26.11.2015 Vorlesung Obligationenrecht Besonderer Teil Rechtsanwalt Prof. Dr. Arnold F. Rusch LL.M. Universität Zürich Leihe, Darlehen und Konsumkredit (KKG) 30. November 2015 «Wertpapierleihe» Ein Vermögensverwalter erhält von einem VW-Aktionär 100‘000 Volkswagen-Aktien für ein halbes Jahr gegen eine Gebühr von € 2‘000. Er verkauft die Aktien sofort. - Ist es eine Leihe? - Worauf spekuliert der Vermögensverwalter? Ein Vermögensverwalter erhält im Frühling/Sommer 2008 von einem VolkswagenAktionär 10‘000 Volkswagen-Aktien (damaliger Wert: € 150/Aktie) für ein halbes Jahr gegen Bezahlung von € 30‘000. Er verkauft die Aktien erlaubterweise sofort. • Wie qualifizieren Sie das Vertragsverhältnis zwischen dem Vermögensverwalter und dem Volkswagen-Aktionär? • Worauf spekuliert der Vermögensverwalter? Leihe, Miete, Darlehen, Schenkung, Hinterlegung, Nutzniessung Unterscheidungsmerkmale • • • • • Leihe ist immer unentgeltlich Leihe erfordert Rückgabe derselben Sache Leihe verschafft kein Eigentum Leihe verschafft ein Gebrauchsrecht Leihe verschafft nur obligatorische Rechte 1 26.11.2015 Rechte und Pflichten des Entlehners Diverse Fragen • Nur persönliches Gebrauchsrecht (OR 306) • Unterhalt/Fütterung (OR 307), Verweis in OR 307 II auf GoA (OR 422, bei unechter GoA Bereicherungsrecht oder OR 423); vorgängige Anzeigepflicht gem. OR 259a I; alternativ Verbesserungen OR 260a III/299 II/299b III analog • Rückgabepflicht (OR 305) • Viktor verleiht Edgar sein Fahrrad, dessen Bremsen höchst mangelhaft sind. • Viktor verleiht Edgar sein Fahrrad, doch gibt dieser es nach der Velotour nicht mehr zurück. • Viktor verleiht Edgar sein Fahrrad und sieht einen Tag später Elisabeth damit herumfahren. • Die Eigentümerin einer Villa lässt das lokale Blasorchester über Jahre hinweg kostenlos im Parterre musikalische Darbietungen proben. Am 1. Juli teilt die Eigentümerin dem Orchester mit, dass sie das Verhältnis auf den 1. Oktober 2015 beende, weil sie diese Räumlichkeiten inskünftig selber nutzen wolle (BGE 125 III 363 ff.). Rechte und Pflichten des Verleihers • Überlassungspflicht (OR 305) • Beendigung/Beendigungsrecht (OR 309 ff.) • Rückgabepflicht (OR 305) Darlehen Diverse Fragen • • • • • • Ein Vermögensverwalter erhält im Frühling/Sommer 2008 von einem Volkswagen-Aktionär 10‘000 Volkswagen-Aktien (damaliger Wert: € 150/Aktie) für ein halbes Jahr gegen Bezahlung von € 30‘000. Er verkauft die Aktien sofort. Was ist, wenn Volkswagen in der Zwischenzeit Konkurs anmelden muss? • Darleiher Daniel gewährt Borger Boris ein Darlehen über Fr. 50’000 zwecks Gründung einer Firma und Rückzahlung «sobald nach dem Geschäftsergebnis möglich» (BGE 76 II 144 ff.). • Darleiher Daniel gewährt Borger Boris ein Darlehen über Fr. 50’000 zwecks Gründung einer Einzelfirma und Rückzahlung innert sieben Jahren «zu 5% pa plus 15% des Reingewinns». Rückerstattung von Sachen gleicher Art und Menge Mit Eigentumsverschaffung Befristet und unbefristet möglich (OR 318) Mit oder ohne Zins möglich (OR 313) Geld- oder Sach- bzw. Naturaldarlehen 2 26.11.2015 Urteil BGer 4A_509/2010, E. 5.2 Urteil BGer 4C.214/2003 , E. 3.2 f. «Eine besondere Art von Darlehen, ein sogenanntes partiarisches Darlehen, liegt vor, wenn der Darleiher sich nicht oder nicht nur Zins versprechen lässt oder verspricht, sondern ausschliesslich oder zusätzlich eine Beteiligung am Gewinn oder am Verlust (…). Bedingt sich ein Geldgeber überdies Mitsprache- oder gar Mitwirkungsrechte bei der Geschäftstätigkeit aus, die über eine gewöhnliche Kontrolle hinausgehen, wie sie beim Darlehen üblich ist, liegt ein starkes Indiz für eine einfache Gesellschaft vor, gegebenenfalls in der Form einer stillen Gesellschaft, die nach aussen gar nicht als Gesellschaft in Erscheinung tritt (…). Ob eine Gesellschaft vorliegt, ist nach den gesamten Umständen des konkreten Falles zu beurteilen (…).» «Das Private Equity Geschäft bezeichnet ein Vorgehen, mit dem ein Investor die kurz- bis mittelfristige Risikokapitalfinanzierung eines nicht börsenkotierten Unternehmens übernimmt, wobei sein Bestreben zur Beendigung der Investition von vornherein feststeht (…). Angesichts der von Beginn an bloss befristeten Investition geht typischer Weise das Interesse des Investors auf eine möglichst hohe Rendite, während die Träger des Unternehmens an dessen langfristiger Entwicklung interessiert sind. Das mit den Interessen der unternehmerisch beteiligten Personen übereinstimmende Interesse des Investors an einer gedeihlichen Entwicklung des Unternehmens dient in erster Linie der Sicherung der befristeten Investition und Rendite.» «Als zentrales Rechtsverhältnis zwischen dem PrivateEquity-Investor und den andern Aktionären ist regelmässig der Aktionärbindungsvertrag anzusehen (…). Derartige Verträge können schuldrechtlich oder gesellschaftsrechtlich ausgestaltet sein (…). 3.3 Für das Private-Equity-Verhältnis erscheint die entgeltliche Finanzierung der unternehmerischen Tätigkeit der Gegenpartei durch einen Investor charakteristisch. Dies schliesst die Qualifikation des gesamten Vertragsverhältnisses sowie auch des - die "Exit"Bedingungen umfassenden - Aktionärbindungsvertrags als einfache Gesellschaft regelmässig aus. Auch wenn sich der Investor während der Dauer seiner Beteiligung Informations- und Mitspracherechte in der Unternehmung sichert und je nach Vertragsgestaltung an der Unternehmensführung mehr oder weniger intensiv teilhat, überwiegt insgesamt betrachtet das synallagmatische Austauschverhältnis..» Darleiher Daniel gewährt Borger Boris ein Darlehen über Fr. 100’000 unbefristet und zinsfrei. Er zahlt dieses am 19. Oktober 2005 aus. Am 19. Oktober 2015 will er das Darlehen zurück. Was ist heute (30. November 2015) zu tun? Darleiher Daniel gewährt Borger Boris ein Darlehen über Fr. 100’000 unbefristet und zinsfrei. Er zahlt dieses am 19. Oktober 2015 nicht wie verabredet aus. Was kann Boris tun? Was kann Daniel tun, wenn er die Summe auszahlen möchte, Boris diese aber nicht annimmt? 3 26.11.2015 Bundesgesetz über den Konsumkredit (KKG) Sachlicher Anwendungsbereich (Art. 1 KKG) • Gewerbliche Darleiherin: «Als Kreditgeberin gilt jede natürliche oder juristische Person, die gewerbsmässig Konsumkredite gewährt.» (Art. 2 KKG). • Natürliche Entlehnerin, privater Zweck: «Als Konsumentin oder Konsument gilt jede natürliche Person, die einen Konsumkreditvertrag zu einem Zweck abschliesst, der nicht ihrer beruflichen oder gewerblichen Tätigkeit zugerechnet werden kann.» (Art. 3 KKG). 1 Der Konsumkreditvertrag ist ein Vertrag, durch den eine kreditgebende Person (Kreditgeberin) einer Konsumentin oder einem Konsumenten einen Kredit in Form eines Zahlungsaufschubs, eines Darlehens oder einer ähnlichen Finanzierungshilfe gewährt oder zu gewähren verspricht. 2 Als Konsumkreditverträge gelten auch: a. Leasingverträge über bewegliche, dem privaten Gebrauch des Leasingnehmers dienende Sachen, die vorsehen, dass die vereinbarten Leasingraten erhöht werden, falls der Leasingvertrag vorzeitig aufgelöst wird; b. Kredit- und Kundenkarten sowie Überziehungskredite, wenn sie mit einer Kreditoption verbunden sind; als Kreditoption gilt die Möglichkeit, den Saldo einer Kreditoder Kundenkarte in Raten zu begleichen. Studentendarlehen? BGE 139 III 201 ff. Art. 17 KKG Vorzeitige Rückzahlung X schloss zur Finanzierung seines Studiums im September bzw. Oktober 2003 mit der Bank Y. einen Basisvertrag und einen "Bildung plus-Kreditvertrag" über eine Summe von Fr. 20'000.- ab. Der Kredit sollte gemäss Vereinbarung ausschliesslich der Finanzierung der mehrjährigen Hochschulausbildung dienen. Der Zins von 3,25 bzw. 3 % wurde gemäss Vertrag bis zum Ende der Ausbildung kapitalisiert. Im November 2004 wurde der Kredit auf Fr. 35'000.- und im Januar 2007 auf Fr. 37'000.- erhöht. Die Darlehensgeberin nahm unbestrittenermassen nie eine Kreditfähigkeitsprüfung nach den Regeln von Art. 28 des Bundesgesetzes vom 23. März 2001 über den Konsumkredit (KKG; SR 221.214.1) vor, verlangte aber vor der ersten Anhebung der Kreditlimite im Jahr 2004 ein detailliertes Budget. 1 Die Konsumentin oder der Konsument kann die Pflichten aus dem Konsumkreditvertrag vorzeitig erfüllen. 2 In diesem Fall besteht ein Anspruch auf Erlass der Zinsen und auf eine angemessene Ermässigung der Kosten, die auf die nicht beanspruchte Kreditdauer entfallen. 3 Der Leasingnehmer kann mit einer Frist von mindestens 30 Tagen auf Ende einer dreimonatigen Leasingdauer kündigen. Der Anspruch des Leasinggebers auf Entschädigung richtet sich nach der Tabelle gemäss Artikel 11 Absatz 2 Buchstabe g. 4 26.11.2015 Art. 7 KKG 1 Dieses Gesetz gilt nicht für: a. Kreditverträge oder Kreditversprechen, die direkt oder indirekt grundpfandgesichert sind; b. Kreditverträge oder Kreditversprechen, die durch hinterlegte bankübliche Sicherheiten oder durch ausreichende Vermögenswerte, welche die Konsumentin oder der Konsument bei der Kreditgeberin hält, gedeckt sind; c. Kredite, die zins- und gebührenfrei gewährt oder zur Verfügung gestellt werden; d. Kreditverträge, nach denen keine Zinsen in Rechnung gestellt werden, sofern die Konsumentin oder der Konsument sich bereit erklärt, den Kredit auf einmal zurückzuzahlen; Art. 7 KKG e. Verträge über Kredite von weniger als 500 Franken oder mehr als 80 000 Franken; f. Kreditverträge, nach denen die Konsumentin oder der Konsument den Kredit entweder innert höchstens drei Monaten oder in nicht mehr als vier Raten innert höchstens zwölf Monaten zurückzahlen muss; g. Verträge über die fortgesetzte Erbringung von Dienstleistungen oder Leistungen von Versorgungsbetrieben, nach denen die Konsumentin oder der Konsument berechtigt ist, während der Dauer der Erbringung Teilzahlungen zu leisten. 2 Der Bundesrat kann die Beträge gemäss Absatz 1 Buchstabe e den veränderten Verhältnissen anpassen.. Formvorschriften Weitere Elemente • Art. 9, 12, 13, 14, 15 KKG • Schriftlich, mit diversen zwingenden Angaben, unter Nichtigkeitsfolge. • Vorzeitige Rückzahlung möglich (Art. 17 KKG) • Erschwerter Rücktritt gemäss Art. 18 KKG • Einrede- und Einwendungsdurchgriff (Art. 21 KKG) Weitere Elemente • Widerrufsrecht gem. Art. 16 KKG innert 7 Tagen • Kreditfähigkeitsprüfung (Art. 22-32 KKG); bei schwerwiegender Verletzung Verlust des von Rückzahlung des Darlehens und aller Zinsen 5 26.11.2015 Art. 21 Mangelhafte Erfüllung des Erwerbsvertrags 1 Wer im Hinblick auf den Erwerb von Waren oder Dienstleistungen einen Konsumkreditvertrag mit einer anderen Person als dem Lieferanten abschliesst, kann gegenüber der Kreditgeberin alle Rechte geltend machen, die ihm gegenüber dem Lieferanten zustehen, wenn folgende Bedingungen erfüllt sind: a. Zwischen der Kreditgeberin und dem Lieferanten besteht eine Abmachung, wonach Kredite an Kunden dieses Lieferanten ausschliesslich von der Kreditgeberin gewährt werden. b. Die Konsumentin oder der Konsument erhält den Kredit im Rahmen dieser Abmachung. Art. 21 Mangelhafte Erfüllung des Erwerbsvertrags c. Die unter den Konsumkreditvertrag fallenden Waren oder Dienstleistungen werden nicht oder nur teilweise geliefert oder entsprechen nicht dem Liefervertrag. d. Die Konsumentin oder der Konsument hat die Rechte gegenüber dem Lieferanten erfolglos geltend gemacht. e. Der Betrag des betreffenden Einzelgeschäfts liegt über 500 Franken. 2 Der Bundesrat kann den Betrag gemäss Absatz 1 Buchstabe e den veränderten Verhältnissen anpassen. 6
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