Klartext gen Norden: Politische Forderungen an die Regierungen der Industrieländer und eine Fundamentalkritik an ihrer Wirtschaftsweise Ein erster Blick auf die Enzyklika Laudato Si und ein kurzer Kommentar von Bernhard Emunds (18.6., 15.15 Uhr) Drei zentrale Inhalte Eine zentrale Botschaft der Enzyklika „Laudato Si“ ist der enge Zusammenhang der Umwelt- mit der Gerechtigkeitsfrage. Die Natur stellt Papst Franziskus als ein „gemeinsames Haus“ vor, das die heute lebende Menschheit geschenkt bekommen hat und für dessen Zustand sie gemeinsam verantwortlich ist, weil sie es den kommenden Generationen übergeben wird. Immer wieder betont er aber auch, dass die meisten Schäden an diesem Haus auf die Lebens- und Produktionsweise der Reichen unter seinen Bewohnern zurückgehen, während es vor allem die Armen sind, die darunter zu leiden haben (vgl. u.a. 48, 93). Die Schieflage der Verteilung zwischen den Hauptverursachern und den Hauptleidtragenden der Umweltzerstörung problematisiert der Papst auf verschiedenen Ebenen: zwischen den Bewohnern verschiedener Stadtteile (45), zwischen den reichen und armen Bürgern/innen jeweils eines Landes (175) und vor allem zwischen verschiedenen Ländergruppen aufgrund der begrenzten Belastbarkeit der Biosphäre, insbesondere mit Blick auf die Belastung der Erdatmosphäre mit CO2 und anderen Treibhausgasen: „Wir wissen (…), dass es unmöglich ist, das gegenwärtige Konsumniveau der am meisten entwickelten Länder und der reichsten Gesellschaftsschichten aufrechtzuerhalten, wo die Gewohnheit zu verbrauchen und wegzuwerfen, eine nie dagewesen Stufe erreicht. Es sind bereits gewisse Höchstgrenzen der Ausbeutung des Planeten überschritten worden, ohne dass wir das Problem der Armut gelöst haben“ (27). Für Papst Franziskus ist es also eine kleine Minderheit der Weltbevölkerung, die ein nur für sie selbst vorteilhaftes Produktionsmodell durchsetzt und sich einen Lebensstil anmaßt, der mit seinen ökologischen Schäden der Mehrheit den Weg aus dem Elend verbaut. Weil „mächtige Länder schwer umweltschädliche Abfälle und Industrien in andere Länder abschieben“ (173), weil ihre Unternehmen in den Entwicklungsländern Rohstoffe so abbauen, dass die Umwelt schwer geschädigt wird, und vor allem weil sie seit der Industriellen Revolution schon so viele Treibhausgase in die Atmosphäre abgegeben haben, dass der globale Temperaturanstieg bereits eingesetzt hat, gibt es eine „ökologische Schuld“ (51) des Nordens gegenüber dem Süden. Diese wird in der Enzyklika eindrücklich der Auslandsverschuldung vieler armer Länder gegenübergestellt. Letztere habe man – so der Papst offenbar in Anspielung auf die Konditionalitätenpolitik des IWF – als ein Instrument genutzt, um diese Länder zu steuern, während die „ökologische Schuld“ der mächtigen Länder durch die Wirtschaftsbeziehungen zwischen Nord und Süd immer weiter wachse (52). Diese Sicht der ökologischen Krise durch eine Verteilungs- und Machtbrille legitimiert die zentrale politische Botschaft von Laudato Si, mit der sich der Papst offenbar an die Staatenvertreter/-innen Bernhard Emunds: Kommentar zur Enzyklika „Laudato Si“ 2 wendet, die sich Ende des Jahres in Paris zu einer weiteren UN-Klimakonferenz treffen werden. So drängt er nicht nur dazu, endlich zu verbindlichen internationalen Vereinbarungen zu kommen (165, 167, 169f.), sondern auch auf eine faire Verteilung jener Kosten, die mit der Umstellung der Energieversorgung von fossilen Kraftstoffen auf erneuerbare Energieträger verbunden ist. Da er in den Industrieländern die Hauptprofiteure der Industrialisierung und damit auch die Hauptverursacher des Klimawandels erkannt hat, seien sie auch „stärker dafür verantwortlich (…), zur Lösung der Probleme beizutragen, die sie verursacht haben“ (170, die Bolivianische Bischofskonferenz zitierend). So nimmt der Papst im Konflikt zwischen den Industrie- und den Entwicklungs- bzw. Schwellenländern eindeutig Stellung: Die Hauptlasten einer ökologischen Transformation des Energiesektors haben die Industrieländer zu tragen, während die „armen Länder notwendig der Ausrottung des Elends und der sozialen Entwicklung ihrer Bewohner den Vorrang einräumen“ (172) müssen. Zwar sieht er auch Verpflichtungen der Regierungen armer Länder (z.B. was das Konsumniveau der Eliten angeht; ebd.), betont aber vor allem die „Gefahr (…), dass den Ländern, die über weniger Mittel verfügen, schwerwiegende Verpflichtungen zur Reduzierung der Emissionen aufgebürdet werden, die denen der am stärksten industrialisierten Länder vergleichbar sind. Die Auferlegung dieser Maßnahmen beeinträchtigt die Länder, die am meisten der Entwicklung bedürfen. Auf diese Weise kommt im Gewand des Umweltschutzes eine neue Ungerechtigkeit hinzu. Wie immer trifft es die Schwächsten.“ Vor diesem Hintergrund plädiert der Papst für verlässliche dauerhafte Finanzhilfen der Industrieländer an arme Länder, die deren Fähigkeit, sich den Folgen des Klimawandels anzupassen, erhöhen und sie beim Aufbau erneuerbarer Energien unterstützen sollen (170, 172). Der Papst gibt seiner Aufforderung an die Industrieländer einen fundamentalkritischen Hintergrund; die heutige Art des Wirtschaftens, die vor allem von den mächtigen Ländern und von „bestimmten Machtgruppen“ (107) auf ihre eigenen Interessen ausgerichtet wird, stellt er grundsätzlich in Frage. Angesichts des Staatenwettbewerbs um Ausländische Direktinvestitionen und des Erstarkens z.B. der internationalen Finanzindustrie beklagt er einen „Machtschwund der Nationalstaaten“ (175), während er davor warnt, dass die Wirtschaft, die damit die „Vorherrschaft über die Politik“ (ebd.) gewinnt, einem „technokratischen Paradigma“ folgt. „Die Politik darf sich nicht der Wirtschaft unterwerfen, und diese darf sich nicht dem Diktat und dem effizienzorientierten Paradigma der Technokratie unterwerfen“ (189). Dem „technokratischen“ oder „techno-ökonomischen Paradigma“ ordnet der Papst ein Handeln von Technikern sowie vor allem von wirtschaftlichen und politischen Entscheidungsträgern zu, bei dem – mit Blick auf eigene materielle Interessen – Innovationen rücksichtslos immer weiter vorangetrieben werden. Wer von dem Paradigma geprägt ist, akzeptiert für das eigene Handeln keine eindeutigen ethischen Grenzen – nicht die unbedingt zu wahrende Würde der arbeitenden Menschen und anderer Betroffener und keine Schwellen für eine maximal vertretbare Umweltbelastung (117, 122f.: praktischer Relativismus). Um die Möglichkeiten privaten Konsums immer weiter auszudehnen und schnell Rendite machen zu können, wird die Ausplünderung der Natur immer weiter vorangetrieben (192). Nicht-menschliche Lebewesen werden nur noch unter dem Nützlichkeitsaspekt betrachtet und als zu beherrschende Objekte Bernhard Emunds: Kommentar zur Enzyklika „Laudato Si“ 3 wahrgenommen, nicht (mehr) in ihrem Eigenwert, nicht in ihrer Schönheit oder als etwas, das eingebunden ist in einen umfassenden Kosmos des Lebendigen. Unter dem Druck, zügig hohe Renditen zu erzielen, kommt es zu einer Beschleunigung des (Wirtschafts-)Lebens (vgl. u.a. 18), die für den Rhythmus der Natur, für ihre Regeneration und für das Bewahren und Pflegen wertvoller Bestände und bedrohter Arten keine Zeit lässt (190 u.ö.) Dem renditegetriebenen grenzenlosen Zugriff der Unternehmen auf die Natur in der Produktionsweise entspricht ein Lebensstil, den der Papst als Konsumismus und Wegwerfkultur kritisiert. Um hohe Renditen erzielen zu können, wird der Konsum immer weiter ausgedehnt, so dass zugleich auch die Berge von Müll und Abfall steigen. Vor diesem Hintergrund lehnt der Papst – offenbar für die Industrieländer – Vermittlungsversuche zwischen Wirtschaftswachstum und Ökologie als ungeeignete „Mittelweg“ ab; denn diese stellten „nur eine kleine Verzögerung des Zusammenbruchs“ (194) dar. Dabei „nimmt oft die wirkliche Lebensqualität der Menschen im Zusammenhang mit einem Wirtschaftswachstum ab, und zwar wegen der Zerstörung der Umwelt, wegen der niedrigen Qualität der eigenen Nahrungsmittel oder durch die Erschöpfung einiger Ressourcen. In diesem Rahmen pflegt sich die Rede vom nachhaltigen Wachstum in eine ablenkende und rechtfertigende Gegenrede zu verwandeln, die Werte der ökologischen Reflexion in Anspruch nimmt, sie aber in die Logik des Finanzwesens und der Technokratie eingliedert; die soziale und umweltbezogene corporate responsibility wird dann gewöhnlich auf eine Reihe von Aktionen zur Verbraucherforschung und Image-Pflege reduziert“ (ebd.). In Abgrenzung von falschen „Mittelwegen“ wird Papst Franziskus sogar überdeutlich: Er fordert ein Schrumpfen der Wirtschaft in den Ländern des Nordens: „Darum ist die Stunde gekommen, in einigen Teilen der Welt eine gewisse Rezession zu akzeptieren und Hilfen zu geben, damit in anderen Teilen ein gesunder Aufschwung stattfinden kann“ (193). Kritische Rückfragen Nun kann man bedauern, dass der Papst sich mit der Forderung nach einer Schrumpfung (einiger?) hoch entwickelter Ökonomien so eindeutig festgelegt. Schließlich bedarf es für die von ihm geforderte ökologische Transformation eines massiven Strukturwandels in den Volkswirtschaften des Nordens. Darin werden notgedrungen einige Branchen (Herstellung verträglicher Produkte, Reparaturbetriebe, öffentliche Dienstleistungen) wachsen, während andere – mit umweltschädlichen Produkten und Produktionsweisen – eher kleiner werden müssen. Ob die Summe dieser Prozesse zu einem steigenden oder einem fallenden Bruttoinlandsprodukt führt, ist folglich offen – und vielleicht auch nicht von so zentraler Bedeutung! Dennoch halte ich das päpstliche Plädoyer für Schrumpfung und – darüber hinaus – seine fundamentale Kritik an der heutigen Form des Wirtschaftens für ein legitimes Mittel, die Aufmerksamkeit auf grundlegende Fehler des Wirtschaftssystems und den Bedarf tiefgreifender Reformen zu lenken. Mit Blick auf dieses Ziel wäre es allerdings besser gewesen, wenn er seine Wirtschaftskritik durch eine Untersuchung jener Strukturen und Mechanismen vertieft hätte, die zu Bernhard Emunds: Kommentar zur Enzyklika „Laudato Si“ den von ihm völlig zu Recht skandalisierten ökologischen und sozialen Megaproblemen führen. Stattdessen schwächt er die Wirkung seiner – an sich starken und überzeugenden – politischen Botschaft an die Pariser Klimakonferenz dadurch, dass er seine Kritik des heutigen Wirtschaftens zu einer sehr allgemeinen Zivilisationskritik ausweitet. Zumindest in ihrer theologischen Wendung wird diese den meisten Nichtchristen fremd bleiben. Denn den Zugriff auf die Natur, der ausschließlich von Nützlichkeitserwägungen bestimmt ist, und die Naturzerstörungen werden in Laudato Si als Ausdruck der Sünde gedeutet. Diese gehe über das Verhältnis des Menschen zur nichtmenschlichen Natur, aber auch zu seinen Mitmenschen hinaus und gründe letztlich in einem gestörten Verhältnis zu Gott (66, vgl. 119). 4
© Copyright 2024 ExpyDoc