Zellen im Zeitraffer – Dynamik der Genexpression in

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W I S S EN S CHAFT · SPECIAL: EINZELZELL -ANALYSEN
time lapse microscopy
Zellen im Zeitraffer – Dynamik
der Genexpression in Echtzeit
MARIO KÖSTER, DAGMAR WIRTH
MODELLSYSTEME FÜR INFEKTION UND IMMUNITÄT, HELMHOLTZ-ZENTRUM FÜR
INFEKTIONSFORSCHUNG, BRAUNSCHWEIG
Even in genetically identical cell populations gene expression varies. Time
lapse microscopy can track fluorescently labelled proteins in individual
cells over time, thereby providing information on dynamic processes such
as the onset of transgene expression and changes in the subcellular
localization. Moreover, by combining various readouts, this method can
be employed to uncover complex relations. Here, we describe various
approaches for elucidating dynamics of inducible expression systems.
DOI: 10.1007/s12268-016-0657-4
© Springer-Verlag 2016
A
B
ó Die Expression von Genen basiert auf
einer Vielzahl von aufeinanderfolgenden biochemischen Reaktionen in unterschiedlichen
zellulären Kompartimenten. Aufgrund von
Unterschieden in der (lokalen) Verfügbarkeit
einzelner Faktoren kommt es daher selbst in
genetisch identischen, d. h. klonalen Populationen von Zellen zu einer Streuung in der
Expression von RNA und Proteinen. Die Konsequenz hieraus ist eine breitere Reaktionsmöglichkeit in einer ansonsten klonalen Zellpopulation. So können Zellen auf ein und dasselbe Umweltsignal mit einer bimodalen Entscheidung (Ja/Nein) antworten, aber auch der
Zeitpunkt und das Expressionsniveau können variieren. Der Nachweis der Expressionsheterogenität von Zellpopulation wird
durch die Analyse einzelner Zellen möglich.
Die meisten Verfahren, um die heterogene
Expression von RNA oder Proteinen in lebenden Zellen sensitiv zu detektieren, erfordern
die Lyse oder Fixierung der Zellen. Damit
beschränken sie sich auf die Erfassung stationärer Zustände.
Die Streuung der Expression kann aber
auch an lebenden Zellen sichtbar gemacht
werden. So können Oberflächenproteine
durch fluoreszenzmarkierte Antikörper detektiert werden. Dies erlaubt die Analyse von
einzelnen Zellen einer Population mittels
Durchflusszytometrie oder mikroskopischer
Verfahren. Zum Verfolgen der Genexpression
in Echtzeit können auch sensitive Fluores-
¯ Abb. 1: Einzelzellanalyse der Genexpression.
A, Mittels Zeitraffermikroskopie wurde die
Dynamik der GFP-Expression in NIH3T3-Fibroblasten für das transkriptionell regulierte TetSystem (tet.GFP; Zeit nach Doxycyclinzugabe in
Stunden) und der Akkumulation des ecDHFRYFP-Fusionsprotein nach TAM-induzierter Stabilisierung bestimmt. B, Basierend auf mikroskopischen Zeitrafferaufnahmen wurden die Startzeitpunkte (in Stunden) der YFP/GFP-Reportergeninduktion für die beiden synthetischen
Expressionssysteme tet.GFP und ecDHFR-YFP
sowie für den zellulären IFN-β-Promotor nach
PolyI:C-Stimulation in individuellen Zellen
bestimmt.
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zenzreporter eingesetzt werden, die
unter Kontrolle eines zellulären Promotors gestellt werden. Wenn diese mittels
homologer Rekombination an den chromosomalen Ort des endogenen Gens integriert werden, spiegelt das Fluoreszenzsignal die Höhe der Genexpression
authentisch wieder. Mithilfe der Zeitraffermikroskopie (time-lapse microscopy)
kann die Änderung in der Genexpression für individuelle Zellen über die Zeit
verfolgt werden. Weiterhin sind Aussagen möglich, inwieweit der unmittelbare
Kontext, d. h. Umgebungsparameter, die
Reaktion von Zellen beeinflusst.
Wir haben untersucht, wie das
Anschalten von Genen nach der Zugabe
eines externen Stimulus in klonalen
Populationen von Zellen verläuft. Dazu
haben wir die Dynamik der Genexpression für unterschiedliche Systeme verglichen. Das Tet-System, bestehend aus
einem chimären Transaktivator (rtTA)
und einem synthetischen Zielpromotor,
stellt ein einfaches induzierbares Expressionssystem dar. Die Zugabe von Doxycyclin induziert die Bindung des rtTA an
den Promotor und führt zur Expression
von GFP. Variationen dieses Systems
erlauben es, sowohl graduelle als auch
bimodale Ja/Nein-Expressionsmuster
widerzuspiegeln [1]. Verfolgt man die
Induktion des Tet-Promotors nach Zugabe eines homogenen Signals (Doxycyclin) mittels Zeitraffermikroskopie, so
wird deutlich, dass die einzelnen Zellen
die Expression des GFP-Fluoreszenzreporters zu unterschiedlichen Zeitpunkten realisieren: einige Zellen bereits
drei Stunden nach Zugabe des Stimulus,
andere erst nach 20 Stunden oder später (Abb. 1, [2]). Im Gegensatz zu der
hohen Heterogenität dieses transkriptionell regulierten Expressionssystems
zeigen posttranslationale Induktionssysteme eine weit geringe Variabilität.
Dies kann am Beispiel eines ecDHFRYFP-Fusionsproteins verdeutlicht werden, das einer effizienten proteosomalen Degradation unterliegt. Durch Zugabe von Trimethoprim (TMP) wird die
ecDHFR-Domäne stabilisiert, wodurch
das Fusionsprotein in der Zelle akkumulieren kann [3]. Im Vergleich mit dem
oben beschriebenen transkriptionell
regulierten System erweist sich diese
Induktion als schneller und homogener
(Abb. 1).
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Aber auch induzierbare, zelluläre Promotoren zeigen eine ausgeprägte Heterogenität. Ein Beispiel dafür ist Interferonβ. Die Expression von Interferon-β wird
im Rahmen der angeborenen Immunantwort nach Infektion von Säugerzellen durch Viren aktiviert. Interferone wirken auf Zielzellen durch die transkriptionelle Induktion einer Vielzahl von
Genen, deren Produkte die angreifenden
Erreger zum einen direkt bekämpfen und
zum anderen die Einleitung angeborener Abwehrmechanismen des Immunsystems steuern. Dieses Netzwerk aus
Interferon-Produktion und InterferonWirkung ist quantitativ und zeitlich
strikt reguliert, da sowohl eine zu geringe als auch eine übersteigerte Aktivität
zu gravierenden pathologischen Nebenwirkungen führt. Bereits frühe Untersuchungen der Interferon-β-Expression
zeigten, dass die Geninduktion in einer
Population von Zellen stark variiert [4].
Zur Untersuchung der Dynamik dieses
Netzwerks haben wir Reporterzellen hergestellt, welche die Induktion des Interferon-β-Promotors durch die Expression
des Fluoreszenzproteins TurboGFP
widerspiegeln. Nach viraler Infektion der
Zellen bzw. nach Transfer einer synthetischer dsRNA konnten wir zeigen, dass
in einer homogenen Zellpopulation nur
in einem Teil der infizierten Zellen der
IFN-β-Promotor angeschaltet wird [5].
Mittels Zeitraffermikroskopie wurde darüber hinaus offensichtlich, dass das
Anschalten der Genexpression nicht synchronisiert erfolgt, sondern zeitlich sehr
heterogen verläuft; während einzelne
Zellen schon sehr früh (nach ca. fünf
Stunden) das antivirale Programm
anschalten, erfolgt dies in anderen Zellen
erst nach mehr als 20 Stunden (Abb. 1B).
Dies zeigt, dass in einer Population von
Zellen das antivirale Schutzprogramm
zeitlich gestreckt induziert wird [5]. Mithilfe von statistischen Methoden können
derartige stochastische Expressionsmuster ausgewertet werden und so
Zusammenhänge erkannt werden, die
komplexe Fragestellungen lösen [6].
Wir haben die Zeitraffermikroskopie
aber auch eingesetzt, um einzelne Schritte der antiviralen Signalweiterleitung zu
untersuchen und damit räumliche und
zeitliche Zusammenhänge zwischen verschiedenen Ebenen des Interferon-Netzwerks offenzulegen. Durch die Kombi-
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A
¯ Abb. 2: Transkriptionsfaktoraktivierung und
Genexpression. A, NIH3T3-Fibroblastenzellen,
die das Fusionsprotein IRF7-RFP und den Reporter IFN-β-tGFP enthalten, wurden mit PolyI:C
stimuliert. Mittels Zeitraffermikroskopie wurde
die Dynamik der IRF7-Kerntranslokation (obere
Bildreihe) und der IFN-β-Promotor-Aktivierung
(untere Bildreihe) über die Zeit aufgenommen.
B, Aus der grafischen Darstellung können die
Zeitpunkte der IRF7-Kernakkumulation (rote
Linien) und der IFN-β-tGFP Genexpression (grüne Linien) für zwei exemplarische Zellen
bestimmt werden. Der Start der Genexpression
erfolgt ca. vier Stunden nach Beginn des Kerntransfers von IRF7.
B
nation von verschiedenen Reportersystemen
in einer Zelle konnten wir die Aktivierung
des antiviralen Signalweges und die Realisierung der Interferon-Genexpression nach
einer Infektion visualisieren. Im konkreten
Beispiel erlaubte die verwendete Reporterzelllinie, die Aktivierung des Transkriptionsfaktors IRF7 mit der Expression des IFN-
A
β-Gens zu korrelieren (Abb. 2). Die Auswertung beider Ereignisse in der Gesamtpopulation zeigt, dass die zeitliche Differenz zwischen diesen beiden Prozessen eine geringere Variabilität aufweist als der Prozess der
Aktivierung des IRF7-Transkriptionsfaktors.
Somit wird die Heterogenität hauptsächlich
von Faktoren bestimmt, die vor der Aktivie-
rung der beteiligten Transkriptionsfaktoren
liegen [5].
Diese Beispiele zeigen, dass selbst Populationen von genetisch identischen Zellen, die
der gleichen Umgebungsänderung ausgesetzt
sind, ein großes Maß an Heterogenität aufweisen. Was bestimmt nun das Maß der
Ungleichheit – auf welches Prinzip ist es
zurückzuführen? Die Zeitraffermikroskopie
erlaubt es, die Fluoreszenzintensität von
Reportern mit Ereignissen wie Zellteilung,
Zelltod und Mobilität in Relation zu setzen.
Damit können z. B. auch Schwesterzellen
identifiziert und ihr Reaktionsmuster miteinander verglichen werden. Dies erlaubt die
B
˚ Abb. 3: Tochterzellpaaranalyse. A, Der zeitliche Verlauf der IRF7-Kerntranslokation (rote Linien) und der IFN-β-tGFP-Genexpression (grüne Linien)
wurde für ein Paar von Tochterzellpaar (TZ) bestimmt. ZT markiert den Zeitpunkt der Zellteilung nach Infektion mit NDV (Newcastle-Disease-Virus). Verschiedene Parameter können zur Auswertung herangezogen werden: Δt1 die zeitliche Differenz der IRF7-Kerntranslokation zwischen TZ1 und TZ2; Δt2
die zeitliche Differenz des IFN-β-tGFP-Expressionsstarts zwischen TZ1 und TZ2; Δt3 die zeitliche Differenz zwischen Zellteilung und IRF7-Kerntranslokation von TZ1. B, Ein Vergleich der IRF7-Startzeitpunkte von insgesamt 44 Tochterzellpaaren zeigt, dass in 40 Prozent der Tochterzellpaare eine Abweichungen von mehr als drei Stunden für Δt1 gegeben ist.
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Beantwortung der Frage, ob die (Schwester-)Zellen für den nächsten Schritt „programmiert“ sind oder die Heterogenität
in der Zellpopulation dem Zufall unterliegt. Interessant ist hierbei die Frage,
ob die Expression in Schwesterzellen a
priori unterschiedlich ist oder erst mit
zunehmender Zeit nach der Zellteilung
desynchronisiert. Für die Induktion der
Apoptose nach Stimulation mit TRAIL
(tumour necrosis factor(TNF)-related apoptosis-inducing ligand) wurde gezeigt, dass
sich Schwesterzellen kurz nach der Teilung vergleichbar verhalten und zeigen
erst mit zunehmender Zeit nach Zellteilung eine stark ansteigende Divergenz
aufweisen [7]. Für die Induktion der
Interferon-Antwort konnte dagegen keine derartige Korrelation zwischen dem
Grad der Divergenz zweier Schwesterzellen und dem Ausmaß eines unterschiedlichen Reaktionsverhaltens beobachtet werden (Abb. 3). Vielmehr kann
festgehalten werden, dass in Bezug auf
die Aktivierung des IFN-Systems Determinanten wirken müssen, welche eine
schnelle Variabilität der (Schwester-)Zellen hervorrufen können [5].
ó
Literatur
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Korrespondenzadressen:
Dr. Mario Köster
Prof. Dr. Dagmar Wirth
Modellsysteme für Infektion und Immunität
Helmholtz Zentrum für Infektionsforschung
Inhoffenstraße 7
D-38124 Braunschweig
Tel.: 0531-6181-5091 (Mario Köster)
Tel.: 0531-6181-5040 (Dagmar Wirth)
[email protected]
[email protected]
AUTOREN
Mario Köster
1988–1994 Biologiestudium an der Universität Oldenburg. 1998 Promotion an der TU Braunschweig. 1998–2006 Postdoc an der Gesellschaft für
Biotechnologischen Forschung mbH (GBF) in Braunschweig. Seit 2006 wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Abteilung „Genregulation und Differenzierung“ und der Arbeitsgruppe „Modellsysteme für Infektion und Immunität“ am Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung, Braunschweig.
Dagmar Wirth
1982–1987 Chemiestudium, 1991 Promotion an der TU Braunschweig. Anschließend Postdoc an der Gesellschaft für Biotechnologischen Forschung
mbH (GBF) in Braunschweig und der Medizinischen Hochschule Hannover
(MHH). Seit 2002 wissenschaftliche Mitarbeiterin am Helmholtz-Zentrum
für Infektionsforschung, Braunschweig. Seit 2007 Leiterin der AG „Modellsysteme für Infektion und Immunität“. Seit 2014 Inhaberin des Lehrstuhls
für Synthetische Biologie von Zellsystemen an der MHH.
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