PERSÖNLICHKEITSENTWICKLUNG UND COACHING 1

Running head: PERSÖNLICHKEITSENTWICKLUNG UND COACHING
Persönlichkeitsentwicklung und Coaching
Jule Specht
Freie Universität Berlin
Denis Gerstorf
Humboldt-Universität zu Berlin
Specht, J., & Gerstorf, D. (in press). Persönlichkeitsentwicklung und Coaching [Personality
development and coaching].
In S. Greif, H. Möller & W. Scholl (Hrsg.), Handbuch Schlüsselkonzepte im Coaching.
Heidelberg, Germany: Springer.
PERSÖNLICHKEITSENTWICKLUNG UND COACHING
Abstract
Die Persönlichkeit unterliegt im Erwachsenenalter diversen Veränderungen. Diese
Veränderungen werden unter anderem durch Veränderungen der sozialen Umwelt ausgelöst, die von den Personen zum Teil selbst aktiv initiiert werden können. Im vorliegenden
Kapitel gehen wir darauf ein, wie coaching-ähnliche Trainings diese Veränderungssensibilität nutzen können, um gewünschte Entwicklungsprozesse in der Persönlichkeit anzustoßen.
Keywords: Persönlichkeit, Persönlichkeitsentwicklung, Big Five, Erwachsenenalter, zielgerichtete Persönlichkeitsentwicklung
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PERSÖNLICHKEITSENTWICKLUNG UND COACHING
„Das ist eine geborene Führungsperson“, so hört man es manchmal voller Überzeugung im
Zusammenhang mit Personalentscheidungen. Aber gibt es das, die geborene Führungsperson? Das würde bedeuten, dass sich zukünftige Führungspersonen schon sehr früh, mindestens aber vor der Übernahme der Führungsverantwortung von Personen ohne Führungspotential unterscheiden. Aber wäre nicht auch denkbar, dass sich Menschen erst durch ihre
Erfahrung als Führungskraft verändern, sich Führungsqualitäten also erlernen lassen?
Ebenso wie sich die Persönlichkeit beim Umgang mit schwierigen Situationen oder größeren Veränderungen (wie beispielsweise bei einem Berufs- oder Partnerwechsel) mithilfe
von Coachings verändern könnte? Auch die Forschung zur Persönlichkeitsentwicklung
beschäftigt sich mit der Frage, wie stabil oder veränderlich individuelle Eigenschaften von
Personen sind und wodurch solche Veränderungen angestoßen werden können. Damit kann
dieser Forschungsbereich auch über Entwicklungspotentiale von Personen im Berufskontext informieren und Chancen und Grenzen für gezieltes Coaching bei einem Veränderungswunsch in der Persönlichkeit aufzeigen.
In diesem Kapitel begründen wir unsere These, dass Veränderungen in der Persönlichkeit keine Seltenheit, sondern vielmehr der Regelfall sind, und gezielt mit Hilfe von
Coachings genutzt werden können. Wir beginnen mit einem Überblick über Persönlichkeitsveränderungen im Erwachsenenalter, führen in verschiedene theoretische Perspektiven
ein und geben dazu empirische Beispiele. Abschließend gehen wir auf das Potential von
gewünschten Veränderungen der Persönlichkeit durch Coachings ein.
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Die Stabilität und Veränderlichkeit von Persönlichkeit im Erwachsenenalter
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PERSÖNLICHKEITSENTWICKLUNG UND COACHING
Die Kernfragen der aktuellen Forschung zur Persönlichkeitsentwicklung im Erwachsenenalter umfassen vor allem die Fragen nach dem ‚wann’ und ‚warum’ von Veränderungen in der Persönlichkeit: Treten überhaupt Veränderungen in der lange für stabil
gehaltenen Persönlichkeit auf? Wenn ja, welche Veränderungen sind das? Gibt es Altersphasen, die besonders sensibel für solche Veränderungen sind? Und wodurch werden diese
Veränderungen angestoßen?
Definition der Persönlichkeit
Die heutige Persönlichkeitsentwicklungsforschung hebt sich maßgeblich von früheren Auffassungen ab, die vor allem die Stabilität der erwachsenen Persönlichkeit betonten.
Die heutige Definition der Persönlichkeit umfasst die Gesamtheit jener Eigenschaften, die
individuelle Unterschiede im Denken, Fühlen und Verhalten beschreiben können (John et
al. 2008). Sie verfolgt dabei einen nomothetischen Ansatz, der davon ausgeht, dass alle
Menschen die gleichen Eigenschaften in sich tragen, sich aber die Ausprägung dieser Eigenschaften zwischen Menschen unterscheidet (Asendorpf und Neyer 2012). Die zentrale
Voraussetzung, um als allgemeine Persönlichkeitseigenschaft zu gelten, ist, dass diese Eigenschaft relativ stabil über die Zeit und über Situationen hinweg sein muss (Roberts und
Jackson 2008). In dieser Relativierung zeigt sich das Potential zur Veränderung von Persönlichkeitseigenschaften.
Die Gesamtheit an Persönlichkeitseigenschaften ist schwer zu fassen und kaum
(ökonomisch) zu messen. Eine Systematik in die überwältigende Anzahl an einzelnen Eigenschaften brachten lexikalische Analysen, die relevante Persönlichkeitseigenschaften in
der Sprache vermuteten und deshalb Wörterbücher zur Grundlage für Selbsteinschätzungen
nahmen, um darauf aufbauend mithilfe von faktoranalytischen Verfahren Gemeinsamkeiten
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PERSÖNLICHKEITSENTWICKLUNG UND COACHING
und Unterschiede zwischen den Eigenschaften aufzudecken (Allport und Odbert 1936;
Goldberg 1990). Als Resultat davon war das Big Five-Modell (John et al. 2008; McCrae
und Costa 2008) geboren, das spätestens seit den 1990er Jahren die Persönlichkeitspsychologie prägt. Danach werden fünf umfassende Persönlichkeitsmerkmale auf einer höchsten
Hierarchiestufe voneinander unterschieden, nämlich die emotionale Stabilität, Extraversion,
Offenheit für neue Erfahrungen, Verträglichkeit und Gewissenhaftigkeit. Diesen übergeordneten Faktoren lassen sich spezifischere Persönlichkeitsfacetten zuordnen (z. B. Soto et
al. 2011).
Formen der Persönlichkeitsentwicklung
Im Rahmen der für die Persönlichkeit per Definition festgelegten relativen Stabilität
entsteht das Potential für Persönlichkeitsentwicklung. Diese beschreibt keine tagtäglichen
Schwankungen in den Persönlichkeitszuständen, sondern langfristige Veränderungen, die
ihrerseits wiederum relativ stabil über die Zeit sind. Solche Veränderungen lassen sich auf
vielfältige Weise quantifizieren (für einen Überblick, siehe Ozer 1986). Die beiden verbreitetsten Arten der Veränderungsmessung befassen sich beide mit Persönlichkeitsveränderungen auf der Ebene von Gruppen (statt auf einzelne Individuen zu fokussieren).
Mittelwertsveränderungen beschreiben durchschnittliche Entwicklungstrends. Es
interessiert hierbei, inwiefern sich Menschen im Mittel über die Zeit hinweg verändern, ob
beispielsweise bei 55-Jährigen die Gewissenhaftigkeit im Durchschnitt höher ausgeprägt ist
als bei 25-Jährigen. Mit diesem Ansatz lassen sich sowohl allgemeine Veränderungen über
die Zeit untersuchen als auch Entwicklungsverläufe in bestimmten Altersgruppen oder Lebenssituationen. Verglichen werden dabei vorwiegend längsschnittlich die Mittelwerte eines Merkmals in einer Gruppe zu mindestens zwei Messzeitpunkten oder, bei Vorliegen
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PERSÖNLICHKEITSENTWICKLUNG UND COACHING
von querschnittlichen Daten, verschiedene Altersgruppen. Aussagen über den Einzelfall
sind nicht möglich, sondern es kann lediglich beobachtet werden, ob sich eine Gruppe von
Personen im Durchschnitt verändert bzw. sich Alters- und Kohortengruppen voneinander
unterscheiden.
Rangordnungsveränderungen beschreiben differentielle Entwicklungstrends. Es
handelt sich dabei um ein relatives Maß der Veränderung, bei dem untersucht wird, ob sich
Personen im Verhältnis zueinander verändern, also ob beispielsweise Personen, die anfangs
zu den Gewissenhaftesten in der untersuchten Gruppe gehörten, auch später noch zu den
Gewissenhaftesten gehörten. Ein Maß für die relative Stabilität ist die Korrelation. Auch
hier sind keine Aussagen über den Einzelfall möglich, sondern es kann lediglich beobachtet
werden, ob es mehr oder weniger starke Veränderungen in der Rangordnung von Personen
in einer Gruppe bezüglich eines Merkmals gibt.
Persönlichkeitsentwicklung in verschiedenen Lebensphasen
Betrachtet man die Entwicklungsverläufe von Persönlichkeitsmerkmalen, dann fällt
auf, dass die größten Veränderungen in der erwachsenen Persönlichkeit im jungen Erwachsenenalter und im hohen Alter auftreten (siehe auch Tabelle 1). Diese Beobachtung gilt
nicht nur für die meisten Persönlichkeitseigenschaften, sondern auch bei der Verwendung
unterschiedlicher Maße der Veränderung (für einen Überblick siehe Specht et al. 2014).
Im jungen Erwachsenenalter zwischen 18 und 30 Jahren wird im Allgemeinen ein
Anstieg in der Gewissenhaftigkeit und emotionalen Stabilität beobachtet, genauso wie ein
Anstieg in der sozialen Dominanz, einer Facette der Extraversion. Eine durchschnittliche
Abnahme wird dagegen in der Offenheit für neue Erfahrungen und der Geselligkeit, einer
weiteren Facette der Extraversion, beobachtet. Keine signifikanten Veränderungen zeigen
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PERSÖNLICHKEITSENTWICKLUNG UND COACHING
sich in dieser Lebensphase für die Verträglichkeit (Roberts et al. 2006; für einen aktuellen
Überblick siehe Hutteman et al. 2014).
Weitere Veränderungen werden insbesondere bei Personen mit einem unterkontrollierten Persönlichkeitstyp gefunden. Diese Personen zeichnen sich durch vergleichsweise
geringe Gewissenhaftigkeit und Verträglichkeit aus. Ihr Anteil sinkt im jungen Erwachsenenalter von anfangs 40% auf etwa 20% (Specht, Luhmann und Geiser 2014). Auch die
Rangordnungs-Stabilität ist in dieser Lebensphase mit Korrelationen zwischen .50 und .60
über ein Jahr vergleichsweise gering (Roberts und DelVecchio 2000). Interessanterweise
gibt es erste Evidenz, dass sich die Trends in der Persönlichkeitsentwicklung in den vergangenen Jahrzehnten immer weiter verzögern, sodass diese Veränderungssensibilität mittlerweile bis zum Alter von 35 bis 40 Jahren anhält (Arnett 2000).
Das mittlere Erwachsenenalter ist eine Lebensphase, die von vergleichsweise hoher Stabilität gekennzeichnet ist. Es kommt weder im Bezug auf die relative Ordnung von
Personen zueinander noch im Bezug auf Mittelwertsverläufe zu maßgeblichen Veränderungen. Wie oben bereits angesprochen, bedeutet dies jedoch nicht, dass Persönlichkeitsveränderungen ausgeschlossen sind. Vielmehr beträgt die Korrelation auch auf ihrem Höhepunkt
der Stabilität nur .75 über ein Jahr (Roberts und DelVecchio 2000), lässt also weiterhin
Raum für individuelle Veränderungen.
Das höhere Erwachsenenalter hält dagegen wieder überraschend viele Veränderungen in der Persönlichkeit bereit. Obwohl diese Lebensphase in der persönlichkeitspsychologischen Literatur lange unterrepräsentiert war, zeigen neue Studien erhebliche Veränderungen sowohl im Bezug auf Mittelwerts- als auch Rangordnungsveränderungen ab einem Alter von 60 bis 70 Jahren (Ardelt 2000; Lucas und Donnellan 2011; Specht et
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PERSÖNLICHKEITSENTWICKLUNG UND COACHING
al.2011). In Anbetracht der steigenden Anzahl von älteren Arbeitsnehmern kommt diesem
Befund auch im Berufskontext große Bedeutung zu. So zeigt sich beispielsweise, dass im
höheren Alter die Verträglichkeit stärker ausgeprägt ist und dass die Offenheit für neue
Erfahrungen wie schon im jungen Erwachsenenalter weiter sinkt (Hutteman et al. 2014).
Ursachen von Persönlichkeitsveränderungen
Zu den Ursachen für diese Veränderung der Persönlichkeit machen verschiedene
theoretische Perspektiven unterschiedliche Annahmen (Specht, Bleidorn et al. 2014). Zu
den einflussreichsten und gleichzeitig umstrittensten Perspektiven zählt die FünfFaktoren-Theorie der Persönlichkeit von McCrae und Costa (2008). Angenommen wird,
dass die Big Five rein biologisch, also durch Gene und Hirnstrukturen determiniert sind.
Die Theorie baut damit auf dem Fünf-Faktoren-Modell auf und begreift die Big Five als
hierarchisch übergeordnete Persönlichkeitsmerkmale, die vor allem von Stabilität bestimmt
sind. Demnach treten in gesunden Personen nach einem Alter von 30 Jahren im Allgemeinen keine nennenswerten Veränderungen der Persönlichkeit mehr auf. Im Kontrast dazu
werden Veränderungen in den sogenannten ‚charakteristischen Anpassungen’ (z. B. Gewohnheiten, Einstellungen) vermutet. Diese Eigenschaften passen sich an soziale Anforderungen an und bilden damit ein Bindeglied zwischen den stabilen Big Five und der Umwelt.
Angesichts der oben geschilderten empirischen Ergebnisse ist diese Theorie in ihrer
strikten Auslegung nicht haltbar. Vielmehr kommt es in den stabilen Big Five auch noch im
höheren Alter zu maßgeblichen Veränderungen und diese können nicht auf intrinsische
Reifung zurückgeführt werden (Specht, Bleidorn et al. 2014).
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PERSÖNLICHKEITSENTWICKLUNG UND COACHING
Dem Wechselspiel zwischen genetisch determinierten Persönlichkeitseigenschaften
und Umwelterfahrungen trägt in besonderer Weise die Theorie der Gen-Umwelt-Effekte
(Scarr und McCartney 1983) Rechnung. So wird angenommen, dass Personen aufgrund
ihrer genetischen Veranlagung prädestiniert für bestimmte Umwelterfahrungen sind, die
sich dann wiederum auf die weitere Persönlichkeitsentwicklung auswirken können. Diese
Wirkmechanismen laufen vor allem auf drei Arten ab (siehe auch Plomin et al. 1977):
(a) passiv, das heißt indirekt über genetisch Verwandte wie etwa Eltern, die ihre
Kinder mit spezifischen Umweltsituationen konfrontieren (beispielsweise mit einem Klavier im Haushalt) und damit zu einer Assoziation zwischen genetischer Veranlagung (Musikalität) und Umwelterfahrung (Vorhandensein von Klavier) beitragen,
(b) evokativ, das heißt indem eine Person aufgrund ihrer genetischen Veranlagung
(beispielsweise hoher Intelligenz) spezifische Reaktionen in der Umwelt hervorruft (etwa
besonders gefördert wird), und
(c) aktiv, das heißt über eine Person selbst, die sich aufgrund ihrer genetisch bedingten Eigenschaften (beispielsweise Extraversion) in spezifische Umweltsituationen hineinselektiert (beispielsweise gesellige Situationen aufsucht anstatt diesen fernzubleiben). Insbesondere diesem letzten Wirkmechanismus kommt im Erwachsenenleben, auch im beruflichen Kontext, eine zentrale Bedeutung zu. Die Selbstselektion bei der Bewerbung in bestimmten Berufsfeldern oder auf bestimmte Karrierestufen ließe sich diesem aktiven
Wirkmechanismus zuordnen.
Tatsächlich zeigen mittlerweile viele Studien, dass ein beträchtlicher Teil der Erfahrungen einer Person durch ihre Persönlichkeit bestimmt sind. Diese Selektionseffekte beinhalten zum Beispiel die Beobachtung, dass extravertierte im Vergleich zu introvertierten
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PERSÖNLICHKEITSENTWICKLUNG UND COACHING
Menschen mit einer höheren Wahrscheinlichkeit international mobil sind (Zimmermann
und Neyer 2013) oder in den nächsten Jahren mit ihrem Partner zusammenziehen (Specht
et al. 2011). Kommt es in der Folge einer neuen Umwelt jedoch zu Veränderungen in der
Persönlichkeit, scheinen sie laut einer Zwillingsstudie jedoch zum Großteil nicht genetisch
determiniert zu sein (Kandler et al. 2012). Dies deutet darauf hin, dass Umweltsituationen
nicht den Zusammenhang zwischen genetischer Veranlagung und Persönlichkeit mediieren,
sondern dass Umwelteinflüsse die Persönlichkeitsentwicklung eigenständig beeinflussen
können.
Eine theoretische Perspektive, welche die Ursachen für Persönlichkeitsveränderungen auf biologische Einflussfaktoren und auf Umwelterfahrungen zurückführt, ist die neosozioanalytische Theorie von Roberts und Kollegen (z. B. Roberts und Wood 2006). Sieben Prinzipien liegen dieser Perspektive zugrunde: Das Prinzip der Reifung beschreibt die
durchschnittliche Entwicklung hin zu einer verträglicheren, gewissenhafteren und emotional stabileren Persönlichkeit. Das Prinzip der kumulativen Kontinuität nimmt an, dass die
Rangordnungsstabilität mit dem Alter ansteigt – eine Annahme die, wie oben erläutert, für
das hohe Alter mittlerweile widerlegt wurde.
Fünf weitere Prinzipien stellen Vermutungen darüber an, wodurch Veränderungen,
aber auch die hohe Stabilität der Persönlichkeit bedingt sein könnten. So geht das Prinzip
der Plastizität davon aus, dass sich Menschen über die gesamte Lebensspanne in Reaktion
auf die Umwelt verändern können, was im starken Kontrast zu der oben vorgestellten FünfFaktoren-Theorie steht. Veränderungen entstehen, so nimmt es das Prinzip der sozialen
Investitionen an, durch die Übernahme neuer sozialer Rollen (siehe auch Hormuth 1991).
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PERSÖNLICHKEITSENTWICKLUNG UND COACHING
Die Stabilität der Persönlichkeit wird durch stabile soziale Rollen (RollenKontinuitäts-Prinzip) und eine entwickelte Identität (Prinzip der Identitätsentwicklung)
gefördert, genauso wie über Erfahrungen, die Persönlichkeitseigenschaften betonen, die
überhaupt erst zu den Erfahrungen geführt haben (Korresponsivitätsprinzip).
Auf Basis dieser theoretischen Perspektiven lassen sich Erklärungen für die oben
dargestellten empirischen Befunde zu veränderungssensiblen Altersphasen ableiten: Die
Persönlichkeitsveränderungen im jungen Erwachsenenalter können, wenn auch nicht ausschließlich, sowohl auf intrinsische Reifungsprozesse (McCrae und Costa 2008) zurückgeführt werden, als auch auf Veränderungen in den sozialen Rollen, die typischerweise in
diesem Alter auftreten (Roberts und Wood 2006). Die wachsende Stabilität im mittleren
Erwachsenenalter spricht für eine Stagnation der intrinsischen Reifung (McCrae und Costa,
2008) und eine Abnahme neuer sozialer Rollen (Hutteman et al. 2014), die möglicherweise
durch eine bereits abgeschlossene Selektion in stabile soziale Rollen (Scarr und McCartney
1983) begünstigt wird. Das veränderungssensible höhere Alter, ein vergleichsweise neuer
empirischer Befund, lässt sich mithilfe der drei dargestellten theoretischen Perspektiven
jedoch nicht erklären und bedarf daher innovativer Erklärungsansätze (Specht, Bleidorn et
al. 2014).
Auf das Berufsleben und speziell auf das Coaching bezogen bedeutet dies, dass Persönlichkeitsmerkmale über das gesamte Arbeitsleben veränderbar sind und dass sich die
Persönlichkeit bei neuen Herausforderungen anpasst, sofern eine Person ein hohes Engagement zeigt. Gleichzeitig legt dies aber auch nahe, dass Persönlichkeitsmerkmale in ihrer
Ausprägung stabil bleiben, wenn Menschen kontinuierlich dieselbe berufliche Rolle einnehmen (Denissen et al. 2014).
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PERSÖNLICHKEITSENTWICKLUNG UND COACHING
Empirische Studien stimmen mit der Annahme überein, dass es sowohl genetische
Prädispositionen als auch diverse Lebenserfahrungen und Entwicklungsaufgaben sind, die
unsere Persönlichkeit prägen und weiter formen. Beispielsweise zeigen Zwillingsstudien,
dass sich die Unterschiede zwischen Menschen zu etwa gleichen Teilen durch genetische
Unterschiede zwischen diesen Personen erklären lassen als auch durch Unterschiede in den
Erfahrungen, die diese Personen gesammelt haben (Bleidorn et al. 2009).
Im Einklang mit den Prinzipien der neo-sozioanalytischen Theorie (Roberts und
Wood 2006) hat das Erleben von einschneidenden Lebensereignissen einen Einfluss darauf,
wie sich die Persönlichkeit entwickelt. So werden Menschen im Durchschnitt gewissenhafter, wenn sie ihren ersten Job annehmen (Specht et al. 2011). Da dieser Effekt unter Kontrolle des Alters der Personen besteht, lässt sich der Befund nicht (allein) mit der von der
Fünf-Faktoren-Theorie der Persönlichkeit postulierten Idee der intrinsischen Reifung erklären (McCrae und Costa 2008).
Persönlichkeitsentwicklung und Coaching
Die oben dargestellten Befunde zeigen, dass die Persönlichkeit über die gesamte
Lebensspanne veränderlich ist und dass diese Veränderungen zum Teil durch Einflüsse
angestoßen werden, die nicht in der Person liegen, sondern beispielsweise durch extern
ausgelöste Lebensereignisse. Für das Coaching stellt sich in diesem Zusammenhang die
Frage, inwiefern sich gewünschte Veränderungen der Persönlichkeit unterstützen lassen.
Gezielte Veränderung der Persönlichkeit
Eine naheliegende Strategie für die gezielte Veränderung von Persönlichkeitsmerkmalen liegt darin, die Umwelt zu verändern, beispielsweise berufliche Situationen gezielt
so auszuwählen oder zu verändern, dass sie Veränderungen in der Persönlichkeit provozie-
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PERSÖNLICHKEITSENTWICKLUNG UND COACHING
ren. Erhält eine Person beispielsweise positive Verstärkung für zuverlässiges berufliches
Verhalten, dann wird dies die Wahrscheinlichkeit für zukünftiges zuverlässiges Verhalten
erhöhen, was langfristig zu einer Veränderung der Gewissenhaftigkeit führen sollte
(Roberts und Jackson 2008). Ebenso bedeutet dies, dass eine exakte Passung zwischen einer Stellenbewerberin oder einem Stellenbewerber und einer Stelle im Vorhinein nicht
zwingend erforderlich ist, sondern dass sich die Personen nach dem Antritt der Stelle den
Erfordernissen entsprechend anpassen können. Eine aktive Persönlichkeitsentwicklung
vonseiten eines Mitarbeitenden kann auftreten, wenn sie oder er eine andere Stelle annimmt, sich an eine andere Niederlassung, beispielsweise in einen anderen Kulturkreis,
versetzen lässt oder Weiterbildungsangebote nutzt. Naheliegend ist, für solche möglichen
Veränderungen die Prozesse der Selbstreflexion und des Selbstvertrauens in Coachings zu
stärken und somit klären zu können, welche Veränderungen gewünscht sind und welche
Situationen geschaffen werden müssen, um diese Veränderungen zu provozieren (zu unerwünschten Veränderungen in diesem Zusammenhang, siehe Schermuly et al. 2014).
Kürzlich stellten Hudson und Fraley (im Druck) ein aussichtsreiches, coachingähnliches Verfahren zur gezielten Veränderung der Persönlichkeit vor. Erhielten die Probanden Unterstützung bei der Formulierung von Zielen bezüglich der Veränderung ihrer
Persönlichkeit, dann führte dies über einen Zeitraum von 16 Wochen tatsächlich zu Veränderungen im täglichen Verhalten und dem Selbstkonzept der Probanden.
Persönlichkeitsveränderungen mithilfe von Coachings scheinen auf Basis der hier
vorgestellten Befunde vielversprechend, wenn auch dies aufgrund lediglich vereinzelter
Befunde noch vorsichtig formuliert werden muss. In Anbetracht der Tatsache, dass Men-
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PERSÖNLICHKEITSENTWICKLUNG UND COACHING
schen besonders im jungen Alter und im höheren Alter sensibel für Veränderungen sind,
scheinen diese Altersphasen für gezieltes Coaching besonders geeignet zu sein.
Coaching im Kontext einer älter werdenden Arbeitnehmerschaft
Der steigende Anteil älterer Menschen in unserer heutigen Gesellschaft spiegelt sich
auch in der altersbezogenen Zusammensetzung der Arbeitnehmerschaft wider. Wie oben
dargestellt, zeichnen sich junge Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer durch eine hohe
Veränderungssensibilität in der Persönlichkeit aus und weisen im Durchschnitt eine hohe
Ausprägung in der Offenheit für Erfahrungen auf. Beides legt nahe, dass junge Erwachsene
besonders von Coachings profitieren können.
Mit steigendem Alter, zumindest bis Personen etwa 60 Jahre alt sind, sinken sowohl
die Veränderungssensibilität als auch die Offenheit für neue Erfahrungen. Coachings, deren
Zielgruppe das mittlere Erwachsenenalter umfasst, sollten dies berücksichtigen, beispielsweise indem verstärkt die Nützlichkeit der intendierten Veränderungen mit den Klienten
reflektiert wird.
Perspektiven für Coachings zur Persönlichkeitsentwicklung
Für eine Persönlichkeitsveränderung sind laut Hennecke und Kollegen (2014) drei
Voraussetzungen notwendig: Veränderungen müssen als (1) wünschenswert erachtet werden, diese müssen (2) für möglich gehalten werden und (3) in Verhaltensgewohnheiten
übersetzt werden. Ein Coaching kann das unterstützen, in dem es potentielle Veränderungswünsche bewusst macht und konkretisiert, zum Beispiel in konkrete Veränderungsziele übersetzt (Hudson und Fraley, im Druck). Ein Coaching kann Menschen darin unterstützen, die wahrgenommene Fähigkeit zur selbst-regulierten Persönlichkeitsentwicklung zu
stärken. Dies dürfte sich auch positiv auf die Selbstwirksamkeit der Personen auswirken,
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PERSÖNLICHKEITSENTWICKLUNG UND COACHING
einem Persönlichkeitsmerkmal, das mit zahlreichen positiven Konsequenzen assoziiert ist
(z. B. Infurna et al. 2013; Specht et al. 2013). Kommt es zu Veränderungen im Verhalten,
dann gilt es, diese im Coaching zu verstärken, um Verhaltensgewohnheiten und schließlich
Persönlichkeitsveränderungen anzustoßen.
So vielversprechend diese Möglichkeiten des Coachings für die Persönlichkeitsentwicklung auch sind, so klar muss festgestellt werden, dass wir bezüglich spezifischer Verfahren noch ganz am Anfang stehen. Offene Fragen bestehen dahingehend, welche Verfahren tatsächlich wirksam sind, welche Persönlichkeitseigenschaften sich bei welchen Personen verändern können und ob diese Veränderungen von Dauer sind (siehe Sander et al., in
Vorbereitung). Denkbar wäre auch, im Coaching nicht auf die Veränderung einzelner Persönlichkeitseigenschaften zu fokussieren, sondern stattdessen die intraindividuelle Variabilität in den Persönlichkeitszuständen zu erhöhen. Dies könnte die Fähigkeit für situationsspezifische Anpassungen von Personen erhöhen.
***
Eine Person wird weder zur Führungsperson geboren, noch ist sie von Geburt an für
spätere Führungsverantwortung ungeeignet. Wie Forschungsergebnisse aus dem Bereich
der Persönlichkeitsentwicklung zeigen, ist die Persönlichkeit zwar relativ stabil, aber nicht
in Stein gemeißelt und tatsächlich langfristig veränderlich. Dieses Veränderungspotential
legt nahe, dass nicht nur der Selektion, sondern auch der Weiterentwicklung einer Person
bei neuen Herausforderungen eine besondere Rolle zukommen sollte. Aktuelle Forschungsergebnisse im Bereich der Führungskräfteentwicklung (Specht und Holst, in Vorbereitung)
legen nahe, dass dieses Potential noch nicht ausgeschöpft wird.
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PERSÖNLICHKEITSENTWICKLUNG UND COACHING
Damit schließt sich an die derzeit hauptsächlich erforschten Fragen nach dem
‚wann’ und ‚warum’ von Persönlichkeitsveränderungen zukünftig das ‚wie’ an: Wie lässt
sich die Persönlichkeit an aktuelle berufliche und private Anforderungen anpassen und wie
kann Coaching so den Umgang mit schwierigen Situationen oder größeren Veränderungen
erleichtern?
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PERSÖNLICHKEITSENTWICKLUNG UND COACHING
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PERSÖNLICHKEITSENTWICKLUNG UND COACHING
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Tabelle 1
Entwicklungsverläufe der Persönlichkeit im Erwachsenenalter
Lebensphase
Veränderungen
allgemeine Veränderungssensibilität
Gewissenhaftigkeit ì
junges Erwachsenenalter
(18 bis 30 Jahre)
soziale Dominanz ì
Emotionale Stabilität ì
hoch
Offenheit für Erfahrungen î
Geselligkeit î
(30 bis 60 Jahre)
nur geringe allgemeine Veränderungen in der Persönlichkeit
hohes Erwachsenenalter
Verträglichkeit ì
(ab 60 Jahre)
Offenheit für Erfahrungen î
mittleres Erwachsenenalter
niedrig
hoch
Anm.: Siehe Text für weitere Informationen und Quellenangaben.