Beweisverwertungsverbote

Beweisverwertungsverbote
Prof. Dr. Katharina Beckemper
1
Funktion der Beweisverbote
Untersuchungsgrundsatz aus § 244 II StPO verlangt umfassende
Aufklärung des Sachverhalts
Aber: keine Wahrheitserforschung um jeden Preis!
 Übereinstimmung mit Werteordnung des GG
 Schranken der Strafverfolgungsbehörden aus Grundrechten und
Staatsprinzipien
zB: rechtsstaatliches Verfahren, Art. 20 III GG
Einschränkung des Untersuchungsgrundsatzes und des Grundsatzes
der umfassenden Beweiswürdigung zu Gunsten höherwertiger
Rechtsgüter und Interessen
 Beweisverbote = Mittel zum Schutz von Individualrechten
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Unterteilung der Beweisverbote
Beweisverbote
Beweiserhebungsverbote
Themenverbote
untersagen Aufklärung bestimmter
Sachverhalte
zB: § 100c V StPO
Mittelverbote
untersagen Verwendung bestimmter
Beweismittel
zB: §§ 52-55, 81c III StPO
Methodenverbote
untersagen bestimmte Art der
Beweisgewinnung
zB: § 136a StPO
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Beweisverwertungsverbote
= schließen bestimmte
Beweisergebnisse von der
Berücksichtigung im Urteil aus
Unselbstständige
Folgen aus Verstoß gegen ein
Beweiserhebungsverbot
Selbstständige
Unabhängig von Rechtmäßigkeit
der Gewinnung; Folgen aus
unmittelbar aus Grundrechten
v.a. Menschenwürde,
allg. Persönlichkeitsrecht
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Kriterien für die Bestimmung eines BVV
Umstritten ist, welche Kriterien für die Bewertung herangezogen werden
sollten.
 1 . Ansicht: Abwägungslehre
→BVV soll Ausnahme darstellen und nur bei übergeordneten
wichtigen Gründen des Einzelfalls anzunehmen sein
staatl. Interesse an Strafverfolgung
Individualinteresse des Bürgers:
Wahrung seiner Rechte
 2. Ansicht: Schutzzweck der verletzten Beweiserhebungsnorm
→ schützt Norm die Interessen des Betroffenen oder bloße
Ordnungsvorschrift
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Kriterien für die Bestimmung eines BVV
Für ein Verbot:
 Generalpräventive Gründe (Disziplinierungsfunktion)
(Gedanke: § 136 a III 2 StPO)
 Verwertung des rw erlangten Beweises würde Zweck des
Erhebungsverbotes unterlaufen (Schutzzweck)
 Beweiserhebung führt zur Verletzung von
Informationsbeherrschungsrechten
(Gedanke: § 160 a I 2 StPO (berufl. Schweigepflicht))
Gegen ein Verbot:
 Verletzung einer bloßen Ordnungsvorschrift
(zB: Eidesformel § 64 StPO)
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Kriterien für die Bestimmung eines BVV
 Überblick über wichtige Fallgruppen, bei denen die Rspr. ein BVV
angenommen hat:
 Zeugnisverweigerung durch Angehörigen in der Hauptverhandlung
§ 252
 Unterbleiben der Zeugenbelehrung § 52 III 1
 Fehlen der Beschuldigtenbelehrung § 136 I 2
 Unzulässige Tonbandaufnahmen bei der Strafverfolgung § 100c
 Unzulässige Telefonüberwachung § 100a
 Verletzung des Richtervorbehalts § 105, § 81a II
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Die Widerspruchslösung
Nach der Rspr. muss der verteidigte oder über das
Widerspruchserfordernis vom Gericht belehrte Beschuldigte der
Verwertung des Beweises ausdrücklich widersprechen!
 Maßgeblicher Zeitpunkt: § 257 StPO unmittelbar nach Ende der
Beweiserhebung
Danach wird Einwand nicht mehr gehört!
 Zudem soll auch die Angriffsrichtung des Widerspruchs begründet
werden (welcher Beweis ist warum unverwertbar)
 Keine Anwendung der Widerspruchslösung:
 bei verbotenen Vernehmungsmethoden
 Verletzung von Rechten Dritter (Nichtbelehrung eines Zeugen)
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Die Widerspruchslösung
Wichtige Anwendungsfelder der Widerspruchslösung:




Unterlassen der Belehrung nach § 136 I StPO
Verstoß gegen Benachrichtigungspflicht aus § 168c V StPO
Missachtung des Richtervorbehalts aus § 81a II StPO
Verletzung der Anordnungsvoraussetzungen des Einsatzes einer
Telekommunikationsüberwachung § 100a StPO oder eines verdeckten
Ermittlers § 110a StPO
Kritik:
 Dem Verteidiger werden gerichtliche Aufklärungs-und Fürsorgepflichten
übertragen
 Bei fehlendem Widerspruch sind selbst schwerste Verfahrensverstöße
unbeachtlich
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Überblick über BVV
BVV im Zusammenhang mit:
1) Zeugnis-, Auskunftsverweigerungsrechten
2) Schutz vor Selbstbelastung
3) Schutz der Intimsphäre
4) Überwachung der Telekommunikation
5) Körperliche Untersuchung
6) rechtswidrige Erlangung von Beweismitteln durch Private
7) verdeckten Ermittlungsmethoden
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BVV bzgl. Zeugnis-, Auskunftsverweigerungsrechten
1.
Unterbleiben der Zeugnisbelehrung bei Angehörigen § 52 III
Belehrung vor jeder Vernehmung, § 52 III 1
Bei Verstoß gegen Belehrungspflicht: Unverwertbarkeit der Aussage
 Schutzzweck („schonende Rücksicht auf die Familienbande“)
 Selbst wenn Gericht die Angehörigeneigenschaft zum
Vernehmungszeitpunkt noch nicht kannte
 Aber Einschränkung: nur BVV, wenn das Fehlen der Belehrung für die
Zeugenaussage ursächlich war
Hat Zeuge sein Recht gekannt und auch nach ordnungsgemäßer Belehrung
ausgesagt, kann die Aussage verwertet werden
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BVV bzgl. Zeugnis-, Auskunftsverweigerungsrechten
Keine Umgehung:
 zB: Aussage des Zeugen darf wegen § 252 nicht verlesen werden. Dann
auch kein Rückgriff dadurch, dass verhörender Polizist als Zeuge darüber
vernommen wird.
 Aber:
Geltendmachung des Zeugnisverweigerungsrechts hindert den Zeugen
grundsätzlich nicht, die Verwertung seiner gemachten Aussage bei einer
vorherigen nichtrichterlichen Vernehmung zu gestatten.
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BVV bzgl. Zeugnis-, Auskunftsverweigerungsrechten
2. § 53 StPO und § 203 StGB
 Zeugnisverweigerungsrecht für bestimmte Berufsgruppen
 § 53 enthält keine Belehrungspflicht wie § 52 III
Eine solche kann sich aus Fürsorgepflicht des Gerichts ergeben,
wenn dem Zeugen sein Recht offensichtlich unbekannt ist
 Verstoß gegen§ 203 StGB, führt nach h.M. nicht zum Verwertungsverbot
der Aussage
 Grund: Eine Strafbarkeit nach § 203 StGB berührt nur die
Risikosphäre des Zeugen und schränkt die Aufklärungspflicht des
Gerichts nicht ein
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BVV bzgl. Zeugnis-, Auskunftsverweigerungsrechten
3. Verstoß gegen § 97 I StPO
 Beschlagnahmeverbot soll Umgehung der Zeugnisverweigerungsrechte
verhindern
 Wird ein solcher Gegenstand beschlagnahmt, unterliegt er einem
Verwertungsverbot
4. Auskunftsverweigerungsrecht nach § 55 StPO
 Belehrungspflicht gilt auch für Polizei und StA (§§ 161a I 2, 163 III StPO)
 Fehlende Belehrung:
 m.M.: Verwertungsverbot
→ § 55 soll auch das Interesse des Angeklagten an wahrheitsgemäßer, konfliktfreien
Aussage schützen
 h.M.: kein Verwertungsverbot
→Rechtskreis des Beschuldigten nicht berührt; § 55 schützt bloß
Zeugen bzw. nahen Angehörigen vor Belastung
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BVV bzgl. Zeugnis-, Auskunftsverweigerungsrechten
 Aber: Wird Zeuge später selbst zum Beschuldigten, führt die fehlende
Belehrung nach § 55 zu einem Verwertungsverbot
→ Zeuge soll durch § 55 gerade vor Strafverfolgung geschützt werden
 Beschuldigter muss aber Schweigerecht nicht gekannt haben und in der
Verhandlung der Verwertung widersprechen (Widerspruchslösung)
5.
Verweigerungsrecht in der Hauptverhandlung § 252
Zeugnisverweigerungsrecht §§ 52-53a
 Die Zeugenaussage darf in der Hauptverhandlung nicht verlesen werden,
wenn der Zeuge sich auf sein Zeugnisverweigerungsrecht beruft, § 252
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BVV bzgl. Zeugnis-, Auskunftsverweigerungsrechten
Aus Verlesungsverbot folgt umfassendes Verwertungsverbot der früheren
Aussage
 Nach Ansicht der Rspr. besteht dies jedoch nur bei Zeugenvernehmung
durch Polizei und StA, nicht aber bei richterlicher Vernehmung
 Neue Rspr.: Qualifizierte Belehrung erforderlich.
Auskunftsverweigerungsrecht § 55
 Umstritten, ob auch bei § 55 der § 252 eingreift
 Wohl: nein
→ Wortlaut § 252 bezieht sich nur auf Zeugnisverweigerungsrecht
→ Auch analoge Anwendung (-) da andere Interessenlage (§ 55 nur
Schutz des Zeugen, nicht des Beschuldigten)
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Schutz vor Selbstbelastung
Nemo-tenetur-se-ipsum-accusare: Eine Verletzung führt zu einem BVV
Auswirkungen u.a.:
 § 136 a verbotene Vernehmungsmethoden
 § 136 I 2 Vernehmung des Beschuldigten
 Folge der fehlenden Belehrung:
h.M. Verwertungsverbot (verteidigter Angeklagter muss aber
widersprechen)
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Auswirkungen der Sphärentheorie des BVerfG
 Die Strafverfolgungsbehörden könne nicht grenzenlos in die Sphären des
Beschuldigten eingreifen. Welche Anforderungen gestellt werden und
wann ein Verwertungsverbot folgt, hängt von der betroffenen Sphäre ab.
Sozialsphäre: kein besonderer Schutz
Privatsphäre: Abwägung zwischen
Strafverfolgungsinteresse
Privatschutz
Intimsphäre:
Art. 2 I iVm 1 I GG garantiert einen unantastbaren
Kernbereich privater Lebensgestaltung
-> jeder Eingriff ist unzulässig!
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Auswirkungen der Sphärentheorie des BVerfG
Sphärentheorie in gesetzlichen Regelungen:
§§ 100a IV, 100c V: keine Verwertung von Erkenntnissen, wenn dabei
Eingriff in Kernbereich privater Lebensgestaltung
 Liegen Eingriffsvoraussetzungen nicht vor, folgt idR ein BVV
 Bei einer Abwägung zwischen den einzelnen Interessen sprechen
für eine Verwertbarkeit
 Unverzichtbarkeit des Beweismittels
 Schwere des Tatvorwurfs
Gegen ein Verwertungsverbot
 Schwere des Eingriffs
 Bedeutung des betroffenen Grundrechtes
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Auswirkungen der Sphärentheorie des BVerfG
 Wichtige Fallgruppen:
1.
Heimliche Tonbandaufnahmen
 Im Anlassverfahren: Uneingeschränkte Verwertung bei Aufnahmen des
großen (§ 100c I) bzw. kleinen Lauschangriffs (§ 1oof)
 Folgeverfahren:
 bei kleinem Lauschangriff: § 477 II 2, 3
 Bei großem Lauschangriff: § 100d V
(Erkenntnisse dürfen dann nicht verwertet werden, wenn sie durch
Abhören einer Wohnung gewonnen wurden und dabei aber nur die
Voraussetzungen des kleinen Lauschangriffs vorlagen)
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Auswirkungen der Sphärentheorie des BVerfG
Fall BGH NStZ 2012, 277
Das LG hatte die 3 Angeklagten (Bruder und Schwester und den Ehemann
der Schwester) wegen Mordes verurteilt. Sie sollen die Ehefrau des Bruders
aus niedrigen Beweggründen getötet haben. Ihre Leiche wurde jedoch nie
gefunden. Zur Überführung stützte sich das LG hauptsächlich auf
Selbstgespräche des Bruders im Auto, die im Rahmen des § 100f
aufgezeichnet worden waren.
Dabei äußerte der Angeklagte u.a.:
„… die L. ist schon lange tot, die wird auch nicht wieder … kannste
natürlich nicht sagen …” „oho I kill her … oh yes, oh yes … and this is my
problem …” „…wir haben sie tot gemacht … ist eben lebenslang und fertig
aus, lebenslang …“
Die Revision rügte die Verwertung der Angaben.
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Auswirkungen der Sphärentheorie des BVerfG
Wie erfolgt die Zuordnung von Äußerungen zu den einzelnen Sphären?
Grundsätzlich 4 Kriterien:
 Ort der Äußerung
 Inhalt der Äußerung
 Art der Äußerung
 Partner der Kommunikation
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Auswirkungen der Sphärentheorie des BVerfG
Im vorliegenden Fall: fallen Äußerungen in Intimsphäre?
contra
pro (so auch BGH)
 Inhalt: begangene schwere
Straftat
 Art: mögliche Unbewusstheit der
Äußerungen im Selbstgespräch,
Flüchtigkeit des gesprochenen Wortes
 Ort: im Auto, im Bewusstsein allein
zu sein
 Person: Selbstgespräch,
Vertraulichkeit der Gedanken
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Auswirkungen der Sphärentheorie des BVerfG
2. Tagebuchaufzeichnungen
 BGHSt 34, 397:
Ein Mörder schreibt in seinem Tagebuch über seine Ängste und
Tötungsphantasien. Kann der Inhalt verwertet werden?
BGH: ja
→Hier Zuordnung zur Persönlichkeitssphäre
→Abwägung fällt aufgrund der schwere des Delikts für eine
Verwertbarkeit aus
(!) Müssten solche Aufzeichnungen nicht eher der Intimsphäre
angehören? Dort wäre eine Abwägung unzulässig.
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Auswirkungen der Sphärentheorie des BVerfG
 Argumentation des BVerfG in der folgenden Verfassungsbeschwerde:
(Urteil wurde gehalten. 4:4 Abstimmung)
 Eine solche Zuordnung zum absolut geschützten Bereich persönlicher
Lebensgestaltung ist schon deshalb in Frage gestellt, weil der Täter
seine Gedanken schriftlich niedergelegt hat. Er hat sie damit aus dem
von ihm beherrschbaren Innenbereich entlassen und der Gefahr eines
Zugriffs preisgegeben.
 Zudem haben sie einen Inhalt, der über die Rechtssphäre ihres
Verfassers hinausweist und Belange der Allgemeinheit nachhaltig
berührt. Die Tat konnte erst durch Persönlichkeitsstruktur des Täters
verstanden werden.
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BVV - Überwachung der Telekommunikation
Fehlende Anordnungsvoraussetzungen
 Fehlen der materiellen Anordnungsvoraussetzungen: Unverwertbarkeit
der Erkenntnisse
 Dem Anordnenden steht bei der Prüfung der materiellen
Voraussetzungen ein Beurteilungsspielraum zu
 Ein Verwertungsverbot soll nur bei Willkür oder grober
Fehleinschätzung folgen
 Heilung möglich, wenn zwar keine Katalogtat vorlag, aber auch der
Verdacht bzgl. einer anderen Katalogtat bestand und die Anordnung
gerechtfertigt hätte
 Fehlen formelle Voraussetzungen:
 idR kein Verwertungsverbot
 Außer gerichtl./StA Anordnung fehlt
 Auch hier Widerspruchslösung beachten!
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BVV - Überwachung der Telekommunikation
Zufallsfunde
 Keine Verwertung, wenn die Überwachung rechtswidrig angeordnet war
 War die Überwachung rechtmäßig: § 477 II 2 StPO
 Verwertung der Zufallsfunde nur:
 zum Nachweis von anderen Katalogtaten nach § 100a II
 zum Nachweis von anderen Nichtkatalogtaten, die in unmittelbarem
Zusammenhang mit der Katalogtat stehen, die den Anlass zur
Überwachung gab
 Nach der Rspr. schließt das Verwertungsverbot nicht aus, dass die
gefundene Spur weiterverfolgt wird, um weitere verwertbare Beweise zu
finden
sog. Spurenansatz
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BVV - Körperliche Untersuchung, § 81a StPO
 Verstoß, weil Anordnung von falscher Person kam oder die Blutentnahme
von keinem Arzt (sondern Krankenschwester) durchgeführt wurde
h.M. kein BVV
→ § 81a schützt nur vor gesundheitlichen Schäden; mit solchen ist in
obigen Fällen nicht zu rechnen
 Blutentnahme ohne richterliche Anordnung, ohne Gefahr im Verzug und
ohne Einwilligung:
Rspr: nach Abwägung idR Ergebnis der Verwertbarkeit
→ Richtervorbehalt zählt mangels verfassungsrechtlicher Verankerung
nicht zu den rechtsstaatlichen Mindeststandards
(anders als bei Wohnungsdurchsuchung)
→ Daher überwiege das Interesse an der Sicherheit des öff
Straßenverkehrs
 Anders: die anordnende Person verstößt bewusst gegen § 81 a II
 BVV (+) wegen Verstoß gegen „fair trial“; Widerspruch nötig!
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Rechtswidrige Beweiserlangung durch Privatpersonen
Grundsätzliche Verwertbarkeit
Ausnahmen:
1)
Eingriffe in die Intimsphäre
 Auswertung eines Tagebuchs, heimliche Tonbandaufnahmen, …
 Ob die Verwertung zulässig ist, richtet sich nach der Sphärentheorie des
BVerfG
 Jedenfalls dann zulässig, wenn der Eingriff gerechtfertigt war und
Rechtfertigung bis zur Einführung des Beweismittels in die Verhandlung
fortwirkt
 zB: Tonbandaufnahme war nicht unbefugt, § 201 StGB
(Opfer hat Erpresseranruf aufgezeichnet)
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Rechtswidrige Beweiserlangung durch Privatpersonen
2) Das Beweismittel wurde durch einen groben Verstoß gegen die
Menschenwürde erlangt
 zB: Bruder des Getöteten erlangt Geständnis des Täters durch Folter
 BGHSt 44, 129: A sitzt wegen Mordverdachts in Untersuchungshaft.
Mitgefangene S betätigt sich als Wahrsagerin und verspricht, das
Gericht durch ihre Kräfte für A positiv zu beeinflussen, wenn sie sich
ihr offenbart. Erst nach einigen „Sitzungen“ und unter Drogeneinfluss
gesteht A gegenüber S. S gibt diese Information an die
Staatsanwaltschaft weiter, um sich (wie in anderen Fällen zuvor)
Hafterleichterungen zu verschaffen.
BVV (+) , § 136a III StPO analog
Arg: S hat zwar nicht im Auftrag der Ermittlungsbehörde gehandelt,
aber ihre Methode (Täuschung, Drogen) ist grob rechtsstaatswidrig
und verstößt gegen die Menschenwürde.
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Rechtswidrige Beweiserlangung durch Privatpersonen
3)
Handeln im Auftrag der Strafverfolgungsbehörden

Behörden dürfen Regeln der StPO, EMRK nicht dadurch umgehen, dass
sie Private beauftragen

„Liechtensteiner Steueraffäre“ : Ankauf von Steuer-CDs
 Bedenklich: Informant hat sich idR selbst strafbar gemacht
 Rspr. lässt Verwertung aber zu
 Kritik: Rechtswidriges Verhalten müsste Behörden zugerechnet
werden, da sie die CDs in Kenntnis aller Umstände angekauft haben
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BVV bei verdeckten Ermittlungsmethoden
Verdeckte Ermittler
 §§ 110a ff. StPO regeln Voraussetzungen für den Einsatz von Verdeckten
Ermittlern (VE)
(Ähnlich zu Regeln über Telekommunikationsüberwachung)
 Fehlen materieller Voraussetzungen:
 Verwertungsverbot nur bei obj. Willkür oder unvertretbaren
Entscheidung über Anordnung
 Fehlen formeller Voraussetzungen:
 idR kein Verwertungsverbot
 Außer: keine richterl./staatsanwaltschaftl. Zustimmung
V-Mann/Informant/sonstige nichtöffentlich ermittelnde Person
 Mangels spezieller gesetzlicher Grundlage ist unklar, wann
Verwertungsverbote anzunehmen sind
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BVV bei verdeckten Ermittlungsmethoden
Zufallsfunde beim Einsatz von VE
 Verwertung nur in engen Grenzen des § 477 II 2, 3 StPO
 Ansonsten folgt daraus ein gesetzl. BVV
 Unklar ob analoge Anwendung auf V-Männer
Fehler bei konkreten Aufklärungsmaßnahmen:
 Strafverfolgungsorgane dürfen durch verdeckte Ermittlungsmethoden
nicht gezielt die den Beschuldigten oder dessen Angehörigen
schützenden Normen umgehen
v.a. §§ 136, 136a, 52, 252 StPO
 Im Einzelnen ist jedoch vieles umstritten:
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BVV bei verdeckten Ermittlungsmethoden
1. Verstoß gegen § 136 StPO
 Recherchiert ein VE/V-Mann ohne über seinen amtlichen Auftrag
aufzuklären, verstößt er nicht gegen §§ 163a IV 2, 136 StPO
→ Ist keine Verhörsperson in amtlicher Eigenschaft; es liegt keine
Vernehmung vor
→ Beschuldigter weiß, dass er als „privat“ auftretenden Menschen
nichts Belastendes zu offenbaren hat
 Auch Erkenntnisse, die während einer Straftat gesammelt werden,
dürfen verwertet werden.
→ Niemand hat einen Anspruch, bei Straftaten unbeobachtet zu
bleiben
 Aber: kein gezieltes Umgehen des § 136 StPO, indem VE/V-Mann auf
Verdächtigen angesetzt wird, um eine bestimmte begangene Tat
aufzuklären.  dann § 136 analog
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BVV bei verdeckten Ermittlungsmethoden
BGHSt 52, 11 „ Mallorca- Fall“
A wird verdächtigt, auf Mallorca ein Mädchen getötet zu haben. Er verweigert
allerdings jede Aussage. Um ihn zu überführen, setzen die Polizei einen verdeckten
Ermittler (E) auf ihn an. Als A sich wegen einer anderen Sache in Haft befand, trafen
beide während eines simulierten Gefangenentransportes aufeinander. Später
freundete sich E mit ihm an. Nach einiger Zeit forderte E ihn auf, ihm die Wahrheit
über den Mord des Mädchens zu erzählen. A gestand daraufhin.
BGH:
„Solange der Verdeckte Ermittler den Beschuldigten zu selbstbelastenden
Äußerungen nicht drängt oder ihm solche nicht in anderer Weise – insbesondere
durch gezielte Befragungen – entlockt, dürfen diese verwertet werden.
Verfahrensrechtlich unzulässig wurde der Einsatz des Verdeckten Ermittlers hier
dadurch, dass er den Angekl., der sich für das Schweigen zum Tatvorwurf
entschieden und dies einem Polizeibeamten mitgeteilt hatte, unter Ausnutzung des
geschaffenen Vertrauens zu einer Aussage gedrängt und in einer
vernehmungsähnlichen Weise zu den Einzelheiten befragt hatte…“
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BVV bei verdeckten Ermittlungsmethoden
2. § 136 a StPO
 § 136 a wird analog angewendet
→ Es widerspräche des Rechtsstaatsprinzip, wenn § 136 a durch VE/V-Männern
umgangen werden könnte
 Das Verschweigen des amtlichen Auftrages stellt dabei aber noch keine
Täuschung dar
3. §§ 52, 252 StPO
 Aussagen einer zeugnisverweigerungsberechtigten Person gegenüber
VE/V-Mann idR verwertbar
→ § 252 kann mangels Vernehmung nicht direkt angewendet werden
→ Auch keine Täuschung iSd § 136 a, da ein Gesprächspartner nicht konkludent
miterklärt, er sei kein VE/V-Mann
 Aber BVerfG: liegt keine gesetzl. Ermächtigung für Einsatz vor, stellt dies
einen Verstoß gegen den fair-trail-Grundsatz dar
Hat aber offengelassen, ob daraus BVV folgt
 Wohl § 252 analog (Parallele zu § 136 StPO)
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BVV bei verdeckten Ermittlungsmethoden
Weitere Mithörfälle
 Problematisch sind insbesondere solche Fälle, bei denen
Ermittlungspersonen Gespräche zwischen Verdächtigem und einem
(darüber aufgeklärten) Vertrauten mithört
 Wohl analoge Anwendung von §§ 136, 136a, 52, 252 StPO, um die
Schutznormen nicht leer laufen zu lassen
 BGHSt GrS 42, 139
A wird verdächtigt, einen Bankraub begangen zu haben. Mangels anderer
Beweise bittet die Polizei dessen Freund F um Hilfe. F ruft bei A an und
redet mit ihm über den Bankraub. Tatsächlich gesteht A alles. Ein Polizist
hört das Telefonat mit Einverständnis des F mit.
Lösung:
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BVV bei verdeckten Ermittlungsmethoden
 BVV aus §§ 100a ff. StPO (-) da Einverständnis des F
 BVV aus § 136 StPO (-), da keine förmliche Vernehmung
 BVV aus § 136 analog
 Lit (+)
→Keine gezielte Umgehung des § 136
 BGH (-)
→Wenn A etwas erzählt, was eigentlich geheim bleiben soll, ist es
sein Risiko; es gibt keine Garantie, dass F das Anvertraute nicht
weitererzählt
→Straftat von erheblicher Bedeutung
→Erforschung des SV durch andere Ermittlungsmethoden wäre
erheblich weniger erfolgsversprechend oder wesentlich
schwieriger gewesen
 BVV aus § 136 a StPO analog (-), da F nicht konkludent darüber täuscht,
dass keiner mithört
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BVV bei verdeckten Ermittlungsmethoden
 BGH StV 2012, 129
Um ihrem Ehemann, der wegen Verstoßes gegen das BtMG angeklagt war,
Strafmilderungen zukommen zu lassen, schlug die Ehefrau der Polizei vor,
den in U-Haft sitzenden Mitangeklagten M zur Rede zu stellen. Das
Gespräch zwischen ihnen sollte heimlich aufgezeichnet werden.
Eine nach § 100f StPO erforderliche Anordnung durch das Gericht ist
erfolgt.
Danach besuchte die Ehefrau den M und spiegelte ihm vor, ihr Mann hätte
ihr alles über die Tat und die Rolle des M erzählt. Sie sicherte ihm
Vertraulichkeit zu und befragte ihn zum Tatgeschehen. M gestand alles.
 Auch hier ließ der BGH eine Verwertung zu
 Teil der Literatur fordert analoge Anwendung von § 136 StPO
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Reichweite der BVV („Fernwirkung“)
 Der verhörende Polizist droht T so lange mit Schlägen, bis dieser den
Ort verrät, an dem er die Leiche versteckt hat. Unter den
Fingernägeln des Opfers findet man Hautreste von T, mit denen er
eindeutig überführt werden kann.
 Darf die DNA-Analyse als Beweis verwertet werden, wenn ohne die
Drohungen die Leiche nie gefunden worden wäre?
1.Ansicht: nein
 Amerikanische „fruit of the poisonous tree doctrine“
 Grundsatz der Rechtsstaatlichkeit und rechtsethischer Prinzipien
 Disziplinierungsfunktion (Behörden sollen nicht zu
Verfahrensverstößen ermutigt werden)
 Sinn und Zweck der BVV würde unterlaufen werden
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Reichweite der BVV („Fernwirkung“)
2.Ansicht: (Rspr.) ja
 Kleine Verfahrensfehler könnten sonst gesamtes Verfahren lahm legen
 Nachweis einer Ursächlichkeit der unmittelbar gewonnenen
Erkenntnisse für die mittelbar gefundenen selbständigen Beweismittel
ist in vielen Fällen nur mit Schwierigkeiten oder gar nicht zu führen
 Umkehrschluss aus § 393 II 1 AO
3.Ansicht: einzelfallabhängig
 Gewicht des Verfahrensverstoßes
(wurden wichtige Verfassungsgrundsätze missachtet?)
 Schwere der verfolgten Tat
(je schwerer die Tat, desto eher kein BVV)
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Hypothetischer rechtmäßiger Ersatzeingriff
 Kann eine an sich rechtswidrige Beweisverwertung mit dem Argument
legitimiert werden, dass die Strafverfolgungsorgane bei rechtmäßigem
Vorgehen dasselbe Beweisergebnis erlangt hätten?
 Bei gesetzlich geregelten und aus der StPO ableitbaren BVV:
 Lehre vom Schutzzweck der Norm entscheidend
 Unmittelbare Beweismittel (-)
zB: das durch Folter erlangte Geständnis
 Mittelbare Beweismittel (+)
 Bei aus der Verfassung abgeleiteten Beweismittelbeschränkungen ist der
hypothetische rechtmäßige Ersatzeingriff bereits bei der Abwägung zu
berücksichtigen
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