I. Einführung

I. Einführung
I.1 Cicero als homo novus
Seiner Herkunft aus einer ritterlichen Familie der Munizipalaristokratie war sich
Cicero stets bewusst. Bei der Bewerbung um den Konsulat musste er sich wegen
seines Status als Neuling auf seine Leistungen berufen. In der in seinem Konsulatsjahr gehaltenen Rede De Lege Agraria machte er darauf aufmerksam, dass die
aus der Nobilität stammenden Senatoren den Konsulat geradezu in die Wiege
gelegt bekommen hatten, er sich hingegen durch Leistung hervortun musste, um
von der Wahlversammlung auf dem Marsfeld gewählt zu werden:1
Denn der Schutz des Staates muss zwar das nachdrückliche Interesse und die Sorge aller
Konsuln sein, besonders aber gilt dies für diejenigen, die nicht in der Wiege, sondern
auf dem Marsfeld zu Konsuln gemacht worden sind.2
Cicero war gegenüber den großen Familien in der Senatsaristokratie nicht nur
dadurch im Nachteil, dass ihn keine Ahnherren für die Wahl empfahlen,3 sondern auch durch die Tatsache, dass das Vermögen der Familie nur ritterlichen
Maßstäben entsprach. Angesichts der hohen Kosten des Wahlkampfes, der
Amtspflichten und der Repräsentation waren finanzielle Schwierigkeiten geradezu vorgezeichnet.
Der Frage nachzugehen, wie er den finanziellen Aufwand seiner Karriere
trotzdem bewältigen konnte, ist ein Ziel dieser Arbeit. Aufgeworfen wurde die
Frage bereits in der Antike, und zwar in der auf das Jahr 54 v. Chr. datierten
Invektive gegen Cicero, die Sallust zugeschrieben wurde. Von Cicero wurde dort
gefordert, die Herkunft seines Vermögens offenzulegen, mit dem er einen Stadtpalast in Rom und mehrere Villen finanziert hatte. Diese Forderung wurde mit
der Unterstellung eines unrechtmäßigen Gelderwerbs verknüpft:4
Wenn ich dir falsche Vorwürfe mache, [so] gib Rechenschaft darüber, wie viel du als
väterliches Erbe erhieltest, was für dich bei Prozessen hinzukam, mit welchem Geld du
1 Zu dieser Stelle vgl.: Volkmann (1979): 182.
2 Cic. leg. 2.100: Nam cum omnium consulum gravis in re publica custodienda cura
ac diligentia debet esse, tum eorum maxime qui non in cunabulis, sed in campo sunt
consules facti.
3 Cic. leg. 2.100: Nulli populo Romano pro me maiores mei spoponderunt.
4 Die Vorwürfe bezogen sich vor allem auf die Rolle Ciceros bei der Aufdeckung der
Catilinarischen Verschwörung. Der Verfasser warf ihm Erpressung der Beschuldigten vor. Zu den näheren Umständen vgl.: Kapitel IV.2.
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dein Stadthaus kauftest und dein Tusculanum und Pompeianum mit maßlosem Aufwand erbautest.5
I.2 Cicero in seiner Zeit
Cicero musste sich, um innerhalb der Senatsaristokratie anerkannt zu werden,
deren Verhaltenskodex anpassen.6 Er sollte sich seinen Standesgenossen als
ebenbürtig erweisen und den Standesprinzipien in besonderer Weise genügen.
Seine Herkunft ermöglichte ihm, aus der Distanz des Außenseiters die Werte
der Senatsaristokratie zu reflektieren und sich den idealen Verhaltensvorschriften (mos maiorum) in besonderer Weise verpflichtet zu fühlen.
Aber während seiner Lebenszeit entsprach die Wirklichkeit den von ihm vertretenen Idealen nicht mehr, und der Niedergang der res publica bewirkte das
Scheitern seines Führungsanspruchs. Während sich die Biographie des am 3. Januar 106 v. Chr. geborenen Cicero bis zu seinem Exil in den Jahren 58 und 57
wie die Bilderbuchkarriere eines Aufsteigers ausnimmt, war die Zeit nach Ciceros Rückkehr in die Stadt Rom von persönlichen und politischen Krisen und von
Machtlosigkeit geprägt. Der Konsul des Jahres 63, der sich der Niederschlagung
der Catilinarischen Verschwörung rühmen konnte, musste sich in den Jahren 56
bis 52 in die Dienste des Machtkartells, das Caesar, Pompeius und Crassus geschlossen hatten, des so genannten Triumvirats, stellen. Nach der von ihm ungeliebten Statthalterschaft in Kilikien 51 und 50 entschied sich Cicero bei Ausbruch
des Bürgerkriegs im Jahre 49 für Pompeius. Nach dessen Niederlage bei Pharsalus
wurde Cicero 47 von Caesar begnadigt. Im Jahre 46 ließ er sich von seiner langjährigen Ehefrau Terentia scheiden, die folgende Ehe mit der jungen Publilia wurde
bereits im Jahr 45 geschieden, als Cicero den Tod seiner Tochter Tullia betrauerte. Nach der Ermordung Caesars ergriff Cicero Partei für die Caesarmörder und
gegen M. Antonius. Er verbündete sich gegen ihn mit dem Erben Caesars, dem
jungen Octavian. Als dieser einen Bündniswechsel vollzog und sich mit Antonius
und Lepidus einigte, fiel Cicero im Dezember 43 den Proscriptionen zum Opfer.
Dieses ereignisreiche Leben spiegelt die politische Unsicherheit und die Gefährdung der senatorischen Existenz in der späten Republik.7 Die für diese Krisenzeit charakteristischen Aporien manifestierten sich nicht nur im ­politischen
5 Ps.Sall. in Tull. 4: Quae si tibi falsa obicio, redde rationem quantum patrimonii acceperis, quid tibi litibus accreverit, qua ex pecunia domum paraveris, Tusculanum et
Pompeianum infinito sumptu aedificaveris.
6 Zu diesem Gedanken vgl.: Blösel (2000): 72.
7 Zur Gefährdung der senatorischen Existenz vgl.: Shatzman (1975): 37.
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Bereich, sondern sie schlugen sich auch im Privatleben nieder. Ciceros politisches
Scheitern war mit privaten Krisen verbunden,8 dazu gehörten die lebenslang
währenden finanziellen Schwierigkeiten. Der hohe Geldbedarf der politischen
Karriere überstieg die Ressourcen seiner privaten Vermögensverhältnisse. Die
zahlreichen Selbstzeugnisse Ciceros erlauben den Versuch, die finanzielle Seite
seiner Existenz einer genaueren Prüfung zu unterziehen.
I.3 Zur Quellenlage
Neben seinen zahlreichen Gerichtsreden sind es vor allem die 864 persönlichen
Briefe, und hierunter vor allem die 774 Briefe, deren Verfasser Cicero selbst
ist, die einen erhellenden Einblick in Ciceros Biographie und sein Privatleben
erlauben.9 Doch fehlen allzu oft die Gegenstücke der Briefpartner. Besonders
beklagenswert ist das Fehlen der Antwortbriefe von Ciceros Freund Titus Pomponius Atticus, dem er sich, anders als in den Briefen an Fernerstehende, stets
rückhaltslos anvertraute. Außerdem darf nicht vergessen werden, dass Cicero,
je nach Grad der Vertrautheit mit den Empfängern, mit variierender Offenheit
kommunizierte.
Oftmals ist es gerade die Vertrautheit der Atticusbriefe, die dem außenstehenden Leser Rätsel aufgibt. Denn Cicero verschlüsselte heikle Angelegenheiten, wozu auch die Finanzgeschäfte zu zählen sind, oder erwähnte sie in einer
elliptischen Knappheit, die nur der mitwissende Adressat zu einer vollständigen
Aussage ergänzen konnte.10 Hinzukommen gelegentliche Hinweise in Ciceros
Reden, die ergänzend herangezogen werden, oder Hinweise Plutarchs, der für
seine Cicero-Biographie diejenige von Tiro, Ciceros Freigelassenem und vertrautem Privatsekretär, benutzen konnte.
I.4 Der Forschungsstand
Zu Ciceros Vermögensverhältnissen sind bereits zwei Spezialstudien in Form
von Dissertationen erschienen: zum einen die Arbeit von Alois Früchtl aus dem
8 Zur geringen Abgegrenztheit des römischen Privatlebens vgl.: Burckhardt (2003): 96.
9 Shackleton Bailey (1971): XII spricht sogar davon, dass wir in diesen Briefen gleichsam einen antiken Menschen ohne seine Toga zu sehen bekommen. Fraglich ist allerdings Carcopino (1947), Bd. 1: 71, der behauptet, die vorhandenen Briefe beraubten
Cicero seiner Ehrbarkeit. Zu Ciceros Vertraulichkeit im Briefeschreiben vgl.: Wieland
Cole (1923): 353.
10 Benöhr (1986): 279: „Cicero selbst bedient sich in Geschäftsdingen eines überknappen Stils.“
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Jahr 1912, die vor allem die antike Form des Geld- und Bankenwesens behandelt
und hierzu speziell das Corpus der Cicero-Briefe heranzieht,11 zum anderen das
1941 erschienene Werk von Arthur Herman Reents, das der Herkunft von Ciceros Vermögen gilt.12 Reents prüfte die Quellen des Ciceronischen Vermögens
und sah in einer unmittelbaren Vergütung der Anwaltstätigkeit Ciceros Haupteinnahmequelle. Ferner sind kleinere Studien zu Ciceros Einnahmequellen erschienen. Robert J. Smutny und Henry C. Boren ergänzen in ihren 1951 und
1961 veröffentlichten Aufsätzen die Auffassung von Reents, indem sie sich vor
allem auf die Erbschaften und Legate ehemaliger Mandanten beziehen.
Andere Arbeiten gewinnen aus Ciceros belegten Geldtransaktionen Erkenntnisse für die Rechtsgeschichte. Hier sind vor allem die vier sorgfältigen Studien
von Hans-Peter Benöhr zu nennen, der sich 1986 und 2001 mit einer Bürgschaft
Ciceros, mit der Finanzierung des Studienaufenthaltes seines Sohnes in Athen,
mit Geldgeschäften zwischen Caesar und Cicero und mit dem vermeintlichen
Darlehen Ciceros an Faberius auseinandersetzte. Um rechtliche Gesichtspunkte
in Ciceros Korrespondenz geht es Maria Ionnatou in ihrer 2006 erschienenen
Dissertation.13 Christian Rollinger befasste sich in seiner Dissertation aus dem
Jahr 2009 anhand der Schriften Ciceros mit der Verschuldungssituation der Senatoren innerhalb ihrer sozialen Netzwerke.14
Eine Einordnung und Schätzung des Ciceronischen Vermögens nahm Israël
Shatzmann 1975 vor. Ciceros Villen, den kostspieligen Repräsentationsobjekten,
widmete Otto Eduard Schmidt 1893 eine Spezialuntersuchung. Die Biographien
von W. Drumann und P. Groebe (1929), Matthias Gelzer (1983) und Klaus Bringmann (2010) beleuchten gelegentlich auch die pekuniären Verhältnisse Ciceros,
legen aber ihren Schwerpunkt auf die politische Laufbahn beziehungsweise auf
das literarische Oeuvre.
Eine unschätzbare Hilfe für meine Arbeit waren insbesondere die kommentierten Ausgaben der gesamten Korrespondenz von Cicero aus der Feder von
D. R. Shackleton Bailey.15
11 Von Früchtl unter folgendem Titel veröffentlicht: „Die Geldgeschäfte bei Cicero.“
12 Das Werk trägt den Titel: “The Personal Property and Sources of Income of M. Tullius Cicero.”
13 Titel: “Affaires d’argent dans la correspondance de Cicéron. L’aristocratie sénatoriale
face à ses dettes.”
14 Veröffentlicht unter dem Titel: „Solvendi sunt nummi. Die Schuldenkultur der späten
Römischen Republik im Spiegel der Schriften Ciceros.“
15 Shackleton Bailey (1965-1970); Shackleton Bailey (1977); Shackleton Bailey (2001);
Shackleton Bailey (2002).
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I.5 Zur Vorgehensweise: Die Gliederung
und der Ansatz dieser Arbeit
Im folgenden Kapitel sollen zunächst die Voraussetzungen der Fragestellung
geklärt werden, hierzu zählt die Erläuterung von Begrifflichkeiten.16 Die Hauptuntersuchung ist dreigeteilt: Ciceros Finanzgebaren wird separat aus dem Blickwinkel des Familienvaters,17 des Freundes und des Inhabers einer Magistratur
betrachtet.18 Im jeweiligen Unterkapitel wird zunächst der antiken Definition
dieser Rollen nachgegangen. Danach werden die finanziellen Unternehmungen
Ciceros in den getrennt betrachteten Lebensbereichen dargelegt.
In seinem Werk De Officiis erwähnt Cicero die verschiedenen Lebensbereiche
eines Senators, allerdings nicht ohne deren Verbundenheit hervorzuheben. Das
bindende Glied für Cicero war die Pflicht, die in allen drei Sphären beachtet
werden müsse:
Denn kein Lebensabschnitt kann frei von Verpflichtung sein, weder in Staatsangelegenheiten, noch in privaten Dingen, weder in der Anwaltstätigkeit, noch im familiären
Bereich, weder wenn du etwas selbstständig betreibst, noch wenn du eine Sache gemeinsam mit einem anderen voranbringst. Darin, diese Pflicht in Ehren zu halten, liegt
die ganze Ehrenhaftigkeit, in ihrer Vernachlässigung die ganze Schändlichkeit deines
Lebens beschlossen.19
Das von Cicero hier erwähnte Pflichtbewusstsein war der hohen Erwartung an
einen Senator geschuldet, sein ganzes Leben den Standesregeln zu unterwerfen
und ein großes Maß an Selbstdisziplin aufzubringen.
In einem Schlusskapitel sollen die wesentlichen Aspekte der einzelnen Abschnitte noch einmal zusammengefasst werden, um anschließend ein Fazit aus
ihnen zu ziehen.20
16 S. Kapitel II.
17 S. Kapitel III.
18 S. Kapitel IV und V.
19 Cic. off. 1.4: Nulla enim vitae pars neque publicis neque privatis neque forensibus
neque domesticis in rebus, neque si tecum agas quid, neque si cum altero contrahas,
vacare officio potest, in eoque et colendo sita vitae est honestas omnis et neglegendo
turpitudo.
20 S. Kapitel VI.
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