AZ vom 24.11.2015 - Erich Obrist in den Stadtrat Baden

BADEN-WETTINGEN 25
AARGAUER ZEITUNG
DIENSTAG, 24. NOVEMBER 2015
«Werde auch Wähler enttäuschen müssen»
Baden Erich Obrist verrät, wer aus dem Wahlkampfteam ihm die Leviten las und was ihm wirklich Sorgen bereitet
VON MARTIN RUPF
Viel hat der frisch gewählte Stadtrat
Erich Obrist (55) in der Nacht auf Montag nicht geschlafen. Bereits morgens
um vier hätten ihn die aufwühlenden
Erinnerungen an seine Wahl und die
anschliessende Wahlfeier in der «Rampe» aus dem Schlaf geholt. Ein kräftiger
Kaffee und das Gespräch über seine
Wahl wecken in ihm aber die Lebensgeister wieder.
Herr Obrist, wie spät sind Sie gestern Abend ins Bett gekommen?
Erich Obrist: Es wurde etwa halb elf;
für einen älteren Mann wie mich ziemlich spät (lacht).
Konnten Sie nach der rauschenden
Wahlparty überhaupt Schlaf finden?
Ja, das war kein Problem. Ich war so
müde, dass ich sofort eingeschlafen
bin.
Dürfte auch noch das eine oder andere Glas Wein dazu beigetragen
haben?
Nein. Sie werden es nicht glauben: Ich
war während der ganzen Feier derart
beschäftigt, dass ich nur zwei Stangen
Bier getrunken habe. Zu Hause angekommen, hat mir dann aber meine
Frau noch eine Flasche sehr alten Tequila geschenkt, den sie von einer Reise aus Mexiko mitgebracht hat. Eigentlich hätten wir gemeinsam dorthin reisen wollen, wegen meines Wahlkampfs
musste ich die Reise aber aussetzen.
Wir haben dann je ein Gläschen Tequila getrunken. Ich habs genossen, obwohl ich Tequila eigentlich nicht sonderlich mag.
Zurück zur Wahlfeier. Welcher Moment wird Ihnen besonders in Erinnerung bleiben?
Ach, das ist so schwierig. Es waren so
viele Menschen dort, die mich unterstützt haben. Als ich den Raum betrat,
war ich wie in Trance. Es gab so viele
schöne, berührende Momente. Einer
davon war sicher die Darbietung unseres Göttibuben auf der Trommel oder
als mir Andreas Courvoisier die Wappenscheibe mit den Wappen von Baden
und Wettingen überreichte.
Sie haben den Anwesenden an der
Feier kurz den Weg Ihrer Kandidatur bis zur Wahl geschildert und dabei auch erzählt, dass Ihnen beim
ersten Treffen des Wahlkomitees einer aus dem eigenen Kreis kräftig
die Leviten gelesen habe. Verraten
Sie uns, wer es war und wessen Inhalts die Schelte war?
INSERAT
Der frisch gebackene Badener Stadtrat an der Wahlfeier in der «Rampe» am Sonntag: «Ich war wie in Trance.»
Ich muss etwas ausholen. Es ging damals auch um die Frage, ob ich bei einer Kandidatur Mitglied der SP bleiben
soll oder nicht. Eine für mich ganz
schwierige Frage – emotional wie auch
intellektuell. So schwierig, dass ich im
Laufe des Treffens wohl einen zusehends verunsicherten Eindruck abgegeben haben musste. Irgendwann erhob
Peter Conrad Senior das Wort und sagte: «So zerknittert wie du da sitzt, gewinnst du keinen Wahlkampf. Du
musst dein Auftreten 180 Grad ändern.» Das ist mir schon ziemlich eingefahren.
no waren an der Wahlfeier und haben
sich sehr mit mir über meine Wahl gefreut, was auch zeigt, dass der Draht
zur SP noch besteht. Auch Roger Huber
(FDP) war vor Ort und hat mir gratuliert.
Hatten Sie während des Wahlkampfs oder nach Ihrer Wahl Kontakt mit Ihrem Kontrahenten JeanPierre Leutwyler?
Nein, jamais. Ehrlich gesagt habe ich
den Kontakt auch nicht gesucht, sondern mich auf meine Sache konzentriert.
Die Erwartungen in Sie sind sehr
gross. Das schmeichelt gewiss. Keine
Angst, diesen Erwartungen nicht gerecht werden zu können?
Die Erwartungen machen mir tatsächlich Angst. Ich werde bestimmt auch
nicht alle erfüllen können und auch einige Wähler enttäuschen müssen; es
dürfen einfach nicht mehr als 50 Prozent sein (lacht). Aber ein 13-jähriger
Schüler hat mir ein gutes Rezept mitgegeben: «Bleiben Sie einfach so wie Sie
sind, dann kommts schon gut.»
Gab es bereits Reaktionen Ihrer
künftigen Kollegen im Stadtrat?
Ja. Meine Vorgängerin Daniela Berger
wie auch SP-Stadträtin Regula Dell’An-
Stadtammann Geri Müller gehörte
zu den Abwesenden.
Ja, aber er hat mich kurz vor der Wahlfeier angerufen und mir gratuliert.
Gleichzeitig ging es darum, einen Termin zu finden. Wahrscheinlich geht es
dann quasi um eine Amtseinführung
durch ihn.
Einfacher gesagt als getan. Gerade
nach einer solch glanzvollen Wahl
könnte ja die Gefahr bestehen, die
Bodenhaftung zu verlieren.
Klar, ein Amt verändert einen auch immer. Meine Lust an der Politik und meine Kreativität werde ich mir auf alle Fälle bewahren. Zudem habe ich genügend
Bodenhaftung und ein Umfeld, dass mir
schon rückmelden würde, wenn ich
mich zum Unguten verändern sollte.
Läuft alles nach Plan, dann werden
Sie von Ihrer Vorgängerin das Ressort Kultur sowie Kinder, Jugend
und Familie erben. Ihr Wunschressort?
Könnte ich frei wählen, ich würde wohl
tatsächlich dieses auswählen.
Obwohl es andere Ressorts gibt, wo
Sie sich – auch im Hinblick auf eine
allfällige Ammannkandidatur in
knapp zwei Jahren – besser profilieren könnten?
Da mache ich mir keine Sorgen. Mit der
Sanierung Langmatt, dem «Royal» oder
etwa den Themen Kinderhort und Mittagstisch, um nur ein paar Beispiele zu
ALEX SPICHALE
nennen, würden spannende, herausfordernde Geschäfte auf mich zukommen,
bei denen ich sicher zeigen kann, was in
mir steckt. Darüber hinaus möchte ich
mich auch weiter für eine stärkere regionale Zusammenarbeit starkmachen.
An der Wahlfeier durfte auch Ihre
Frau viele Gratulationen entgegennehmen. Haben Sie gar kein mulmiges Gefühl, wenn Sie daran denken,
dass Ihre gemeinsame Zeit nun noch
knapper werden dürfte?
Ja und nein. Wir sind uns bewusst, dass
wir der Beziehung Sorge tragen müssen.
Nach dem Wahlkampf sind wir nun beide ziemlich erschöpft, weshalb wir uns
über Weihnachten Ferien gönnen, ehe
es dann Anfang 2016 losgeht. Wir nehmen uns bewusst Zeit füreinander; die
Sonntage sind so weit als möglich heilig.
Nur etwas bereitet mir Sorge.
Ich höre.
Bis jetzt war es immer ich, der zu Hause
das Abendessen gekocht hat. Ich weiss
nicht, ob ich diesen Auftrag weiterhin
zur Zufriedenheit meiner Frau werde
ausüben können.