Flüchtlinge in der Region Ein weites Feld für Helfer Von Gabriele

Flüchtlinge in der Region
Ein weites Feld für Helfer
Von Gabriele Immenkeppel und Marion Monreal und Sonja Weber
BONN/REGION. Eine Helferin aus Endenich, eine Lehrerin von der Ahr und eine Vermieterin aus
Bornheim im Porträt.
Die Flüchtlingscontainer in Bornheim-Hersel sind noch leer und werden in den nächsten Wochen
bezogen.
FOTO: VOLKER LANNERT
Helena Nguyen ist hier bestens bekannt: Vom Balkon aus winkt ihr ein junger Kosovoalbaner zu,
eine Ecke weiter grüßt der Mittvierziger aus Sri Lanka, strahlt über das ganze Gesicht. "Ja, ich
kenne beinahe jeden persönlich", lacht sie. Kein Wunder, schließlich ist die 52-Jährige fast täglich
in der Bonner Sebastianstraße unterwegs. Denn Helena Nguyen arbeitet seit Mitte 2014
ehrenamtlich im ökumenischen Arbeitskreis "Flüchtlinge in Endenich" der Trinitatisgemeinde, der
katholischen Pfarrgemeinde St. Maria Magdalena, mit. Die freiwilligen Helfer kümmern sich
primär um die Flüchtlinge, die im Paulusheim untergebracht sind. Mittlerweile leben dort Menschen
aus mehr als 25 Nationen unter einem Dach.
"Der junge Mann dort oben hat uns erst vor wenigen Tag beim Auszug einer ägyptischen Familie
geholfen", erzählt sie weiter. Genau das ist es, was sie Tag für Tag motiviert. "Ich bin überwältigt
von der Hilfsbereitschaft der Flüchtlinge untereinander." Natürlich sei das Zusammenleben nicht
immer konfliktfrei. "Das ist nicht anders als bei uns." Aber wenn jemand Hilfe oder Unterstützung
braucht, dann könne er sich auf seine Mitbewohner verlassen. "Menschen aus unterschiedlichen
Nationen, die sich oft noch nicht einmal unterhalten können, achten hier aufeinander. Diese
Fürsorge ist wirklich ganz besonders. Ob Muslime, Jesiden oder Christen, hier leben alle friedlich
zusammen, respektieren sich gegenseitig."
Dabei kennt Helena Nguyen die Probleme von Menschen, die in ihrer Heimat verfolgt, vertrieben
wurden, nur allzu gut. Sie weiß aus eigener Erfahrung, welche Sorgen, Nöte, Zukunftsängste sie in
eine vollkommen fremde Welt begleiten. Bereits als 16-Jährige engagierte sie sich in ihrer
Heimatstadt Koblenz in der Flüchtlingshilfe. Damals lernte sie ihren späteren Mann Ba Hai Nguyen
aus Vietnam kennen, der nach einer abenteuerlichen Flucht als "Boatpeople" nach Deutschland
kam. 1992 zog das Paar nach Bonn, beide studierten hier, bekamen drei Kinder. Doch vergessen
konnten sie die Not, die Einsamkeit, die Hilflosigkeit von Flüchtlingen nie.
Während Ba Hai Nguyen auch von Bonn aus verschiedene Initiativen in Koblenz unterstützt, die
sich um kranke, behinderte Kinder in Vietnam kümmern, bemüht sich Helena Nguyen um die 180
Bewohner des Paulusheimes, unter ihnen 45 Kinder. In den letzten Monaten gab es bereits
Nachwuchs im Haus: "Wir haben schon fünf Kinder bekommen", erzählt sie strahlend. In einem
Fall hat eine Studentin des Arbeitskreises eine Bewohnerin sogar in den Kreißsaal begleitet. "Die
Frau war ganz alleine, hatte niemand. Auch in solch einer Situation sind wir da, organisieren zudem
Hebammen für die Vor-, Nachsorge." Normalerweise begleiten die Ehrenamtlichen die Flüchtlinge
bei Arztbesuchen oder helfen bei Behördengängen. Täglich kommen unzählige offizielle Briefe an,
auf die reagiert werden muss. Allerdings: "Anfangs haben viele keinen Zugang zu Deutschkursen,
sie können die Schreiben deshalb nicht verstehen oder gar beantworten." Da Integration jedoch nur
über die Sprache funktioniert, unterrichten mittlerweile 40 "Deutschlehrer" des Arbeitskreises die
Bewohner.
Aber, das ist Helena Nguyen besonders wichtig: "Alles findet auf Augenhöhe statt." Kontakt zu den
Erwachsenen bekommen die Helfer oft erst über die Kinder. Deshalb organisieren sie regelmäßig
Ausflüge, Museumsbesuche, Sport- und Spielnachmittage. "So kommen wir ganz allmählich auch
mit den Eltern ins Gespräch. Inzwischen arbeiten in unserem Arbeitskreis viele Studenten mit, die
wiederum schnell einen guten Draht zu den jungen Erwachsenen bekommen." Doch das braucht
Zeit. Denn nach den traumatischen Erfahrungen der Vergangenheit würden viele nur schwer wieder
Vertrauen zu anderen Menschen aufbauen.
Auch wenn Else Sarter auf dem Stuhl der Lehrerin sitzt, so ist sie Aziz, Omar, Milan, Sabrije, Gazal
und Weronika so nah wie eine Großmutter. "Oma" dürfen die Kinder zwischen zwölf und 15 Jahren
aus Syrien, Polen, Ungarn und Albanien zu der alten Dame sagen. "Oma" - ein Wort, das alle
verstehen. Die rüstige ehemalige Diplom-Dolmetscherin, die im Sommer 90 Jahre alt wird, kommt
zwei mal pro Woche für eine Stunde in die Altenahrer Ahrtalschule, um den deutschen Wortschatz
der Flüchtlingskinder, die nun in Ahrbrück, Lind und Kreuzberg leben, zu erweitern.
Die Frau mit dem weißen Haar und dem wachen Blick gibt der Willkommenskultur ein Gesicht. Die
Bewohnerin des benachbarten Maternusstift macht durch ihr Engagement in der Realschule plus mit
ihrem unkonventionellen Unterricht ein Mehrgenerationenprojekt. "Wir wollten die
Zusammenarbeit zwischen Schule und Altenheim ohnehin intensivieren. So macht die Schulband
Musik im Stift, dafür besucht uns ein Altenpfleger, um seinen Beruf vorzustellen", so Schulleiter
Hubert Stentenbach. Als sich dann die sprachbegabte Else Sarter, die nach dem Krieg schon
amerikanischen Diplomaten-Frauen Deutsch-Unterricht erteilte und später bei der Westdeutschen
Rektorenkonferenz für die Verschlagwortung englischer und französischer Literatur zuständig war,
meldete, um die Flüchtlingskinder unter ihre sprachlichen Fittiche zu nehmen, bekam die
Ursprungsidee einen völlig neuen Aspekt.
Seit dem Winter 2014 sucht sich die 89-Jährige nun wöchentlich neue Themen aus. Ergänzt damit
das bei der Aufsichts- und Dienstleistungsdirektion (ADD) angesiedelte Programm "DAZ" -
Deutsch als Zweitsprache - ihrer Lehrer-"Kollegen". Heute nimmt sie die jungen Menschen, von
denen manche erst fünf Monate, andere wiederum schon zwei Jahre da sind, auf einen gedanklichen
Spaziergang von Altenburg nach Altenahr mit. "Geht Ihr auf der Straße oder auf dem Bürgersteig?",
fragt Else Sarter in die Runde. Sie kann ihren Bochumer "Slang" nicht verleugnen, obwohl sie
schon 1949 nach Bonn zog, dort 1952 ihren Mann heiratete, der vor drei Jahren im Maternusstift
verstarb. "Eines unserer drei Kinder lebt in Kreuzberg, mein Mann kannte an der Ahr jeden Stein.
Daher lag es nahe, im Alter von Friesdorf hierher zu ziehen."
Das Wort "Friedhof", der auf dem imaginären Weg liegt, kennen ihre Schüler nicht, sie tun sich
noch schwer mit der deutschen Sprache. Else Sarter, Großmutter von sieben Enkeln, erklärt: "Da
gibt es viele Menschen, die weinen. Das habt Ihr auch in Syrien erlebt", baut sie eine Brücke, die
verstanden wird. Die Begriffe "Rathaus", "Bürgermeister" und "Burg Are" kennen sie auch noch
nicht, aber als es um die Bahnfahrt gen Bad Neuenahr geht, da können Aziz und Omar alle
Stationen aufzählen.
Mit der Bitte ihrer Deutschlehrerin, mal in ihrer Landesprache bis 20 zu zählen, damit auch sie, die
Englisch, Französisch und Spanisch beherrscht, was dazu lernen kann, sprudeln die Schüler über
vor Eifer. "Das war eine tolle Idee mit dem Spaziergang", wird Else Sarter von Schulleiter
Stentenbach gelobt. "Beim nächsten Mal können Sie die Schüler das auch schreiben lassen. Das
müssen sie ja auch können. Und wir sagen Plural statt Mehrzahl und Minus statt Abziehen", bittet er
die 89-Jährige um Berücksichtigung.
Wenn die bescheidene Frau, die hohe Ansprüche an sich selbst stellt, ihre Motivation beschreiben
soll, dann betont sie: "Ich war selbst Flüchtling. Ich habe mein Deutsch-Abitur zum Thema 'Mozart
auf der Reise nach Prag' im Krieg in den Dünen von Usedom geschrieben. Ich weiß, wie man sich
fühlt."
Die Wohnung, in der die sechsköpfige georgische Familie Jagatasvili untergebracht ist, wirkt
unglaublich aufgeräumt. Auf dem Herd der kleinen Küche kocht eine Dosen-Suppe leise vor sich
hin. Im angrenzenden Wohn- und Schlafbereich sind die Betten ordentlich gemacht, verstreute
Klamotten oder Kinderspielzeug? Fehlanzeige. Was soll auch herumliegen? Die Eltern Maka und
Nikolai sind mit ihren Kindern Natali (13), Eelene (7) und Gabriel (1) sowie Großmutter Elena
ohne jeden Besitz nach Deutschland gekommen. Mit ihrer Zuweisung nach Bornheim hatten sie
großes Glück.
Im Ortsteil Walberberg wurden sie ebenso wie das serbische Ehepaar Ibrahim und Kostana Zeirovic
in einer privaten Wohnung untergebracht: Überfüllte Flüchtlingsheime oder Wohncontainer bleiben
den beiden Familien vorerst erspart. Zu verdanken haben sie diesen Umstand Agi OlligschlägerLoedel, die sich bereit erklärte, zwei Wohnungen für die Flüchtlinge zur Verfügung zu stellen. Die
54-jährige freut sich, dass sie helfen kann, betont aber, dass sich durch die Vermietung auch für sie
ein Vorteil ergibt. "Es ist sozusagen eine Win-Win-Situation für alle Beteiligten", erklärt die
gebürtige Walberbergerin, die in Bornheim-Hemmerich lebt. "Die Stadt bekommt dringend
benötigten Wohnraum, die Flüchtlinge werden menschenwürdig untergebracht und ich bin froh, die
Wohnungen sicher vermietet zu haben", erklärt sie.
Dass es dazu kam, war purer Zufall: Ein Mitarbeiter der Bornheimer Stadtverwaltung hatte die
Physiotherapeutin, die unter anderem die Kicker des SSV Merten fit hält, während eines
Fußballspiels angesprochen. "Weißt du jemanden, der aktuell eine Wohnung oder ein Zimmer frei
hat?", lautete die Frage, die sie spontan mit "Ja, ich!" beantwortete. Dass in den etwa 60 und 128
Quadratmeter großen Wohnungen Flüchtlinge eine vorübergehende Bleibe finden sollten, stellte für
sie kein Problem dar. "Mieterin ist die Stadt, der Mietpreis ist angemessen und der Vertrag läuft
jeweils über ein Jahr", fasst die Mutter eines erwachsenen Sohnes zusammen. Erst im Oktober hatte
sie das Haus, das unmittelbar an das Grundstück ihres Elternhauses grenzt, erworben.
Bevor die Familien Anfang des Jahres einzogen, wurden die Räumlichkeiten von der Stadt renoviert
und mit dem Nötigsten ausgestattet. Die beiden Küchen und einige Möbel stellte die Vermieterin
zur Verfügung. Hin und wieder sieht Agi Olligschläger-Loedel nach dem Rechten und versucht zu
helfen, wenn etwas benötigt wird. Die Nachbarschaft, die sie vor dem Einzug der Familien
informierte, habe sich unglaublich offen und hilfsbereit gezeigt, berichtet sie: "Da war niemand, der
Vorbehalte hatte." Im Gegenteil. Spontan wurden zur Verschönerung der Wohnung Gardinen
vorbeigebracht und auch Kleidung gespendet. "Wir erinnern uns gut daran wie es war, als wir nichts
hatten und auf die Hilfe Anderer angewiesen waren." - Diese Aussagen hört Olligschläger-Loedel
oft von älteren Walberbergern, die nach dem Krieg mit leeren Händen dastanden.
Auch sie berührt das Schicksal der Flüchtlinge sehr: "Diese Menschen haben alles aufgegeben und
ihre Heimat, ihre Familien und ihr Hab und Gut zurückgelassen. Das macht niemand freiwillig."
Inzwischen besuchen die beiden älteren Kinder der Familie Jagatasvili die Schule, Mutter Maka
bemüht sich, die deutsche Sprache zu lernen und hofft, irgendwann als Krankenschwester arbeiten
zu können.
Artikel vom 09.05.2015
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