Warum der Wein so menschlich ist

LOKALES
Montag, 19. Oktober 2015
9
Kurz & Bündig
BLUMLAGE. Der Seniorenstützpunkt, Fritzenwiese 46,
bietet in den Herbstferien von
heute bis zum 30. Oktober
keine Sprechstunden an. Die
Veranstaltungen „sicher mobil“ und der ComputerTreff finden wie angekündigt statt. Ab
dem 2. November können
wieder von montags bis freitags in der Zeit von 9 bis 12
Uhr ehrenamtliche Seniorenbegleiter und Wohnberater
vermittelt werden. In dringenden Fällen ist der Pflegestützpunkt, Blumlage 20, unter
☏ (05141) 2084740 zu erreichen.
Celler Stadtkirche
im Kaiserpanorama
ALTSTADT. Mit der kommenden 3-D-Schau von der
Stadtkirche schließt das Kaiser-Panorama bei Photo Porst
an der Schuhstraße seine Reihe von Celle-Themen ab. Ab
heute sind die nicht alltäglichen Perspektiven aus dem
Gotteshaus im Herzen der Altstadt zu sehen.
Kreisfahrbücherei
in Celles Norden
SCHEUEN. Die Kreisfahrbücherei macht am Dienstag, 20.
Oktober, Station in Scheuen.
Von 12.45 bis 13 Uhr steht der
Bücherbus auf der Straße
Schnuckendrift. Anschließend
hält der Bus von 13.10 bis
13.25 Uhr an der Bushaltestelle in Hustedt. Und von 17.50
bis 18.15 Uhr in Lachtehausen
vor dem ehemaligen Gasthaus
Köddermann.
Strümpfe stricken für
den Kinderschutzbund
CELLE. In der Celler Altstadt
hat die Socken-Strickaktion
zugunsten des Kinderschutzbundes in der Neustadt 77 begonnen. Neu in diesem Jahr:
Der Sammelpunkt in der Innenstadt ist die Schloss-Apotheke an der Stechbahn. Als
zweite Anlaufstelle dient die
„Hökerstuuv“ in Müden.
Neal Black spielt
im „Herzog Ernst“
CELLE. Neal Black wird
auch als „Meister des High
Voltage Texas Boogie“ genannt. Entsprechend unter
Hochspannung dürften seine
Fans vor dem Konzert des
Amerikaners morgen, 20 Uhr,
im „Herzog Ernst“, Neue Straße 15, stehen.
Krimilesung
mit Ulrich Wißmann
CELLE. Der Celler Ulrich
Wißmann ist Völkerkundler
und Autor mehrerer Bücher
und Fachartikel über nordamerikanische Indianer. Heute, 18.30 Uhr, wird er in der
Stadtbibliothek aus seinem
Thriller „Wer die Geister stört“
lesen. Der Eintritt ist frei.
Alex Sorokin (4)
Seniorenstützpunkt
macht Herbstferien
Die Protagonisten des Weinabends im Celler Endtenfang (von links): Hendrik Thoma, Sebastian Mac Lachlan
Müller, Jürgen Giesel, Sebastian Wilkens, Holger Lutz, Markus Berlinghof, Steve Breitzke und René Antrag.
Warum der Wein so menschlich ist
Althoffs Festival der Meisterköche präsentiert in Celle Holger Lutz und sieben Sommeliers
CELLE. Orangig gelb leuchtet der Graf Morillon im Glas.
Klar seine Struktur, fette
Schlieren fließen an der Glaswand ab. Der Südsteirer Weißwein verspricht Genuss – bis
sein Aroma die Nase erreicht.
Einem Jeden im Celler Restaurant Endtenfang entgleisen
entsetzt die Gesichtszüge. Unangenehm penetrant steigt der
Geruch von ... ja was eigentlich
... in die Nase. Salziges Popcorn – rauchig, würzig. So erklärt es der Sommelier. Der
jetzt vier Jahre alte Wein ist
am freien Markt weder bekannt noch erhältlich. „Man
muss sich diesen Wein ertrinken“, klärt René Antrag auf.
Der 28-jährige Antrag ist
einer von sieben Sommeliers,
die am Freitagabend im Rahmen des Festivals der Meisterköche der Althoff-Hotelgruppe
in Celle ihre vinologischen Favoriten auftischten. Zum vierten Mal richtete der Fürstenhof die Veranstaltung aus. Wieder war sie ausgebucht. Ein
Grund dafür sind eben die
außergewöhnlichen Weinpräsentationen – wie der
Graf Morillon. Übrigens: Ist der erste
Schock
überwunden,
schmeckt er vorzüglich.
René Antrag arbeitet
zur Zeit im Wiener Restaurant Steirereck, wobei er den Sachsen in
sich sprachlich nicht
verbergen
kann.
Eigentlich wollte er
Kraftfahrzeugmechaniker werden. Doch er
fand keine Lehrstelle.
Seine Cousine empfahl
ihm, es stattdessen in
der Gastronomie zu versuchen. Eine geschenkte
Sommeliers
haben „Natürlich trinke ich sie nicht,
Flasche Wein aus dem
Kulinarisch und vinologisch war es ein
ihre
Weine
zu
den
Ge- sondern spucke sie nach dem
Donautal brachte ihn
explosives Gemisch. Im Celler
richten des Endten- Geschmackserlebnis aus.“
schließlich auf den viFürstenhof traf sich die Elite der
Wein zu trinken hat für die
fang-Küchenchefs
nologischen
Pfad.
deutschsprachigen Sommeliers und
Holger Lutz ausge- Sommeliers Breitzke und An„Ich habe mich mit
trag vor allem etwas mit Entbereitete gut 80 Gästen einen Abend
sucht.
ihr allein in mein
Wie das funktio- spannung und Kommunikation
Zimmer zurückgezogeschmacklicher Überraschungen.
niert? Im Ausschluss- zu tun. Mit Genießen und Gegen und probiert“,
verfahren. Der Som- sprächen. Der persönliche Geerinnert sich Antrag.
melier muss sich an schmack entscheidet letztlich,
Was folgte, war die
den wichtigsten Kom- wer welchen Wein bevorzugt.
Plünderung
der
ponenten des jeweili- Aber es gibt Regeln, die über
Weinregale diverser
gen Rezeptes orientie- alle Weine hinweg gelten. FasSupermärkte
mit
ren und festlegen, se nie ein Glas am Bauch an.
konsequenter Bewerwas nicht zusammen- „Eine Sünde“, so Breitzke:
tung und Blindverpasst.
Und
dafür „Bitte immer nur am Stiel.“
kostung. In wenigen
braucht er unter an- Kühle nie einen Wein im EisJahren hatte sich Anderem genaue Kennt- fach. „Mindestens sieben Grad
trag selbst vom Laien
nis über den Ge- muss ein Weißwein haben“, erzum Experten hochschmack seiner Mit- klärt Antrag. Am besten nimmt
gearbeitet und durfte
menschen. Für Steve man ihn 30 Minuten vor dem
in seinem FamilienBreitzke war genau Servieren aus dem Kühlhotel
selbstständig
Durch das Schwenken bekommt der
das von Beginn an der schrank. Die perfekte Tempeneue Weine einkauWein den Sauerstoff, den er zur
berufliche
Antrieb. ratur eines Rotweins liegt bei
fen.
Entfaltung seines Aromas braucht.
Der gebürtige Thürin- 16 bis 17 Grad.
Ein Sommelier ist
ger hat sich sehr zielHandwerker, aber vor
Die Veranstaltung „Ein Koch
allem auch Philosoph. Die 80 sind feminin, zurückhaltend, gerichtet für die Sterne-Gast- – 7 Sommeliers“ hat für die
Gäste im Fürstenhof durften nervig, hartnäckig, animie- ronomie entschieden und lern- Gäste und auch die Celler Gastdas an diesem Abend mehr- rend, charmant, zugänglich te von Beginn an in den ent- geber zahlreiche neue Erkenntfach nachvollziehen. Weine oder auch mal verschlossen. sprechenden Häusern. Heute nisse geliefert. „Wir möchten
sind für Sommeliers weniger „Im Grunde beschreiben wir zählt der 35-Jährige zu den etwas bieten, was man sich so
Produkt als Persönlichkeit. Sie den Charakter eines Weines Besten seines Fachs, arbeitet nicht selber erschließen kann“,
wie den eines Menschen“, sagt in luftiger Höhe
sagt FürstenhofSteve Breitzke, der mit dem des Loft RestauChef Ingo Schrei2011er Clos de Guichaux eben- rants im Wiener
ber. Ein Abend
falls einen ausgefallenen Trop- Sofitel – den Stevoller
Luxus,
fen ins Rennen schickt: „Ein phansdom zum
lehrreich
wie
Greifen nah. ImSchocker.“
kostspielig. Dabei
Diesmal ist es nicht der Ge- mer neue Entdeist das Weintrinruch, sondern der Geschmack, ckungen und ein
ken sehr bodender die Gäste ratlos auf dem ständiger Lernständig,
weiß
Weißwein blicken lässt. Krei- prozess zeichnen
Breitzke:
„Wir
dig, kalkig ... so als ob salzige aus seiner Sicht
gehen es oft viel
Gischt im Mund angespült den Beruf des
zu versnobt an.
wird. Kein Wein zur Abend- Sommeliers aus:
Nur weil ich gerplauderei, aber in Kombina- „Weine sind ein
ne gute Weine
tion mit der dazu gehörigen vielseitiges Protrinke, bin ich
Jakobsmuschel entwickelt er dukt wie kaum
doch kein besseAuch wenn es komisch
Richtige Etikette:
tatsächlich ein wunderbares ein anderes.“ Bis
rer
Genussaussieht: Das Aroma sollte
Ein Weinglas immer
Aroma. Das ist die Basis des zu 25 Weine proman sich mit der Nase
nur am Stiel
mensch.“
Celler Gourmetabends: Die biert er täglich.
im Glas erschließen.
anfassen.
Volker Franke
Michael Schäfer
Vermittler können Brücken schlagen
Beim Missionstag diskutierten zum Thema Flucht
und Migration: (von links) Rolf Meyer, Long
Hoang, Kirsten Lühmann, Bintou Schmill und
Landesbischof Ralf Meister.
HERMANNSBURG.
Was
brauchen wir, um in einem
fremden Land gut anzukommen und vielleicht sogar dort
heimisch zu werden? Mit dieser aktuellen Frage beschäftigten sich die Teilnehmer des
Missionstages in Hermannsburg unter dem Titel „Heimat
verlieren – Heimat finden“.
Wer schon einmal im Ausland war, weiß, wie es sich anfühlt, fremd zu sein. Auch wer
innerhalb Deutschlands umzieht, verliert zunächst ein
Stück Geborgenheit in vertrauter Umgebung. Nicht jeder
kommt am neuen Ort gleich
gut zurecht. Wie ist das erst für
den, der auf Dauer in ein anderes Land kommt, womöglich
mit anderen Traditionen?
Am eigenen Leib erfahren
hat das Bintou Schmill aus
Togo. Die 30-Jährige, die heute
in Nienburg lebt und sich als
Boxerin einen Namen gemacht
hat, kam 13-jährig nach
Deutschland, weil die Eltern
ihr ein besseres Leben ermöglichen wollten. Als Afrikanerin
fühlte sie sich hier oft nicht
willkommen und hatte Heimweh. Was ihr half sich einzuleben, waren Menschen in ihrem
Umfeld, ihr christlicher Glaube, der feste Wille, die Erwartungen ihrer Eltern nicht zu
enttäuschen, und Dinge, die ihr
Freude machten, an erster
Stelle der Sport. Sie machte
Abitur, studierte, gründete eine
Familie und erboxte sich mehrere Titel. Heute hat sie zwei
Heimaten: „Wenn ich in Togo
bin, habe ich nach wenigen
Wochen
Sehnsucht
nach
Deutschland und umgekehrt.“
Was auch helfen kann, ist ein
Stück alte Heimat in der Fremde. Zum Beispiel in einer Kirchengemeinde, in der der
Glaube nach vertrautem Ritus
zelebriert wird. David Long
Hoang kam 1990 aus Vietnam
nach Deutschland und ist heute Pastor einer vietnamesischen Gemeinde in Hannover.
Hier lebt die alte Tradition,
aber es findet auch Begegnung
mit Deutschen statt, etwa in
gemeinsamen Gottesdiensten.
Nicht immer war das Verhältnis zwischen den Kulturen ungetrübt. Long: „Am Anfang gab
es auch Beschwerden von Anwohnern wegen Kinderlärm
oder Essensgeruch.“
Auch die aufnehmende Gesellschaft muss entscheiden,
wie sie mit dem kulturellen
Erbe der Migranten umgeht.
Manches könne dazu beitragen, eigene Gewohnheiten zu
hinterfragen, so Landesbischof
Ralf Meister. Allerdings gebe es
bei uns gewisse „Eckpunkte
der Humanität“, die niemand
in Frage stellen dürfe, weder
Alteingesessene noch Neuankömmlinge.
Hilfreich könnten Vermittler
sein, denen wichtige kulturelle
Unterschiede bewusst sind und
die darüber aufklären. Und
gut, so Meister, sei auf jeden
Fall die derzeit gelebte Willkommenskultur, die Brücken
nicht nur zwischen Kulturen,
sondern auch zwischen Religionen schlägt. „Wenn Moslems erleben, dass sie in einem
christlichen Land so herzlich
empfangen werden, hat das
eine enorm positive Wirkung
für beide Seiten“. (sri)