Produktrückruf - Szenarien und Handlungsoptionen

Produktrückruf –
Szenarien und Handlungsoptionen
5. November 2015
Dr. Johannes Junker, LL.M., Rechtsanwalt
Produktrückruf – Szenarien und
Handlungsoptionen
Produktrückruf kann wie folgt definiert werden
Jede Maßnahme, die auf die Erwirkung der Rückgabe eines
bereits in den Verkehr gebrachten Produkts durch den Verwender
abzielt.
Gründe für Rückrufe : sicherheitsrelevante /
schadensgeneigte Unzulänglichkeiten von Produkten
- Beim Inverkehrbringen unbemerkt geblieben
- erst nach Inverkehrbringen eingetreten (neue
Einsatzbedingungen, Kombination mit anderen Produkten)
- zunächst nicht erwarteter / unvorhergesehener Fehlgebrauch
(„Produktmigration“)*
*s. Klindt/Wende, Rückrufmanagement, 3. Aufl. Berlin Wien Zürich 2014, S. 51
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Produktrückruf – Szenarien und
Handlungsoptionen
A.
Informationssammlung
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Produktbeobachtungspflicht
• auch nach Inverkehrbringen Beobachtung auf noch unbekannte
schädliche Eigenschaften, insb. durch:
• Auswertung von Nachrichten / Internet
• Kundenbeschwerden / behördliche Meldungen
• Auswertung Garantie- und Reparaturfälle
• Rückmeldungen aus der Handelskette
• Eigene marktnahe Stichprobennahmen
• Inverkehrbringen des Produkts bis Ende dessen erwarteter
Lebensdauer
• erstreckt sich auch auf Kombinationsprodukte, insb. Zulieferteile.
Gilt auch für fremdes Zubehör, das für die Inbetriebnahme des
eigenen Produkts notwendig ist; oder das der Hersteller selbst
empfohlen hat; oder dessen Verwendung er durch
entsprechende Anbauvorrichtungen ermöglicht hat; oder das
aufgrund entspr. Nutzergewohnheiten allgemein gebräuchlich ist.
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B.
Auswertung der Informationen
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Produktrückruf – Szenarien und
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Wann kommen Maßnahmen wie Rückruf in Betracht?
Kann sich potentiell aus öffentlichem Recht (insb. ProdSG), aus Zivilrecht
(§ 823 BGB, ProdHaftG) und aus Strafrecht (vgl. „Lederspray“, BGH
NStZ 1990, 587) ergeben.
Nach öffentlichem Recht:
Nicht gegebene Produktsicherheit, insb. ernstes Risiko
insb. für Sicherheit und
Gesundheit von Personen, vgl.
§26 Abs. 4 S. 1 ProdSG
Nach Zivilrecht (und im
Wesentlichen auch nach
Strafrecht):
Produktfehler (s. Definition
in§ 3 ProdHaftG), der eine
Gefahrenquelle darstellt.
ProdSG und Spezialvorschriften
(z.B. ProdSVen in Umsetzung
europäischer Richtlinien,
technische Normen) enthalten
detaillierte Vorgaben an
Produkte.
Fallgruppen in der
Judikatur.
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I.
Öffentliches Produktsicherheitsrecht
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Das ProdSG unterscheidet bei Produkten zwischen
• Europäisch harmonisiertem Bereich (§ 3 Abs. 1 ProdSG)
• Nicht harmonisiertem Bereich (§ 3 Abs. 2 ProdSG)
In beiden Fällen zu beachten: Zusätzliche Anforderungen an
Verbraucherprodukte (§ 6 ProdSG):
• Informationen für Verwender
• Vorkehrungen zur Vermeidung von produktbezogene Risiken
(Rückruf hier explizit erwähnt)
• Produktbeobachtung, Beschwerdemanagement
• Zusammenarbeit mit Marktaufsichtsbehörden (Meldepflichten)
Verbraucherprodukte (§ 2 Nr. 26 ProdSG): neue, gebrauchte oder wiederaufgearbeitete
Produkte, die für Verbraucher bestimmt sind oder unter Bedingungen, die nach vernünftigem
Ermessen vorhersehbar sind, von Verbrauchern benutzt werden könnten, selbst wenn sie
nicht für diese bestimmt sind; als Verbraucherprodukte gelten auch Produkte, die dem
Verbraucher im Rahmen einer Dienstleistung zur Verfügung gestellt werden.
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Produkte des europäisch harmonisierten Bereichs
Produkte, die einer oder mehrerer Rechtsverordnungen nach § 8 Abs. 2
ProdSG unterfallen, z.B:
•
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•
•
•
•
•
•
1. Produktsicherheitsverordnung (ProdSV): Niederspannung
2. GPSGV (Spielzeug)
6. ProdSV (Druckbehälter)
7. ProdSV (Gasverbrauchseinrichtungen)
8. ProdSV (Persönliche Schutzausrüstungen)
9. ProdSV (Maschinen)
10. ProdSV (Sportboote)
11. ProdSV (Geräte und Schutzsysteme in explosionsgef. Bereichen)
12. ProdSV (Aufzüge)
13. ProdSV (Aerosolpackungen)
14. ProdSV (Druckgeräte)
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Allgemeine Anforderungen im harmonisierten
Bereich, § 3 Abs. 1 ProdSG
• Erfüllung der Anforderungen der zugrunde liegenden
Rechtsverordnungen;
• keine Gefährdung der Sicherheit und Gesundheit von
Personen oder sonstiger in den Rechtsverordnungen nach
§ 8 Abs. 1 ProdSG aufgeführter Rechtsgüter bei
bestimmungsgemäßer oder vorhersehbarer Verwendung.
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Harmonisierte Normen
Bei der Beurteilung, ob ein Produkt den Anforderungen entspricht,
können gemäߧ 4 Abs. 1 ProdSG harmonisierte Normen zugrunde
gelegt werden (= technische Normen, die von einem der in Anhang I
der Richtlinie 98/34/EG anerkannten europäischen Normungsgremien
auf der Grundlage eines Ersuchens der Kommission erstellt wurden).
Vermutungswirkung hinsichtlich Erfüllung der Anforderungen bei
Produkten, die harmonisierten Normen entsprechen, deren Fundstelle
im Amtsblatt der Europäischen Union veröffentlicht worden sind.
Ø Gesetzliche Sicherheitsziele bilden nur Rahmen für harmonisierte
Normen und müssen nicht permanent an technischen Fortschritt
angepasst werden.
Ø Innovative technische Lösungen werden nicht behindert, da
Einhaltung der harmonisierten Normen freiwillig ist.
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Szenario 1 (nach OLG Celle, Beschluss v 10.10.2005,
7 U 155/05, VersR 2007, 253*):
Einer Lederschleifmaschine fehlt die trennende Schutzeinrichtung vor
der Arbeitswalze, die den Arbeitszylinder bei einer Störung der Maschine
stoppt. Die an der Maschine arbeitende Person geriet versehentlich in
die Arbeitswalze und zog sich Verletzungen an Hand und Unterarm zu.
DIN EN 972 Gerberei-Maschinen - Walzenmaschinen – allgemeine
Sicherheitsanforderungen, sah eine trennende Schutzeinrichtung vor,
die die Maschine im Falle einer Betriebsstörung automatisch zum
Stillstand bringt. Der Hersteller hielt diese Norm nicht für einschlägig.
* zitiert nach Krey/Kapoor, Praxisleitfaden Produktsicherheitsrecht, 2. Aufl. München Wien 2015, S. 214 f.
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§3 Abs. 2 Nr. 1 der 9. ProdSV
Der Hersteller oder sein Bevollmächtigter muss vor dem
Inverkehrbringen oder vor der Inbetriebnahme einer Maschine
sicherstellen, dass die Maschine den in Anhang I der Richtlinie
2006/42/EG aufgeführten, für sie geltenden grundlegenden
Sicherheits- und Gesundheitsschutzanforderungen entspricht.
Richtlinie 2006/42/EG, Anhang I Nr. 1.3.7.
Risiken durch bewegliche Teile:
Die beweglichen Teile der Maschine müssen so konstruiert und
gebaut sein, dass Unfallrisiken durch Berührung dieser Teile
verhindert sind; falls Risiken dennoch bestehen, müssen die
beweglichen Teile mit trennenden
oder nichttrennenden Schutzeinrichtungen ausgestattet sein.
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Einfluss von DIN EN 972
Verstoß gegen DIN EN 972 als solche ist dem Gericht zufolge nicht
entscheidend. Die Norm ist dem Gericht zufolge nicht „sklavisch nach
ihrem Wortlaut anzuwenden“. Vielmehr Umsetzung des geforderten
Sicherheitsniveaus, das die betreffende Norm zum Ausdruck bringt.
Der Hersteller hatte mit Mitteln seiner Wahl konstruktiv dafür sorgen
müssen, dass der Arbeitszylinder der Maschine im Falle einer
Betriebsstörung gestoppt wird, entweder durch Umsetzung der
Vorgaben einer einschlägigen Technischen Norm oder konstruktiv auf
anderem Wege.
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Bedeutung technischer Normen
Keine Rechtsvorschriften – Produkt kann auch ohne Beachtung der
Normvorgaben konzipiert werden.
Technische Normen geben regelmäßig „den Stand der Technik“ (=
Branchenbezogener Entwicklungsstand fortschrittlicher Verfahren,
Einrichtungen oder Betriebsweisen, der die praktische Eignung einer
Maßnahme zur Erreichung eines allgemein hohen Niveaus an
Produktsicherheit insgesamt gesichert erscheinen lässt) zum Zeitpunkt
ihres Erlasses wider.
Sie indizieren den geforderten Sicherheitsstandard. Wer bei der
Produktkonzeption konkrete Norminhalte außer Acht lässt, muss
dennoch dasselbe konstruktive Sicherheitsniveau erreichen wie bei
normkonformer Konzipierung des Produkts.
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CE-Kennzeichnung
U.a. Folgende Spezialbestimmungen verlangen die Anbringung einer CEKennzeichnung:
•
•
•
•
•
•
•
•
•
•
•
§ 3 der 1. ProdSV
§ 13 der 2. GPSGV
§ 4 der 6. ProdSV
§ 4 der 7. ProdSV
§ 5 der 8. ProdSV
§ 5 der 9. ProdSV
§ 3 der 10. ProdSV
§ 5 der 11. ProdSV
§ 12 der 12. ProdSV
§ 5 der 13. ProdSV
§ 5 der 14. ProdSV
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Szenario 2 (nach OLG Frankfurt, Urteil vom 13.01.2015,
(8 U 168/13, juris):
Auf einem schadhaften Medizinprodukt, dass zur Verletzung eines
Geschädigten geführt hat, war entgegen gesetzlicher Vorgaben
kein CE-Kennzeichen angebracht.
Gericht sieht keinen Zurechnungszusammenhang zwischen
Gesetzesverstoß (Inverkehrbringen ohne CE-Kennzeichnung) und
konkretem Schaden, ausgelöst durch Unzulänglichkeit des
Produkts. Kein Erfahrungssatz, nach dem der konkrete
Schadenseintritt eine typische Folge des Inverkehrbringens eines
Produkts ohne CE-Zertifizierung ist.
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II.
Ziviles Produkthaftungsrecht
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Fehlerhaftigkeit eines Produkts
§ 3 ProdHaftG: Fehler
(1) Ein Produkt hat einen Fehler, wenn es nicht die Sicherheit bietet, die unter
Berücksichtigung aller Umstände, insbesondere
a) seiner Darbietung,
b) des Gebrauchs, mit dem billigerweise gerechnet werden kann,
c) des Zeitpunkts, in dem es in den Verkehr gebracht wurde,
berechtigterweise erwartet werden kann.
(2) Ein Produkt hat nicht allein deshalb einen Fehler, weil später ein verbessertes
Produkt in den Verkehr gebracht wurde.
Der im Rahmen der deliktischen Produkthaftung entwickelte Fehlerbegriff gilt
nach dem BGH (NJW 2009, 2952, 2953) fort. Dementsprechend bleibt es auch
hier bei der Unterscheidung von Konstruktions-, Fabrikations- und
Instruktionsfehlern, die im Rahmen der deliktischen Produkthaftung der
Kategorisierung der konkreten Verkehrspflichten dient.
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Konstruktionsfehler
Produkt entspricht schon seiner Konzeption nach nicht dem
Sicherheitsstandard, der nach dem im Zeitpunkt des Inverkehrbringens
des Produkts vorhandenen neuesten Stand der Wissenschaft und
Technik (= die Vorsorge gegen Schäden, die nach den neuesten
wissenschaftlichen Erkenntnissen für erforderlich gehalten wird) und nicht
nur nach der Branchenüblichkeit konstruktiv möglich ist.
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Informationsquellen Stand von Wissenschaft und Technik
Blick auf von Markt- und Branchenentwicklung (Stichwort
Produktbeobachtungspflicht) anhand:
– Anzeigen
– Messeauftritte
– Werbeinformationen
– Begutachtung von Wettbewerbsprodukten (im Rahmen des Zulässigen)
– wissenschaftliche Veröffentlichungen
– Unfallstatistiken
– Berichte über Produktfehler/-rückrufe in einschlägigen InternetDatenbanken
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Einfluss des Produktsicherheitsrechts
Die gesetzlichen Sicherheitsanforderungen (ProdSG, z.B. Maschinenrichtlinie)
sowie der Inhalt einschlägiger technischer Normen spiegeln einen einzuhaltenden
Mindeststandard wieder, der hinter dem Stand von Wissenschaft und Technik
zurückbleiben kann.
Deren Nichteinhaltung begründet die Vermutung eines Konstruktions- oder ggf.
auch eines Instruktionsfehlers.
Umgekehrt lässt die Einhaltung vermuten, dass das Produkt den
Sicherheitserwartungen der Personen entspricht, die mit dem Produkt in Berührung
kommen.
Denken muss man aber wie dargestellt an ein möglicherweise anderes Ergebnis
aufgrund der BGH-Rechtsprechung.
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Szenario 3 (nach BGH, Urt. v 16.06.2009, VI ZR 107/08, NJW
2009, 2952):
Airbags in einem Kfz lösten – bedingt durch Schläge gegen den
Fahrzeugunterboden in einem Schlagloch – ungewollt aus und verletzten
den Fahrer.
Das Airbagsystem verhielt sich entsprechend seiner Konstruktion. Die
starken Schläge gegen den Unterboden führten zu Schwingungen, die
einem Crash-Impuls sehr ähnlich waren. Die Fehlauslösung der Airbags
war nach dem Stand der Technik nicht zu verhindern. Es gab technische
Möglichkeiten der Optimierung des Airbagsystems. Diese waren aber
aufwändig, kostenintensiv und nicht Stand der Technik.
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BGH: Konstruktionsfehler ist hier zu bejahen.
Maßgeblicher Stand von Wissenschaft und Technik ist nicht mit
Branchenüblichkeit gleichzusetzen; die in der jeweiligen Branche
praktizierten Sicherheitsvorkehrungen können durchaus hinter
rechtlich gebotenen Maßnahmen zurückbleiben.
Gefahrvermeidung möglich, wenn nach gesichertem Fachwissen
der einschlägigen Fachkreise praktisch einsatzfähige Lösungen
zur Verfügung stehen.
Sicherheitskonzepte, die bisher nur „auf dem Reißbrett erarbeitet“
oder noch in der Erprobung sind, sind hingegen nicht umzusetzen.
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Fabrikationsfehler
Mangelhafte Fertigung einer Serie oder einzelner fehlerhafter Stücke.
Instruktionsfehler
Pflichtwidrig unterbliebener Hinweis des Herstellers an die Verwender
des Produkts bei naheliegender Möglichkeit einer
Rechtsgüterverletzung auf Gefahren, die sich trotz einwandfreier
Herstellung aus der Verwendung der Sache ergeben können –
Hinweispflicht erstreckt sich auch auf naheliegenden Fehlgebrauch
und auf typische Gefahren in Kombination mit anderen Produkten.
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C.
Bewertung / Auswahl der Reaktion
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Besteht überhaupt eine Pflicht zum Rückruf ?
Nach zivilrechtlichen Maßstäben:
Im B2B-Bereich soll nach Ablauf
der Gewährleistungsfrist
regelmäßig eine hinreichend
deutliche und detaillierte
Warnung genügen (BGH NJW
2009, 1080, 1081 ff.,
„Pflegebetten“);
Streitig für B2C-Bereich.
Nach öffentlich-rechtlichen Maßstäben:
Behörde hat gemäß § 26 Abs. 2 Nr. 7
ProdSG Ermessen bezüglich Anordnung
eines Rückrufs; im Falle eines ernsten
Risikos muss die Anordnung erfolgen.
Erfolgt eine Anordnung, hat Marktakteur
die öffentlich-rechtliche Pflicht zum
Rückruf. Bei Verbraucherprodukten
gemäß § 6 Abs. 2 ProdSG ohnehin.
Behördlichen Anordnungen möchte
Markakteur ggf. durch eine eigene
Entscheidung zuvor kommen.
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Risikoabschätzung
Hat zum Ziel, das Schadenspotenzial aufgrund des unzulänglichen Zustands des
Produkts unter Berücksichtigung der Auftretenswahrscheinlichkeit dieses
Schadens zu ermitteln => Risikogröße als Entscheidungsgrundlage für weiteres
Vorgehen (z.B. Produktrückruf oder andere Maßnahme).
Risikoabschätzung sollte nachvollziehbar und objektiviert sein. Hierfür genutzt
werden können die „Leitlinien für die Verwaltung des gemeinschaftlichen Systems
zum raschen Informationsaustausch RAPEX gemäß Art. 12 und des
Meldeverfahrens gemäß Art. 11 der Richtlinie 2001/95/EG über die allgemeine
Produktsicherheit“ (Kommissionsentscheidung 2010/15/EG, „RAPEXLeitfaden“). Hiernach drei Schritte:
1. Entwicklung eines oder mehrerer Verletzungsszenarien
2. Berücksichtigung der Eintrittswahrscheinlichkeiten
3. Zuordnung einer von vier Risikograden:
Ernstes Risiko – Hohes Risiko – Mittleres Risiko – Niedriges Risiko
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Entscheidung über Maßnahmen
•
Bei ernstem Risiko*
• Rücknahme oder Rückruf angezeigt.
• Entscheidungshilfe liefert § 26 Abs. 4 S. 1 ProdSG: Bei ernstem Risiko
für Sicherheit und Gesundheit von Personen haben
Marktüberwachungsbehörden Rückruf bzw. Rücknahme anzuordnen
oder Bereitstellung auf Markt zu untersagen. Eigene Maßnahmen sollten
nicht hinter drohendem behördlichem Einschreiten zurückbleiben.
• Weiterführende Maßnahmen können sein: Warnung an den Handel oder
Produktnutzer mit dem Ziel, auf mögliche Gefahren hinzuweisen; bei
Verbraucherprodukten besteht umgehende Meldepflicht an Behörden.
*vgl. hierzu Klindt/Wende, Rückrufmanagement, 3. Aufl. Berlin Wien Zürich 2014, S. 78.
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Andere Risikograde* => abgestufte Gefahrabwendungsmaßnahmen, z.B.
- Designänderung für die Zukunft
- Änderung der Spezifikation von Zulieferteilen für die Zukunft
- Vertriebsstopp
- Veränderte Instruktionen
- intensivierte Produktbeobachtung
Verschiedene Faktoren spielen für die Entscheidung eine Rolle:
Exposition der Allgemeinheit gegenüber dem Produktrisiko, öffentliche
Wahrnehmung des Risikos, konkrete mögliche Folgen der Realisierung
des Risikos, frühere „Skandalvorfälle“ desselben Unternehmens,
besondere Sensibilität der Medien (z. B. bei Gefahren für Kinder)
*vgl. hierzu Klindt/Wende, Rückrufmanagement, 3. Aufl. Berlin Wien Zürich 2014, S. 79
Orientierung bietet auch der Katalog behördlicher Eingriffsbefugnisse
gemäß §26 Abs. 2 ProdSG.
Ergebnis kann auch hier Entscheidung zum Rückruf sein, z.B. zum
Schutz der Reputation.
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D.
Durchführung der Maßnahme
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Durchführung des Produktrückrufs
• Wenn möglich: Aufenthaltsort der betroffenen Produkte ermitteln
(Produktkennzeichnung? Ohnehin Pflicht für Verbraucherprodukte
nach§ 6 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 ProdSG, evtl. „stiller Rückruf“ möglich).
• Weiteren Vertrieb stoppen
• Ggf. Information an Rückrufdeckungs-Versicherer
• Erstellung und Versand der Rückrufmitteilung an (je nach Situation)
• Handel
• Endkunde / Verwender
• Behörden (Meldepflicht)
• Öffentlichkeitsarbeit
• Public Relations-Abteilung
• Ggf. Telefonhotline
• Webauftritt, soziale Netzwerke
• Pressemitteilung / -anzeigen
Auswertung des Rücklaufs, ggf. 2. Informationsrunde (reminder)
Schadensbeseitigung (Kosten?)
Ausführlich hierzu: Klindt/Wende, Rückrufmanagement, 3. Aufl. Berlin Wien Zürich 2014, S. 81 ff.
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Gestaltung einer Produktrückrufs-Anzeige
• Faktenbezogen, keine Schuldeingeständnisse
• Vollständiger (adäquater) Warnhinweis:
• Benennung des Schadens, Aufzeigen der Risiken (keine
Verharmlosung), Erklären der Konsequenzen (Produkt „ab sofort
nicht mehr verwenden“ – Zum Umtausch bringen)
• Klare und verständliche Sprache
• Angemessene Illustration der Anzeige:
• Produkt darstellen, am besten wie in Verkaufsunterlagen wieder
gegeben
• Betrifft der Rückruf nur ein begrenztes Produktionslos, Anleitung
an Verwender, wie und wo diesbezügliche Kennzeichnung zu
finden ist
• Textlastigkeit vermeiden (Bildanteil nicht viel kleiner als 1/3 der
Gesamtfläche der Anzeige)
• Angebot zusätzlicher Hilfestellung: Telefonhotline, Email o.Ä.
Ausführlich hierzu Klindt/Wende, Rückrufmanagement, 3. Aufl. Berlin Wien Zürich 2014, S. 92 ff.
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Produktrückruf – Szenarien und
Handlungsoptionen
E.
Ergänzende Hinweise und Empfehlungen
Es empfiehlt sich, ein Rückrufmanagementsystem (eigene
unternehmensinterne Vorschriften und Ablaufpläne, Vorabfestlegung
eines Krisenteams, regelmäßige Vergegenwärtigung dessen, was zu tun
ist), das nach § 6 Abs. 2 ProdSG für Verbraucherprodukte ohnehin
vorgeschrieben ist, auf für andere Produkte zu etablieren. So kann im
Notfall schnell und geordnet reagiert werden.
Das Regressverhältnis zu Zulieferern im Falle von Rückrufen oder
anderen Maßnahmen und die Verteilung der dabei entstehenden Kosten
sollten vertraglich geregelt werden. Andernfalls werden die wie
dargestellt zivilrechtlich umstrittenen Rückrufpflichten Schlüssel für
Regress eines Endherstellers gegen Hersteller eines mangelhaften
Zulieferteils.
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