Minarette, Muezzine, Melodien

Brauchen Muezzine eine Ausbildung?
Minarette, Muezzine, Melodien
Brauchen Muezzine eine Ausbildung?
Silke Stern
Der Ruf des Muezzins - er ist weltberühmt. Allahu Akbar – Gott ist unvergleichlich groß schallt der
Gebetsruf aus den Minaretten. Fünfmal täglich ruft der Adhan weltweit über eine Milliarde Muslime
zum Gebet. Mehr als 30 000 Moscheen gibt es im Großraum Kairo. Fünfmal am Tag ertönen auch hier
die Stimmen der zahlreichen Muezzin‘ der 20 Millionen Metropole am Nil. Mit ihrem Gesang rufen Sie
ihre Glaubensbrüder zum Gebet. Durch ständiges Reproduzieren hat der Klang des Adhan eine
mystische Aura bekommen. Ich will mich aufmachen, hinter die Anonymität der Klänge blicken, die so
viele faszinieren.
In islamischen Ländern ruft der Muezzin die Gläubigen mit dem Gebetsruf zu den Pflichtgebeten auf.
Der Ruf ist seit der Übersiedlung der ersten Gemeinde von Mekka nach Medina der gleiche geblieben
und gehört zu der unabänderlichen liturgischen Tradition aller muslimischen Gruppen. Wo der Ruf nicht
öffentlich erschallen kann, wie in den meisten Gemeinden im deutschsprachigen Raum, wird mit ihm
innerhalb des Moscheeraumes zunächst dazu aufgefordert, sich zum gemeinsamen Gebet bereit zu
machen. Der islamische Gebetsruf Adhan ertönt in arabischer Sprache. Der Gebetsruf hat den Wortlaut:
Adhan
4x
2x
2x
2x
2x
2x
2x
Allāhu akbar
Ašhadu an lā ilāha illā
llāh
Ašhadu
anna
Muḥammadan rasūlu
llāh
Ḥayya ʿalā ṣ-ṣalāh
Ḥayya ʿalā l-falāḥ
aṣ-ṣalātu ḫayrun mina
n-naum
Allāhu akbar
Übersetzung
Gott ist unvergleichlich groß
Ich bezeuge, dass es keine Gottheit gibt außer Allah
Ich bezeuge, dass Muhammad Allahs Gesandter ist
Eilt zum Gebet
Eilt zur Seligkeit
Das Gebet ist besser als Schlaf
Gott ist unvergleichlich groß
Wobei die vorletzte Zeile nur vor dem Aufruf zum Morgengebet rezitiert wird
Wann er erklingt, entscheiden Mondphasen sowie Sonnenaufgang und –untergang. Das musikalische
System ist komplex: Die fünf über den Tag verteilten Gebetsrufe sind je nach Muezzin und Tageszeit
unterschiedlich in Tonleiter, Melodietypus und Lautstärke.
Muslime wissen heute auch ohne öffentlichen Adhan, wann die Gebetszeiten sind, etwa durch das
Internet. Was die Gebetsrufe freilich nicht zu sinnentleerten Ritualen macht: „Das ist Teil des Prozesses,
genauso wie die Waschung. Es ist Pflicht!“, betonten alle Befragten „Wir Muslime nutzen die
technischen Errungenschaften, doch sie verdrängen nichts Religiöses.“ Gesänge des Muezzins seien eine
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sehr emotionale Sache, die man nicht einfach durch das Schauen auf die Uhr ersetzen könne. Und so
spielt der Muezzin in der islamischen Tradition weiterhin eine wichtige Rolle.
Eines gleich vorne weg - eine Ausbildung zum Muezzin gibt es nicht. Doch zählt der Muezzin in der
islamischen Welt zu den angesehenen Personen. Der Muezzin (arabisch mu'adhdhin) ist ein Ausrufer,
der die muslimische Gemeinde zu den Pflichtgebeten in die Moschee ruft. Angeblich hat Mohammed
mit seinen Freunden darüber beraten, wie man die
Leute zum Gebet bringt. Die Christen haben ihre
Glocken, die Juden die Trompete - die Muslime
wollten etwas anderes - sie wollten die Stimme. Und
die schönste Stimme hatte Bilal al Habashi, ein
freigelassener abessinischer Sklave. „Nur darum - und
nicht etwa darum, welcher Klasse er angehörte - ging
es.“ Dazu der Islamwissenschafter Elsayed Elshahed:
„Dem Propheten Mohammed war das wichtig. Er
verweigerte dem zweiten Kalifen diese Aufgabe mit
der Begründung, dass seine Stimme zu rau sei. So
wurde Bilal, ein enger Vertrauter des Propheten
Mohammed, der erste Muezzin und bekam den
Ehrentitel „Gebetsrufer des Propheten“. Seine Stimme
soll von unvergleichlicher Schönheit gewesen sein.
Wer heute regelmäßig zum Gebet einladen will, muss
deshalb noch immer über eine besondere Stimme
verfügen. Schön und gefühlvoll soll sie sein. Es
verwundert nicht, dass viele Berufskollegen dem ersten Muezzin auch heute noch nacheifern und in ihm
ihr großes Vorbild sehen. Der Muezzin hat eine herausragende Rolle im Islam. Viele Familien sind sehr
stolz einen Muezzin unter Ihren Angehörigen zu haben. Ernannt werden sie in der Regel vom Mufti, der
höchsten religiösen Autorität. Der Muezzin muss kein Geistlicher sein, aber er sollte einen reinen
Glauben haben und nach den Regeln des Islam leben. Um Muezzin zu werden, gibt es wie gesagt, keine
spezielle Ausbildung. Das Handwerk des Muezzins kann man an keiner Fachschule lernen, seine Kunst
an keiner Universität studieren. Eigeninitiative ist also gefragt. Viele Muezzin‘ haben Islamische
Schulen besucht und üben sich ständig in Koranrezitation (s. u.) und dem Singen von Koranversen.
Wenn man Talent hat bekommt man ggf.
musikalischen Unterricht. Für die meisten sind
besagte schöne Stimme und das entsprechende
Talent aber die wesentlichste Voraussetzung um ein
guter Muezzin zu werden. Nicht jeder hat die Gabe
dazu, vieles kann man nicht antrainieren. Es ist
schwierig immer den richtigen Ton zu treffen.
Damit die Stimme nicht versagt haben die Muezzins
ihre kleinen Tricks Viele ölen sie vor ihrem
„Auftritt“ mit einem Löffel Honig. Auch ein
kräftiges Räuspern ist typisch. Im Minarett, bereits
vor dem Mikrofon stehend, geht der Muezzin i.d.R.
kurz in sich. Dann legt er seine Hände an die Ohren, atmet einmal tief ein und stimmt kraftvoll den
unvergleichlichen Gesang an: „Allahu akbar“, tönt es aus den Lautsprechern über die umliegenden
Häuser. Der Adhan, der Ruf zum gemeinschaftlichen Gebet, fängt immer mit der Lobpreisung an, die
man in etwa mit „Gott ist unvergleichlich groß“ übersetzen kann.
Jeder Muezzin arbeitet selbstverständlich daran seine Fertigkeiten zu perfektionieren. Jahrelang hat auch
Scheich Mohammad Badr an der renommierten Al Azhar Moschee Koranrezitation studiert um den
Gebetsruf richtig auszusprechen und harmonisch zu intonieren. Dazu braucht es vor allem eines - sehr
viel Übung. Bei den vielen Moscheen in Kairo vereinen sich die Gebetsrufe der Muezzine, von denen
nicht alle so gepflegte Stimmen haben wie der Scheich, nicht zwangsläufig zu einem harmonischen
Vielklang. Viele hatten das chaotische Stimmengewirr zur Gebetsstunde satt. In Ägypten ist der
Gebetsruf deshalb seit 2009 zentralisiert. Er schallt nicht mehr von Tausenden Moscheen aus, wo
jeweils einer unten am Mikrofon steht und oben scheppert es raus. Der Live-Ruf wird per Radio an alle
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staatlichen Moscheen in Kairo übertragen. Dies ermöglicht es den Gläubigen auch wieder den Adhan im
Stillen mitzusprechen, was als etwas Besonderes angesehen wird, aber bei so vielen gleichzeitig
ertönenden Stimmen einfach unmöglich war. Für das Zentralisierungsvorhaben hatte die ägyptische
Regierung das Einverständnis des Muftis, der höchsten
religiösen Autorität des Landes eingeholt. Seine
einzige Bedingung war, dass der Gebetsruf nicht
aufgezeichnet werden darf, sondern immer direkt
gesprochen und verbreitet wird. Dies gilt allerdings nur
für die staatlichen Moscheen. In den nicht weniger
zahlreichen privaten Moscheen wird weiterhin mit
eigener Stimme zum Gebet gerufen.
Damit lässt die Qualität der Gebetsrufer im Land z.T.
auch nach der Zentralisierung noch viel Luft nach
oben. Trotzdem - wen ich auch frage, auf den Muezzin
verzichten will niemand. „Eine Moschee ohne Muezzin
ist doch wie Süßigkeiten ohne Zucker.“ Freilich gibt es
bei der Qualität der Gebetsrufer erhebliche Unterschiede, so der Tenor der Befragten, besonders die
musikalische Schulung könne mehr Raum einnehmen, um das Klangbild zu verbessern. Eindeutig aber
ist, der Ruf des Muezzins ist eine zutiefst emotionale Angelegenheit und eine rationale
Herangehensweise der Sache nicht dienlich.
Übrigens ist in vielen islamischen Ländern der Muezzin ein eigener bezahlter Berufsstand. An einer
Moschee angestellt, sind Muezzine Staatsangestellte, die ein Ritual vollziehen, für das sie eine religiöse
Ausbildung benötigen, die allerdings kaum über das hinausgeht, was ein durchschnittlicher Muslim im
Koranunterricht gelernt hat. Der Muezzin ist kein Imam, er hält also keine Freitagsgebete. In einer
Moschee fallen aber dennoch genug unterschiedlichste Aufgaben an. Der Muezzin übernimmt dort meist
mehrere Funktionen. Oft ist er auch noch so etwas wie ein Hausmeister, der sich um das Gebäude
kümmert und in der Nähe wohnt. Da beim Beten der Boden mit dem Gesicht berührt wird, sind
Reinigungsarbeiten in Moscheen sehr wichtig.
Er ist auch so etwas wie der Pförtner der
Moschee. Bissweilen gibt er Koranunterricht für
die Kinder in der Umgebung, und manche
nehmen auch die Schuhe am Eingang in
Empfang und passen auf, dass sie nicht geklaut
werden. Das kommt ziemlich häufig vor. Alles
in allem haben Muezzins, trotz der schlechten
Bezahlung, einen relativ prestigeträchtigen Job.
Einige sagen, dass der Muezzin im Paradies so
viel Platz bekommen wird wie er Fläche mit
seiner Stimme abdeckt. So viele Menschen er
zum Beten gebracht hat, „so hoch wird dann
sein Hals sein“. Die für den zentralisierten
Gebetsruf Adhan ausgewählten Gebetsrufer - es sind ungefähr 30 - dürften im Paradies also einen
Riesenhals haben. Man kann dieses transzendentale Versprechen natürlich auch als willkommenen Trost
sehen für die miese irdische Bezahlung. Fairerweise sollte auch erwähnt werden, dass es unter den
Muezzin‘ auch richtige Stars gibt. Wer beispielsweise mit einem Titel bei den Weltmeisterschaften im
Koranzitieren aufwarten kann, wird zu Ramadanfeiern weltweit eingeladen, um seine Kunst
vorzutragen. Bei den Events der High Society den Koran zu zitieren, damit verdient man gutes Geld.
Aber es gibt einen viel gewichtigeren Grund weshalb Koranrezitation so wichtig ist für einen guten
Muezzin. Der „ehrwürdige Koran“ ( al-Quran al-karim) ist Gottes ureigenes Wort. Muslime bemühen
sich deshalb, ihn beispielsweise beim fünfmaligen Gebet nicht nur im Inhalt, sondern auch in der
Aussprache stets korrekt wiederzugeben. Er ist für die Muslime die grundlegende Quelle ihres
Glaubens. Der Klang seiner Rezitation begleitet jeden Muslim. Von klein auf wächst er mit der in ihm
enthaltenen umfassenden „Rechtleitung“ für Glauben und Leben auf. Der Koran wird als offenbartes
Wort Gottes, des Herrn der Welten, verehrt. Die Segensmacht seiner Worte (baraka) ja jeder seiner
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Buchstaben, macht den Koran zu einem erhabenen Buch, das mit höchster Ehrfurcht und unter
Beachtung ritueller Reinheitsregeln (wudu) in die Hand genommen wird. Auch nichtarabische Muslime
sind angehalten den Koran in der arabischen Sprache zu lesen, möglichst mit lauter Stimme. Durch die
Gebete und Lesungen in dieser Sprache fühlen sich alle Muslime in einer weltweiten Gemeinschaft
verbunden.
Mit dem Imperativ des Verbs qara´a (lesen, rezitieren, vortragen) beginnt der älteste Text, den
Mohammed als Offenbarung vortrug (Sure 96, 1-5). Das dazugehörige Hauptwort ist „Koran“, im
Arabischen qur´an, also „Lesung, Rezitation“. Der Koran wird auch kitab Allah (Buch Gottes) oder
einfach al- kitab (das Buch) genannt. Er ist das Buch an dem kein Zweifel besteht. Ihn durch Rezitation
vernehmbar zu machen, bleibt eine wichtige religiöse Aufgabe, die der qari´(Rezitator) nach den Regeln
der Kunst erlernt. Muslime sind davon
überzeugt das Gott sich Mohammed
offenbarte, indem er den Erzengel Gabriel als
Übermittler von göttlichen Nachrichten zu
ihm schickte.
Qura´a befahl der Erzengel Gabriel dem
Propheten Mohammed in der Höhle Hira
nahe Mekka nach muslimischem Glauben.
Damit begann die Herabsendung des heiligen
Buches der Muslime. Die ersten Muslime
überlieferten die Worte des Koran mündlich,
dabei wurde großer Wert darauf gelegt die
Rechtleitungen Gottes, die Mohammed
empfangen hatte nicht nur im Wortlaut exakt
wiederzugeben, sondern auch auf die korrekte Aussprache zu achten. Erst der Dritte Kalif Uthman ibn
Affan (644- 656) - ein Schwiegersohn Mohammeds - machte sich daran, den Koran zu Kanonisieren. Er
wurde in einer standardisierten und von da ab einzig offiziell gültigen Version aufgezeichnet.
Mindestens zwei Männer mussten bei jedem Vers bezeugen, dass sie diesen direkt aus dem Mund des
Propheten Muhammad so gehört hätten. Da neben dem Wortlaut auch die genaue Aussprache so wichtig
ist, macht verständlich, dass in der muslimischen Welt der Koranrezitation eine so bedeutende Stellung
zu Teil und warum so viel Mühe und Aufmerksamkeit auf die korrekte Aussprache gelegt wird und sich
die Koranrezitation zu einer Kunstform entwickelt hat. Es gilt im muslimischen Kulturkreis als etwas
ganz Besonderes, wenn man den Koran vollständig auswendig rezitieren kann. Diese Experten
bekommen den Namen Hafis, das bedeutet Kenner. Und so wird möglichst schon in jungen Jahren damit
begonnen, die vielen Verse des Korans auswendig zu lernen. In der islamischen Welt gibt es viele
Gelegenheiten vom Pflichtgebet über Radio- und Fernsehsendungen bis hin zu Koranlesewettbewerben,
um von der ästhetischen Dimension des rezitierten Korans einen lebendigen Eindruck zu bekommen.
Quellen:
https://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Muezzin&oldid=136018303“, letzter Zugriff 11.8.15
https://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Adhān&oldid=141529101“, letzter Zugriff 11.8.15
http://de. TAZ-online / Berliner Regisseur über Muezzins/ „Oben scheppert es heraus“ letzter Zugriff 11.8.15
http://at. Wiener Zeitung Online/ Die mystische Aura des Gebetsrufes 22.06.2015, letzter Zugriff 11.8.15
Was jeder vom Islam Wissen muss Hrsg. Martin Affolderbach und Inken Wöhlbrand, Gütersloher Verlagshaus.
Der Islam für Kinder und Erwachsene erklärt von Lamya Kaddor und Rabeya Müller, DTV Verlag 2011
Verwendung gemeinfreier Bilder bzw. Silke Stern, privat
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