Der ewige Spagat und

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24.01.2005
13:09 Uhr
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ERZIEHUNG – DER
LANGE WEG (4)
Beruf
und
Familie:
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Der ewige Spagat
Télécran 5/2005
Foto: Serge Waldbillig
Job und Kinder unter einen
Hut zu bekommen, ohne
sich zweiteilen zu müssen,
bleibt ein täglicher Kampf.
Was sich ändern muss,
damit der Spagat gelingt,
erklärt Erziehungsberater
Ludwig Haas in der neuen
Folge unserer Serie.
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familie <<
LUDWIG HAAS
[email protected]
artine (32) hat zwei
Kinder im Alter von
acht und vier Jahren. Sie ist mit Thomas (34) verheiratet. Thomas arbeitet in einer
Bank, ein typischer 9- bis 17-UhrJob. Nach der Geburt der Kinder
blieb sie zu Hause, kümmerte
sich um das ganze normale Familienmutterprogramm: Haushalt,
Einkaufen, Kochen, Waschen, Bügeln, Kinder versorgen.
M
Martines Freundin Betty (29) lebt
mit ihrem F reund P aul (30) zusammen. Sie haben keine Kinder.
Betty will ihren Job nicht aufgeben, weil sie fürchtet, nach einer
Kinderpause nicht mehr zurückkehren zu können. Marlene (31)
hat zwei Kinder im Alter von vier
und sieben Jahren. Marlene arbeitet halbtags bei einer V ersicherung und managt auch den
Haushalt, weil ihr Mann Charles
ganztägig arbeitet. Marlene fühlt
sich oft krank, nervös und müde.
Das Thema Vereinbarkeit von Berufstätigkeit und F amilie ist ein
gesellschaftlicher Dauerbrenner.
Junge Familien stehen in einem
Spannungsfeld von Arbeitswelt,
Haushalt, Familie, Schule und Betreuungsproblemen. Der F amilienkalender ist bei Berufstätigkeit
zweier Elternteile prall gefüllt
und bis ins kleinste Detail durchgeplant. Absprachen gehören
zum täglichen Programm, aber
auch Hetze und ein schlechtes
Gewissen.
lichkeiten, fehlende familiäre
Unterstützung beim beruflichen
Wiedereinstieg.
Sicher, es gibt auch vorbildliche
Betriebe. Doch bei so manchem
Unternehmen, vor allem den
mittelständischen, ist die Botschaft noch nicht angekommen,
dass sich F amilienfreundlichkeit
auszahlt. W er in firmeneigene
Krippen und Kindergärtenplätze
investiert, die Arbeitszeiten flexibel gestaltet und auf eine familienfreundliche Unternehmenskultur setzt, züchtet sich motivierte
und dankbare Mitarbeiter heran:
Sie fehlen weniger , sind leistungsbereiter und wechseln seltener die Arbeitsstelle.
Im Idealfall haben Mütter die
freie Wahl, sich ausschließlich um
die Kinder zu kümmern oder
auch berufstätig zu sein. Tatsächlich entspricht es dem Wunsch
zahlreicher, wenn auch nicht aller Mütter, sich am Erwerbsleben
zu beteiligen. Ändern müssen
sich dabei auch die Männer , die
vor Geburt des Kindes oft Mithilfe bei der Erziehungsarbeit versprechen, dies dann später aber
nicht oder kaum einlösen.
Es kommt auch nicht von ungefähr, dass in jungen F amilien die
Ankunft des ersten Kindes oft mit
ersten Großkrisen einhergeht.
Verständlich, denn die frisch gebackenen Mütter müssen sich in
diesem Moment oft gegen ihre
Berufstätigkeit entscheiden, während der Mann so weiterleben
kann wie bisher.
Oft ist auch die unzureichende
öffentliche Kinderbetreuung ein
Hindernis. Da passen die Öffnungszeiten der Betreuungseinrichtungen nicht mit den
Arbeitszeiten zusammen, die Anfahrtswege sind zu lang, das P ersonal nicht ausreichend oder die
Kosten zu hoch und in keinem
Verhältnis zum eigenen Verdienst.
Doch nach wie lautet das Hauptproblem: Der Zeitmangel der Väter (siehe F olge 3 in Télécran Nr .
4/2005).
Und die
Kindererziehung?
Wirkt sich die Berufstätigkeit der
Mutter oder beider Elternteile
nun auf die Erziehung der Kinder
report
aus? Die Meinung dazu gehen
von Land zu Land zum T eil weit
auseinander. Das französische Erziehungsmodell zum Beispiel
setzt grundsätzlich auf kollektive
staatliche Erziehungseinrichtungen wie „Crèche“ und Ganztagsvorschule. Der Staat fördert auch
die Einstellung von Kinderfrauen
für ein oder mehrere F amilien
(„Garde partagée“). In Frankreich
argumentiert man, dass das Kind
in den Betreuungsstrukturen eine
umfangreiche Fürsorge erfährt,
da es ganztags von einem professionellen Team von Erzieherinnen,
Psychologen, sozialen oder medizinischen Beratern umgeben ist.
In Ländern wie Deutschland dagegen finden Mütter , die ihre
Kinder zu Hause großziehen und
betreuen, soziale Anerkennung,
während arbeitende Mütter sich
häufig rechtfertigen müssen. Für
Diskussionen sorgte das Buch
„Die Erziehungskatastrophe“ von
Susanne Gaschke, die den Zeitmangel berufstätiger Mütter und
Eltern und ihre fehlende Energie
für die Erziehung für nahezu alle
kindlichen Fehlentwicklungen ver>>
antwortlich macht.
Viele Frauen, meist gut ausgebildet, würden sich gerne für Kinder entscheiden und auch später
wieder arbeiten, sehen sich aber
oft einer desillusionierenden Realität gegenüber: Unternehmen
mit starren, nicht familienfreundlichen Arbeitszeiten, unzureichende Kinderbetreuungsmög-
Kinder in der Tagesstätte:
Unflexible Öffnungszeiten
sind nicht selten ein
Hindernis auf dem Weg zur
Berufstätigkeit von Müttern
Foto: Tom Wagner
Télécran 5/2005
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report
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>> familie
Tatsache ist, dass zum Beispiel im
Bereich Schule viele Eltern ihrem
Erziehungsauftrag mit Hausaufgabenkontrolle, Erziehung zu
Ordnung, Pünktlichkeit oder vernünftigem Benehmen nur mehr
teilweise nachkommen. Inwiefern dies alles mit der Doppelbeschäftigung von Vater und Mutter zusammenhängt, ist eine
andere Frage. Die Debatte wird
ebenso emotional wie ideologisch geführt, verlässliche Zahlen
gibt es kaum, und deshalb fühlen sich beide Seiten im Recht.
Letztendlich ist es zu einfach, die
Präsenz oder Abwesenheit der
Mütter linear für gelungene oder
gescheiterte Erziehung verantwortlich zu machen, denn es
kommt eben immer auch auf die
Qualität der gemeinsam verbrachten Zeit an.
Freizeit mit den Kindern:
Es kommt auch auf die
Qualität der miteinander
verbrachten Zeit an.
Foto: Anouk Antony
>>.interview
„Alles lastet auf den Schultern der Frau“
Wenn Mutter und Vater arbeiten, wie wirkt sich das auf die Kinder aus?
Fragen an Marcelle Jemming und Carmen Schürnbrand von der Fraueninitiative Zarabina.
Télécran: Wofür steht „Zarabina“
eigentlich?
Télécran: Geht es den Kindern
besser oder schlechter , wenn
beide Elternteile berufstätig sind?
Jemming: Die F rage stellt sich
nicht so. Die F amilie muss selbst
entscheiden, was sie will. Entscheidend ist, sich so zu organisieren, dass ein gutes Familienleben möglich ist und die Kinder
bekommen, was sie brauchen.
Dazu zählen Sicherheit, V ersorgung, Betreuung, V ertrauen ins
Zuhause, Beachtung, Anleitung
und Grenzen. Kindern geht es
nicht besser oder schlechter ,
wenn Mutter und Vater arbeiten.
Schlimm ist, dass bisher noch alles auf den Schultern der F rauen
lastet und sich die Männer , aber
auch Politiker aus der Verantwortung stehlen. Hier muss noch viel
Sensibilisierungsarbeit geleistet
werden. Die Männer müssen vor
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Télécran 5/2005
Fotos: Christophe Olinger
Jemming: Zarabina ist ein V erein, der sich seit vielen Jahren für
die gleichberechtigte T eilhabe
von Frauen im Arbeitsleben und
öffentlichem Leben einsetzt. Wir
entwickeln unter anderem Bildungs- und Beratungsangebote
und erschließen neue Berufsfelder für Frauen.
Marcelle Jemming (rechts) und Carmen Schürnbrand sind Projektleiterinnen bei „Zarabina“ in Esch/Alzette
und dort für Beratung, Orientierung, Lernbegleitung, Coaching und berufliche Weiterbildung von Frauen
zuständig. Sie sind unter Tel. 26551213 und unter E-Mail [email protected] zu erreichen.
allem bei der Erziehungsarbeit
mehr in die V erantwortung genommen werden.
Télécran: Wie muss sich eine Familie abstimmen, damit der Alltag mit berufstätiger Mutter und
berufstätigem Vater klappt?
Schürnbrand: Auf alle Fälle müssen die P artner diskutieren und
aushandeln, wer sich um was
kümmert und welche Prioritäten
zu setzen sind. Frauen sollten ihren Partner und die Kinder einbeziehen und ihnen Aufgaben
übertragen. Natürlich ist immer
auch das Alter der Kinder wichtig. Man sollte sich ganz pragmatisch klar machen, dass die berufliche Karriere einer F rau ihre
Grenzen hat, solange die Kinder
klein sind. V or allem muss auch
der Mann seinen T eil zur F amilienarbeit beitragen, um der F rau
den nötigen F reiraum für Ausund W eiterbildung oder Umschulung zu gewährleisten.
Télécran: Wie müsste unsere Gesellschaft Ihrer Meinung nach
ideal organisiert sein, damit Mütter problemlos arbeiten können?
Jemming: Es gibt natürlich kein
Patentrezept. Aber wir meinen,
Partner und Kinder müssten mehr
Aufgaben zu Hause übernehmen,
wozu sie heutzutage leider oft
nicht bereit sind. Auch fehlen teilweise Betreuungseinrichtungen
mit flexiblen Öffnungszeiten. Es
müsste auch eine andere Art von
Schule existieren, die auf die
unterschiedlichen Bedürfnisse der
Familien eingeht. Der Staat müsste eine Familienpolitik betreiben,
bei der Hausfrauen nicht nur
über den Ehemann abgesichert
werden, sondern selbst für ihre
Rente sorgen können.
Das Hauptproblem aber ist, dass
ein entsprechender W andel von
der Gesellschaft vielfach noch
nicht akzeptiert wird. F rauenfreundliche Gesetze werden in
den Betrieben und von den Bürgern nicht angenommen. Deshalb lautet unser F azit: Die V eränderung muss zunächst in den
Köpfen stattfinden – dann sind
wir auf dem richtigen Weg.
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