„Urban Mining“ Die Stadt als Bergwerk der Zukunft Veranstaltung von Umwelt Management Austria und Vortrag von Herrn Chefredakteur Leopold Lukschanderl am 10. März 2016 um 18.30 Uhr an der FH Technikum Wien Was haben wir im Umweltschutz nicht schon alles an Schlagworten gehört! Da gab es u.a. den Sauren Regen, das Sterben der Wälder und das Ozon-Loch. Da prophezeiten uns die einen die Rückkehr der Gletscher und eine neue Eiszeit, während die anderen das Donauufer als Palmenstrand abbildeten. Treibhausgase wie CO2 und Methan als Klimakiller und Feinstaub beschäftigen uns derzeit – und kritische Geister fragten sich immer häufiger, was wohl der nächste „Schadstoff des Monats“ oder des „Jahres“ sein werde. Und dann ist, so vor fünf oder sechs Jahren, plötzlich der Begriff „Urban Mining“ aufgetaucht. Aha, haben viele gedacht, wieder so ein Thema, das bald wieder verschwinden wird. Als Wissenschafts- und Umweltjournalist ist mir aber bald aufgefallen, dass dieser Terminus immer häufiger in wissenschaftlichen Publikationen, Fachzeitschriften und Vorträgen aufgetaucht ist, die interessierte Öffentlichkeit damit aber vorerst nur wenig anfangen konnte. So entstand das Projekt, ein allgemeinverständliches, trotzdem aber den Ansprüchen einer seriösen Berichterstattung gerecht werdendes Buch zu schreiben. Ich hoffe, dass das gelungen ist und freue mich, dass es von der „Deutschen Umweltstiftung“ für den Wettbewerb „Umweltbuch des Jahres“ nominiert wurde. Was versteht man nun unter „Urban Mining“? Ziel ist das Erkennen von Wertstoffen in Gebäuden und der Infrastruktur, noch bevor diese zu Abfall werden und sie zukünftig als Sekundärrohstoffe zu nutzen. Der Vorteil: So müssen weniger natürliche mineralische Rohstoffe abgebaut werden, die natürlichen Lagerstätten werden geschont, der Schadstoffausstoß minimiert und Energie eingespart. In Mitteleuropa verbraucht jeder Einwohner rein rechnerisch täglich etwa 40 Kilo Bodenschätze und Rohstoffe: Sand und Kies, Erdöl, Gas und Kohle, aber auch Holz, Kunststoff und Metalle. Diesen natürlichen Ressourcen verdanken wir unseren hohen Lebensstandard. Der alltägliche Konsum sorgt aber auch dafür, dass die Lagerstätten an natürlichen Rohstoffen kontinuierlich schrumpfen, während gleichzeitig der Materialbestand um uns herum rasant zunimmt. Fachleute sprechen daher vom wachsenden „anthropogenen Lager“ oder „Konsumlager“. Dazu eine einzige Zahl: Pro Person verbrauchen die Österreicher im Jahr 417 Kilo Eisen, davon werden aber nur 169 Kilo zurück gewonnen – der Rest verbleibt im „Konsumlager“. Tatsächlich sitzen wir – auch wenn immer von einer drohenden Rohstoffkrise gesprochen wird - inmitten unserer Rohstoffe! Unter diesem Titel haben die Universitätsprofessoren Dr. Anke Bockreis von der Innsbrucker Uni und Dr. Helmut Rechberger von der TU-Wienschon vor rund fünf Jahren in der Zeitschrift „Österreichische Wasser- und Abfallwirtschaft“ eine Reihe von Arbeiten von Kolleginnen und Kollegen vorgestellt, die diese Feststellung bestätigten. Solche Fakten werfen naheliegende Fragen auf: Warum besinnen wir uns nicht auf die Rohstoffe, die wir bereits bezahlt haben? Warum nutzen wir nicht verarbeitete und verbaute Materialien erneut und immer wieder? Tatsächlich ist jede dichtbesiedelte Stadt in einem industrialisierten Land heute eine riesige Rohstoffmine. Dazu wieder ein kleines Beispiel: O In der Stadt Wien befinden sich gegenwärtig – wie Wissenschaflter berechnet haben pro Person etwa 4.400 Kilo Eisen, 340 Kilo Aluminium, 300 Kilo Kupfer, 40 Kilo Zink und 210 Kilo Blei. Einiges passiert ja schon: Stahl- und Aluschrott werden seit Jahrzehnten verarbeitet, detto Bauschutt und Asphaltaufbruch. Und gebrauchte Verpackungen aus Glas, Papier und Kunststoff werden recycliert. Möglich ist aber vieles mehr. So haben Wiener Wissenschaftler damit begonnen, ein Konzept zu entwickeln, wie Großstädte ihre Rückstände aus der Abfallverbrennung künftig sinnvoll nützen können. Beispielsweise soll der in den Aschen vorhandene Phosphor wieder zu Dünger umgewandelt werden. Und ähnliche Forschungen laufen natürlich auch an vielen anderen Stellen. Ein weiterer Fixpunkt des neuen Trends in der Abfallverwertung ist die Rückgewinnung von Wertstoffen aus stillgelegten Mülldeponien – auch als „Landfill Mining“ bezeichnet. Wissenschafterinnen der Uni Innsbruck haben zum Beispiel 24 Tiroler Deponien untersucht und festgestellt, dass (Zitat) „sich ein relativ hoher Anteil an Metallen feststellen lässt, so dass damit wesentliche Kosten eines Deponierückbaus mit Wertstoffverwertung gedeckt werden könnten“. Tatsache ist: Der alltägliche Konsum sorgt dafür, dass die Lagerstätten an natürlichen Rohstoffen kontinuierlich schrumpfen, während gleichzeitig der Materialbestand um uns herum rasant zunimmt. Ein schönes Beispiel dafür, dass der Entsorgungswirtschaft zweifellos Boomjahre bevorstehen und die Ware Müll sich zu einem Milliardenmarkt entwickeln wird, sind unsere vielgeliebten Handys. In jedem Handy finden sich etwa 23 Milligramm Gold. Weltweit werden pro Jahr etwa 1,3 Milliarden Handys produziert, davon landen aber nur etwa zehn Prozent tatsächlich im Recycling. Das bedeutet aber: die Menschheit wirft pro Jahr 20 bis 22 Tonnen Gold auf den Müll! Noch ein kleines Beispiel: In einer Tonne Golderz aus einer Mine in Südafrika befinden sich vielleicht fünf Gramm Gold. In einer Tonne alter Handys sind aber 250 bis 300 Gramm Gold. Dieser - fiktive – Handyhaufen ist also eine ausgezeichnete Rohstoffquelle, wird aber noch kaum genutzt. Denn Elektroschrott landet in Afrika, China oder Indien. Dort wird vor allem Kupfer herausgeholt, aber die meisten Rohstoffe gehen verloren. Allein in China wandern pro Jahr vier Tonnen Gold in den Müll, 28 Tonnen Silber und 6.000 Tonnen Kupfer. Allein das Gold hat einen Wert von rund 100 Millionen Euro, das entspricht der monatlichen Produktionsmenge mancher Goldförderstaaten. Weltweite Probleme drohen aber auch bei den Spezialmetallen, warnen die Vereinten Nationen, wenn die Wiederverwertung von Rohstoffen nicht forciert wird. Denn nur bei ganz wenigen Metallen wie Eisen und Platin liegt die Recyclingquote bei mehr als 50 Prozent. Aber gerade die Metalle, die wir in Zukunft dringend brauchen, sind auf der Erde knapp. Bei Indium, das man für moderne Computer benötigt, liegt die Recyclingquote zum Beispiel unter einem Prozent. Wissenschafter prognostizieren, dass es bei den Spezialmetallen bereits in absehbarer Zeit zu ernsthaften Engpässen kommen wird. Das betrifft u.a. sie sogenannten „Seltenen Erden“ – trotz ihres Namens handelt es sich um Metalle -, die zu 97 Prozent aus China kommen und von der dortigen Regierung bereits als politisches und wirtschaftliches Druckmittel verwendet werden. Die „Seltenen Erden“ sind übrigens gar nicht so selten, sie sind nur gut versteckt. Und selten u.a. deswegen, weil westliche Industriestaaten, vor allem die USA, in den 90er Jahren aus der Produktion ausgestiegen waren. Er verhängnisvoller Fehler, wie sich in der Zwischenzeit herausgestellt hat. In Österreich verarbeitet übrigens die Treibacher Industrie AG in Althofen in Kärnten als einer der größten Abnehmer in der westlichen Welt die „Seltenen Erden“. Die von der Treibacher Industrie AG hergestellten Lösungen und Verbindungen werden in der Dentalkeramik für Zahnkronen, zur Herstellung künstlicher Hüftgelenke, in der Pharmazie sowie im Feinguss oder auch als Poliermittel verwendet. Experten appellieren jedenfalls an die Entwickler von elektronischen Geräten, schon beim Design der Geräte an deren spätere Wiederverwertung zu denken. Das sei ein Bedürfnis des Marktes. Denn es ist zwei- bis zehnfach effizienter, Metall zu recyceln als es aus dem Boden zu holen. Erste Versuche zur Rückgewinnung von „Seltenen Erden“ aus Akkus an der Montanuniversität in Leoben haben ergeben, dass ein Recycling grundsätzlich möglich ist. Bis zur Realisierung wird aber noch einige Zeit vergehen. „Urban Mining“ und „Landfill Mining“ – für beide Begriffe gibt es in der Zwischenzeit einen neuen Namen, nämlich „Technospheric Mining“, sind mittlerweile der rein akademischen Debatte entwachsen, denn auch die Wirtschaft hat das Thema zunehmend für sich entdeckt. Allerdings fehlt derzeit noch ein Paradigmenwechsel in der Politik. Denn die konzentriert sich bisher auf den Gedanken, Schadstoffe aus dem System zu holen anstatt Wertstoffe zurück zu gewinnen. Mit dem Erreichten noch lange nicht zufrieden ist auch Univ. Prof. Dr. Helmut Rechberger von der TU-Wien, der davor warnt, dass „Urban Mining“ oftmals missverstanden wird und schließlich Gefahr läuft, als Begriff seines konzeptionellen Wertes beraubt zu werden, um dann rasch auf dem Worthülsenacker zu landen. In der Tat gab und gibt es in den letzten Jahren eine Reihe von wissenschaftlichen Kongressen und Tagungen, die sich mit dem Thema „Urban Mining“ beschäftigen. So zum Beispiel allein im vergangenen Jahr o o im April in Wien der Business Treff „Will urban mining create new business“, organisiert von der Wirtschaftsagentur. im Oktober an der TU-Wien das Symposium „Mining the Technosphere“, organisiert von Prof. Johann Fellner vom Christian Doppler Labor für Anthropogene Ressourcen. o im November 2015 schließlich der 6. Urban Mining Kongress in Dortmund. o Und heuer findet im März die Berliner Recycling-Rohstoffkonferenz und im November Recy&Depotech an der Montanuniversität in Leoben. Um nur einige Beispiele zu nennen. Viel Forschung, wenig Umsetzung Trotz aller Begeisterung und Überzeugung über die absolute Notwendigkeit von Urban Mining gibt es auch Probleme, die nicht verschwiegen werden sollten. Arnold Holik, Umwelt- und Bioressourcenmanager und Mitglied des ausgezeichneten Blogs www.urbanmining.at, den das Unternehmen Altmetalle Kranner 2011 ins Leben gerufen hat, kommt beispielsweise nach dem Besuch des 6. Urban Mining Kongresses in Dortmund im November 2015 zu dem Schluss: „Viel Forschung, wenig Umsetzung“. Es gäbe zwar viele interessante Ergebnisse aus der Grundlagenforschung, aber leider hinke die Wirtschaft nach. Für sie werde das Thema Ressourcenschonung erst dann wieder schlagend, wenn es wirtschaftlich günstig sei. Und das sei, so der Experte, bei den derzeit weiter sinkenden Preisen für Rohstoffe, auszuschließen. Und Johannes Riese von der Universität Augsburg analysiert in seiner Bachelorarbeit „Urban Mining - praktisch umsetzbar oder nur theoretisches Konstrukt?“ folgendermaßen: „Urban Mining ist eine gute und erstrebenswerte Sache. Die komplexe Bürokratie, der Datenschutz, die unzureichende Planung und die modernen hochtechnologischen Verbundstoffe in Gegenüberstellung zu den regelrecht zurückgebliebenen Technologien des Rückbaus, lassen Urban Mining allerdings größtenteils ein Gedankenexperiment bleiben“. Und weiter: „Sowohl Forschung und Entwicklung als auch die Politik und die Gesetzgebung benötigen Reformen und Neuausrichtungen, um den enormen Abbau von Primärrohstoffen mit Hilfe von Urban Mining durch mehrere Lebenszyklen von Produkten und Stoffen zu reduzieren“. Ressourceneffizienz ist wichtig, aber … Ein Schlagwort – gleichzeitig aber ein wesentlich Faktor – lautet „Ressourceneffizienz“. Denn wenn der Ressourcenverbrauch im derzeitigen Tempo weitergeht, wird die Menschheit im Jahr 2050 mehr als zwei Planeten benötigen, um ihren Bedarf zu decken. Eine Vorstellung über die Größenordnung des erforderlichen Wandels kommt vom Weltwirtschaftsrat für nachhaltige Entwicklung. Er schätzt, dass bis 2050 eine vier- bis zehnfache Steigerung bei der Ressourceneffizienz notwendig ist und dass ein erkennbarer Fortschritt hin zu diesem Ziel bereits bis 2020 gemacht werden sollte. Die Menge an natürlichen Ressourcen, die zur Produktion von Gütern und Dienstleistungen eingesetzt wird, steigt derzeit noch ständig an. Mit einer Ressourcenentnahme von rund 60 Milliarden Tonnen jährlich entnimmt und verwendet der Mensch heute etwa um 50 Prozent mehr Ressourcen als noch vor 30 Jahren. Fast die Hälfte der Ressourcenentnahme findet in Asien statt, gefolgt von Nordamerika mit fast 20 Prozent, Europa und Lateinamerika mit jeweils 13 Prozent. In Österreich übersteigt der Ressourcenverbrauch die heimische Ressourcenentnahme zum Teil deutlich, bei Metallen und fossilen Energieträgern etwa um das Sechs- bis Achtfache. Eine höhere Ressourcenproduktivität wird damit zu einem zunehmend wichtigen Kosten- wie Wettbewerbsfaktor für die Alpenrepublik, da preiswerter produziert werden kann und die Importabhängigkeit verringert wird. In Ergänzung der zahlreichen internationalen und europäischen RessourceneffizienzStrategien hat Österreich übrigens als erstes europäisches Land unter Federführung des Lebensministeriums einen „Nationalen Ressourceneffizienz Aktionsplan“ (REAP) entwickelt. In einem Dialogprozess mit Wirtschaft, Wissenschaft und Zivilgesellschaft sowie mit zuständigen Stellen in den Ländern werden Ziele zur Forcierung der Ressourceneffizienz in Österreich definiert und Leitmaßnahmen und Leitinstrumente zur ihrer Erreichung entwickelt. REAP ist ein wichtiges Modul im Maßnahmenkatalog der österreichischen Bundesregierung zur Zielsetzung einer nachhaltigen Entwicklung für Umwelt, Wirtschaft und Gesellschaft. Kurioses Und natürlich gibt es im Bereich „Urban Mining“ auch Kurioses zu berichten. So hat zum Beispiel das Technologieunternehmen „Innovator“ aus St. Louis im US-Bundesstaat Missouri ein Verfahren entwickelt, mit dessen Hilfe Schweinemist und Gülle unter großem Druck und bei großer Hitze zu einer Art biologischen Öl weiterverarbeitet werden kann. Das Endprodukt ähnelt Bitumen, dem Bindemittel für Straßenasphalt, das meist mittels Vakuumdestillation aus Erdöl gewonnen wird. Außer als Straßenbelag kann das Produkt auch als eine Art Recycling-Teerpappe weiterverarbeitet werden – und es riecht, wie die Hersteller versichern – überhaupt nicht mehr nach Schwein. Als „Test-Labor‘ diente dem US-Unternehmen ein Zuchtbetrieb mit 10.000 Schweinen, die pro Jahr 18,5 Millionen Liter Gülle produzieren. Übrig bleibt bei dem Verarbeitungsprozess Wasser, in dem Stickstoff-, Phosphor- und Kaliumverbindungen gelöst sind und das als Dünger auf Felder ausgebracht werden kann. Die Innovation wurde übrigens von der US-Umweltschutzbehörde EPA mit einer Million Dollar gefördert. Ob Urban Mining nun tatsächlich umsetzbar sein wird – pointiert ausgedrückt frei nach dem Slogan „Genug geplündert“ - oder nur ein Gedankenexperiment bleibt, werden die nächsten Jahre zeigen. Schließen möchte ich mit einem Zitat von Thompson, der einmal gesagt hat: „Abfall ist Materie am falschen Ort“.
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