,IslamicStateCrisis:WhatforcedoesinternationalLawallow?V.
24.September2014,http://www.bbc.com/news/world-middle-east-29283286.,sowieder
WissenschaftlicheDienstdesDeutschenBundestagsinseineraktualisiertenStudie„Staatliche
SelbstverteidigunggegenTerroristen“,S.21,WD2-3000-203/15.
15FrankWalterSteinmeier,UrsulavonderLeyen,BriefandieFraktionsvorsitzendenimDeutschen
Bundestagv.30.Nov.2015,S.2.
7
desTerrorismus,EinfrierenvonVermögenswerten,Waffenembargo,dieListungvon
Terroristenetc.Res.2249verlangtausdrücklich,dassdiejenigen,diefürTerrorakte,die
VerletzungdeshumanitärenVölkerrechtsoderdieVerletzungunddenMissbrauchvon
Menschenrechtenverantwortlichsind,zurRechenschaftgezogenwerdenmüssen.Das
sindallesMaßnahmenimRahmendesArt.41,nirgendswerdenmilitärische
MaßnahmennachArt.42zurVerteidigungerwähnt.
8.DieBunderegierungstütztsichallerdingsaufdenWortlautderResolution
2249,indemsieeineErmächtigungfürdieAnwendungmilitärischerGewaltals
kollektiveSelbstverteidigungzugunstenFrankreichssieht.Resolution2249fordertin
ihremAbsatz5alleMitgliederstaaten,diedieMitteldazuhaben,auf,„allenotwendigen
MaßnahmeninÜbereinstimmungmitdeminternationalenRecht...zuergreifen,umauf
demTerritorium,welchessichinSyrienundIrakunterderKontrollevonISIL,auch
bekanntalsDa’esh,befindet,ihreAnstrengungenzuverdoppelnundzukoordinieren,
umdieterroristischenAnschlägeinsbesonderevonISILzuverhindernundzu
unterbinden...undden„savehaven“,densiesichinbedeutendenTeileIraksundSyriens
eingerichtethaben,zubeseitigen(toeradicate).“DiesesistjedochgeradedemWortlaut
nachkeineErmächtigung,militärischeMitteleinzusetzen,dasienirgendserwähnt
werden.AuchdieseResolutionbeschränktsichaufMaßnahmen,denZustrom
ausländischerTerroristennachIrakundSyrienzustoppen,dieFinanzströmezu
unterbindenunddievorangegangenenResolutionenumzusetzen.Wieerwähnt,
enthaltenauchdieResolutionen2170(2014)und2199(2015)keinemilitärischen,
sondernnurpolitische,ökonomischeundpolizeilicheMaßnahmen.Siesindgeradezu
derBeweis,dassentgegenderAnnahmederBundesregierung,dieUnterstützung
FrankreichsinseinemKampfgegendenTerrorimeigenenLandnurmitdenMittelnder
zivilenKräftevonPolizei,Finanz-undGrenzkontrollenetc.erfolgendarf.Diedrei
ResolutionenfordernundunterstützenzwardenKampfunddieVerteidigunggegenden
IS,gebenaberkeinMandatzumEinsatzvonMilitär.16FrankreichbleibtnachLagedes
Rechts,willesdiesesnichtbrechen,nurdieAlternativeübrig,dieAnschlägeinParismit
denMittelnderPolizeiunddernationalenStrafverfolgungzubekämpfen.
16SoallerdingsderWissenschaftlicheDienstdesDeutschenBundestagsinseineraktualisiertenStudie
„StaatlicheSelbstverteidigunggegenTerroristen“,S.15,21,WD2-3000-203/15.
8
9.EinMandatfürmilitärischesEingreifenhatderzeitoffensichtlichnurRussland
durchdieAufforderungundZustimmungderRegierunginDamaskus.Dievereinzelt
geäußerteMeinung,17dassdieRegierungzwarnochlegalundvonderUNOanerkannt
abernichtmehrlegitimsei,unddeswegenRusslandsichnichtaufdieZustimmung
berufenkönne,istabwegig.ImVölkerrechtkommtesalleinaufdieLegalitäteiner
Regierungan,diesichinihrerfaktischenStellungimStaatalsgewählteundamtierende
Regierung18manifestiert.
10.DieBundesregierungsiehtdieEntsendungihrerbewaffnetenStreitkräfte
verfassungsrechtlich„imRahmenundnachdenRegelneinesSystemsgegenseitiger
kollektiverSicherheitnachArt.24Abs.2GG“.SelbstwennmandieAuffassung
akzeptiert,dassnichtnurdieUNOunddieNATO,sondernauchdieEUein„System
gegenseitigerkollektiverSicherheit“ist,sokannsiesichjedochnichtaufkollektive
Selbstverteidigungberufen.DerRahmen–dieEU–magstimmen,dieRegeln–die
kollektiveSelbstbestimmunggem.Art.51UN-Charta-abernicht.AucheineBerufung
aufArt.87aAbs.2GGfürdieEntsendungderStreitkräftescheitert,daessich
völkerrechtlichunddamitauchverfassungsrechtlichnichtumVerteidigunghandelt.
11.DieBundesregierungberuftsichzwaraufArt.51UN-Charta,möchteaberden
BegriffKriegvermeiden.DasVölkerrechtkenntdenBegriffdesKriegesnicht.Es
unterscheidetzwischeneineminternationalenKonfliktzwischenStaaten,sprichKrieg,
undeinemnichtinternationalenKonflikt,deralsBürgerkriegbezeichnetwird.Die
BundesregierungmöchteihrenEinsatzderStreitkräfteanderSeitederUSA,
FrankreichsundjetztauchGroßbritannienslediglichalseineInterventionzugunsten
Frankreichs,d.h.allenfallsalsBeteiligunganeinemBürgerkriegverstandenwissen.
DiesentsprichtjedochschonlangenichtmehrderRealität.Nichtnur,dassderISbereits
inzweiStaaten,IrakundSyrien,operiert,aufderGegenseitehabeninzwischen15
Staaten(SiebenverbündeteNATO-Staaten:USA,Großbritannien,Frankreich,Türkei,
Kanada,BelgienunddieNiederlande;achtNicht-NATO-VerbündetederUSA:Israel,
Katar,Saudi-Arabien,dieVereinigtenArabischenEmirate,Jordanien,Bahreinundjetzt
auchRussland)indieKämpfeeingegriffenunddenKonfliktinternationalisiert.Diesist
17SoMarcWeller,IslamicStateCrisis:WhatforcedoesinternationalLawallow?V.24.September2014,
http://www.bbc.com/news/world-middle-east-29283286.
18Basharal-AssadwurdeimJuni2014wiedergewählt,vgl.TheGuardianv.4.Juni2014,Basharal-Assad
WinsRe-electioninSyriaasUprisingAgainsthimRageson.
9
schonlangekeininternerKonfliktmitinternationalerBeteiligungmehr,sondernein
internationalerKonflikt,indendieBundesrepublikjetzteingreifenwill,einKrieg,mit
allenGebotenundVerbotendeshumanitärenVölkerrechts.
Zusammenfassung
DievonderBundesregierunginAnspruchgenommenerechtlicheBegründung
fürdieEntsendungdeutscherStreitkräftenachSyrienistunhaltbar.Esbestehtkein
RechtaufkollektiveSelbstverteidigung,wedergem.Art.51UN-ChartanochaufGrund
derResolutionen2170(2014),2199(2914),2249(2015).
EinkollektivesSelbstverteidigungsrechtzugunstenSyriensbestehtnicht,weildie
syrischeRegierungnichtzugestimmthat,ihrauchnichtvorgeworfenwerdenkann,sie
seiunwilligoderunfähig,sichzuverteidigen,wennmansichverweigertmitihrzu
sprechenundsiesogarbeseitigenwill.ZudemhatRusslanddieZustimmungunddamit
dievölkerrechtlicheLegitimationfürseinemilitärischenVerteidigungsmaßnahmenvon
dersyrischenRegierungerhalten.
EsbestehtauchkeinkollektivesVerteidigungsrechtzugunstenFrankreichs,denn
dieTerroranschlägeinPariskönnennichtdemsyrischenStaatzugerechnetwerden.
SyrienhatdemISnicht,wieseinerzeitAfghanistanfürAl-Qaida,einRückzugsgebiet
bzw.einen„sicherenHafen“gebotenundhatauchkeineKontrolleüberdenIS.Das
Völkerrechtbestehtnachwievordarauf,dasseinStaatnurdannangegriffenwerden
kann,wennihmdieTerroranschläge,dievonseinemTerritoriumausgehen,
zugerechnetwerdenkönnen.DiesisteinGebotderSouveränitätundterritorialen
IntegritätsowiedeszwingendenGewaltverbots,dienurmitderZustimmungSyriens
aufgehobenwerdenkönnen.
FrankreichverbleibenalleMöglichkeitenderVerfolgungderAttentätermitden
nationalenMittelnderPolizei,Grenzkontrollen,Strafverfolgungetc.sowieder
EinforderungvonBeistandundUnterstützungdurchdieEU-Mitgliedsstaatengem.Art.
222EU-Vertrag.IndiesemRahmenkannauchdieBundesrepubliktätigwerden.
10
AuchdieResolution2249desUN-Sicherheitsratsermächtigtdie
BundesregierungnichtzumEinsatzdeutscherStreitkräfteinSyrien.DieResolution
beruftsichzwaraufKapitelVIIUN-Charta,belässtesaberbeiMaßnahmenzivilerArt
gem.Art.41UN-ChartazurBekämpfungdesISundgibtkeinMandatfürmilitärische
Maßnahmengem.Art.42UN-Charta.
DadieBundesregierungwedereinRechtausArt.51UN-ChartanocheinMandat
desUN-SicherheitsratzurkollektivenSelbstverteidigunghat,sindauchdiebeiden
möglichenverfassungsrechtlichenGrundlageneinerEntsendungderBundeswehrnach
Syrien,Art.24Abs.2GGundArt.87aAbs.2GG,hinfällig.DieEntsendungder
BundeswehrwäreeinschwererVerstoßgegengeltendesVölker-undVerfassungsrecht.
DiemilitärischenKämpfegegendenISsindinvölkerrechtlicherTerminologieein
internationalerKonflikt.ErerstrecktsichüberzweiStaaten,IrakundSyrien,anihm
nehmenderzeit15Staatenteil.EshandeltsichumeinenKrieg,derschonlangedie
nationalenDimensioneneinesnichtinternationalenKonflikts(Bürgerkrieg)gesprengt
hat,undmussauchalsKriegbezeichnetwerden.
Hamburg,d.3.Dezember2015-12-03
Gez.Prof.Dr.NormanPaech
11