Warum ein Handbuch zur künstlerischen Forschung?

Jens Badura, Selma Dubach, Anke Haarmann
Vorweg: Warum ein Handbuch zur künstlerischen Forschung?
8 Seiten
DOI 10.4472/9783037345832.0001
Zusammenfassung
Die Debatte um »Künstlerische Forschung« hat einen hohen Grad an Differenzierung
erreicht, sei es in ihrer allgemeinen, theorieorientierten Dimension, sei es auf der Ebene
der Praxis des künstlerischen Forschens selbst. Alles deutet darauf hin, dass sich die
Künstlerische Forschung an der Schwelle zu einer Institutionalisierung befindet.
Ziel des Bandes ist es nicht nur, eine Bestandsaufnahme der unterschiedlichen Frage- und
Themenstellungen zu erstellen, sondern auch jene Kontroversen abzubilden, aufgrund
derer man den Prozess einer vorschnellen »Disziplinierung« der künstlerischen Forschung
kritisch betrachten mag. Entlang einiger Leitfragen (Auf welche Art von Erkenntnis zielt
künstlerischer Forschung und in welchem Verhältnis stehen diese zu anderen Formen der
Erkenntnisbildung? Was ist das Spezifikum im Vorgehen künstlerischen Forschens? In
welche Rahmenbedingungen historischer, institutioneller, politischer Art ist der derzeitige
Diskurs zur künstlerischen Forschung eingebettet; welche Rolle spielen hier
Kunsthochschulen, Forschungs- und Kunstförderung?) entwirft der Band eine Topographie
des gesamten Feldes der Debatte um künstlerische Forschung.
Jens Badura (Hg.), Selma
Dubach (Hg.), Anke
Haarmann (Hg.), Dieter
Mersch (Hg.), Anton Rey
(Hg.), Christoph Schenker
(Hg.), Germán Toro Pérez
(Hg.)
Künstlerische Forschung.
Ein Handbuch
344 Seiten, Gebunden, 5 sw.
Abb.
ISBN 978-3-03734-880-2
Zürich-Berlin 2015
Mit Beiträgen von
Peter Ablinger, Sigrid Adorf,
Jens Badura, Anette Baldauf,
Ulf Bästlein, Jochen Becker,
Alessandro Bertinetto, Elke
Bippus, Henk Borgdorff,
Christoph Brunner, u.a.
diaphanes eTexT
www.diaphanes.net
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Vorweg:
Warum ein Handbuch
zur künstlerischen Forschung?
Warum gibt es heute eine intensive Debatte zur künstlerischen Forschung – eine Debatte, die auch ein Handbuch wie das vorliegende
zur Folge hat? Es ist doch keineswegs neu, dass Kunst sich nicht nur in
Kunstwerken erschöpft und nicht nur an Kunstorten wie Museen, Konzertsälen oder Theatern stattfindet. Spätestens seit den Avantgarden
im frühen 20. Jahrhundert war die Rolle der Künste vielfältig und waren
die Felder ihrer Einmischung in gesellschaftliche Debatten und Sphären divers. So gesehen verwundert es wenig – anders als die von einer
gewissen Rhetorik der Innovation getragene Diskussion zur künstlerischen Forschung glauben machen mag –, dass auch Forschung als eine
solche Sphäre der künstlerischen Einmischung gilt. Schließlich ist künstlerische Praxis stets geprägt durch eine erkundende Haltung der Welt
gegenüber und durchaus in Einklang zu bringen mit dem Bedeutungsspektrum des Begriffs »Forschung«. Kunst scheint in gewissen Hinsichten immer schon Forschung zu sein, im Sinne von Erkenntnis suchen,
erkunden, ergründen, prüfen, untersuchen oder ausfindig machen, und
schon seit langem ihre Bezugsräume zu verlagern.
Das aber, und hier setzt das Handbuch an, ist in dieser Allgemeinheit im gegenwärtigen Diskurs der künstlerischen Forschung in der
Regel nicht gemeint. Im beginnenden 21. Jahrhundert wird vielmehr
be­ansprucht, dass Kunst forschend sein kann in dem Sinne, dass sie
originäres Wissen erzeugt und damit also dasjenige tut, was traditionell den Wissenschaften zugeordnet war. Diese neue und zugleich
heftig umstrittene Korrelation von Kunst und Wissenschaft hat auch
damit zu tun, dass die kritische Selbstreflexion der Wissenschaften seit
der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts zur These führte, dass wissenschaftliche Erkenntnisproduktion keineswegs allein das Ergebnis
selbsttrans­parenter, objektivierbarer Verfahrensweisen ist, sondern wie
künstlerische Praxis auch wesentlich durch Intuition und Kreativität oder
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Praktiken des ­Experimentierens und des »impliziten Wissens« geprägt
ist. Ein ­kategorialer Unterschied könne mithin nicht behauptet werden.
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Diese doppelte Bewegung – Transformation der Künste und kritische
Selbstbefragung der Wissenschaften – führte dazu, dass die Rede von
künst­lerischer Forschung erst in dem Sinne möglich wurde, wie sie
gegenwärtig geführt wird: nicht als bloß metaphorisches Sprechen von
Forschung, sondern sehr konkret verbunden mit dem Anspruch, Kunst als
wissensgenerierende Praxis ernst zu nehmen und damit verbunden auch
die entsprechenden institutionellen Rahmenbedingungen zu ­etablieren.
Künstlerische Forschung, Forschen mit Kunst, Kunst als ­Forschung,
kunstbasierte Forschung: unter einer Vielzahl von Überschriften wird
daher seit einigen Jahren kontrovers diskutiert, wie das Verhältnis von
Kunst und Forschung konzeptuell neu verstanden und praktiziert wer3
den kann. Und insbesondere im deutschen Sprachraum erfreut sie sich
diese Diskussion seit jüngerer Zeit einer hohen Popularität auch über
eine reine Fachcommunity hinaus. Eine einheitliche Position ist bislang
nicht zu erkennen. Doch prägt alleine schon die Debatte zur künstlerischen Forschung die gegenwärtige Praxis der Künste. Es entstehen neue
»role models« für Künstler_innen. An den Kunst­hochschulen werden
neue institutionelle Rahmungen vorgenommen. Der Austausch mit den
Wissenschaften wird gezielt gesucht. Die Zahl von Veranstaltungen, bei
denen das Thema künstlerische Forschung diskutiert und auch zunehmend in kunstspartenspezifischen Binnendebatten verhandelt wurde,
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nimmt zu.
Der Zeitpunkt scheint daher geeignet für eine systematisierte Be­­
standsaufnahme, welche epistemologisch-konzeptionelle Grundlagen,
methodologische Fragen, Inventare von Praktiken und ­Ausdrucksformen
sowie institutionelle und forschungs- wie kulturpolitische Rahmen­
bedingungen als aufeinander bezogene Dimensionen verhandelt. Das
vorliegende Handbuch soll eine entsprechende Diskurstopographie liefern. Es will das bestehende Feld der Positionen vermessen und verzeichnen – nicht abschließend und allumfassend, aber doch einen vorläufigen Überblick des Status quo gebend. Ziel ist es dabei nicht nur,
künstlerisch Forschenden und Interessierten eine Handreichung zur
Orientierung im gegenwärtigen Diskurs zu liefern, sondern auch jene
1 Michael Polanyi: The Tacit Dimension, New York 1967.
2 Paul Feyerabend: Wissenschaft als Kunst, Frankfurt/M. 1984.
3 Dieter Mersch, Michaela Ott (Hg.): Kunst und Wissenschaft, München 2007; Elke ­Bippus
(Hg.): Kunst des Forschens: Praxis eines ästhetischen Denkens, Zürich, Berlin 2009.
4 Corina Caduff, Fiona Siegenthaler, Tan Wälchli (Hg.): Kunst und Künstlerische Forschung / Art and Artistic Research, Jahrbuch Zürcher Hochschule der Künste 6, Zürich
2009.
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Spannungsfelder abzubilden, deren Bestehen gute Gründe dafür liefert,
den Prozess der Institutionalisierung, Kanonisierung und Disziplinierung
künstlerischer Forschung kritisch zu betrachten und kontroverse Diskussionen darüber lebendig zu halten.
Denn: die künstlerische Forschung gibt es genauso wenig wie die Kunst
oder die Forschung. Vielmehr versammeln sich unter dem Titel »künstlerische Forschung« sehr unterschiedliche Thematiken und Kontroversen, die epistemologische Fragen genauso umfassen wie praxisorientiert-methodologische und institutionelle Aspekte des Themas. Dabei
reicht das Spektrum von einer nachgerade emphatischen Begeisterung
angesichts der Entwicklung der Künste und ihrer Bedeutung entstehenden neuen Möglichkeiten bis hin zur strikten Ablehnung etwa deshalb,
weil die Rollenzuschreibung »Wissensproduzent« an die Künste letztlich
nichts anderes sei als deren Instrumentalisierung in einer vom kognitiven Kapitalismus dominierten Gegenwart. Vor diesem Hintergrund lohnt
es, genauer zu schauen, welche Gründe es dafür gibt, dass die Diskussion zur künstlerischen Forschung so populär und eben auch von Beginn
an entsprechend kontrovers verhandelt wurde.
Der diskurstopographische Anspruch des Handbuchs fokussiert daher
nicht nur die theorieorientierte Diskussion über künstlerische Forschung,
die von epistemologischen, ästhetischen wie auch kunstwissenschaftlichen Beiträgen geprägt ist. Er nimmt auch die rege Auseinandersetzung
über institutionelle Kontexte künstlerischer Forschung entlang der Frage
in den Blick, wie und durch wen diese Forschung evaluiert, finanziell
gefördert, in Kunsthochschulen implementiert und gegebenenfalls durch
spezifische Programme – u. a. PhD-Angebote – ausgestaltet werden soll.
Insbesondere gilt die Aufmerksamkeit des Handbuchs aber den Praktiken des Forschens, die durch forschende Künstler_innen und praxisnahe
Theoretiker_innen ausgehend von deren Erfahrungen und Zugängen
erschlossen werden, um aus der Ausübung der forschenden Tätigkeiten
heraus deren Eigenarten zu verzeichnen.
Hintergründe und Kontexte
Im Hintergrund der kontroversen Debatte über künstlerische ­Forschung,
die Ausgangspunkt des vorliegenden Handbuchs ist, stehen Kontexte, in
denen das künstlerische Forschen unterschiedlich verortet oder ­diskutiert
wird: International gesehen hat die im englischsprachigen Raum »art­based research« oder aber »artistic research« genannte künstlerische
Forschung das Interesse befördert. So war es vor allem dort das zunehmend einflussreiche, aus den ­Ingenieurswissenschaften ­kommende
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Konzept des »practice-based research«, das ein komple­mentäres Forschungsverständnis neben den akademischen Forschungs­traditionen
etablierte. In diesem Zusammenhang entstanden auch die ersten »practice-based«–Promotionsprogramme, die es »Praktikern« ermöglichen
sollten, eine Qualifikation auf der Ebene des ­akademischen PhD zu
­erwerben, ohne zugleich eine wissenschaftliche Arbeit im ­traditionellen
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Sinne anfertigen zu müssen.
Eine wiederum andere, vom Design
geprägte Tradition der künstlerischen Forschung im franko-­­kanadischen
Raum war die ­sogenannte »recherche-création«.
Trotz aller Diversität der genannten Zugänge ist zu bemerken, dass
die Debatte argumentativ lange Zeit stark von einigen wenigen emb7
lematischen Texten wie Fraylings »Research in Art and Design« und
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Borgdorffs »The Debate on Research in the Arts« geprägt war, die bis
heute als vielzitierte Referenzen für eine Konzeptualisierung der Idee
von künstlerischer Forschung entlang der Unterscheidung Forschung
für, mit und in der Kunst gelten.
Seit Beginn der Debatte zur »Künstlerischen Forschung« war zudem
die kategoriale Frage zentral, wie zwischen »normaler« Kunstproduktion und künstlerischer Forschung unterschieden werden kann. Kunstpraxis im traditionellen Sinne ebenso wie künstlerische Praxis in ihren
zeitgenössischen Formen sei ohnehin, so die eine Auffassung, immer
auch forschend, insofern sie als eine ästhetische Praxis der Exploration
zu neuen Möglichkeiten der Einsicht führe. Mit Blick auf das Verhältnis
von Künsten und Wissenschaften verweisen historisch argumentierende
Posi­tionen zudem darauf, dass Kunst und Forschung bei Künstlern wie
Leonardo da Vinci oder Goethe stets miteinander verwoben waren,
sodass die Emphase des Neuen, die mit dem Boom der Debatte zur
künstlerischen Forschung teilweise verbunden war, letztlich deplatziert
sei. Des Weiteren wird diskutiert, inwieweit die Zuschreibung des künstlerischen Forschens auch unabhängig von der Selbstdeklaration der
entsprechend Beschriebenen zu sehen ist: Kann als künstlerische Forschung nur das bezeichnet werden, was unter diesem Label betrieben
wird oder ist nicht auch vieles von dem, was schlicht als künstlerische
Praxis intendiert ist, auch als Forschung zu beschreiben?
5 Roger T. Dean, Hazel Smith (Hg.): Practice-led Research, Research-led Practice in the
Creative Arts, Edinburgh 2009.
6 Fiona Candlin: Practice-based Doctorates and Questions of Academic Legitimacy. International Journal of Art and Design Education 19 (1), 2000, S. 96–101.
7 Christopher Frayling: Research in Art and Design, London 1993.
8 Henk Borgdorff: The Debate on Research in the Arts. Sensuous Knowledge 2, Bergen
2006.
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Letztgenannter Aspekt spielt einerseits eine epistemologische Rolle
bei dem Unterfangen, spezifische Verfahren des ästhetischen Forschens
unabhängig vom Labeling zu reflektieren, andererseits ist er bildungspolitisch vorrangig im Kontext der Hochschulen von Bedeutung, da eine
entsprechende Kategorisierung dort mit Blick auf die Institutionalisierung künstlerischer Forschung betrieben wird und etwa die Einwerbung
von Drittmitteln zur Forschungsfinanzierung eine entsprechende explizite Deklaration als Forschung erfordert.
Für den deutschsprachigen Raum lassen sich zu diesem bildungsund förderpolitischen Kontext folgende Beispiele nennen: In Österreich
wurde 2009 seitens des Österreichischen Fonds zur Förderung wissenschaftlicher Forschung (FWF) ein eigenes Förderprogramm für künstlerische Forschung aufgelegt (PEEK). In der Schweiz wurde den Kunsthochschulen (die dort als Fachhochschulen geführt werden) im Jahr 1998 ein
expliziter Forschungsauftrag gegeben und entsprechende Forschungsaktivitäten bis 2013 mit einem speziellen, auf praxisbasierte Forschung
hin orientierten Programm (»DoResearch«/DoRe) gefördert; inzwischen
erfolgt dort die Finanzierung allerdings im Rahmen der Abteilung
­Geistes- und Sozialwissenschaften und somit in direkter Konkurrenz
zur wissenschaftlichen Forschung an den Universitäten (wenn auch mit
einem speziellen Board für künstlerisch-forschende Projekte. Netzwerke
wie das European Artistic Research Network (EARN) oder die Society for
Artistic Research (SAR) sind entstanden. Aus der Letzten heraus wurde
auch ein erstes peer-reviewtes Journal für künstlerische Forschung
gegründet, das Journal for Artistic Research (JAR).
Schließich standen die Kunsthochschulen im Zuge der Bologna9
­Reform vor der Aufgabe, einen 3. Zyklus, also ein postgraduales und
forschungsorientiertes Studienangebot, zu entwickeln, was eine Debatte
zum Verhältnis künstlerischer Ausbildung, Praxis und Forschung auslöste.
In der Folge haben sich unterschiedliche Ausdeutungen des 3. Zyklus
entwickelt: einerseits spezifische Promotionsprogramme, die auf einen
Doktoratsabschluss zielen, andererseits verschiedene Varianten künst10
lerischer Entwicklungsprojekte und Research Residency-Formate.
Obwohl bislang keine allgemein anerkannten Standards für »best
practice« oder Kriterien zur Qualitätsermittlung für die Bewertung
künstlerischer Forschung existieren, deuten die genannten Entwicklungen darauf hin, dass sich künstlerische Forschung an der Schwelle
9 Kathrin Busch, Dieter Lesage (Hg.): A Portrait of the Artist as Researcher: the Academy
and the Bologna Process, Antwerpen 2007.
10 Vgl. z. B. Jiří Kylián, Friederike Lampert, Désirée Stavermann (Hg.): One of a Kind. The
Kylián Research Project, Rotterdam 2014.
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zu einer entsprechenden Institutionalisierung befindet – mit all den
­»disziplinierenden« Dynamiken und Problemen, die damit de facto verbunden sind: so eine Akademisierung der Künste und ­Kunsthochschulen,
eine durch Peer Communities definierte Ein- und Ausgrenzung als legitim erachteter Fragestellungen, Vorgehens- und Publikationsweisen, die
Übernahme eines schon im wissenschaftlichen Bereich nicht unproblematisch wirkenden Systems konkurrenzbasierter Drittmittelfinanzierung
und eines daraus resultierenden Ergebnisdrucks, die Zuweisung neuer
Produktivitätserwartungen an die Kunst, die zum ausweisbaren Nutzen
der Gesellschaft forschen soll.
Auf der anderen Seite führt die Popularität der künstlerischen Forschung dazu, dass deren Potential zur Dynamisierung der Wissens­
ordnung genutzt werden kann. Denn die Kunst als Wissensproduzentin
lässt einige grundlegende Fragen im Wissensdiskurs der Gegenwart
und damit verbundene programmatische Fragen wieder virulent werden: Wer ist berufen dazu, festzulegen, welche Erkenntnisse gesellschaftlich relevant und welche Praktiken der Erkenntnisgenerierung in
dem Zusammenhang anerkannt sind? Wer sagt, dass ästhetisches Forschen eine weniger bedeutungsvolle Weise der Welterschließung ist als
die der etablierten Wissenschaften? Und schließlich: Braucht es in einer
Kultur, die von Ästhetisierungsdynamiken und immer zudringlicheren
visuellen und auditiven Impulsen geprägt ist, nicht spezifisch künstlerische Expertisen der Welterschließung als Komplement zu den etablierten epistemischen Praktiken?
Ausgangsthesen zur Handbuchstruktur
Das Handbuch zielt somit darauf ab, den Diskurs zur künstlerischen
­Forschung in seiner Komplexität und seinen aktuellen kontroversen
Linien zu erschließen und sowohl Künstlern als auch Wissenschaftlern
sowie einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Eine solche
topographische Unternehmung kann allerdings nur ausgehend von
bestimmten Standpunkten erfolgen, welche die Auswahl der Themen
und die gewählte Struktur zu deren Systematisierung begründen, selbst
wenn der Rahmen weit gesteckt ist. Daher sollen die zugrundegelegten Leitthesen des Projekts im Folgenden kurz skizziert werden. Ausgegangen wurde davon, dass die Rede von künstlerischer Forschung im
Zusammenhang einer Veränderung der Wissensordnung steht und damit
Verlagerungen der Definitionsmacht hinsichtlich legitimer und relevanter Praxen der Wissensgenerierung sowie eine Neubestimmung des
Verhältnisses von Künsten und Wissenschaften bedeutet. Ferner war die
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These maßgeblich, dass vor diesem Hintergrund eine ­Zusammenschau
von epistemologisch-ästhetischen, praxisbezogen-methodologischen
sowie kontextuell-institutionellen Fragen nötig ist, welche die Spannungen zwischen den einzelnen Bereichen deutlich werden lässt. Ausgegangen wurde zudem davon, dass künstlerische Forschung nicht etwas
völlig neues ist, sondern als eine neue Art der Thematisierung künstlerischer Praktiken zu verstehen ist – zugleich aber durch diese neue
Art der Thematisierung auch neue Möglichkeiten für die Praxis und
Anerkennung künstlerischen Arbeitens sowie die Funktionsbestimmung
der Künste entstehen. Es ist daher, so die Annahme, weder angemessen,
pauschal davon zu sprechen, dass künstlerische Praxis immer schon
Forschung gewesen sei, noch zu behaupten, dass künstlerische Praxis
erst jetzt forschend sei. Dabei kann künstlerische Forschung weder nur
abstrakt – also ohne direkten Bezug auf die konkrete Forschungs­praxis
in den verschiedenen Künsten – sinnvoll thematisiert werden, wie dies
in weiten Teilen des bisherigen Diskurses geschehen ist, noch ausschließlich in der Beschreibung einzelner Beispiele zu verbleiben. Es
gilt somit, ein juste milieu zu finden, das theoretisch-konzeptuelle Fragestellungen genauso berücksichtigt wie praxeologische – inklusive einer
gewissen Offenheit für unterschiedliche Artikulationsweisen, mit denen
entsprechende Fragestellungen überhaupt verhandelt werden können.
Dabei sind die Gemeinsamkeiten und Differenzen von künstlerischer
Forschung in den einzelnen Kunstsparten zu berücksichtigen – es ist
also auch eine komparative Ebene einzubeziehen. Schließlich steht im
Hintergrund dieses Handbuchs die Überzeugung, dass sich eine Diskussion zur künstlerischen Forschung mit der Frage auseinandersetzen
muss, welche möglicherweise problematischen Effekte die Profilierung
von Kunst als Forschung für die Rolle der Kunst haben könnte – etwa
hinsichtlich ihrer damit verbundenen Tendenz zur Akademisierung oder
Instrumentalisierung.
Die Struktur
Vor dem Hintergrund dieser Ausgangsthesen wurde eine Struktur für
das Handbuch festgelegt, die drei Bereiche umfasst: Epistemologie &
Ästhetik, Methodologie & Praktiken und Institutionen & Kontexte. Innerhalb dieser drei Bereiche wurden Einträge thematisch geclustert, um
Zusammenhänge deutlich zu machen. Eine Verweisstruktur ermöglicht
es zudem, Korrespondenzen zwischen den Einträgen auch quer zu den
drei Bereichen zu identifizieren.
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Durch die Struktur der drei Bereiche ist das Buch in zweifacher Weise
erschließbar: zum einen gemäß den drei Bereichen zugeordneten
Begriffsclustern, hinsichtlich derer ein systematisches Inhaltsverzeichnis erstellt wurde. Zum anderen, dem klassischen Handbuchverständnis
gemäß, kann das Handbuch entlang einer alphabetischen Ordnung von
Stichworten erschlossen werden, die in einem zweiten Inhaltsverzeichnis notiert sind. Insgesamt war es dem Konzept- und Redaktionsteam
wichtiger, durch sehr unterschiedlich arbeitende und argumentierende
Autor_innen einen von heterogenen Vorgehensweisen und Denkstilen
geprägten Zugang zum Thema zu schaffen, als eine vereinheitlichte vermeintlich neutrale Perspektivierung zu schaffen. Dies spiegelt auch die
Heterogenität der aktuellen Diskussion zur künstlerischen Forschung
wieder. Das Handbuch soll leisten, was die bisher erschienene Literatur zum Thema noch nicht im systematischen Überblick abgebildet hat
– nämlich die derzeitige Diskurstopographie strukturiert nach Diskursclustern sichtbar zu machen, anstatt Diskursanteile entlang von generalisierenden Überblicksartikeln oder spezifizierenden Detailanalysen
darzustellen.
Im Folgenden werden für die Bereiche Darstellende Künste, Bildende
Kunst, Design und Musik kurze Überblicksdarstellungen zu den jeweiligen Forschungsfeldern und Arbeitsweisen gegeben. Eine Auswahl­
bibliographie schließt den einleitenden Teil ab.
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