Digas 6.4.20 - Kölner Stadt-Anzeiger vom 08.12.2015 - S. 2 - Mit der ...
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Autor: MARIE-ANNE SCHLOLAUT
Signaturen:
Forschung, Wissenschaft/Medizin/Krebs/Therapien (FW/100/Kre/The) - Deutschland (D)
(SBG#SEN#SES#SKB#SKL#SKN#SKO#SKP#SKS#SKW#SLE#SOB#SPT#SRB#SRS#SWU#V1#V2#VPT)
vom 08.12.2015 - Seite 2
BL
MEDIZIN
Ein Impfstoff gibt Tumorpatienten Hoffnung auf ein längeres Leben
zuzustimmen.
VON
SCHLOLAUT
MARIE-ANNE
Köln. Die vier Säulen, um den
Krebs zu bekämpfen, sind nach
wie vor Operation sowie Strahlen-,
Chemo- und Hormontherapie.
Dennoch arbeiten Forscher und
Mediziner an neuen, vor allem
individualisierten Krebstherapien
für diese komplexe Erkrankung,
von der rund 200 verschiedene
Arten
in
den
diversen
Körpergeweben bekannt sind.
Jährlich erkranken nach Angaben
der Deutschen Krebshilfe über
eine halbe Million Menschen neu
an Krebs. Die Zahl ist steigend,
weil die Menschen immer älter
werden und damit das Risiko
steigt, an Krebs zu erkranken, und
weil sich die Methoden der
Früherkennung verbessert haben.
Dem Kölner Tumor-Immunologen
Professor Volker Schirrmacher und
Dr. Wilfried Stücker, Chef des
Immunologisch-onkologischen
Zentrums (IOZK) in Köln, ist mit
der Tumorimpfung nach gut zehn
Jahren ein Durchbruch für das
Institut gelungen. Ihnen wurde die
offizielle Genehmigung für die
Arzneimittelherstellung
zur
Tumorimpfung gegen Krebszellen
erteilt. Das Paul-Ehrlich-Institut
gab der Bezirksregierung Köln die
Erlaubnis,
dieser
Arzneimittelherstellung
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Am Kölner Institut wird die
Therapie seit Jahren an Patienten
in
klinischen
Studien
und
individuellen
Heilversuchen
angewandt. Die Tumorimpfung,
die auch in anderen Instituten
weltweit praktiziert wird, ist keine
vorbeugende
Therapie
gegen
Krebs. Behandelt werden an Krebs
erkrankte Menschen, deren Tumor
operativ entfernt werden muss,
denn für die Herstellung der
Impfsubstanz
werden
die
Krebszellen
des
Patienten
benötigt, um das körpereigene
Immunsystem gezielt gegen die
Tumorzellen scharfzumachen.
Mit der Impfung lässt sich der
Krebs nicht heilen, sondern
bestenfalls
stabilisieren,
vorausgesetzt, das Immunsystem
ist noch möglichst intakt.
Was bringt die Tumorimpfung?
Mit dieser Impfung kann die
"Lebenszeit von Patienten, die an
Krebs erkrankt sind, verlängert
werden", so Schirrmacher und
Stücker. Krebs, der bereits
Metastasen gebildet habe, werde
in der Regel nicht besiegt, sondern
lebensverlängernd stabilisiert.
Bösartige Krebszellen können sich
schon im frühen Stadium der
Erkrankung in anderen Geweben
einnisten
und
dort
Tochtergeschwülste
bilden.
Krebszellen
in
Tochtergeschwülsten, also den
Metastasen, haben Eigenschaften
wie Stammzellen.
Folglich
können
sie
durch
Chemotherapien nicht vollständig
vernichtet werden und weiterhin
Metastasen bilden. Das soll,
nachdem der bösartige Tumor
operativ entfernt wurde, durch den
Impfstoff verhindert werden, und
zwar meist in Kombination mit
Chemotherapien und Therapien
mit Antikörpern (siehe Frage:
"Welche
Rolle
spielen
Antikörper?")
Wie verhindert der Impfstoff die
Bildung von Metastasen?
Der Impfstoff aktiviert das
Immunsystem des Körpers und
verankert im Gedächtnis des
körpereigenen
Abwehrsystems,
dass es die durch Impfung
markierten Tumorzellen aufspüren
und töten muss. Der Impfstoff
"markiert" Tumorzellen. Das ist
notwendig, weil das Immunsystem
Tumorzellen nicht unbedingt als
Feinde erkennt und sie folglich
auch nicht bekämpft. Zudem kann
die Tumorzelle noch ein Signal
freisetzen, das der Immunzelle den
Befehl erteilt, sich selbst zu töten
und die Tumorzelle zu verschonen.
Um das zu verhindern, schleust
der Impfstoff Viren in die
09.12.2015 10:38
Digas 6.4.20 - Kölner Stadt-Anzeiger vom 08.12.2015 - S. 2 - Mit der ...
Tumorzelle. In Kombination mit
den Viren wird die Tumorzelle im
Körper als Feind identifiziert und
bekämpft. Die für diesen Impfstoff
verwendeten Viren vermehren sich
nur in Tumorzellen.
Woraus besteht der Impfstoff?
Aus dem Tumorgewebe, das dem
Patienten bei der Krebsoperation
in der Klinik entnommen wird und
zur Impfstoff-Verarbeitung ins
IOZK gebracht werden muss. Im
Labor
werden
die
patienteneigenen Tumorzellen mit
speziellen
Viren
infiziert.
Während
dieses
Prozesses
kommen die dendritischen Zellen
ins
Spiel,
die
schärfsten
Wachhunde des Immunsystems.
Gespickt mit den Informationen
über die Viren-Tumor-Zelle
schlagen sie Alarm, so dass Killerzellen aktiviert werden und die
"markierten" Krebszellen töten.
Woher kommen die Viren für den
Impfstoff?
Es
handelt
sich
um
das
Geflügelvirus "Newcastle Disease
Virus" (NDV), ein Erreger der
Geflügelpest. Das Virus kann sich
in gesunden menschlichen Zellen
nicht vermehren - nur in
menschlichen
Tumorzellen.
Tumorzellen, in denen das
Geflügelvirus lebt, werden vom
Immunsystem zum Abschuss
freigegeben. Das Geflügelvirus,
das das Kölner IOZK verwendet,
wird
in
Frankreich
auf
embryonalen Zell-Linien von
Enten gezüchtet. Embryonale
Zell-Linien deshalb, "weil das ein
total sauberes Material ist. Diese
Zell-Linien sind nur für Viren
geeignet. Auf diesen Linien säen
und ernten wir Viren", so Stücker.
Wie wird geimpft?
Der Impfstoff wird in den
Oberarm injiziert und gelangt ins
Lymphsystem
und
die
Lymphknoten. Wilfried Stücker
sagt: "In den Lymphknoten treffen
sich die weißen Blutkörperchen,
tauschen neueste Informationen
über Entwicklungen im Körper aus
und überlegen, was zu tun ist."
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Weil durch den Impfstoff das
Immunsystem informiert und für
den Angriff aktiviert ist, wird im
gesamten
Körper
nach
gefährlichen Zellen gesucht. Im
Knochenmark wird zudem das
immunologische
Gedächtnis
"gefüttert", sodass der Kampf
gegen Tumorzellen auch nach den
Impfungen weiter anhält.
Weil der Impfstoff aus und mit den
Zellen des Patienten hergestellt
werde und kein zusätzliches
pharmazeutisches
Mittel
erforderlich sei, sei das Interesse
der Pharmakonzerne, sich an der
Herstellung zu beteiligen, nicht
sonderlich groß.
Wie oft wird geimpft?
Wilfried Stücker: "Seit wenigen
Monaten stehen Antikörper zur
Verfügung, die dem Immunsystem
helfen sollen, Tumorzellen zu
killen." Tumorzellen können, wie
beschrieben, ein Signal freisetzen,
das der Immunzelle den Befehl
gibt, sich selbst zu töten und die
Tumorzelle
zu
verschonen.
"Antikörper können dieses Signal
blockieren. Sie sind sogenannte
Checkpoint-Blocker."
Insgesamt zweimal in einem
Abstand von einem Monat. Drei
Wochen nach der letzten Impfung
wird getestet, ob die Behandlung
positiv anschlägt.
Gibt es Nebenwirkungen?
Ja, nach der ersten Impfung wehrt
sich der Körper gegen die Viren.
Wilfried Stücker: "Man fühlt sich
wie bei einer Grippe und kann
Fieber bekommen. Bei der zweiten
Impfung
treten
die
Nebenwirkungen nicht mehr auf."
Wer kann geimpft werden?
Im Prinzip alle Patienten, die
einen soliden Tumor haben, bei
denen sich also schon eine
Krebsgeschwulst gebildet hat. Ein
bösartiger Tumor muss deshalb
vorhanden sein, damit aus dem
Gewebe die Krebszellen für den
Impfstoff entnommen werden
können. Bisher hat das Kölner
IOZK rund 1200 Patienten in den
vergangenen
zehn
Jahren
behandelt.
Welche Rolle spielen Antikörper?
Antikörper
werden
künstlich
hergestellt, was sehr teuer ist. Eine
Behandlung kostet rund 100 000
Euro pro Jahr und Patient.
Stücker: "Bisher wurden mit
Antikörpern gute Erfolge erzielt."
Zur Person
Professor Volker Schirrmacher ist
Tumor-Immunologe; Promotion in
Köln. Er arbeitete in Stockholm,
London und am Deutschen
Krebsforschungszentrum
in
Heidelberg. Seit 2008 ist er
wissenschaftlicher Direktor der
Tumorimmunologie am IOZK.
(mas)
Zur Person
Was kostet die Behandlung?
Pro Patient entstehen Kosten von
rund 30 000 Euro, die bei
Privatversicherten in der Regel
erstattet
werden.
Bei
Kassenpatienten
wird
eine
Einzelprüfung vorgenommen, um
eventuell einen Teil der Kosten zu
übernehmen. Das IOZK hat keine
Kassenzulassung. Stücker: "Wenn
wir das Medikament für die
Kassen verfügbar machen, müssen
wir eine Therapie für alle
Kassenpatienten garantieren. Das
ist mengenmäßig von uns nicht zu
leisten."
Dr.
Wilfried
Stücker
ist
pharmazeutischer Biologe und
Heilpraktiker.
Er
ist
Geschäftsführer
des
Immunologisch-onkologischen
Zentrums (IOZK) Köln und dort
unter
anderem
als
TumorImmunologe tätig. Wilfried
Stücker leitet das Institut
seit 1995. (mas)
Dendritische Zellen
Der
Nobelpreisträger
Ralph
Steinman (Kanada) entdeckte in
09.12.2015 10:38
Digas 6.4.20 - Kölner Stadt-Anzeiger vom 08.12.2015 - S. 2 - Mit der ...
den
1970er
Jahren
die
dendritischen Zellen und ihre
Fähigkeiten. Er nutzte sie bereits
im Kampf gegen den Krebs, auch
gegen
seinen
eigenen
Bauchspeicheldrüsenkrebs.
Steinman verabreichte sich selbst
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die Tumorimpfung und lebte noch
vier Jahre nach der Diagnose.
Das Paul-Ehrlich-Institut ist das
Bundesinstitut für Impfstoffe und
biomedizinische Arzneimittel. Es
prüft und bewertet Nutzen und
Risiko biomedizinischer Human-
Arzneimittel und immunologischer
Tier-Arzneimittel,
erteilt
Zulassungen oder lehnt sie ab. Das
Institut
gehört
zum
Geschäftsbereich des
Bundesministeriums
Gesundheit. (mas)
für
Autor: MARIE-ANNE SCHLOLAUT
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Prof. Volker Schirrmacher
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Dr. Wilfried Stücker
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Der Impfstoff wird in den
Oberarm injiziert. Foto: dpa
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ID: 140320286
Name: MDS-A-B43FD83A-130A-46DD-9C2D-AF4D9543E089
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