REP_KINDER_TYPISCH_T05 24.01.2005 13:09 Uhr Seite 128 ERZIEHUNG – DER LANGE WEG (4) Beruf und Familie: 128 Der ewige Spagat Télécran 5/2005 Foto: Serge Waldbillig Job und Kinder unter einen Hut zu bekommen, ohne sich zweiteilen zu müssen, bleibt ein täglicher Kampf. Was sich ändern muss, damit der Spagat gelingt, erklärt Erziehungsberater Ludwig Haas in der neuen Folge unserer Serie. REP_KINDER_TYPISCH_T05 24.01.2005 13:09 Uhr Seite 129 familie << LUDWIG HAAS [email protected] artine (32) hat zwei Kinder im Alter von acht und vier Jahren. Sie ist mit Thomas (34) verheiratet. Thomas arbeitet in einer Bank, ein typischer 9- bis 17-UhrJob. Nach der Geburt der Kinder blieb sie zu Hause, kümmerte sich um das ganze normale Familienmutterprogramm: Haushalt, Einkaufen, Kochen, Waschen, Bügeln, Kinder versorgen. M Martines Freundin Betty (29) lebt mit ihrem F reund P aul (30) zusammen. Sie haben keine Kinder. Betty will ihren Job nicht aufgeben, weil sie fürchtet, nach einer Kinderpause nicht mehr zurückkehren zu können. Marlene (31) hat zwei Kinder im Alter von vier und sieben Jahren. Marlene arbeitet halbtags bei einer V ersicherung und managt auch den Haushalt, weil ihr Mann Charles ganztägig arbeitet. Marlene fühlt sich oft krank, nervös und müde. Das Thema Vereinbarkeit von Berufstätigkeit und F amilie ist ein gesellschaftlicher Dauerbrenner. Junge Familien stehen in einem Spannungsfeld von Arbeitswelt, Haushalt, Familie, Schule und Betreuungsproblemen. Der F amilienkalender ist bei Berufstätigkeit zweier Elternteile prall gefüllt und bis ins kleinste Detail durchgeplant. Absprachen gehören zum täglichen Programm, aber auch Hetze und ein schlechtes Gewissen. lichkeiten, fehlende familiäre Unterstützung beim beruflichen Wiedereinstieg. Sicher, es gibt auch vorbildliche Betriebe. Doch bei so manchem Unternehmen, vor allem den mittelständischen, ist die Botschaft noch nicht angekommen, dass sich F amilienfreundlichkeit auszahlt. W er in firmeneigene Krippen und Kindergärtenplätze investiert, die Arbeitszeiten flexibel gestaltet und auf eine familienfreundliche Unternehmenskultur setzt, züchtet sich motivierte und dankbare Mitarbeiter heran: Sie fehlen weniger , sind leistungsbereiter und wechseln seltener die Arbeitsstelle. Im Idealfall haben Mütter die freie Wahl, sich ausschließlich um die Kinder zu kümmern oder auch berufstätig zu sein. Tatsächlich entspricht es dem Wunsch zahlreicher, wenn auch nicht aller Mütter, sich am Erwerbsleben zu beteiligen. Ändern müssen sich dabei auch die Männer , die vor Geburt des Kindes oft Mithilfe bei der Erziehungsarbeit versprechen, dies dann später aber nicht oder kaum einlösen. Es kommt auch nicht von ungefähr, dass in jungen F amilien die Ankunft des ersten Kindes oft mit ersten Großkrisen einhergeht. Verständlich, denn die frisch gebackenen Mütter müssen sich in diesem Moment oft gegen ihre Berufstätigkeit entscheiden, während der Mann so weiterleben kann wie bisher. Oft ist auch die unzureichende öffentliche Kinderbetreuung ein Hindernis. Da passen die Öffnungszeiten der Betreuungseinrichtungen nicht mit den Arbeitszeiten zusammen, die Anfahrtswege sind zu lang, das P ersonal nicht ausreichend oder die Kosten zu hoch und in keinem Verhältnis zum eigenen Verdienst. Doch nach wie lautet das Hauptproblem: Der Zeitmangel der Väter (siehe F olge 3 in Télécran Nr . 4/2005). Und die Kindererziehung? Wirkt sich die Berufstätigkeit der Mutter oder beider Elternteile nun auf die Erziehung der Kinder report aus? Die Meinung dazu gehen von Land zu Land zum T eil weit auseinander. Das französische Erziehungsmodell zum Beispiel setzt grundsätzlich auf kollektive staatliche Erziehungseinrichtungen wie „Crèche“ und Ganztagsvorschule. Der Staat fördert auch die Einstellung von Kinderfrauen für ein oder mehrere F amilien („Garde partagée“). In Frankreich argumentiert man, dass das Kind in den Betreuungsstrukturen eine umfangreiche Fürsorge erfährt, da es ganztags von einem professionellen Team von Erzieherinnen, Psychologen, sozialen oder medizinischen Beratern umgeben ist. In Ländern wie Deutschland dagegen finden Mütter , die ihre Kinder zu Hause großziehen und betreuen, soziale Anerkennung, während arbeitende Mütter sich häufig rechtfertigen müssen. Für Diskussionen sorgte das Buch „Die Erziehungskatastrophe“ von Susanne Gaschke, die den Zeitmangel berufstätiger Mütter und Eltern und ihre fehlende Energie für die Erziehung für nahezu alle kindlichen Fehlentwicklungen ver>> antwortlich macht. Viele Frauen, meist gut ausgebildet, würden sich gerne für Kinder entscheiden und auch später wieder arbeiten, sehen sich aber oft einer desillusionierenden Realität gegenüber: Unternehmen mit starren, nicht familienfreundlichen Arbeitszeiten, unzureichende Kinderbetreuungsmög- Kinder in der Tagesstätte: Unflexible Öffnungszeiten sind nicht selten ein Hindernis auf dem Weg zur Berufstätigkeit von Müttern Foto: Tom Wagner Télécran 5/2005 129 REP_KINDER_TYPISCH_T05 24.01.2005 report 13:10 Uhr Seite 130 >> familie Tatsache ist, dass zum Beispiel im Bereich Schule viele Eltern ihrem Erziehungsauftrag mit Hausaufgabenkontrolle, Erziehung zu Ordnung, Pünktlichkeit oder vernünftigem Benehmen nur mehr teilweise nachkommen. Inwiefern dies alles mit der Doppelbeschäftigung von Vater und Mutter zusammenhängt, ist eine andere Frage. Die Debatte wird ebenso emotional wie ideologisch geführt, verlässliche Zahlen gibt es kaum, und deshalb fühlen sich beide Seiten im Recht. Letztendlich ist es zu einfach, die Präsenz oder Abwesenheit der Mütter linear für gelungene oder gescheiterte Erziehung verantwortlich zu machen, denn es kommt eben immer auch auf die Qualität der gemeinsam verbrachten Zeit an. Freizeit mit den Kindern: Es kommt auch auf die Qualität der miteinander verbrachten Zeit an. Foto: Anouk Antony >>.interview „Alles lastet auf den Schultern der Frau“ Wenn Mutter und Vater arbeiten, wie wirkt sich das auf die Kinder aus? Fragen an Marcelle Jemming und Carmen Schürnbrand von der Fraueninitiative Zarabina. Télécran: Wofür steht „Zarabina“ eigentlich? Télécran: Geht es den Kindern besser oder schlechter , wenn beide Elternteile berufstätig sind? Jemming: Die F rage stellt sich nicht so. Die F amilie muss selbst entscheiden, was sie will. Entscheidend ist, sich so zu organisieren, dass ein gutes Familienleben möglich ist und die Kinder bekommen, was sie brauchen. Dazu zählen Sicherheit, V ersorgung, Betreuung, V ertrauen ins Zuhause, Beachtung, Anleitung und Grenzen. Kindern geht es nicht besser oder schlechter , wenn Mutter und Vater arbeiten. Schlimm ist, dass bisher noch alles auf den Schultern der F rauen lastet und sich die Männer , aber auch Politiker aus der Verantwortung stehlen. Hier muss noch viel Sensibilisierungsarbeit geleistet werden. Die Männer müssen vor 130 Télécran 5/2005 Fotos: Christophe Olinger Jemming: Zarabina ist ein V erein, der sich seit vielen Jahren für die gleichberechtigte T eilhabe von Frauen im Arbeitsleben und öffentlichem Leben einsetzt. Wir entwickeln unter anderem Bildungs- und Beratungsangebote und erschließen neue Berufsfelder für Frauen. Marcelle Jemming (rechts) und Carmen Schürnbrand sind Projektleiterinnen bei „Zarabina“ in Esch/Alzette und dort für Beratung, Orientierung, Lernbegleitung, Coaching und berufliche Weiterbildung von Frauen zuständig. Sie sind unter Tel. 26551213 und unter E-Mail [email protected] zu erreichen. allem bei der Erziehungsarbeit mehr in die V erantwortung genommen werden. Télécran: Wie muss sich eine Familie abstimmen, damit der Alltag mit berufstätiger Mutter und berufstätigem Vater klappt? Schürnbrand: Auf alle Fälle müssen die P artner diskutieren und aushandeln, wer sich um was kümmert und welche Prioritäten zu setzen sind. Frauen sollten ihren Partner und die Kinder einbeziehen und ihnen Aufgaben übertragen. Natürlich ist immer auch das Alter der Kinder wichtig. Man sollte sich ganz pragmatisch klar machen, dass die berufliche Karriere einer F rau ihre Grenzen hat, solange die Kinder klein sind. V or allem muss auch der Mann seinen T eil zur F amilienarbeit beitragen, um der F rau den nötigen F reiraum für Ausund W eiterbildung oder Umschulung zu gewährleisten. Télécran: Wie müsste unsere Gesellschaft Ihrer Meinung nach ideal organisiert sein, damit Mütter problemlos arbeiten können? Jemming: Es gibt natürlich kein Patentrezept. Aber wir meinen, Partner und Kinder müssten mehr Aufgaben zu Hause übernehmen, wozu sie heutzutage leider oft nicht bereit sind. Auch fehlen teilweise Betreuungseinrichtungen mit flexiblen Öffnungszeiten. Es müsste auch eine andere Art von Schule existieren, die auf die unterschiedlichen Bedürfnisse der Familien eingeht. Der Staat müsste eine Familienpolitik betreiben, bei der Hausfrauen nicht nur über den Ehemann abgesichert werden, sondern selbst für ihre Rente sorgen können. Das Hauptproblem aber ist, dass ein entsprechender W andel von der Gesellschaft vielfach noch nicht akzeptiert wird. F rauenfreundliche Gesetze werden in den Betrieben und von den Bürgern nicht angenommen. Deshalb lautet unser F azit: Die V eränderung muss zunächst in den Köpfen stattfinden – dann sind wir auf dem richtigen Weg. 24.01.2005 13:10 Uhr Seite 131 p g REP_KINDER_TYPISCH_T05 Télécran 5/2005 131
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