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William Totok
Von der Siguranta zur Securitate und von
der Securitate zum S. R. I.
Der bürgerliche rumänische Geheimdienst, Siguranta,
hatte sich während der Zwischenkriegszeit als ein williges
Werkzeug der jeweiligen politischen Regime erwiesen. Er
diente in der kurzen Zeitspanne der parlamentarischen
Demokratie - bis 1938 - fast ausschließlich dazu, Andersdenkende, das heißt in erster Linie Kommunisten und
später auch Anhänger der faschistischen Legionäre “unschädlich” zu machen. Dabei bediente sich die Siguranta
nicht immer legaler Methoden. Diejenigen, die in ihre
Fänge gerieten, wurden keineswegs mit Handschuhen
angefaßt. Während der Königs- und Antonescu-Diktatur
agierte die Siguranta offen als eine politische Geheimpolizei, auf deren Konto Folterungen, Bespitzelungen, ja
sogar Morde gehen. Eine historische Untersuchung über
die Praktiken, Methoden und den tatsächlichen Aufgaben-bereich der Siguranta steht ebenso aus wie über die
kom-munistische Nachfolgeorganisation Securitate, die
1948 gegründet wurde. Während des kurzen
pseudodemokra-tischen Intermezzos von 1944 bis 1947,
also in der Zeit nach dem Sturz Antonescus bis zur Abdankung des Königs, gab es vereinzelte Prozesse gegen ehemalige Siguranta-Offiziere.1 Der weitgehend intakt gebliebene
Apparat geriet jedoch zunehmend unter die Kontrolle sowjetischer NKWD-Offiziere, die ihrerseits rumänische kommunistische Führungsfunktionäre, die mit der Roten Armee
aus dem Exil aus der UdSSR zurückgekommen waren, in
den Geheimdienst einschleusten. Dort besetzten sie nach
und nach sämtliche Schlüsselpositionen. Einer davon war
der spätere hohe Securitate-Offizier, der berüchtigte Nicolski2, auf dessen Konto unzählige Verbrechen gehen und der
unter anderem auch für das unmenschliche Experiment im
Gefängnis von Pitesti (1949 - 1952) verantwortlich ist. Die
Umwandlung des alten Gendarmerie- und Polizeiapparates
in die sogenannte Miliz erfolgte ebenfalls unter Aufsicht
sowjetischer Berater, die nach Rumänien abkommandiert
worden waren, um das Land in kürzester Zeit in eine
“Volksdemokratie” zu verwandeln.
Nach dem Sturz der prosowjetischen Gruppe Ana
Pauker, Teohari Georgescu und Vasile Luca - 1952 - ernannte Parteichef Gheorghiu-Dej Alexandru Draghici
zum neuen Innenminister. Draghici sollte das gegen den
1
2
3
Hauptrivalen des Parteichefs, dem ehemaligen Justizminister Lucretiu Patrascanu laufende, jedoch stagnierende
Strafverfahren ankurbeln und durch einen Schauprozeß
abschließen. Der Tod Stalins, im März 1953, änderte
nichts am Vorhaben Gheorghiu-Dejs. Patrascanu wurde
schließlich zum Tode verurteilt und 1954 hingerichtet.
Inwiefern die Beziehungen zum KGB nach dem Abzug
der sowjetischen Besatzungstruppen 1958 aufrechterhalten wurden, ist schwer zu sagen. Die Zusammenarbeit
zwischen den anderen osteuropäischen Geheimdiensten
funktionierte allerdings bis 1989 ebenso wie mit dem
KGB, wobei anzunehmen ist, daß die Beziehungen wegen
des von Bukarest eingeschlagenen “eigenständigen nationalen Kurses” wahrscheinlich abkühlten. Nach 1968 verschlechterten sich diese Beziehungen sowieso. Die Memoiren des prominenten Securitateüberläufers Ion Mihai
Pacepa sind in diesem Zusammenhang nicht ernst zu
nehmen. Viele von ihm in Umlauf gesetzte Behauptungen
entsprechen nicht der Wahrheit und scheinen aus einem
schlechten Krimi entlehnt worden zu sein.3 In den nun
zugänglichen Stasi-Archiven wurden bislang keine einschlägigen Dokumente entdeckt, die eine Zusammenarbeit der Securitate mit dem Staatssicherheitsdienst der
DDR nach 1968 belegen würden. Ein einziger spektakulärer Fall aus den 50er Jahren ist bekannt, bei dem die Stasi
einen rumänischen Exilanten, der 1955 in den Terroranschlag auf die rumänische Botschaft in Bern verwickelt
war, in Berlin verhaftete und an Bukarest auslieferte.
Gelegentlich einer Ausstellung für Angehörige der Stasi
wurde 1958 bislang noch nicht entdecktes Bildmaterial
gezeigt, zu dem folgender Text fabriziert worden war:
“Überschrift: Emigrantenorganisationen. Vorgang
Beldeanu. Überschrift: Der Mörder von Bern ... in der
DDR ohne Chance. Gesamttext: Am 31. 8. 1958 wurde im
demokratischen Sektor von Groß-Berlin der Terrorist
Oliviu Beldeanu von Angehörigen der Sicherheitsorgane
der DDR nach Brechung bewaffneten Widerstandes festgenommen. Beldeanu war im Auftrag einer faschistischen
Emigrantenorganisationen, die ihren Hauptsitz in New
York hat, nach Berlin gekommen, um die Chancen für
konterrevolutionäre Provokationen nach dem Muster des
Berner Mordüberfalls auf
Virgil Ierunca berichtet in seinem Buch “Fenomenul Pitesti” (“Das Pitesti-Phänomen”), Bukarest 1990, über
die rumänische Gesandteinen gewissen Oberst Sepeanu, einen Stellvertreter des gefürchteten Securitatechefs Nicolski, der während des
schaft vom Februar 1955
Rußlandfeldzuges eigenhändig Kommunisten erschossen haben soll. Kurz nach seiner Verurteilung wurde er
zu erkunden. Die faschiallerdings rehabilitiert und zeigte sich deswegen den neuen Behörden gegenüber besonders erkenntlich (S. 20).
stische
EmigrantenAlexandru Serghievici Nicolski (alias Stefanescu; alias Boris Grumberg), geboren am 21. 6. 1914 oder am
organisation 'Freies Ru2. 6. 1915 in Tiraspol, gestorben 1992 - einige Tage, bevor er sich am 17. 4. 1992 bei der Staatsanwaltschaft hätte
präsentieren müssen, die ein Strafverfahren gegen ihn eröffnen wollte. Er wurde 1941 als sowjetischer Spion
mänien' in deren Dienverhaftet und dafür, am 7. 7. 1941, zu einer lebenslänglichen Gefängnisstrafe verurteilt. Am 20. 8. 1944 wurde
sten Beldeanu stand, wird
er aus der Haft entlassen. Im April 1945 wurde er zum Stellvertretenden Direktor in der Generaldirektion der
vom US-Geheimdienst
Polizei ernannt; später leitete er die Detektei (corpul detictivilor), um dann Generalinspekteur der Polizeidirektion
angeleitet; ihre Verbrezu werden. Am 1. 9. 1948 Stellvertretender Generaldirektor in der Generaldirektion der Volkssicherheit
chen gegen die sozialisti(Securitatea Statului), ab 1953 Generalleutnant und Generalsekretär im Innenministerium. 1959 absolvierte er
schen Staaten werden aus
die Wirtschaftsakademie. - Die Daten stammen aus einem Artikel (“A murit o fiara”) von Constantin Ticu
dem 100-Millionen-DolDumitrescu, dem Vorsitzenden der Vereinigung ehemaliger politischer Häftlinge (seit 1992 Senator im
rumänischen Parlament): “Rezistenta, Marturii si atitudini anticomuniste”, Nr. 5/1992, (Bukarest), S. 5.
lar-Fonds der amerikaniWeniger aufschlußreich ist der Artikel von Nicolae Grebenea “Nicolsi”, in: “Din documentele rezistentei”,
schen Regierung finanNr. 5/1992, S. 44-47.
ziert.”
Vergleiche: Ion Mihai Pacepa: “Orizonturi rosii” (“Rote Horizonte”), New York 1988.
Themen
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Es folgen weitere Bildbeschriftungen, aus denen er- ihm auch im Ausland die Aura eines vom Moskauer Kurs
sichtlich wird, wie und unter welchen Umständen Beldeanu unabhängigen Ostblockpotentaten.
verhaftet wurde:
Seine Unberechenbarkeit, die systematischen Men“14. Februar 1955 in Bern...”; / “Die Bande, die den schenrechtsverletzungen, seine demographische WahnÜberfall auf die rumänische Gesandtschaft verübte (1. v. sinnspolitik und später seine paranoide Systematisier. Beldeanu)”; / “So hausten sie in Bern”; / “Ihr Opfer: rungskampagne wurden in ihrer ganzen Tragweite erst
Aurel Setu”; / “26. August 1958 in München...”; / Ende der 80er Jahre im Westen registriert.
“Bedeanu (2. v. rechts) im Kreise faschistischer EmigranDie vorsichtige Liberalisierung, die Ceausescus Vorten in München vor seiner Abreise nach Berlin”; / gänger durch die spektakuläre Unabhängigkeitserklärung
“31. August in Berlin...”; / “Beldeanu widersetzt sich und die Freilassung der politischen Gefangenen 1964
einer Personenkontrolle mit Waffengewalt”; / “Hier, in einleitete, setzte er eigentlich fort. Der blutige Terror des
Berlin-Mitte, Leipziger-, Ecke Wilhelmstraße wurde der vorangehenden Regimes wurde nun zunehmend durch
Terrorist Beldeanu festgenommen.”4
einen selektiven, eher psychologischen Terror ersetzt. Bei
Als im Herbst 1989 zahlreiche Stasiakten nach Buka- diesem raffiniert ausgeklügelten Szenario mischte selbstrest gebracht worden sein sollen, dementierte das “Neue verständlich der Sicherheitsdienst Securitate mit, der nun
Deutschland” jegliche Beziehungen zum Geheimdienst in die Hände “national” gesinnter jüngerer Kader überdes Bruderlandes: “Weder das ehemalige Ministerium für ging. Die kollektive Erinnerung an die brutale Repression
Staatssicherheit noch das aufgelöste Amt für Nationale aus der Gheorghiu-Dej-Zeit wirkte sich prophylaktisch in
Sicherheit” haben, so das ostdeutsche Parteiblatt, “jemals breiten Kreisen der Bevölkerung aus. Gerade deshalb gab
Beziehungen zum rumänischen Geheimdienst unterhal- es während der Ceausescu-Diktatur kaum politische Häftlinge, und wenn tatsächlich Leute wegen irgendwelcher
ten.”5
Ceausescu versuchte nach 1965 mit allen Mitteln, sei- politischer Delikte verurteilt wurden, zum Beispiel wegen
ne eigene Macht zu stabilisieren. Die Abrechnung mit sogenannter “antisozialistischer Propaganda”10, dann hanseinem Vorgänger lief darauf hinaus, jegliche Opposition delte es sich zumeist um pure Abschreckungs- und Eininnerhalb des Politbüros zu neutralisieren. Alexandru schüchterungsverfahren. Ähnlich wie in der restaurativen
Draghici beispielsweise blieb an der Spitze des Innen- Breshnew-Ära wurden potentielle Systemgegner eher zur
ministeriums bis 1968, als ihn Ceausescu aus diesem Amt Auswanderung gezwungen. Der Fall des bekanntesten
mit der Begründung entfernte, er habe sich schwerwie- rumänischen Dissidenten Paul Goma11 ist in diesem Zugender “Mißbräuche und Verletzungen der Partei- sammenhang bezeichnend. Seit 1977 lebt er in Paris und
demokratie” schuldig gemacht und “seine Hände mit dem weigert sich auch nach der Wende, in seine Heimat zuBlut Pa-trascanus und anderer Partei- und Staatsfunktio- rückzukehren.
Über die Ceausescu-Zeit und die subtilen sowie brutanäre be-sudelt”6. Ceausescu erließ damals die Verfügung,
die früheren hohen Parteifunktionäre Foris, Patrascanu, len Methoden des Sicherheitsdienstes wurde viel geLuca u.a. zu rehabilitieren. Obwohl er “Alexandru Draghici schrieben. Eine wissenschaftliche Untersuchung steht
als Organisator und Vollstrecker dieser verbrecherischen nach wie vor aus.
Aktionen” und Gheorghiu Dej, “der diese Aktionen angeDer Sturz des Regimes im Dezember 1989 veränderte
regt und patroniert hat”7, offiziell der erwähnten Verbre- nicht nur die politische Landschaft Rumäniens, sondern
chen beschuldigte, und sogar eine Untersuchung “der auch den ehemaligen Geheimdienst Securitate, von dem
Tätigkeit jener Genossen, die beim Sicherheitsdienst ge- es in zahlreichen mystifizierenden Berichten12 heißt, er
arbeitet haben”, anordnete, erhielt beispielsweise Nicol- habe eigentlich die Wende ausgelöst.
ski noch 1971 eine hohe Verdienstmedaille, Draghici
Beim Prozeß und bei der überstürzten Hinrichtung des
hingegen durfte ungeschoren seine Pension verzehren. Diktatorenehepaares am 25. Dezember 1989 war auch ein
Mit großem propagandistischen Aufwand versprach Unbekannter dabei, dessen Namen kaum jemand in RuCeausescu damals:
mänien kannte. Es handelt sich um Virgil Magureanu,
“Es ist wahr, Genossen, daß dies einer vergangenen Lehrer an der Bukarester Parteiakademie “Stefan GheorZeit angehört; aber es ist notwendig, darüber jetzt zu ghiu” und Angehöriger der Securitate. Eine der ersten
sprechen, weil es schwere Schäden hervorgerufen hat und Maßnahmen der Übergangsregierung war die offizielle
weil wir gewährleisten müssen, daß sich dergleichen nie Auflösung der verhaßten Securitate, deren Chef, General
mehr wiederholen kann.”9
Iulian Vlad, verhaftet wurde. Die Archive des GeheimTatsächlich wurden in den nächsten Monaten auch dienstes wurden der Armee übergeben, um sie, so die
zahlreiche andere frühere
politische Häftlinge reha- 4 Einzelblatt Privatarchiv. Über die Berner Affäre gibt es einen Bericht von Magda Neuweiler: “Zwischen Galgen
und Kreuz. Das Leben des rumänischen Freiheitskämpfers Oliviu Beldeanu”, Verlag SOI, Bern 1979.
bilitiert. Was sich vor den
5 “Neues Deutschland” vom 28. 12. 1989.
Augen der Öffentlichkeit 6 Nicolae Ceausescu: “Rede auf der Versammlung des Parteiaktivs des Munizipiums Bukarest,
1968 abspielte, verwan26. April 1968”; in: Derselbe: “Rumänien auf dem Weg der Vollendung des sozialistischen Aufbaus. Bericht,
delte Ceausescu schlagarReden, Artikel, Januar 1968 - März 1969”, Bukarest 1968, S. 200 f.
tig in einen Hoffnungs- 7 Ebenda, S. 203.
träger der “sozialistischen 8 Ebenda, S. 207.
Demokratie”. Der geniale 9 Ebenda, S. 208.
politische Taschenspie- 10 Laut § 166 StGB.
11 Vergleiche: Paul Goma: “Culorile curcubeului ’77", Bucuresti 1990.
lertrick, der darin gipfel- 12
Siehe unter anderem: Antonia Rados: “Die Verschwörung der Securitate. Rumäniens verratene Revolution”,
te, keine rumänischen
Hamburg 1990; Hans Vastag, György Mandics, Manfred Engelmann: “Temeswar. Symbol der Freiheit”,
Truppen in die reformiMünchen 1992; Roland Vasilievici: “Piramida umbrelor”, Timisoara 1991; Filip Teodorescu: “Und risc
stische Tschechoslowakei
asumat. Timisoara decembrie 1989”, Bucuresti 1992; Radu Portocala: “Autopsie du Coup d’état Roumain.
Au pays du mensonge triomphant”, Calmann-Lévy 1990.
zu entsenden, verschaffte
Themen
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nu ernannt. Als Gegenreaktion gründete ein insbesondere
durch seine journalistische Aggressivität14 aufgefallener
Redakteur der oppositionellen Zeitung “România libera”
(Freies Rumänien), Sorin Rosca-Stanescu, die Antisecuritateorganisation “Patriot”. Diese Organisation forderte in
erster Linie eine juristische Abrechnung mit den Würdenträgern des alten Regimes, ähnlich wie sie im vielleicht
wichtigsten nachrevolutionären Dokument, der sogenannten “Temeswarer Proklamation”15 (vom 11. 3. 1990)
verlangt wurde. Im nachhinein stellte sich heraus, daß der
Gründer und Vorsitzende der Organisation “Patriot”,
Rosca-Stanescu, seit Jahren als IM der Securitate tätig
war. Seither ist es still geworden um diese Gruppe. Stenescu
wurde als Redakteur der “România libera” entlassen und
erhielt 1992 eine Anstellung bei der auflagenstarken
Boulevardzeitung “Evenimentul zilei”. Zusammen mit
ihm wurde ein weiterer IM aus der Redaktion entfernt.
Brisante Akten aus dem unzugänglichen Securitatearchiv
tauchten in der Folgezeit immer wieder auf und wurden
sowohl in der regierungsfreundlichen als auch in der
Oppositionspresse veröffentlicht. So oft der altneue Geheimdienst ein Interesse daran hatte, die eine oder andere
Person unschädlich zu machen, tauchten derartige kompromittierende Dokumente auf, die den verschiedenen
Redaktionen zugespielt wurden. Einzig und allein zwei
hohe Vertreter der neuen Macht hatten im Dezember 1989
ihre Securitatedossiers in Sicherheit gebracht: Silviu
Brucan, die graue Eminenz der damaligen Regierung, und
Vizepremier Gelu Voican Voiculescu. Bislang hat keine
einzige offizielle Persönlichkeit - weder aus der Regierung, noch aus dem Parlament und schon längt nicht aus
dem Bereich der Kultur oder der Presse - über frühere
Kontakte zur Securitate berichtet. Einzig und allein der
derzeitige Parlamentsabgeordnete Alexandru Paleologu,
bis 1990 Übergangsbotschafter in Paris, gab selbstkritisch
derartige Kontakte, zu denen er nach seiner Entlassung
aus dem Gefängnis in den 60er Jahren gezwungen worden
war, zu.
1991 versuchte der Abgeordnete der Regierungspartei, Claudiu Iordache, ein Revolutionär der ersten Stunde
aus Temeswar, dem Parlament einen Antrag vorzulegen,
wonach jeder Parlamentarier auf eventuelle Kontakte mit
der Securitate überprüft werden sollte. Sein Antrag verVirgil Magureanu
schwand spurlos. Seit 1992 amtiert ein neugewähltes Parsten Securitate früher nie durch eine besondere regime- lament. Iordache selbst hatte, nach schweren Auseinanderkritische Haltung aufgefallen waren. Im Gegenteil. Der setzungen mit seinen Parteikollegen, die inzwischen in zwei
lautstarke Sprecher der Temeswarer Gruppe forderte mit Gruppierungen aufgesplitterte Organisation verlassen und
der Begründung, den sozialen Frieden nicht gefährden zu auf eine weitere Kandidatur verzichtet. Kürzlich griff der
wollen, die vollständige Vernichtung der Spitzelberichte. Vorsitzende der Vereinigung ehemaliger politischer HäftNach den blutigen ungarisch-rumänischen Ausschrei- linge aus Rumänien, der als Abgeordneter des Oppositionstungen im März 1990 in Târgu Mures, gab die Regierung blocks, dem Demokratischen Konvent, im Parlament sitzt,
die Gründung des neuen Geheimdienstes unter dem Na- den Vorschlag Iordaches auf und versuchte erneut, eine
men Rumänischer Nachrichtendienst (S. R. I.)13 bekannt. Durchleuchtung der Parlamentarier sowie der Beamten aus
Zum Chef dieses zu 60 Prozent aus alten Securitate-Offi- dem öffentlichen Dienst durchzusetzen. Er forderte ferner
zieren bestehenden Geheimdienstes wurde Virgil Magurea- eine Veröffentlichung der Namen aller Securitateinformanten.16 Ein derartiges Unterfangen ist bei
der jetzigen Rechtslage
13 Vergleiche: William Totok: “Fassadensäuberung á la Iliescu. Der alte Geheimdienst Securitate funktioniert
wieder im posttotalitären Rumänien”; in: “die andere”, Nr. 14/1991, S. 8-9.
eigentlich aussichtslos,
14 Er gehörte vor allem wegen seiner aufsehenerregenden Enthüllungsartikel zu den gefürchteten Journalisten der
nachdem das Parlament
Nachwendezeit; es scheint, daß er bei der Enttarnung des Bukarester römisch-katholischen Vikars Blasutti, der
ein Gesetz verabschiedet
als Einflußagent in der Vergangenheit bestimmte heikle, den Vatikan betreffende Aufträge auszuführen hatte,
hatte, wonach die Secumitbeteiligt war. Die Ergebnisse der Recherchen im Fall Blasutti veröffentlichte allerdings Petro Mihai Bacanu
ritatearchive in den nächin “România lebera” vom 9. 1. 1992.
sten 40 Jahren geschlos15 Gekürzter Wortlaut veröffentlicht in: “Osteuropa-Forum-aktuell”, Nr. 27 / Mai 1990, S. 8.
sen bleiben. Der Sprecher
16 BBC-Meldung vom 3. 11. 1993.
halboffizielle Begründung, vor Unbefugten in Sicherheit
zu bringen.
Verschiedene Bürgerrechtsbewegungen, darunter eine
Temeswarer Gruppe zur Auflösung der Stasi, gebildet
nach DDR-Vorbild, versuchte vergeblich, im März 1990
an die gut versteckten Archive heranzukommen. In dem
damals herrschenden Wirrwarr machte sich kaum jemand
Gedanken darüber, daß die eifrigsten Gegner der aufgelö-
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stoff gesorgt hatten. Konsequenzen daraus hat niemand
gezogen. Der für den Nachrichtendienst zuständige parlamentarische Kontrollausschuß konnte bislang noch nicht
einmal Magureanu zu einem klaren Bericht über
Geheimdienstaktivitäten bewegen. Sein Bericht und die
folgende Anhörung im Parlament waren alles andere als
aufschlußreich, stellenweise sogar lächerlich. Unter anderem erklärte er, es gebe in Rumänien weitere sechs20
unabhängig voneinander funktionierende Geheimdienste, die der Rumänische Nachrichtendienst nicht
kontrollieren könne und schon längst nicht der parlamentarische Kontrollausschuß. Anläßlich einer Anhörung im
Parlament wich Magureanu jedoch allen Fragen der Kommission geschickt aus.
Seit nunmehr vier Jahren tappt die rumänische Öffentlichkeit im Ungewissen, wenn es um die Aufklärung der
Revolutionswirren geht, als sogenannte Terroristen das
Feuer eröffnet haben, um die Aufklärung des Bergarbeitereinsatzes im Juni 1990, der Ereignisse im September 1991, als das Roman-Kabinett zum Rücktritt gezwungen wurde, um die oben erwähnte Aktenvernichtungsaktion 1991 und so weiter und so fort.21
Der von verschiedenen Bürgerrechtsbewegungen geforderte “Prozeß des Kommunismus” stockt. Die Würdenträger des alten Regimes blieben bis jetzt ebenso ungeschoren wie die Verbrecher der alten Securitate, die im
Laufe der Jahrzehnte unzählige Menschen ermordet hatten. (Abgesehen von den nach dem Sturz Ceaussescus
organisierten Schauprozessen22 gegen einige Mitglieder
des ehemaligen Politischen Exekutivkomitees und gegen
einige hohe Securitateoffiziere, hat es bisher kein einziges
Verfahren gegen weitere Schuldige gegeben.) Auf Druck
der erwähnten Bürgerrechtsbewegungen und der Vereinigung ehemaliger politischer Häftlinge leitete die Staatsanwaltschaft schließlich ein Ermittlungsverfahren gegen
Nicolski und den früheren Innenminister Alexandru
Draghici ein. Nicolski starb, noch bevor er sich bei der
Staatsanwaltschaft melden konnte, Draghici setzte sich
nach Ungarn ab, wo er ungestört lebt, da die ungarischen
Behörden seine Auslieferung an Rumänien verweigern.23
Ein wichtiger postrevolutionärer Prozeß fand trotz
dieser Hürden statt, und zwar gegen die Schuldigen für ein
blutiges Massaker 1981. Damals versuchten einige junge
Leute, einen Bus zu entführen und die Reisenden als Geiseln in ihre Gewalt zu bringen und dadurch ihre Ausreise
zu erzwingen. Die meisten Busreisenden wurden bei der
Erstürmung durch Securitateleute niedergemetzelt.24 Die
Verantwortlichen - darunter der ehemalige CeausescuInnenminister George Homosteanu und der damalige Securitatechef von Temeswar, Mortoi - wurden für diese
Ion Iliescu
des Rumänischen Nachrichtendienstes, Nicole Ulieru, vor
der Wende Mitarbeiter eines als inoffizielles Sprachrohr
der Securitate bekannten Wochenblatts, das seit 1990 als
Zentralorgan der extrem-nationalistischen großrumänischen Partei17 erscheint, erklärte in einem Interview, er sei
kategorisch gegen eine Veröffentlichung der IM-Listen.
“Ein Nachrichtendienst ohne Informationen”, sagte er,
“ist wie ein Mensch ohne seine rechte Hand. Informanten
gibt es seit Menschengedenken. Eine Veröffentlichung
dieser Listen würde sich negativ auf unsere jetzigen Informanten ausüben, aber auch auf die früheren Informanten.” Gleichzeitig meinte jedoch derselbe Pressesprecher,
daß Einzelpersonen den Zugang zu den eigenen Akten
ermöglicht werden sollte. Dies würde bloß durch die jetzige
Gesetzeslage verhindert, fügte er abschließend hinzu.18
Trotz derartiger scheinheiliger Stellungnahmen seitens
des neuen Geheimdienstes hat sich in der Nachwende-zeit in
diesem Bereich keinerlei Transparenz bemerkbar gemacht.
Im Gegenteil. Die unter dem Trauma der Securitatevergangenheit leidende rumänische Öffentlichkeit wurde im Sommer 1991 mit 17 “Saptamîna” (“Die Woche”); erscheint seit 1990 unter dem Namen “România Mare” (“Groß-Rumänien”)
und wird vom Chef der großrumänischen Partei, Corneliu Vadim Tudor, herausgegeben.
der Tatsache konfrontiert,
18 “România libera”, 13. 11. 1993, S. 3.
daß Angehörige des Nach- 19 Vergleiche unter anderem: Boris Kalnoky: “Rumäniens Watergate begann im Wald von Berevoiesti”; in: “Die
richten dienstes tonnenWelt”, 4. 6. 1991, S. 3.
weise alte Akten zu ver- 20 Den Nachrichtendienst (1) des Innenministeriums, (2) des Justizministeriums, (3) des Wach- und Protokolldienstes,
(4) des (????.....), (5) des Verteidigungsministeriums und (6) des Außenministeriums. Vergleiche “România
nichten versuchten. Dalibera”, 13. 10. 1993, S. 3.
mals entdeckte die Presse
die verkohlten und durch- 21 Mehr dazu in: “România libera”, 13. 10. 1993, S. 3.
näßten Reste hochbrisan- 22 Vergleiche dazu: Rudolf Herbert: “Geschichtsverweigerung oder die Kunst der Verdrängung”; in: “Halbjahresschrift für südosteuropäische Geschichte, Literatur und Politik”, Heft 2/1992, S. 27-43, und: Doru
ter Dossiers19, die danach
Pavel: “Procesul CPEx” (“Der Prozeß der Mitglieder des Politischen Exekutivkomitees”), Bukarest 1993.
wochenlang in den Zei- 23 Vergleiche: S. Alexa: “Cazul Draghici: Justitie sau farsa?” (“Der Fall Draghici: Justiz oder Farce?”); in:
tungen veröffentlicht wur“Gazeta de Mures”, Nr. 9 (69), 28. 6. - 4. 7. 1993, S. 3.
den und für Diskussions- 24 Unter anderem RFE-Bericht vom 9. 2. 1993.
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beispiellose Aktion im Laufe dieses Jahres zu langjährigen Gefängnisstrafen verurteilt. Angesichts dieser Situation ist es kein Wunder, daß restaurative Organisationen
ungehindert in Erscheinung treten. Die Nachricht von der
Gründung des “Komitees zur Pflege der Erinnerung an
Nicolae Ceausescu” im März 199325 hört sich wie ein
schlechter Witz an. In Rumänien sind jedoch Witze
immer bittere Realität.
Die meisten nach der Revolution verurteilten Securitateleute sind inzwischen wieder frei. Zwei bezeichnende Beispiele seien hier genannt: Der frühere Vizesecuritatechef aus Temeswar, Major Radu Tinu, und Securitatehauptmann Valentin Ciuca, ebenfalls aus Temeswar.
Beide waren maßgeblich an den blutigen Auseinandersetzungen während des Temeswarer Aufstandes im Dezember 1989 beteiligt. Heute sind sie erfolgreiche Unternehmer, die in Temeswar die Import-Export-Firma “Trival
Impex GmbH” leiten.26 Andere, frühere Securitateleute
sitzen heute als Abgeordnete im rumänischen Parlament,
so beispielsweise der bis 1985 amtierende Securitatechef
aus der Stadt Reschitza, Stefan David27, der in den 50er
Jahren eigenhändig Häftlinge gefoltert hatte. Als Kandidat der KP-Nachfolgeorganisation, der sogenannten Sozialistischen Partei der Arbeit, erhielt er einen Sitz als
Senator und erfreut sich somit parlamentarischer Immunität.
25 RFE-Meldung, 15. 3. 1993.
26 “România libera”, 25. 9. 1993, S. 16.
27 “România libera”, 13. 10. 1993, S. 3.
William Totok, rumäniendeutscher Autor, wurde 1951
im Banat geboren; 1975/76 saß er wegen “staatsfeindlicher Hetze” im Gefängnis; seit 1987 lebt er in BerlinWest; er veröffentlichte den autobiographischen Essay
“Die Zwänge der Erinnerung” (Hamburg 1988); er brachte mehrere Bücher heraus und ist zur Zeit Mitherausgeber
der “Halbjahresschrift für südosteuropäische Geschichte,
Literatur und Politik”.
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Zu Totalitarismustheorien
Totalitarismustheorien, die eine Vergleichbarkeit, ja
Gleichartigkeit von faschistischen und kommunistischen
Regimen behaupten, sind umstritten und konnten bisher
durch die empirische Forschung nicht bestätigt werden.
Kommunistische und faschistische Staaten unterscheiden
sich einmal im Hinblick auf ihre sozioökonomische Basis:
Im Dritten Reich war die Wirtschaft nicht verstaatlicht.
Sie unterscheiden sich ferner im Hinblick auf den staatlichen Aufbau und schließlich und vor allem im Hinblick
auf die ideologischen Zielsetzungen: Der marxistischen
Klassenideologie steht die faschistische Rassenideologie
und Rassenvernichtung gegenüber. Damit kann und soll
natürlich nicht der stalinistische Terror in irgendeiner
Weise relativiert werden. Andererseits finde ich es mehr
als fragwürdig, wenn die DDR nach ihrem Untergang mit
dem Dritten Reich verglichen und gleichgesetzt wird.
Damit wird die DDR dämonisiert und das Dritte Reich
verharmlost.
(Prof. Dr. Wolfgang Wippermann, Professor für Neue
Geschichte an der FU Berlin)
In unserem Heft 10 veröffentlichten wir ein Zitat von Hans
Schwenke und verbanden das mit der Bitte an unsere
Leserinnen und Leser, darüber zu diskutieren. Diesmal
drucken wir ein weiteres Zitat zu diesem Themenkomplex
ab, das eine andere Meinung als die des ersten Zitates zum
Ausdruck bringt. Hoffentlich ist das für viele ein zusätzlicher Anlaß, sich an der angestrebten Diskussion in
“Horch und Guck” zu beteiligen.
Themen / Das Zitat
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