William Totok Von der Siguranta zur Securitate und von der Securitate zum S. R. I. Der bürgerliche rumänische Geheimdienst, Siguranta, hatte sich während der Zwischenkriegszeit als ein williges Werkzeug der jeweiligen politischen Regime erwiesen. Er diente in der kurzen Zeitspanne der parlamentarischen Demokratie - bis 1938 - fast ausschließlich dazu, Andersdenkende, das heißt in erster Linie Kommunisten und später auch Anhänger der faschistischen Legionäre “unschädlich” zu machen. Dabei bediente sich die Siguranta nicht immer legaler Methoden. Diejenigen, die in ihre Fänge gerieten, wurden keineswegs mit Handschuhen angefaßt. Während der Königs- und Antonescu-Diktatur agierte die Siguranta offen als eine politische Geheimpolizei, auf deren Konto Folterungen, Bespitzelungen, ja sogar Morde gehen. Eine historische Untersuchung über die Praktiken, Methoden und den tatsächlichen Aufgaben-bereich der Siguranta steht ebenso aus wie über die kom-munistische Nachfolgeorganisation Securitate, die 1948 gegründet wurde. Während des kurzen pseudodemokra-tischen Intermezzos von 1944 bis 1947, also in der Zeit nach dem Sturz Antonescus bis zur Abdankung des Königs, gab es vereinzelte Prozesse gegen ehemalige Siguranta-Offiziere.1 Der weitgehend intakt gebliebene Apparat geriet jedoch zunehmend unter die Kontrolle sowjetischer NKWD-Offiziere, die ihrerseits rumänische kommunistische Führungsfunktionäre, die mit der Roten Armee aus dem Exil aus der UdSSR zurückgekommen waren, in den Geheimdienst einschleusten. Dort besetzten sie nach und nach sämtliche Schlüsselpositionen. Einer davon war der spätere hohe Securitate-Offizier, der berüchtigte Nicolski2, auf dessen Konto unzählige Verbrechen gehen und der unter anderem auch für das unmenschliche Experiment im Gefängnis von Pitesti (1949 - 1952) verantwortlich ist. Die Umwandlung des alten Gendarmerie- und Polizeiapparates in die sogenannte Miliz erfolgte ebenfalls unter Aufsicht sowjetischer Berater, die nach Rumänien abkommandiert worden waren, um das Land in kürzester Zeit in eine “Volksdemokratie” zu verwandeln. Nach dem Sturz der prosowjetischen Gruppe Ana Pauker, Teohari Georgescu und Vasile Luca - 1952 - ernannte Parteichef Gheorghiu-Dej Alexandru Draghici zum neuen Innenminister. Draghici sollte das gegen den 1 2 3 Hauptrivalen des Parteichefs, dem ehemaligen Justizminister Lucretiu Patrascanu laufende, jedoch stagnierende Strafverfahren ankurbeln und durch einen Schauprozeß abschließen. Der Tod Stalins, im März 1953, änderte nichts am Vorhaben Gheorghiu-Dejs. Patrascanu wurde schließlich zum Tode verurteilt und 1954 hingerichtet. Inwiefern die Beziehungen zum KGB nach dem Abzug der sowjetischen Besatzungstruppen 1958 aufrechterhalten wurden, ist schwer zu sagen. Die Zusammenarbeit zwischen den anderen osteuropäischen Geheimdiensten funktionierte allerdings bis 1989 ebenso wie mit dem KGB, wobei anzunehmen ist, daß die Beziehungen wegen des von Bukarest eingeschlagenen “eigenständigen nationalen Kurses” wahrscheinlich abkühlten. Nach 1968 verschlechterten sich diese Beziehungen sowieso. Die Memoiren des prominenten Securitateüberläufers Ion Mihai Pacepa sind in diesem Zusammenhang nicht ernst zu nehmen. Viele von ihm in Umlauf gesetzte Behauptungen entsprechen nicht der Wahrheit und scheinen aus einem schlechten Krimi entlehnt worden zu sein.3 In den nun zugänglichen Stasi-Archiven wurden bislang keine einschlägigen Dokumente entdeckt, die eine Zusammenarbeit der Securitate mit dem Staatssicherheitsdienst der DDR nach 1968 belegen würden. Ein einziger spektakulärer Fall aus den 50er Jahren ist bekannt, bei dem die Stasi einen rumänischen Exilanten, der 1955 in den Terroranschlag auf die rumänische Botschaft in Bern verwickelt war, in Berlin verhaftete und an Bukarest auslieferte. Gelegentlich einer Ausstellung für Angehörige der Stasi wurde 1958 bislang noch nicht entdecktes Bildmaterial gezeigt, zu dem folgender Text fabriziert worden war: “Überschrift: Emigrantenorganisationen. Vorgang Beldeanu. Überschrift: Der Mörder von Bern ... in der DDR ohne Chance. Gesamttext: Am 31. 8. 1958 wurde im demokratischen Sektor von Groß-Berlin der Terrorist Oliviu Beldeanu von Angehörigen der Sicherheitsorgane der DDR nach Brechung bewaffneten Widerstandes festgenommen. Beldeanu war im Auftrag einer faschistischen Emigrantenorganisationen, die ihren Hauptsitz in New York hat, nach Berlin gekommen, um die Chancen für konterrevolutionäre Provokationen nach dem Muster des Berner Mordüberfalls auf Virgil Ierunca berichtet in seinem Buch “Fenomenul Pitesti” (“Das Pitesti-Phänomen”), Bukarest 1990, über die rumänische Gesandteinen gewissen Oberst Sepeanu, einen Stellvertreter des gefürchteten Securitatechefs Nicolski, der während des schaft vom Februar 1955 Rußlandfeldzuges eigenhändig Kommunisten erschossen haben soll. Kurz nach seiner Verurteilung wurde er zu erkunden. Die faschiallerdings rehabilitiert und zeigte sich deswegen den neuen Behörden gegenüber besonders erkenntlich (S. 20). stische EmigrantenAlexandru Serghievici Nicolski (alias Stefanescu; alias Boris Grumberg), geboren am 21. 6. 1914 oder am organisation 'Freies Ru2. 6. 1915 in Tiraspol, gestorben 1992 - einige Tage, bevor er sich am 17. 4. 1992 bei der Staatsanwaltschaft hätte präsentieren müssen, die ein Strafverfahren gegen ihn eröffnen wollte. Er wurde 1941 als sowjetischer Spion mänien' in deren Dienverhaftet und dafür, am 7. 7. 1941, zu einer lebenslänglichen Gefängnisstrafe verurteilt. Am 20. 8. 1944 wurde sten Beldeanu stand, wird er aus der Haft entlassen. Im April 1945 wurde er zum Stellvertretenden Direktor in der Generaldirektion der vom US-Geheimdienst Polizei ernannt; später leitete er die Detektei (corpul detictivilor), um dann Generalinspekteur der Polizeidirektion angeleitet; ihre Verbrezu werden. Am 1. 9. 1948 Stellvertretender Generaldirektor in der Generaldirektion der Volkssicherheit chen gegen die sozialisti(Securitatea Statului), ab 1953 Generalleutnant und Generalsekretär im Innenministerium. 1959 absolvierte er schen Staaten werden aus die Wirtschaftsakademie. - Die Daten stammen aus einem Artikel (“A murit o fiara”) von Constantin Ticu dem 100-Millionen-DolDumitrescu, dem Vorsitzenden der Vereinigung ehemaliger politischer Häftlinge (seit 1992 Senator im rumänischen Parlament): “Rezistenta, Marturii si atitudini anticomuniste”, Nr. 5/1992, (Bukarest), S. 5. lar-Fonds der amerikaniWeniger aufschlußreich ist der Artikel von Nicolae Grebenea “Nicolsi”, in: “Din documentele rezistentei”, schen Regierung finanNr. 5/1992, S. 44-47. ziert.” Vergleiche: Ion Mihai Pacepa: “Orizonturi rosii” (“Rote Horizonte”), New York 1988. Themen 43 Es folgen weitere Bildbeschriftungen, aus denen er- ihm auch im Ausland die Aura eines vom Moskauer Kurs sichtlich wird, wie und unter welchen Umständen Beldeanu unabhängigen Ostblockpotentaten. verhaftet wurde: Seine Unberechenbarkeit, die systematischen Men“14. Februar 1955 in Bern...”; / “Die Bande, die den schenrechtsverletzungen, seine demographische WahnÜberfall auf die rumänische Gesandtschaft verübte (1. v. sinnspolitik und später seine paranoide Systematisier. Beldeanu)”; / “So hausten sie in Bern”; / “Ihr Opfer: rungskampagne wurden in ihrer ganzen Tragweite erst Aurel Setu”; / “26. August 1958 in München...”; / Ende der 80er Jahre im Westen registriert. “Bedeanu (2. v. rechts) im Kreise faschistischer EmigranDie vorsichtige Liberalisierung, die Ceausescus Vorten in München vor seiner Abreise nach Berlin”; / gänger durch die spektakuläre Unabhängigkeitserklärung “31. August in Berlin...”; / “Beldeanu widersetzt sich und die Freilassung der politischen Gefangenen 1964 einer Personenkontrolle mit Waffengewalt”; / “Hier, in einleitete, setzte er eigentlich fort. Der blutige Terror des Berlin-Mitte, Leipziger-, Ecke Wilhelmstraße wurde der vorangehenden Regimes wurde nun zunehmend durch Terrorist Beldeanu festgenommen.”4 einen selektiven, eher psychologischen Terror ersetzt. Bei Als im Herbst 1989 zahlreiche Stasiakten nach Buka- diesem raffiniert ausgeklügelten Szenario mischte selbstrest gebracht worden sein sollen, dementierte das “Neue verständlich der Sicherheitsdienst Securitate mit, der nun Deutschland” jegliche Beziehungen zum Geheimdienst in die Hände “national” gesinnter jüngerer Kader überdes Bruderlandes: “Weder das ehemalige Ministerium für ging. Die kollektive Erinnerung an die brutale Repression Staatssicherheit noch das aufgelöste Amt für Nationale aus der Gheorghiu-Dej-Zeit wirkte sich prophylaktisch in Sicherheit” haben, so das ostdeutsche Parteiblatt, “jemals breiten Kreisen der Bevölkerung aus. Gerade deshalb gab Beziehungen zum rumänischen Geheimdienst unterhal- es während der Ceausescu-Diktatur kaum politische Häftlinge, und wenn tatsächlich Leute wegen irgendwelcher ten.”5 Ceausescu versuchte nach 1965 mit allen Mitteln, sei- politischer Delikte verurteilt wurden, zum Beispiel wegen ne eigene Macht zu stabilisieren. Die Abrechnung mit sogenannter “antisozialistischer Propaganda”10, dann hanseinem Vorgänger lief darauf hinaus, jegliche Opposition delte es sich zumeist um pure Abschreckungs- und Eininnerhalb des Politbüros zu neutralisieren. Alexandru schüchterungsverfahren. Ähnlich wie in der restaurativen Draghici beispielsweise blieb an der Spitze des Innen- Breshnew-Ära wurden potentielle Systemgegner eher zur ministeriums bis 1968, als ihn Ceausescu aus diesem Amt Auswanderung gezwungen. Der Fall des bekanntesten mit der Begründung entfernte, er habe sich schwerwie- rumänischen Dissidenten Paul Goma11 ist in diesem Zugender “Mißbräuche und Verletzungen der Partei- sammenhang bezeichnend. Seit 1977 lebt er in Paris und demokratie” schuldig gemacht und “seine Hände mit dem weigert sich auch nach der Wende, in seine Heimat zuBlut Pa-trascanus und anderer Partei- und Staatsfunktio- rückzukehren. Über die Ceausescu-Zeit und die subtilen sowie brutanäre be-sudelt”6. Ceausescu erließ damals die Verfügung, die früheren hohen Parteifunktionäre Foris, Patrascanu, len Methoden des Sicherheitsdienstes wurde viel geLuca u.a. zu rehabilitieren. Obwohl er “Alexandru Draghici schrieben. Eine wissenschaftliche Untersuchung steht als Organisator und Vollstrecker dieser verbrecherischen nach wie vor aus. Aktionen” und Gheorghiu Dej, “der diese Aktionen angeDer Sturz des Regimes im Dezember 1989 veränderte regt und patroniert hat”7, offiziell der erwähnten Verbre- nicht nur die politische Landschaft Rumäniens, sondern chen beschuldigte, und sogar eine Untersuchung “der auch den ehemaligen Geheimdienst Securitate, von dem Tätigkeit jener Genossen, die beim Sicherheitsdienst ge- es in zahlreichen mystifizierenden Berichten12 heißt, er arbeitet haben”, anordnete, erhielt beispielsweise Nicol- habe eigentlich die Wende ausgelöst. ski noch 1971 eine hohe Verdienstmedaille, Draghici Beim Prozeß und bei der überstürzten Hinrichtung des hingegen durfte ungeschoren seine Pension verzehren. Diktatorenehepaares am 25. Dezember 1989 war auch ein Mit großem propagandistischen Aufwand versprach Unbekannter dabei, dessen Namen kaum jemand in RuCeausescu damals: mänien kannte. Es handelt sich um Virgil Magureanu, “Es ist wahr, Genossen, daß dies einer vergangenen Lehrer an der Bukarester Parteiakademie “Stefan GheorZeit angehört; aber es ist notwendig, darüber jetzt zu ghiu” und Angehöriger der Securitate. Eine der ersten sprechen, weil es schwere Schäden hervorgerufen hat und Maßnahmen der Übergangsregierung war die offizielle weil wir gewährleisten müssen, daß sich dergleichen nie Auflösung der verhaßten Securitate, deren Chef, General mehr wiederholen kann.”9 Iulian Vlad, verhaftet wurde. Die Archive des GeheimTatsächlich wurden in den nächsten Monaten auch dienstes wurden der Armee übergeben, um sie, so die zahlreiche andere frühere politische Häftlinge reha- 4 Einzelblatt Privatarchiv. Über die Berner Affäre gibt es einen Bericht von Magda Neuweiler: “Zwischen Galgen und Kreuz. Das Leben des rumänischen Freiheitskämpfers Oliviu Beldeanu”, Verlag SOI, Bern 1979. bilitiert. Was sich vor den 5 “Neues Deutschland” vom 28. 12. 1989. Augen der Öffentlichkeit 6 Nicolae Ceausescu: “Rede auf der Versammlung des Parteiaktivs des Munizipiums Bukarest, 1968 abspielte, verwan26. April 1968”; in: Derselbe: “Rumänien auf dem Weg der Vollendung des sozialistischen Aufbaus. Bericht, delte Ceausescu schlagarReden, Artikel, Januar 1968 - März 1969”, Bukarest 1968, S. 200 f. tig in einen Hoffnungs- 7 Ebenda, S. 203. träger der “sozialistischen 8 Ebenda, S. 207. Demokratie”. Der geniale 9 Ebenda, S. 208. politische Taschenspie- 10 Laut § 166 StGB. 11 Vergleiche: Paul Goma: “Culorile curcubeului ’77", Bucuresti 1990. lertrick, der darin gipfel- 12 Siehe unter anderem: Antonia Rados: “Die Verschwörung der Securitate. Rumäniens verratene Revolution”, te, keine rumänischen Hamburg 1990; Hans Vastag, György Mandics, Manfred Engelmann: “Temeswar. Symbol der Freiheit”, Truppen in die reformiMünchen 1992; Roland Vasilievici: “Piramida umbrelor”, Timisoara 1991; Filip Teodorescu: “Und risc stische Tschechoslowakei asumat. Timisoara decembrie 1989”, Bucuresti 1992; Radu Portocala: “Autopsie du Coup d’état Roumain. Au pays du mensonge triomphant”, Calmann-Lévy 1990. zu entsenden, verschaffte Themen 44 nu ernannt. Als Gegenreaktion gründete ein insbesondere durch seine journalistische Aggressivität14 aufgefallener Redakteur der oppositionellen Zeitung “România libera” (Freies Rumänien), Sorin Rosca-Stanescu, die Antisecuritateorganisation “Patriot”. Diese Organisation forderte in erster Linie eine juristische Abrechnung mit den Würdenträgern des alten Regimes, ähnlich wie sie im vielleicht wichtigsten nachrevolutionären Dokument, der sogenannten “Temeswarer Proklamation”15 (vom 11. 3. 1990) verlangt wurde. Im nachhinein stellte sich heraus, daß der Gründer und Vorsitzende der Organisation “Patriot”, Rosca-Stanescu, seit Jahren als IM der Securitate tätig war. Seither ist es still geworden um diese Gruppe. Stenescu wurde als Redakteur der “România libera” entlassen und erhielt 1992 eine Anstellung bei der auflagenstarken Boulevardzeitung “Evenimentul zilei”. Zusammen mit ihm wurde ein weiterer IM aus der Redaktion entfernt. Brisante Akten aus dem unzugänglichen Securitatearchiv tauchten in der Folgezeit immer wieder auf und wurden sowohl in der regierungsfreundlichen als auch in der Oppositionspresse veröffentlicht. So oft der altneue Geheimdienst ein Interesse daran hatte, die eine oder andere Person unschädlich zu machen, tauchten derartige kompromittierende Dokumente auf, die den verschiedenen Redaktionen zugespielt wurden. Einzig und allein zwei hohe Vertreter der neuen Macht hatten im Dezember 1989 ihre Securitatedossiers in Sicherheit gebracht: Silviu Brucan, die graue Eminenz der damaligen Regierung, und Vizepremier Gelu Voican Voiculescu. Bislang hat keine einzige offizielle Persönlichkeit - weder aus der Regierung, noch aus dem Parlament und schon längt nicht aus dem Bereich der Kultur oder der Presse - über frühere Kontakte zur Securitate berichtet. Einzig und allein der derzeitige Parlamentsabgeordnete Alexandru Paleologu, bis 1990 Übergangsbotschafter in Paris, gab selbstkritisch derartige Kontakte, zu denen er nach seiner Entlassung aus dem Gefängnis in den 60er Jahren gezwungen worden war, zu. 1991 versuchte der Abgeordnete der Regierungspartei, Claudiu Iordache, ein Revolutionär der ersten Stunde aus Temeswar, dem Parlament einen Antrag vorzulegen, wonach jeder Parlamentarier auf eventuelle Kontakte mit der Securitate überprüft werden sollte. Sein Antrag verVirgil Magureanu schwand spurlos. Seit 1992 amtiert ein neugewähltes Parsten Securitate früher nie durch eine besondere regime- lament. Iordache selbst hatte, nach schweren Auseinanderkritische Haltung aufgefallen waren. Im Gegenteil. Der setzungen mit seinen Parteikollegen, die inzwischen in zwei lautstarke Sprecher der Temeswarer Gruppe forderte mit Gruppierungen aufgesplitterte Organisation verlassen und der Begründung, den sozialen Frieden nicht gefährden zu auf eine weitere Kandidatur verzichtet. Kürzlich griff der wollen, die vollständige Vernichtung der Spitzelberichte. Vorsitzende der Vereinigung ehemaliger politischer HäftNach den blutigen ungarisch-rumänischen Ausschrei- linge aus Rumänien, der als Abgeordneter des Oppositionstungen im März 1990 in Târgu Mures, gab die Regierung blocks, dem Demokratischen Konvent, im Parlament sitzt, die Gründung des neuen Geheimdienstes unter dem Na- den Vorschlag Iordaches auf und versuchte erneut, eine men Rumänischer Nachrichtendienst (S. R. I.)13 bekannt. Durchleuchtung der Parlamentarier sowie der Beamten aus Zum Chef dieses zu 60 Prozent aus alten Securitate-Offi- dem öffentlichen Dienst durchzusetzen. Er forderte ferner zieren bestehenden Geheimdienstes wurde Virgil Magurea- eine Veröffentlichung der Namen aller Securitateinformanten.16 Ein derartiges Unterfangen ist bei der jetzigen Rechtslage 13 Vergleiche: William Totok: “Fassadensäuberung á la Iliescu. Der alte Geheimdienst Securitate funktioniert wieder im posttotalitären Rumänien”; in: “die andere”, Nr. 14/1991, S. 8-9. eigentlich aussichtslos, 14 Er gehörte vor allem wegen seiner aufsehenerregenden Enthüllungsartikel zu den gefürchteten Journalisten der nachdem das Parlament Nachwendezeit; es scheint, daß er bei der Enttarnung des Bukarester römisch-katholischen Vikars Blasutti, der ein Gesetz verabschiedet als Einflußagent in der Vergangenheit bestimmte heikle, den Vatikan betreffende Aufträge auszuführen hatte, hatte, wonach die Secumitbeteiligt war. Die Ergebnisse der Recherchen im Fall Blasutti veröffentlichte allerdings Petro Mihai Bacanu ritatearchive in den nächin “România lebera” vom 9. 1. 1992. sten 40 Jahren geschlos15 Gekürzter Wortlaut veröffentlicht in: “Osteuropa-Forum-aktuell”, Nr. 27 / Mai 1990, S. 8. sen bleiben. Der Sprecher 16 BBC-Meldung vom 3. 11. 1993. halboffizielle Begründung, vor Unbefugten in Sicherheit zu bringen. Verschiedene Bürgerrechtsbewegungen, darunter eine Temeswarer Gruppe zur Auflösung der Stasi, gebildet nach DDR-Vorbild, versuchte vergeblich, im März 1990 an die gut versteckten Archive heranzukommen. In dem damals herrschenden Wirrwarr machte sich kaum jemand Gedanken darüber, daß die eifrigsten Gegner der aufgelö- Themen 45 stoff gesorgt hatten. Konsequenzen daraus hat niemand gezogen. Der für den Nachrichtendienst zuständige parlamentarische Kontrollausschuß konnte bislang noch nicht einmal Magureanu zu einem klaren Bericht über Geheimdienstaktivitäten bewegen. Sein Bericht und die folgende Anhörung im Parlament waren alles andere als aufschlußreich, stellenweise sogar lächerlich. Unter anderem erklärte er, es gebe in Rumänien weitere sechs20 unabhängig voneinander funktionierende Geheimdienste, die der Rumänische Nachrichtendienst nicht kontrollieren könne und schon längst nicht der parlamentarische Kontrollausschuß. Anläßlich einer Anhörung im Parlament wich Magureanu jedoch allen Fragen der Kommission geschickt aus. Seit nunmehr vier Jahren tappt die rumänische Öffentlichkeit im Ungewissen, wenn es um die Aufklärung der Revolutionswirren geht, als sogenannte Terroristen das Feuer eröffnet haben, um die Aufklärung des Bergarbeitereinsatzes im Juni 1990, der Ereignisse im September 1991, als das Roman-Kabinett zum Rücktritt gezwungen wurde, um die oben erwähnte Aktenvernichtungsaktion 1991 und so weiter und so fort.21 Der von verschiedenen Bürgerrechtsbewegungen geforderte “Prozeß des Kommunismus” stockt. Die Würdenträger des alten Regimes blieben bis jetzt ebenso ungeschoren wie die Verbrecher der alten Securitate, die im Laufe der Jahrzehnte unzählige Menschen ermordet hatten. (Abgesehen von den nach dem Sturz Ceaussescus organisierten Schauprozessen22 gegen einige Mitglieder des ehemaligen Politischen Exekutivkomitees und gegen einige hohe Securitateoffiziere, hat es bisher kein einziges Verfahren gegen weitere Schuldige gegeben.) Auf Druck der erwähnten Bürgerrechtsbewegungen und der Vereinigung ehemaliger politischer Häftlinge leitete die Staatsanwaltschaft schließlich ein Ermittlungsverfahren gegen Nicolski und den früheren Innenminister Alexandru Draghici ein. Nicolski starb, noch bevor er sich bei der Staatsanwaltschaft melden konnte, Draghici setzte sich nach Ungarn ab, wo er ungestört lebt, da die ungarischen Behörden seine Auslieferung an Rumänien verweigern.23 Ein wichtiger postrevolutionärer Prozeß fand trotz dieser Hürden statt, und zwar gegen die Schuldigen für ein blutiges Massaker 1981. Damals versuchten einige junge Leute, einen Bus zu entführen und die Reisenden als Geiseln in ihre Gewalt zu bringen und dadurch ihre Ausreise zu erzwingen. Die meisten Busreisenden wurden bei der Erstürmung durch Securitateleute niedergemetzelt.24 Die Verantwortlichen - darunter der ehemalige CeausescuInnenminister George Homosteanu und der damalige Securitatechef von Temeswar, Mortoi - wurden für diese Ion Iliescu des Rumänischen Nachrichtendienstes, Nicole Ulieru, vor der Wende Mitarbeiter eines als inoffizielles Sprachrohr der Securitate bekannten Wochenblatts, das seit 1990 als Zentralorgan der extrem-nationalistischen großrumänischen Partei17 erscheint, erklärte in einem Interview, er sei kategorisch gegen eine Veröffentlichung der IM-Listen. “Ein Nachrichtendienst ohne Informationen”, sagte er, “ist wie ein Mensch ohne seine rechte Hand. Informanten gibt es seit Menschengedenken. Eine Veröffentlichung dieser Listen würde sich negativ auf unsere jetzigen Informanten ausüben, aber auch auf die früheren Informanten.” Gleichzeitig meinte jedoch derselbe Pressesprecher, daß Einzelpersonen den Zugang zu den eigenen Akten ermöglicht werden sollte. Dies würde bloß durch die jetzige Gesetzeslage verhindert, fügte er abschließend hinzu.18 Trotz derartiger scheinheiliger Stellungnahmen seitens des neuen Geheimdienstes hat sich in der Nachwende-zeit in diesem Bereich keinerlei Transparenz bemerkbar gemacht. Im Gegenteil. Die unter dem Trauma der Securitatevergangenheit leidende rumänische Öffentlichkeit wurde im Sommer 1991 mit 17 “Saptamîna” (“Die Woche”); erscheint seit 1990 unter dem Namen “România Mare” (“Groß-Rumänien”) und wird vom Chef der großrumänischen Partei, Corneliu Vadim Tudor, herausgegeben. der Tatsache konfrontiert, 18 “România libera”, 13. 11. 1993, S. 3. daß Angehörige des Nach- 19 Vergleiche unter anderem: Boris Kalnoky: “Rumäniens Watergate begann im Wald von Berevoiesti”; in: “Die richten dienstes tonnenWelt”, 4. 6. 1991, S. 3. weise alte Akten zu ver- 20 Den Nachrichtendienst (1) des Innenministeriums, (2) des Justizministeriums, (3) des Wach- und Protokolldienstes, (4) des (????.....), (5) des Verteidigungsministeriums und (6) des Außenministeriums. Vergleiche “România nichten versuchten. Dalibera”, 13. 10. 1993, S. 3. mals entdeckte die Presse die verkohlten und durch- 21 Mehr dazu in: “România libera”, 13. 10. 1993, S. 3. näßten Reste hochbrisan- 22 Vergleiche dazu: Rudolf Herbert: “Geschichtsverweigerung oder die Kunst der Verdrängung”; in: “Halbjahresschrift für südosteuropäische Geschichte, Literatur und Politik”, Heft 2/1992, S. 27-43, und: Doru ter Dossiers19, die danach Pavel: “Procesul CPEx” (“Der Prozeß der Mitglieder des Politischen Exekutivkomitees”), Bukarest 1993. wochenlang in den Zei- 23 Vergleiche: S. Alexa: “Cazul Draghici: Justitie sau farsa?” (“Der Fall Draghici: Justiz oder Farce?”); in: tungen veröffentlicht wur“Gazeta de Mures”, Nr. 9 (69), 28. 6. - 4. 7. 1993, S. 3. den und für Diskussions- 24 Unter anderem RFE-Bericht vom 9. 2. 1993. Themen 46 beispiellose Aktion im Laufe dieses Jahres zu langjährigen Gefängnisstrafen verurteilt. Angesichts dieser Situation ist es kein Wunder, daß restaurative Organisationen ungehindert in Erscheinung treten. Die Nachricht von der Gründung des “Komitees zur Pflege der Erinnerung an Nicolae Ceausescu” im März 199325 hört sich wie ein schlechter Witz an. In Rumänien sind jedoch Witze immer bittere Realität. Die meisten nach der Revolution verurteilten Securitateleute sind inzwischen wieder frei. Zwei bezeichnende Beispiele seien hier genannt: Der frühere Vizesecuritatechef aus Temeswar, Major Radu Tinu, und Securitatehauptmann Valentin Ciuca, ebenfalls aus Temeswar. Beide waren maßgeblich an den blutigen Auseinandersetzungen während des Temeswarer Aufstandes im Dezember 1989 beteiligt. Heute sind sie erfolgreiche Unternehmer, die in Temeswar die Import-Export-Firma “Trival Impex GmbH” leiten.26 Andere, frühere Securitateleute sitzen heute als Abgeordnete im rumänischen Parlament, so beispielsweise der bis 1985 amtierende Securitatechef aus der Stadt Reschitza, Stefan David27, der in den 50er Jahren eigenhändig Häftlinge gefoltert hatte. Als Kandidat der KP-Nachfolgeorganisation, der sogenannten Sozialistischen Partei der Arbeit, erhielt er einen Sitz als Senator und erfreut sich somit parlamentarischer Immunität. 25 RFE-Meldung, 15. 3. 1993. 26 “România libera”, 25. 9. 1993, S. 16. 27 “România libera”, 13. 10. 1993, S. 3. William Totok, rumäniendeutscher Autor, wurde 1951 im Banat geboren; 1975/76 saß er wegen “staatsfeindlicher Hetze” im Gefängnis; seit 1987 lebt er in BerlinWest; er veröffentlichte den autobiographischen Essay “Die Zwänge der Erinnerung” (Hamburg 1988); er brachte mehrere Bücher heraus und ist zur Zeit Mitherausgeber der “Halbjahresschrift für südosteuropäische Geschichte, Literatur und Politik”. Annonce Zu Totalitarismustheorien Totalitarismustheorien, die eine Vergleichbarkeit, ja Gleichartigkeit von faschistischen und kommunistischen Regimen behaupten, sind umstritten und konnten bisher durch die empirische Forschung nicht bestätigt werden. Kommunistische und faschistische Staaten unterscheiden sich einmal im Hinblick auf ihre sozioökonomische Basis: Im Dritten Reich war die Wirtschaft nicht verstaatlicht. Sie unterscheiden sich ferner im Hinblick auf den staatlichen Aufbau und schließlich und vor allem im Hinblick auf die ideologischen Zielsetzungen: Der marxistischen Klassenideologie steht die faschistische Rassenideologie und Rassenvernichtung gegenüber. Damit kann und soll natürlich nicht der stalinistische Terror in irgendeiner Weise relativiert werden. Andererseits finde ich es mehr als fragwürdig, wenn die DDR nach ihrem Untergang mit dem Dritten Reich verglichen und gleichgesetzt wird. Damit wird die DDR dämonisiert und das Dritte Reich verharmlost. (Prof. Dr. Wolfgang Wippermann, Professor für Neue Geschichte an der FU Berlin) In unserem Heft 10 veröffentlichten wir ein Zitat von Hans Schwenke und verbanden das mit der Bitte an unsere Leserinnen und Leser, darüber zu diskutieren. Diesmal drucken wir ein weiteres Zitat zu diesem Themenkomplex ab, das eine andere Meinung als die des ersten Zitates zum Ausdruck bringt. Hoffentlich ist das für viele ein zusätzlicher Anlaß, sich an der angestrebten Diskussion in “Horch und Guck” zu beteiligen. Themen / Das Zitat 47
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