UNIVERSITÄT MANNHEIM Lehrstuhl für Strafrecht und Kriminologie, Wirtschafts- und Umweltstrafrecht 68131 Mannheim, 14.03.2016 Schloss / Westflügel 0621/181-1403 (Sekr.) Prof. Dr. Lothar Kuhlen E-Mail: [email protected] Übung im Strafrecht für Fortgeschrittene FS 2016 4. Besprechungsfall Frau P sucht wegen starker Rückenschmerzen das örtliche Kreiskrankenhaus auf. Der sie untersuchende Arzt A lässt eine Röntgenaufnahme anfertigen und stellt folgendes fest: Die Schmerzen beruhen auf einem schweren Bandscheibenvorfall im Bereich des 5. Rückenwirbels, der eine umgehende Operation erforderlich macht. Des Weiteren hat P einen leichten Bandscheibenvorfall im Bereich des 4. Wirbels. Insofern wäre, um einer Verschlechterung des Zustandes vorzubeugen, eine krankengymnastische Behandlung, nicht aber eine Operation medizinisch sinnvoll. Nachdem A der P diesen Befund mitgeteilt und sie über Erfolgsaussichten und Risiken einer Operation aufgeklärt hat, entscheidet sich P dafür, dass der Vorfall im Bereich des 5. Wirbels operiert werden soll. Bei dem Eingriff, den A am folgenden Tag, dem 1.7.2015, durchführt, kommt es zu einer Verwechslung: A operiert versehentlich am 4. Wirbel. Zwei Tage später beklagt P gegenüber A, dass sich ihre Rückenschmerzen nicht gebessert haben. Bei einer erneuten Untersuchung erkennt A, dass er die indizierte Operation am 5. Wirbel gar nicht durchgeführt, sondern stattdessen im Bereich des 4. Wirbels operiert hat. Er informiert seinen älteren Kollegen K über das Geschehen und bittet ihn um Rat. K hält es für möglich, dass sich A strafbar gemacht hat, und sieht dessen berufliche Laufbahn in Gefahr. Da er den A bisher als tüchtigen und gewissenhaften jungen Arzt kennengelernt hat, fühlt er sich verpflichtet, ihm zu helfen und ihn vor Strafverfolgung zu bewahren. Er schlägt daher vor, A solle gegenüber P sagen, die Operation im Bereich des 5. Wirbels sei zwar erfolgreich verlaufen, der fortdauernde Schmerz sei jedoch auf den Vorfall im Bereich des 4. Wirbels zurückzuführen, der sich doch als schwerer herausgestellt habe und ebenfalls operiert werden müsse. Wenn P einer erneuten Operation zustimme, solle A den Eingriff im Bereich des 5. Wirbels durchführen. Dabei geht K, ebenso wie A, davon aus, dass P auch in Kenntnis der wirklichen Lage der medizinisch gebotenen Operation am 5. Wirbel zustimmen würde. Beide haben freilich erhebliche Zweifel daran, ob P auch damit einverstanden wäre, dass diese Operation wiederum von A durchgeführt wird. 2 A folgt K's Vorschlag und erhält die Zustimmung der P zu einem zweiten Eingriff (im Bereich des 4. Wirbels). Daraufhin operiert er am 8.7.2015 den Vorfall im Bereich des 5. Wirbels. Die Operation verläuft erfolgreich, P ist schon wenig später schmerzfrei. Am Tag der zweiten Operation trägt A in die Krankenakte der P ein, er habe P am 8.7.2015 im Bereich des 4. Wirbels operiert. In der Akte befindet sich eine von der Operationsschwester O unterzeichnete Eintragung vom 1.7.2015, wonach P an diesem Tag am 4. Wirbel operiert wurde. A ändert diesen Eintrag. Auch damit folgt A dem Ratschlag des K, der ihn auf die Notwendigkeit entsprechender Eintragungen bzw. Änderungen in P's Krankenakte hingewiesen hatte, damit sich A vor Strafverfolgung schützen könne. Im Einzelnen geht A wie folgt vor: Er entnimmt das Blatt, auf dem sich die Eintragung der O befindet, deckt die handschriftliche Eintragungen der O, die über ihrer Unterschrift stehen, mit einem von ihm selbst geschriebenen Schriftstück ab, aus dem hervorgeht, dass am 1.7.2015 bei P der Vorfall im Bereich des 5. Wirbels operiert worden ist. Von dem derart teilweise abgedeckten Blatt fertigt A eine Ablichtung, auf der die von ihm gefertigte Eintragung und darunter die Unterschrift der O zu sehen sind. Diese Kopie, die wie ein Original wirkt, heftet A in die Krankenakte. Als O einige Tage später die Änderung in der Krankenakte bemerkt, erkennt sie, was vorgefallen ist. Sie erstattet deswegen Anzeige bei der Staatsanwaltschaft und informiert die P. Diese erklärt gegenüber A, sie sei menschlich sehr enttäuscht, dass er sie angelogen habe. Das sei auch gar nicht nötig gewesen, denn nachdem der Fehler bei der ersten Operation nun einmal passiert gewesen sei, hätte sie dem zweiten Eingriff ohnehin zugestimmt und auch nichts dagegen gehabt, dass er von A durchgeführt würde. Aufgabe 1: Wie haben sich A und K strafbar gemacht? Aufgabe 2: Der mit dem Fall betraute Staatsanwalt bittet, zur Klärung der von O erhobenen Vorwürfe, das Krankenhaus um Überlassung von P's Krankenakte. Der zuständige Mitarbeiter des Krankenhauses verweigert diese jedoch. Kann die Staatsanwaltschaft die Krankenakte dennoch in Verwahrung nehmen und wie wäre ggf. vorzugehen? Bearbeitungshinweis: §§ 263, 348 StGB sind nicht zu prüfen. Evtl. erforderliche Strafanträge sind gestellt. Soweit in dem Rechtsgutachten nicht alle aufgeworfenen Rechtsfragen behandelt werden, ist zusätzlich ein Hilfsgutachten zu fertigen.
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