DR. BENJAMIN ROGER, MAÎTRE EN DROIT (PARIS II) ARBEITSGEMEINSCHAFT ZUM GRUNDKURS STRAFRECHT WINTERSEMESTER 2015/2016 Inhalt des Tatbestands – insbesondere Kausalität Handlungssubjekt ist der mögliche Täter einer Straftat. Es gibt Delikte, die nur von solchen Personen begangen werden können, bei denen besondere Voraussetzungen vorliegen, z.B. „Amtsträger“ bei den §§ 331 ff. StGB. Solche Delikte heißen Sonderdelikte, im Gegensatz zu den Allgemeindelikten, die jedermann begehen kann. Letztere sind weitaus häufiger und bezeichnen den Täter unbestimmt mit „wer“. Bei Allgemeindelikten ist auf das „Handlungssubjekt“ überhaupt nicht einzugehen. Auf die Tathandlung an sich ist nur dann einzugehen, wenn an sie bestimmte Voraussetzungen geknüpft sind, d.h. bei besonderen Tatmodalitäten oder Verhaltensweisen (z.B. Täuschung beim Betrug, § 263) Ist dies nicht der Fall, ist es ausreichend, wenn sie im Zusammenhang mit der Kausalität zwischen Handlung und Erfolg genannt wird. Der Tatbestand beinhaltet neben dem Handlungssubjekt und der eventuell geforderten konkreten Handlungsmodalität des Weiteren das Handlungsobjekt. Dieses ist der körperliche Gegenstand, gegen den sich die verbotene Handlung richtet. Das Handlungsobjekt ist streng vom Erfolg der Handlung zu unterscheiden: dabei handelt es sich um die über den Vollzug der Handlung hinausgehende Wirkung der Handlung. Handlungsobjekt des Totschlags in § 212 StGB ist beispielsweise ein Mensch, Erfolg des Totschlags ist der Tod dieses Menschen. Delikte, die die Herbeiführung eines solchen Erfolgs verlangen, nennt man Erfolgsdelikte. Sie sind von den schlichten Tätigkeitsdelikten abzugrenzen, bei denen der Tatbestand schon durch den Vollzug einer bestimmten Handlung erfüllt wird (z.B. „falsch schwören“ beim Meineid, § 154 StGB). Dieser Erfolg kann dem Täter aber nur angelastet werden, wenn er ihn durch seine Handlung verursacht hat, wenn diese Handlung also für den Erfolg kausal war. Eine Kausalität zwischen Handlung und Erfolg liegt nach üblicher Definition vor, wenn sie nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass der Erfolg in seiner konkreten Gestalt entfiele (conditiosine-qua-non-Formel oder Bedingungstheorie). Dabei sind alle Erfolgsbedingungen gleichwertig (Äquivalenztheorie). Wichtig: Der Eintritt des tatbestandsmäßigen Erfolgs und die Kausalität zwischen Handlung und Erfolg haben natürlich nur bei Erfolgsdelikten Bedeutung, da es bei den schlichten Tätigkeitsdelikten auf den Eintritt eines solchen Erfolgs ja gerade nicht ankommt. Problematische Fallgruppen Kumulative Kausalität: (+) Mehrere unabhängig voneinander vorgenommene Handlungen, von denen jede für sich allein nicht zur Erfolgsherbeiführung ausreichend ist, führen erst durch ihr Zusammenwirken (also kumulativ) den Erfolg herbei. Beispiel: Zwei unabhängig voneinander beigebrachte Giftdosen wirken erst zusammen tödlich. UNIVERSITÄT AU GSBURG SEITE 2 V ON 8 Alternative Kausalität: (+) Mehrere unabhängig voneinander vorgenommene Handlungen sind jede für sich allein schon zur Herbeiführung des Erfolgs geeignet. Beispiel: Zwei jeweils allein bereits tödlich wirkende Giftdosen werden in das Getränk des Opfers gemischt. Lösung: Bei der kumulativen Kausalität ergeben sich keine Besonderheiten, denn der Grundgedanke der Äquivalenztheorie führt hier bereits zum richtigen Ergebnis: Keine der beiden Handlungen war allein entscheidend, jede der beiden Handlungen war aber unverzichtbar und damit conditio sine qua non. Die alternative Kausalität (auch „Doppelkausalität“) zeigt eine Schwäche der Äquivalenzformel auf. Denkt man sich hier nämlich isoliert die eine Handlung hinweg, so tritt der Erfolg gleichwohl ein, da ja die Dosis des anderen bereits für sich genommen tödlich war. Das gleiche gilt für den umgekehrten Fall. Bei konsequenter Anwendung der conditio-Formel wäre somit keine der beiden in Frage kommenden Handlungen für den Erfolg (z.B. Todeseintritt) kausal. Dieses Ergebnis ist jedoch offenkundig ungerecht. Für diesen Fall der alternativen Kausalität gilt daher folgende geänderte Formel: Von mehreren Handlungen, bei denen zwar jede für sich allein (alternativ), nicht jedoch beide gemeinsam (kumulativ) hinweggedacht werden können, ohne dass der Erfolg entfiele, ist jede Handlung kausal. Hypothetische Kausalität: Eine Handlung ist auch dann für den Erfolg ursächlich, wenn eine andere „Reserveursache“ denselben Erfolg herbeigeführt hätte. Es kommt nämlich darauf an, ob der Erfolg bei Hinwegdenken der Handlung in seiner konkreten Form entfallen wäre. Bsp.: T erschießt Politiker P vor seinem Haus. P wäre am selben Tage jedoch auch von einer Autobombe des X getötet worden. Einwand des Täters, dass der Erfolg auch auf andere Weise eingetreten wäre und deswegen die Kausalität entfalle, greift nicht durch. Überholende Kausalität: Die Ursächlichkeit einer Handlung für den Erfolg entfällt, wenn eine andere Ursache denselben Erfolg unabhängig und schneller herbeiführt. Bsp.: A mischt B eine tödliche Giftdosis in den Kaffee. Bevor das Gift wirken kann, wird B von C erschossen. Beschleunigung des Erfolgseintritts: Kausalität (+) Bsp.: Tötung Schwerkranker UNIVERSITÄT AU GSBURG SEITE 3 V ON 8 Unterbrechung des Kausalzusammenhangs: Ein durch eine Handlung bedingter und den Erfolg erklärender Kausalverlauf wird nicht dadurch unterbrochen, dass ein Dritter oder das Opfer selbst bewusst und gewollt an der Erfolgsherbeiführung mitwirken. Beispiel: A schießt mit Tötungsvorsatz auf B, der daraufhin röchelnd am Boden liegt. C gibt daraufhin dem B einen Gnadenschuss. Auch der Schuss des A wäre tödlich gewesen. Erst der Schuss des A hat den Gnadenschuss des C veranlasst, diese gesetzte Bedingung wirkt also fort und realisiert sich schließlich im Tod des B. Infolgedessen sind sowohl A als auch C der vollendeten vorsätzlichen Tötung schuldig. Fall 1 T erschießt O. Dieser wäre jedoch unmittelbar darauf durch eine bereits von X gelegte und gezündete Bombe getötet worden. Strafbarkeit nach § 212 I StGB? Versuch ist nicht zu prüfen. I. § 212 I StGB des T T könnte sich wegen Totschlags gemäß § 212 I StGB strafbar gemacht haben, indem er auf O geschossen hat. 1. Tatbestandsmäßigkeit a) Objektiver Tatbestand O, ein anderer Mensch, ist tot. Hierfür müsste die Handlung des T – der Schuss auf O – kausal gewesen sein. Eine Handlung ist dann für den Erfolg kausal, wenn sie nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass der Erfolg entfiele. Denkt man sich den Schuss des T weg, wäre O jedoch durch die Bombe des X getötet worden. Für die Ursächlichkeit kommt es jedoch auf den konkret eingetretenen Erfolg, hier auf den Erschießungstod des O, also auf den tatsächlichen Geschehensablauf an; das Hinzudenken hypothetischer Reserveursachen ist unzulässig. Der Schuss des T war somit für den Tod des O kausal. Der Erfolg ist ihm auch objektiv zurechenbar. b) Subjektiver Tatbestand T handelte mit Wissen und Wollen der Tatbestandsverwirklichung und somit vorsätzlich, so dass er den Tatbestand des § 212 I StGB erfüllt hat. 2. T handelte auch rechtswidrig und schuldhaft. 3. Ergebnis: T ist strafbar wegen Totschlag gemäß § 212 I StGB. II. § 212 I StGB des X X könnte sich wegen Totschlags gemäß § 212 I StGB strafbar gemacht haben, indem er die Bombe gezündet hat. 1. Tatbestandsmäßigkeit a) Objektiver Tatbestand UNIVERSITÄT AU GSBURG SEITE 4 V ON 8 O, ein anderer Mensch, ist tot. Hierfür müsste das Verhalten des X – das Zünden der Bombe – kausal gewesen sein. Kausalität liegt vor, wenn die Handlung nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass der konkrete Erfolg entfiele. Denkt man sich das Zünden der Bombe weg, wäre O jedoch genauso gestorben; vielmehr war O schon tot, als die Bombe explodierte, so dass die Handlung von X nicht für den Tod des O ursächlich war. b) X hat somit den Tatbestand des § 212 I StGB nicht erfüllt. 2. Ergebnis: X hat sich nicht gemäß § 212 I StGB strafbar gemacht. Natürlich kommt jedoch eine – hier nicht gefragte – Strafbarkeit wegen versuchten Totschlags in Betracht. Fall 2 T gibt eine tödlich wirkende Menge Gift in das Getränk des O, um ihn zu töten. Zuvor hatte jedoch X schon unabhängig davon dasselbe getan. O trinkt und stirbt. Strafbarkeit des T nach § 212 I StGB? I. T könnte sich wegen eines Totschlags gemäß § 212 I StGB strafbar gemacht haben, indem er das Gift in das Getränk des O gab. 1. Tatbestandsmäßigkeit a) Objektiver Tatbestand O, ein anderer Mensch, ist tot. Hierfür müsste das Verhalten des T – das Zumischen des Gifts – ursächlich gewesen sein. Eine Handlung ist dann für den Erfolg kausal, wenn sie nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass der konkrete Erfolg entfiele. Dies ist hier eigentlich nicht der Fall, da O durch das Gift des X auf dieselbe Art und Weise gestorben wäre. Aber von mehreren Bedingungen, die zwar alternativ aber nicht kumulativ hinweggedacht werden können, ohne dass der Erfolg entfiele, ist jede erfolgsursächlich. Hier führt ein alternatives Hinwegdenken – wie bereits ausgeführt – nicht zum Wegfall des Todes des O, aber denkt man sich auch noch die Handlung des X kumulativ zu T’s Handlung weg, würde der Erfolg entfallen, so dass die Kausalität der Handlung des T gegeben ist. Der Erfolg ist dem T auch objektiv zurechenbar, da die von ihm verwendete Menge Gift für sich allein schon tödlich gewesen wäre. b) Subjektiver Tatbestand T handelte mit Wissen und Wollen der Tatbestandsverwirklichung und somit vorsätzlich, so dass er den Tatbestand des § 212 I StGB erfüllt hat. 2. T handelte rechtswidrig und schuldhaft. 3. Ergebnis: T ist strafbar wegen Totschlags gemäß § 212 I StGB. UNIVERSITÄT AU GSBURG SEITE 5 V ON 8 Schwächen der Bedingungstheorie Die sehr plastische und einfach zu handhabende conditio-sine-qua-non-Formel zur Feststellung der Kausalität weist einige Schwächen auf. Sie ist erstens uferlos. Zweitens ist sie zu modifizieren, um in bestimmten Fällen das offensichtlich richtige Ergebnis zu erzielen. Eine weitere Schwäche besteht darin, dass diese Formel verschleiert, dass sie keinerlei Erkenntniswert für das Bestehen der gesuchten Verknüpfung einer menschlichen Handlung mit dem Erfolg enthält; die Anwendung der Formel setzt vielmehr voraus, dass man das (naturwissenschaftliche) Kausalgesetz, das einer solchen Verknüpfung zugrunde liegt, bereits kennt (d.h. dass mit ihrer Hilfe nur ein bereits nachgewiesener Kausalzusammenhang aufgezeigt werden kann). Sie stellt daher nur ein notwendiges Zurechnungsminimum dar und wird auf der Ebene der objektiven Zurechnung korrigiert. Präziser ist dagegen die von der herrschenden Meinung im Schrifttum vertretene Lehre von der gesetzmäßigen Bedingung. Nach ihr liegt Kausalität vor, wenn der Erfolg mit der Handlung nach den bekannten Naturgesetzen notwendig verbunden war. Sie kann jedoch ebenso wenig fehlendes Erfahrungswissen über naturgesetzliche Zusammenhänge kompensieren (wie z.B. im Conterganfall) und führt auch nicht zu anderen Ergebnissen als die conditio-sine-qua-non-Formel, die – weil üblicher – in einem Gutachten trotz ihrer Nachteile anzuwenden ist. Literaturhinweise mit weiteren Fallgruppen zur Kausalität: Wessels/Beulke/Satzger, 45. Aufl. 2015 Rn. 217 ff.; ausführlich Roxin, AT I, 4. Aufl. (2006), § 11 Rn. 1 ff. Die Lehre von der objektiven Zurechnung Die Kausalität in Form der Äquivalenztheorie ist aufgrund ihrer Weite nicht geeignet, für sich allein die objektive Zuständigkeit einer Handlung für den Erfolg zu begründen (da – auf die Spitze getrieben – z.B. auch die Eltern eines Mörders eine Bedingung für den Tod des Opfers gesetzt haben, indem sie den Mörder zeugten). Es bedarf daher schon im objektiven Tatbestand einer haftungseinschränkenden Korrektur, die unter dem Begriff der objektiven Zurechnung zusammengefasst wird. Während bei der Kausalität der naturwissenschaftliche Zusammenhang zwischen der Handlung und dem Erfolg von Bedeutung ist, wird im Rahmen der objektiven Zurechnung normativ (wertend) ermittelt, ob sich der Erfolg des Täters als sein „Werk“ darstellt. Es geht also um die objektive Verantwortung/Haftung des Täters für den Erfolg unter Berücksichtigung des menschlichen Leistungsvermögens. Voraussetzung der objektiven Zurechnung ist, dass (1.) der Täter eine rechtlich missbilligte Gefahr geschaffen hat, (2.) die sich – im Rahmen des Schutzzwecks der Norm – im tatbestandsmäßigen Erfolg realisiert hat. Die Realisierung liegt vor, wenn der Täter die Gefahr des Eintritts des konkreten Erfolges in rechtlich messbarer Weise erhöht hat. Dass der Täter das Opfer in eine Situation bringt, in der der Erfolg tatsächlich eintreten kann, darf dabei aber noch nicht als relevante Gefahrsteigerung betrachtet werden. UNIVERSITÄT AU GSBURG SEITE 6 V ON 8 Relevante Fallgruppen - Allgemeines Lebensrisiko Dieses betrifft die Setzung ganz entfernter Risiken und die Unbeherrschbarkeit von Kausalverläufen (wie z.B. Naturereignisse). - Erlaubtes Risiko Das erlaubte Risiko betrifft Verhalten, die zwar ein Risiko schaffen, aber generell erlaubt, also nicht rechtlich missbilligt sind und damit die Zurechnung zum objektiven Tatbestand ausschließen: - Teilnahme am Straßenverkehr - Flugreisen - Legaler Verkauf von gefährlichen Gegenständen - Eigenverantwortliches fahrlässiges oder vorsätzliches Dazwischentreten eines Dritten kann zu einer Unterbrechung des Zurechnungszusammenhangs führen: Die Verantwortung des Erstverursachers endet aber erst dann, wenn ein Dritter vollverantwortlich eine neue, selbständig auf den Erfolg hinwirkende Gefahr geschaffen hat, die sich allein im Erfolg realisiert hat (näher Wessels/Beulke/Satzger, 45. Aufl. 2015 Rn. 276 ff.): Bsp.: Das mit Tötungsvorsatz angegriffene verletzte Opfer verweigert die lebensrettende Bluttransfusion. - Risikoverringerung → innerhalb eines bereits angelegten Kausalverlaufs wird auf Grund eines Risikos verringernden Verhaltens die objektive Zurechnung hinsichtlich des eingetretenen Erfolgs ausgeschlossen: Bsp.: A stößt B zur Seite, so dass ein herab fallender Ziegelstein den B nur leicht am Oberarm und nicht am Kopf trifft. A hat schon keine rechtlich missbilligte Gefahr geschaffen und ist nicht strafbar wegen § 223 I StGB. - atypischer Kausalverlauf - Abnorme Konstitution des Opfers (z. B. bei „Blutern“): nach der h.M. Zurechenbarkeit (+) - Giftmenge wirkt erst im Verbund mit einer zweiten, von einem anderen gegebenen Dosis tödlich (zur kumulativen Kausalität s.o.): (-), das Risiko der Verabreichung von Gift ist nicht, dass ein Dritter zufällig eine zusätzliche Dosis verabreicht; näher Wessels/Beulke/Satzger, Rn. 276 - Zurechenbarkeit von tödlichen Verletzungen während eines Krankentransports oder bei Komplikationen in der Klinik: • Opfer stirbt bei Krankentransport durch Schock (+) • Opfer stirbt bei Krankentransport durch einen von Dritten verursachten Verkehrsunfall (-) • Opfer stirbt nach Operation an Wundinfektion (+) • Opfer stirbt infolge eines Krankenhausbrandes (-) UNIVERSITÄT AU GSBURG SEITE 7 V ON 8 - Insbes. beim Fahrlässigkeitsdelikt relevant: - Pflichtwidrigkeitszusammenhang (rechtmäßiges Alternativverhalten) - Schutzzweck der verletzten Verhaltensnorm - Freiverantwortliche Selbstschädigung und -gefährdung des Opfers: Bsp.: Drogenkonsument D kauft Heroin bei einem Dealer und stirbt. strafbar wegen fahrlässiger Tötung, § 222. Der Dealer ist nicht Fall 1 Neffe N überredet Erbonkel O zu häufigen Flugreisen. Dabei hofft er auf einen Absturz, um so schneller das Familienunternehmen übernehmen zu können. Tatsächlich kommt O bei einem Absturz zu Tode. Strafbarkeit des N gem. § 212 I? I. N könnte sich wegen Totschlags gem. § 212 I strafbar gemacht haben, indem er O zu einer Flugreise überredete, bei der O zu Tode kam. I. Tatbestand Das Verhalten des N war zwar kausal für den Tod des O, jedoch ist ihm der Tod nicht objektiv zurechenbar, da er nicht sein Werk ist. Das Risiko, abzustürzen, wurde zwar von N geschaffen, dieses Risiko ist jedoch kein rechtlich missbilligtes, sondern generell erlaubt. Der obj. Tatbestand ist nicht erfüllt. Fall 2 Im Laufe eines Streits stößt T dem O ein Messer mit Tötungsabsicht in den Bauch. Da die Klinge abbricht, erleidet O nur eine – nicht tödlich wirkende – oberflächliche Fleischwunde. Zur Versorgung wird er in ein Krankenhaus gefahren. Auf dem Weg dorthin kommt es aufgrund des Verschuldens von X zu einem Verkehrsunfall, bei dem O stirbt. Strafbarkeit des T nach § 212 I StGB? Versuch ist nicht zu prüfen. I. T könnte sich wegen eines Totschlags gemäß § 212 I StGB strafbar gemacht haben, indem er O mit einem Messer in den Bauch gestochen hat. 1. Tatbestandsmäßigkeit a) Objektiver Tatbestand O, ein anderer Mensch, ist tot. Dies müsste T durch den Messerstich verursacht haben. Eine Handlung ist dann für den Erfolg kausal, wenn sie nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass der konkrete Erfolg entfiele. Ohne den Messerstich wäre O nicht in dem Krankenwagen gewesen, so dass er auch nicht durch den Verkehrsunfall tödlich verletzt worden wäre. Der Messerstich von T war somit für den Tod des O kausal. Dieser Todeserfolg muss dem T auch objektiv zurechenbar sein, d.h. er muss eine rechtlich missbilligte Gefahr geschaffen haben, die sich – im Rahmen des Schutzzwecks der Norm – im Erfolg realisiert hat. Indem T den O durch einen Messerstich verletzt hat, hat er eine rechtlich missbilligte Gefahr geschaffen, UNIVERSITÄT AU GSBURG SEITE 8 V ON 8 da es verboten ist, einen Menschen zu verletzen (vgl. §§ 223 ff. StGB). Diese Gefahr müsste sich nun im Todeserfolg realisiert haben. Gestorben ist der O an den Folgen des Verkehrsunfalls; realisiert hat sich somit eine ganz andere Gefahr, nämlich die der Teilnahme am Straßenverkehr. Dies ist – trotz der Pflichtwidrigkeit des Unfalls verursachenden Verkehrsteilnehmers X – die Auswirkung eines allgemeinen Lebensrisikos bzw. eines erlaubten Risikos, das dem T nicht zurechenbar ist. Der Todeserfolg ist somit nicht sein „Werk“. b) T hat den tatbestandlichen Erfolg des § 212 I StGB somit nicht objektiv zurechenbar verursacht. 2. Ergebnis: T hat sich nicht wegen eines Totschlags gemäß § 212 I StGB strafbar gemacht. Eine – hier nicht gefragte – Strafbarkeit wegen versuchter Tötung gem. §§ 212 I, 22, 23 I sowie vollendeter gefährlicher Körperverletzung gem. §§ 223 I, 224 I Nr. 2 kommt jedoch in Betracht. Exkurs zu §§ 211, 212 StGB Zu § 212 StGB: Das Merkmal „ohne Mörder zu sein“ in § 212 I StGB hat keine Bedeutung mehr, es ist daher nicht zu erwähnen. Der nationalsozialistische Gesetzgeber hatte die §§ 211, 212 StGB 1941 neu gefasst und dabei im Blick, dass es einen typischen Täter für diese Delikte gebe; die konkret zu beurteilende Tat sei nun an diesem Maßstab zu messen („Lehre vom normativen Tätertyp“). „Normativ“ bedeutet: einen wertenden Maßstab aufstellen. Dabei wurde die konkrete Einzeltat am Maßstab eines Bildes vom typischen Täter gemessen. Diese Lehre wird mittlerweile allgemein abgelehnt, vor allem da sie die Gefahr birgt, die Bestimmtheit der Tatbestände aufzulösen (vgl. Roxin, AT I, 4. Aufl. (2006), § 6, insb. Rn. 10 ff.). Zur Selbsttötung: Die Tötungstatbestände richten sich allesamt gegen die Tötung eines anderen Menschen, auch wenn der Wortlaut dahingehend nicht eindeutig ist. Die Selbsttötung ist deswegen straflos und zwar schon mangels Tatbestandsmäßigkeit! Vgl. dazu: RGSt 70, 315; BGHSt 2, 152; BGHSt 32, 262. Andere dogmatische Konstruktionen, die sowohl die Fremd- als auch die Selbsttötung vom Tatbestand erfasst sehen, die Strafbarkeit der Selbsttötung jedoch aus subjektiven Gründen entfallen lassen, sind mit der geschichtlichen Entwicklung und dem Schutzzweck der Tötungstatbestände nicht vereinbar. Das dt. StGB kennt im Gegensatz zu anderen Rechtsordnungen auch keinen Tatbestand für einen Selbstmordversuch (so England bis 1961) oder für die Verleitung oder Beihilfe zur Selbsttötung (Art. 115 SchweizStGB; § 78 ÖsterreichStGB).
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