Frankfurter Tagung zu „Migration, Flucht und Trauma – die Folgen

26. Februar 2016 / 52
Frankfurter Tagung zu „Migration, Flucht und Trauma – die
Folgen für die nächste Generation“
Wie kann professionelle Hilfe aussehen? Erfahrungsberichte aus aktuellen
Projekten und Diskussion über interdisziplinäre Ansätze
FRANKFURT. Sie haben Schreckliches erlebt: Bombenangriffe, Tod und Misshandlungen, eine oft
lebensgefährliche Flucht und eine nicht immer freundliche Aufnahme in Deutschland. Viele
Flüchtlinge sind traumatisiert, besonders die Kinder. Sie brauchen professionelle Hilfe. Wie diese
aussehen kann, darum geht es bei einer Tagung, die vom 4. bis 6. März an der Goethe-Universität,
Campus Bockenheim, stattfindet und an der neben Wissenschaftlern auch Erzieher, Lehrer und
ehrenamtliche Helfer teilnehmen können.
„Migration, Flucht und Trauma – die Folgen für die nächste Generation“ lautet das Thema dieser
internationalen Tagung. Ausgerichtet wird die Konferenz vom Sigmund-Freud-Institut, von der
Goethe-Universität und dem interdisziplinären Forschungszentrums „Individual Development and
Adaptive Education of Children at Risk“ (IDeA) sowie der Universität Stockholm. „Die heutige
Psychoanalyse und die aktuelle empirische Bindungsforschung verfügen sowohl konzeptuell als auch
präventiv und therapeutisch über ein breites Wissen zum Umgang mit Traumatisierten“, so die
Organisatorin der Tagung, Prof. Dr. Marianne Leuzinger-Bohleber, Geschäftsführende Direktorin
Sigmund-Freud-Institut. Dieses Wissen bildete die theoretische Grundlage für fünf
Präventionsprojekte, die seit 2010 über 1000 der als schwer erreichbar geltenden Familien mit
Migrationshintergrund und prekären sozialen Problemlagen angeboten wurden. Diese Projekte hatten
besonders die Frühprävention bei sogenannten „Risikokindern“ („children-at-risk“) im Auge.
Viele Studien zeigen, wie wichtig es ist, traumatisierten Menschen möglichst zeitnah und
niederschwellig Hilfen anzubieten, um Langzeitfolgen für sie und die nachkommenden Generationen
zu mildern. „Traumatisierungen sind Erfahrungen, in denen Menschen extremen Gefühlen von
Verzweiflung, Ohnmacht und Hilflosigkeit ausgesetzt sind, meist verbunden mit Todesangst. Zudem
bricht das Urvertrauen zusammen, die Betroffenen können sich auf nichts mehr verlassen, nicht auf
andere und nicht auf sich selbst“, erläutert Leuzinger-Bohleber. „Daher reagieren Traumatisierte auf
Migrationserlebnisse und auf erneute Erfahrungen von Passivität und Ohnmacht in den
Aufnahmeeinrichtungen besonders verletzlich.“ Traumatisierungen haben – wie aktuelle Studien
belegen – auch einen nachhaltigen Einfluss auf die Stressregulation, wie dies in verschiedenen
Vorträgen auf der Tagung ausgeführt wird. Dies wirkt sich besonders auf die frühe Phase der
Elternschaft aus und prägt daher auch die nächste Generation.
Die Gefahr einer Traumatisierung mit pädagogischer, sozialpädagogischer und therapeutischer
Unterstützung abzumildern, ist heute eine vordringliche humanitäre Aufgabe für viele Berufszweige.
So fächerübergreifend verschiedene Berufsgruppen zusammenarbeiten, so interdisziplinär ist auch die
Forschung auf diesem Gebiet in Frankfurt. „Unserer Forschungszentrum ‚Individual Development and
Adaptive Education of Children at Risk’, kurz IDeA, an dem neben der Goethe-Universität das
Deutsche Institut für Internationale Pädagogische Forschung und das Sigmund-Freud-Institut beteiligt
sind, bietet hier hervorragende Möglichkeiten“, betont Prof. Dr. Sabine Andresen,
Erziehungswissenschaftlerin an der Goethe-Universität.
Auf der Tagung – Konferenzsprachen sind Deutsch und Englisch – wird diskutiert, in welcher Weise
das Wissen, das in Projekten u.a. in Frankfurt, Oslo und Belgrad gesammelt wurde und aktuell noch
wird, für den Umgang mit traumatisierten Kindern in den verschiedenen Bildungsinstitutionen von der
Krippe bis zur Sekundarstufe fruchtbar gemacht werden kann. Zur Sprache kommen werden auch erste
Erfahrungen, die bei der Flüchtlingssprechstunde des Sigmund-Freud-Instituts und bei dem Pilotprojekt
„Michaelis-Dorf“ in einer Erstaufnahmeeinrichtung in Darmstadt gesammelt wurden. Dieses Projekt
startete Ende Januar und ist bundesweit bisher einmalig; geleitet wird es gemeinsam von der
Psychoanalytikerin Marianne Leuzinger-Bohleber und der Erziehungswissenschaftlerin Sabine
Andresen. In Darmstadt arbeiten in der Betreuung von Flüchtlingskindern Studierende, junge
Wissenschaftler und Ehrenamtlichen zusammen. Dazu Andresen: „Gerade für Kinder und Jugendliche
ist es wichtig, dass sie auch schon die Erstaufnahmeeinrichtung als einen kinderfreundlichen Ort
erleben. Sie wollen sich dort sicher fühlen und ihre Fähigkeiten einbringen können. Ein solcher Ort
muss gestaltet werden, und zwar durch Bildungs- und Freizeitangebote, durch
Mitgestaltungsmöglichkeiten, durch Erwachsene, die aufgeschlossen sind."
Die Tagung wird am Freitag (4. März) um 20.15 Uhr (Campus Bockenheim, Hörsaalgebäude, Hörsaal
VI) ergänzt durch einen öffentlichen Vortrag von Prof. Dr. Vera King, die im März die Nachfolge von
Prof. Dr. Rolf Haubl als stellvertretende Direktorin des Sigmund-Freud-Instituts antreten wird und auch
die Professur für Sozialpsychologie an der Goethe-Universität übernimmt. Sie spricht über
„Transgenerationale Weitergabe im Kontext von Adoleszenz und Migration“.
Diese Tagung führt die Tradition der Joseph Sandler Research Conferences weiter, die in den
vergangenen acht Jahren jeweils am ersten März-Wochenende in Frankfurt stattfanden. Sandler und
seine Frau hatten die Psychoanalyse in den 1990er Jahren stärker für den Dialog mit den anderen
Wissenschaften geöffnet und deshalb diese einmal im Jahr ausgerichtete Konferenz ins Leben gerufen.
Informationen: Prof. Dr. Marianne Leuzinger-Bohleber, Sigmund-Freud-Institut, Tel. (069) 971204149; [email protected], [email protected]; Programm
unter: www.sigmund-freud-institut.de; Registration für die Tagung: [email protected], Tel. (069)
971204-129
Die Goethe-Universität ist eine forschungsstarke Hochschule in der europäischen Finanzmetropole Frankfurt. 2014 feiert sie ihren 100. Geburtstag. 1914 gegründet
mit rein privaten Mitteln von freiheitlich orientierten Frankfurter Bürgerinnen und Bürgern fühlt sie sich als Bürgeruniversität bis heute dem Motto „Wissenschaft für
die Gesellschaft“ in Forschung und Lehre verpflichtet. Viele der Frauen und Männer der ersten Stunde waren jüdische Stifter. In den letzten 100 Jahren hat die
Goethe-Universität Pionierleistungen erbracht auf den Feldern der Sozial-, Gesellschafts- und Wirtschaftswissenschaften, Chemie, Quantenphysik, Hirnforschung und
Arbeitsrecht. Am 1. Januar 2008 gewann sie mit der Rückkehr zu ihren historischen Wurzeln als Stiftungsuniversität ein einzigartiges Maß an Eigenständigkeit.
Heute ist sie eine der zehn drittmittelstärksten und drei größten Universitäten Deutschlands mit drei Exzellenzclustern in Medizin, Lebenswissenschaften sowie
Geisteswissenschaften. Mehr Informationen unter www2.uni-frankfurt.de/gu100
Herausgeber Der Präsident der Goethe-Universität Frankfurt am Main. Redaktion Ulrike Jaspers, Referentin für Wissenschaftskommunikation, Abteilung
Marketing und Kommunikation, Theodor-W.-Adorno-Platz 1, 60323 Frankfurt am Main, Tel: (069) 798-13066, Fax: (069) 798-763 12531, [email protected]