Tagungsdokumentation Inhaltsverzeichnis 1. Vorwort ........................................................................................................................................... 3 2. Programmablauf ............................................................................................................................. 4 3. Begrüßung und Einführung ............................................................................................................. 4 4. Vorträge........................................................................................................................................... 5 4.1 Prof.in Dr.in Andrea Kleeberg-Niepage: Extremismus im Jugendalter: Entwicklung, Ursachen und Prävention ................................................................................................................................ 5 4.2 Dipl.Päd. Moussa Al Hassan Diaw, M.A.: Islamismus/Salafismus: Hintergründe der Ideologie, Motive für Radikalisierung und Wege der Indoktrination............................................................... 6 4.3 Univ.-Prof. Mag. Dr. Reinhold Gärtner: Wie umgehen mit extremistischen Einstellungen? .... 7 4.4 DSA Fabian Reicher, BA und Mag.a Verena Fabris: Präventionsarbeit mit Jugendlichen und Vorstellung der Beratungsstelle Extremismus ................................................................................ 9 4.5 Imam Husamuddin Meyer: Erfahrungen aus der Betreuung muslimischer Häftlinge .............. 9 5. Gesprächskreise ............................................................................................................................ 11 6. Literaturliste .................................................................................................................................. 12 7. Kontaktdaten und Links ................................................................................................................. 15 Amt der Tiroler Landesregierung, Abt. JUFF – Fachbereich Integration Für den Inhalt verantwortlich: Mag. Johann Gstir Redaktion: Sandra Pletzer, MA Informationen: Fachbereich Integration des Landes Tirol, Michael-Gaismair-Straße 1 · 6020 Innsbruck · Tel. +43 (0)512/508-3551 · E-Mail: [email protected] · Internet: www.tirol.gv.at/integration Titelseite: Birgit Raitmayr Bilder: Land Tirol/Sandra Pletzer 2 1. Vorwort Radikalisierung und Extremismus in verschiedensten Ausprägungen stellen das Funktionieren von modernen und offenen Gesellschaften immer wieder in Frage. Sie widersprechen dem Bemühen für ein Zusammenleben in Vielfalt, in dem unterschiedliche Meinungen, Auffassungen und Positionen in friedlicher Weise nebeneinander existieren können. Jugendliche sind in der Phase der Persönlichkeitsbildung oftmals anfällig für radikales Gedankengut. Der Schritt von einem durchaus „normalen“ kritischen Blick auf die Gesellschaft zu einem Abdriften in extreme Positionen und auch Handlungen ist manchmal klein. Doch bieten sich bei jungen Menschen im Vergleich zu Erwachsenen mehr Möglichkeiten, Radikalisierungen mit pädagogischen Ansätzen entgegenzutreten. Ziel der Tagung war es, Menschen, die mit Jugendlichen arbeiten, dabei zu unterstützen, Gefährdungen rechtzeitig zu erkennen und Handlungsmöglichkeiten für die Prävention aufzuzeigen. Was kann man selbst tun und wo bekommt man Unterstützung? Welche guten Ansätze gibt es und was braucht man dazu? ExpertInnen aus dem In- und Ausland haben sich mit diesen und anderen Fragen im Zusammenhang mit Radikalisierung von Jugendlichen auseinandergesetzt. Von PraktikerInnen wurden konkrete Handlungsansätze und Unterstützungsmöglichkeiten aufgezeigt. Die ReferentInnen der Fachtagung v.l. Fabian Reicher, Moussa Al Hassan Diaw, Reinhold Gärtner, Andrea Kleeberg-Niepage, Imam Husamuddin Meyer und Verena Fabris mit den Fachbereichsleitern und Organisatoren Johann Gstir (JUFF/Integration – rechts außen) und Reinhard Macht (JUFF/Jugend – 3. v.l.). Die Fachtagung war eine gemeinsame Veranstaltung von Land Tirol, Abt. JUFF-Fachbereiche Integration und Jugend, Abt. Kinder- und Jugendhilfe, Haus der Begegnung, Tiroler Jugendbeirat, POJAT – Plattform Offene Jugendarbeit Tirol 3 2. Programmablauf 3. Begrüßung und Einführung Die Fachtagung wurde durch eine kurze Einführung von Hannes Gstir (für das Organisationsteam) und einleitende Worte der anwesenden Landtagsabgeordneten, Barbara Schwaighofer und Ahmet Demir, eröffnet. 4 4. Vorträge 4.1 Prof.in Dr.in Andrea Kleeberg-Niepage: Extremismus im Jugendalter: Entwicklung, Ursachen und Prävention Prof. Dr.in Andrea Kleeberg-Niepage ist Professorin für Entwicklungs- und pädagogische Psychologie an der EuropaUniversität Flensburg. Im Rahmen eines Forschungsprojektes zur Entwicklung präventiver Strategien gegen Extremismus im Land Brandenburg befasste sie sich unter anderem mit der Rekonstruktion von Entwicklungsverläufen junger rechtsextremistischer Straftäter(innen). In ihrem Vortrag wurden unter anderem folgende Fragen aufgeworfen und beantwortet: Wie verläuft die politische Sozialisation im Jugendalter und warum gelangen einige Jugendliche zu extremistischen politischen Überzeugungen und andere nicht? Besitzen die verschiedenen extremistischen Strömungen mehr Gemeinsamkeiten als Unterschiede? Ist (Rechts-)Extremismus ein randständiges Phänomen oder eher ein Thema für die Mitte der Gesellschaft? Und: Wie kann Prävention gelingen? Durch das „Rechts-Mitte-Links-Schema“ lassen sich verschiedene Arten von Extremismus kategorisieren, die alle gemeinsam haben, dass sie immer als abseits der „normalen Mitte“ der Gesellschaft, also als Randgruppenphänomen betrachtet werden. Im Vergleich zum Linksextremismus, der sich vor allem durch Kapitalismuskritik und den Glauben an eine Fundamentalgleichheit auszeichnet, lässt sich eine rechtsextreme Einstellung durch übersteigerten Nationalismus, Rassismus, Antisemitismus und Autoritarismus charakterisieren. Beim islamistischen Extremismus hingegen wird die Religion als herrschende Lehre angesehen und mit der Politik gleichgesetzt. Alle extremistischen Richtungen haben aber Eigenschaften gemeinsam, wie Antipluralismus, Dogmatismus, Führerverehrung, Ideologiegläubigkeit und die Akzeptanz von Gewalt zur Durchsetzung der eigenen Interessen. Trotz der Auflistung von prototypischen Merkmalen radikaler Jugendlicher betonte Frau Kleeberg-Niepage, dass es nicht so einfach ist, radikale Einstellungen an einzelnen Merkmalen festzumachen. Auch die Gründe für eine Radikalisierung junger Menschen sind vielfältig. Zwar üben alle Sozialisationsinstanzen einen Einfluss auf die politische Sozialisation aus. Doch dieser Einfluss ist eher indirekt und latent. Daher kann politischer Extremismus nicht einfach auf eine misslungene politische Sozialisation zurückgeführt werden. Die Referentin wies darauf hin, dass (rechts)extremistische Sozialisation nicht nur – wie vielfach angenommen in „broken home“-Situationen, bei „schlechten“ Freunden und fehlender Bildung auftritt, sondern durchaus auch bei Jugendlichen mit höherem Bildungsgrad und in guten sozialen Verhältnissen vorkommt. Nach diesen Ausführungen stand die Frage im Vordergrund, wie Jugendarbeit präventiv wirken kann. Unter anderem sind die Implementierung einer offenen und konstruktiven Diskussionskultur sowie die Artikulation einer eigenen, klar begründeten politischen Haltung Voraussetzungen für eine funktionierende Extremismusprävention. Außerdem benötigt es klare Grenzsetzungen bei gleichzeitiger Akzeptanz der Person und eine Förderung sowie auch Einforderung von Partizipation, Mitbestimmung und der Übernahme von Verantwortung. Als einen der wichtigsten Punkte nannte Kleeberg-Niepage allerdings die Langfristigkeit von Maßnahmen in der Deradikalisierungsarbeit und 5 die Unterstützung einer demokratischen Gegenkultur. Dabei ist für Jugendliche vor allem das konkrete Erleben demokratischer Strukturen und Prozesse - beispielsweise in Schulen und Vereinen wichtig. Das „Predigen“ von Demokratie bei gleichzeitig undemokratischen Verhältnissen geht in´s Leere. 4.2 Dipl.Päd. Moussa Al Hassan Diaw, M.A.: Islamismus/Salafismus: Hintergründe der Ideologie, Motive für Radikalisierung und Wege der Indoktrination Dipl.Päd. Moussa Al Hassan Diaw, M.A. ist Religionspädagoge an der Universität Osnabrück und der PH Linz. Er ist Mitglied des „Radicalisation Awareness Network“ der Europäischen Kommission sowie Gründer des Netzwerks Sozialer Zusammenhalt – Prävention, Deradikalisierung und Demokratie. Bei seinem Vortrag standen folgende Fragen im Vordergrund: Was sind die ideologischen Hintergründe des Extremismus und welche Rolle spielen dabei soziale Medien? Was führt zur Radikalisierung von jungen Menschen, sodass sie bereit sind als „Fremde Kämpfer“ nach Syrien und den Irak zu fahren? Diaw ermöglichte mit seinen Ausführungen einen Einblick in die Ideologie und das Denken politischer und religiös motivierter Bewegungen. Er wies darauf hin, dass Vordenker diverser radikaler Gruppierungen immer nur von einer Minderheit der Muslime wahrgenommen und unterstützt wurden und deren politische und militante Handlungen sich in erster Linie gegen die eigene Regierung, deren Institutionen und vor allem gegen die eigenen Bevölkerung richteten. Den Ausgangspunkt für die Aktionen dieser Gruppierungen bildete unter anderem der politische Diskurs des Ägypters Sayyid Qutb, welcher von 1906 bis 1966 lebte. Sein Studienaufenthalt in den USA führte ihm seine Identität als Ägypter und Muslim vor Augen. Da man ihn zudem für einen Afroamerikaner hielt, musste er oft Diskriminierung am eigenen Leib erfahren. Der Umgang zwischen den Geschlechtern war für ihn erschütternd und nährte bei ihm Ängste, diese gesellschaftlichen Gegebenheiten könnten auch in seiner Heimat Einzug halten. Zurückgekehrt aus den USA wurde aus Qutb ein Kritiker der Gesellschaft und des politischen Systems. Er landete 1955 im Gefängnis und wurde zu 25 Jahren Zwangsarbeit verurteilt. In dieser Zeit erstellte Qutb einige Schriften zu seiner Weltanschauung, in welchen er den Untergang der Gesellschaft durch die westlichen Ideen prognostizierte und dass die einzige Lösung dagegen der Islam sei. Nach seinem Tod nahmen sich zu politischen Sondergemeinschaften verfallene Organisationen (darunter die diversen Strömungen der Salafiyya aber auch andere radikale Bündnisse) seiner Gedanken an, interpretierten sie weiter und zogen daraus fatale Schlüsse. Einige davon, wie z.B. „Takfir al Hadschira“ od. „Al-Dschihad“, verwendeten Qutbs Ausführungen als Vorwand für diverse gewalttätigen Aktionen gegen die eigene Bevölkerung, welche in ihren Augen vom islamischen Glauben abgekommen war und erklärten diese Muslime für ungläubig („Takfir“). Höhepunkt der Radikalisierung war die Ermordung des damaligen ägyptischen Staatschefs Anwar Al-Sadat, die ebenfalls mit den Schriften von Qutb gerechtfertigt wurde. In den 1990er-Jahren formierten sich die antikommunistischen arabischen AfghanistanKämpfer zu einer internationalen Organisation, welche sich gegen den Westen richten sollte. Daraus entsprang auch die bekannteste und bis heute bestehende radikale islamistische Gruppierung AlQaida. 6 Wie in Diaws Ausführungen dargestellt wurde, reichen die Wurzeln dieser Ideologie in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts zurück, und sie war zu Beginn ein national begrenztes Phänomen. Diese Form des militanten Extremismus findet in der Religion keine Grundlage, und doch wird er von diesen Ideologen religiös verbrämt gerechtfertigt. Doch warum sind Menschen heute zu solchen Gewaltaktionen fähig? Die Gefahr besteht unter anderem darin, dass diese ideologischen Verwirrungen durch die modernen Medien verbreitet werden und stets präsent sind. So ist beispielsweise die radikale Weltanschauung des Dschihadisten Abdussalam Faradsch „Die nicht erfüllte Pflicht“ im Internet als PDF-Datei verfügbar und wurde auch ins Deutsche übersetzt. Solche radikalen Lehren sind besonders häufig für junge Muslime attraktiv, welche durch Migration bedingte soziale Probleme wie Gefühle der Marginalisierung oder Identitätsdiffusion durchleben. Diesen jungen Menschen verleihen vereinfachende, radikale ideologische Konzepte die Sicherheit, um des Gefühl der Marginalisierung zu kompensieren. Radikale Gruppierungen machen sich die Unwissenheit, die Unsicherheit und die leichte Manipulierbarkeit dieser Personen zu Nutze, um sie für Ihre Zwecke zu rekrutieren und auszubilden. Die theologische und religionspädagogische Schulung von Lehrenden, aber auch die entsprechende religiöse Erziehung der Adressatinnen und Adressaten kann diesbezüglich vorbeugend wirken. Nützliche Internet-Links: Moussa Al-Hassan Diaw (2011): Ideologisierung des Islam und politisches Sektierertum, Text verfügbar unter: http://www.bundesheer.at/wissen-forschung/publikationen/beitrag.php?id=2128 Vice News (2014): Inside the Islamic State, Video verfügbar unter: https://news.vice.com/video/theislamic-state-full-length Abd S. Moussaoui und Florence Bouquillat (2002): Zacarias Moussaoui, mein Bruder. Pendo Verlag 4.3 Univ.-Prof. Mag. Dr. Reinhold Gärtner: Wie umgehen mit extremistischen Einstellungen? Mag. Dr. Reinhold Gärtner ist Professor für Politikwissenschaft an der Universität Innsbruck. Einer seiner Forschungsschwerpunkte liegt im Bereich Rechtspopulismus und Rechtsextremismus. Er veranstaltet außerdem (gemeinsam mit dem Oberlandesgericht Innsbruck) Kurse für rechtsextrem auffällige Jugendliche. 7 Die Gründe, warum sich Rechtsextremismus seit Jahren in unserer Gesellschaft hält, sieht Gärtner in der fehlenden Aufarbeitung der nationalsozialistischen Mittäterschaft Österreichs, sowie der antisemitistische Tradition in Tirol (Bsp.: Ritualmordlügen wie „Anderl von Rinn“). Jugendlichen kann es aber auch schlicht um Provokation gehen. Die zweite Variante, der „islamistische“ Terror bzw. Dschihadismus ist mit dem „Links–Rechts-Schema“ nicht ausreichend zu erklären, wenngleich zahllose Merkmale rechtsextremer Agitation bzw. Ideologie auch hier zu finden sind. Es geht sehr deutlich um einen Kampf der Weltanschauungen, um den grundlegenden Gegensatz zwischen Fundamentalismus, der in sich totalitär ist, und Pluralismus als einem wesentlichen Kennzeichen unserer demokratischen Grundordnung. Bei der Sympathie für Dschihadismus geht es häufig um marginalisierte Jugendliche, um Jugendliche die Ausgrenzung erleben und in unserer Gesellschaft bisher nicht angekommen sind. Viele von ihnen haben Migrationshintergrund (wurden aber zum größten Teil bereits hier geboren und sind hier aufgewachsen), andere wiederum haben diesen Hintergrund nicht: allen gemein ist aber der soziale Ausschluss, die subjektiv empfundene Chancenungleichheit und Benachteiligung. Die Wichtigkeit des Themas Integration wurde in Österreich lange nicht erkannt. Denn man ging damals davon aus, dass die ausländischen „Gäste“ nach einer gewissen Zeit das Land wieder verlassen würden. Integration fand somit nicht statt, Ausgrenzung erfolgte und eine Minderheit bildete sich. Wenn Minderheiten (z.B. Teilen der Zuwanderungsgesellschaft) die Teilhabe verweigert wird, wird ein Teil der Identität nicht befüllt bzw. ausgeklammert. Es werden dann andere Identitätsmerkmale und Kriterien wichtiger. Dies kann zu einer Rückbesinnung auf bislang Verdrängtes, Vergessenes oder im Lauf der Zeit unwichtiger Gewordenes führen. Die Ursprungsidentität wird dann von einer imaginierten Gemeinschaftsvorstellung abgelöst. Im Zuge dieses Prozesses entsteht Unsicherheit, Abschottung und Abgrenzung – und das wird zu einem aufbereiteten Feld für perfide Ideologen und Fanatiker. Am Ende seines Vortrags zog Gärtner folgende Schlüsse: Wenn Integration gelingen soll, muss der Zuwanderungsgesellschaft die tatsächliche Aufnahme, die Integration und Zugehörigkeit zur Mehrheitsgesellschaft ermöglicht werden. Integration bedeutet auch Zusammenhalt; die Aufnahmegesellschaft muss dabei Möglichkeiten, sich einzubringen ebenso herstellen wie Chancengleichheit. Diversity Management wäre in diesem Zusammenhang ein hilfreiches Stichwort. Die Zuwanderungsgesellschaft wiederum muss andere Bedingungen erfüllen: Den Spracherwerb, die Anerkennung der Grund- und Menschenrechte sowie die Akzeptanz demokratischer Spielregeln. Prävention muss auf mehreren Ebenen erfolgen. Einige Maßnahmen gegen Extremismus wären unter anderem politische Bildung und Menschenrechtserziehung. Auch eine Ent-Ethnisierung kann laut Gärtner sinnvoll sein. Statt der Betonung von Ethnizität oder Religion sollte die Frage nach sozialer Benachteiligung bzw. sozialer Ausgrenzung öfter gestellt und damit vielleicht auch beantwortet werden. Eine klare Positionierung und Distanzierung von Politik und Gesellschaft gegen Diskriminierung, weichen und harten Nationalsozialismus, dschihadistische Verhetzung und Gewalt sind ebenfalls wichtig. 8 4.4 DSA Fabian Reicher, BA und Mag.a Verena Fabris: Präventionsarbeit mit Jugendlichen und Vorstellung der Beratungsstelle Extremismus DSA Fabian Reicher, BA arbeitet in der Offenen Jugendarbeit beim Verein Back Bone – mobile Jugendarbeit 20 – in Wien. Reicher führte in seinem Vortrag aus, dass Neo-Salafismus unter anderem deshalb für Jugendliche attraktiv ist, weil er das Gefühl der Gruppen-zugehörigkeit, Werte, klare Regeln und Grenzen, den Gedanken der Gerechtigkeit, Feindbilder („Gut“ vs. „Böse“) sowie die Möglichkeit des Protests beinhaltet. Radikalisierungs-prozesse sind im Allgemeinen immer individuell, zeitlich unterschiedlich gelagert und nicht zwingend linear. Außerdem wird Radikalisierung unabhängig von der Bildungsschicht beobachtet. In der Präventionsarbeit sollten Beziehungsarbeit sowie eine akzeptierende Haltung die Grundlage bilden. Respekt u. Wertschätzung ohne Bedingung sowie Kommunikation auf Augenhöhe sind weitere wichtige Aspekte. Jugendliche sollten als ExpertInnen ihrer Lebenswelt wahr- und ernstgenommen werden. Konkret geht es auch darum, Selbstwirksamkeit zu stärken, Jugendliche zur Mitgestaltung zu ermutigen und verdeckte Bedürfnisse aufzudecken. Mag.a Verena Fabris leitet die Beratungsstelle Extremismus, eine bundesweite Anlaufstelle für Angehörige, Bezugspersonen und Betroffene und stellte diese auf der Fachtagung vor. Neben einer Hotline (0800/20 20 44) besteht die Beratungsstelle aus einem mobilen Team, die Mitarbeiter sind für Kriseninterventionen ausgebildet. Die Beratung erfolgt anonym und kostenlos. Außerdem bietet die Beratungsstelle Fort- und Weiterbildungen in folgenden Bereichen an: - Diversität, Umgang mit Vielfalt Antidiskriminierung, (antimuslimischer) Rassismus Religiös begründeter Extremismus: Dschihadismus/Salafismus Politisch begründeter Extremismus: Rechtsextremismus 4.5 Imam Husamuddin Meyer: Erfahrungen aus der Betreuung muslimischer Häftlinge Husamuddin Meyer ist Ethnologe und Islamwissenschaftler, Imam und muslimischer Seelsorger. Meyer berichtete von seiner Arbeit als Gefängnisseelsorger. Seit sieben Jahren arbeitet er in der Justizvollzugsanstalt Wiesbaden. Dort sitzen viele junge Muslime ihre Strafen ab. Die Gefängnisdirektorin engagierte ihn dort als Seelsorger und Imam, also als Vorbeter. Mittlerweile ist Meyer in drei deutschen Gefängnissen tätig. Er will den Gefangenen den islamischen Glauben nahebringen und versucht, Gläubige von einer radikalen Auslegung des Koran abzubringen. Bei seiner Arbeit mit Häftlingen stellte Meyer folgendes fest: Auch wenn viele der inhaftierten jungen Männer sehr wenig religiöses Wissen haben und sehr wenig religiöse Praktiken kennen und ausüben, 9 verstehen sie sich als Muslime. Der Islam fungiert als Identität stiftendes Merkmal, neben ihrer nationalen oder ethnischen Identität. Gerade die in Deutschland aufgewachsenen jungen Männer, die hier trotzdem als „Ausländer“ angesehen werden, in der Heimat beispielsweise aber als „Deutsche“ gelten, suchen ihre Identifikation im Islam. Durch die Einrichtung des Freitagsgebetes, gemeinsam mit einem Angebot der „Seelsorge“ fühlten sich die jungen Leute aufgewertet, ihrer Identität wurde Rechnung getragen, denn sie haben sehr wohl wahrgenommen, dass auf der christlichen Seite ein großes Angebot da ist. Durch das neue Angebot wurde das Gefühl der vermeintlichen Diskriminierung, welches sie von „draußen“ kennen, geringer. Dabei sind Gespräche über religiöse Fragen aber auch über persönliche Probleme ausschlaggebend, um eine Beziehung zu den Häftlingen herzustellen und einen Rahmen zu schaffen, in dem extremistische Argumente entkräftet werden können. Vor allem Einzelgespräche wären wichtig, für die aber häufig nicht genug Zeit bleibt. Für eine ausreichende Betreuung müssten die Länder mehr Mittel zur Verfügung stellen, um Imame als Vollzeit-Seelsorger im Gefängnis genauso bezahlen zu können wie christliche Pfarrer. Besonders gefährlich ist es laut Meyer nämlich, dass orientierungslose Jugendliche oft niemanden haben, der sie in religiösen Fragen berät und sie vor radikalen Insassen warnt. Nützliche Internet-Links: WDR.de: Hier und heute (2015): Imame für die JVA, Video verfügbar unter: http://www1.wdr.de/fernsehen/regional/hierundheute/sendungen/imame-fuer-die-jva-100.html Stern.de (2015): Seelsorger im Gefängnis - Wie dieser Mann islamistischen Hass bekämpft, http://www.stern.de/panorama/islamistischer-terror--wie-husamuddin-meyer-gegen-den-hasskaempft-5940220.html Spiegel.de (2014): Strafvollzug - Vom Knast in den Dschihad, http://www.spiegel.de/spiegel/print/d127862077.html Spiegel online (2015): Muslimische Seelsorge in Gefängnissen: Gegen den Irrglauben, http://de.b2.mk/news/muslimische-seelsorge-in-gefnissen-gegen-den-irrglauben?newsid=0IF 10 5. Gesprächskreise Bei nachmittäglichen Gesprächskreisen mit den ExptertInnen, gab es für alle TeilnehmerInnen die Möglichkeit, sich über Deradikalisierungsarbeit in der Praxis und konkrete Fragestellungen zu unterhalten und sich über ihre Erfahrungen auszutauschen: Prof.in Dr.in Andrea Kleeberg-Niepage: politische Sozialisation und Extremismus im Jugendalter Dipl.Päd. Moussa Al Hassan Diaw, M.A.: Radikalisierung, Indoktrination und Interventionsmaßnahmen - Beispiele aus der Praxis Univ.-Prof. Mag. Dr. Reinhold Gärtner: Umgang mit straffällig gewordenen rechtsradikalen Jugendlichen in Tirol Mag.a Verena Fabris und DSA Fabian Reicher, BA: Extremismusprävention in der offenen Jugendarbeit Imam Husamuddin Meyer: Antiradikalisierung am Beispiel der Präventionsarbeit mit muslimischen Häftlingen 11 6. Literaturliste In der Fachbücherei der Abt. JUFF/Fachbereich Integration ausleihbar: Tahar Ben Jelloun: Der Islam, der uns Angst macht Georg Gombos, Marc Hill, Vladimir Wakounig, Erol Yildiz (Hrsg.): Vorsicht Vielfalt – Perspektiven, Bildungschancen und Diskriminierungen Sabine Aydt: An den Grenzen der interkulturellen Bildung - Eine Auseinandersetzung mit Scheitern im Kontext von Fremdheit Thorsten Gerald Schneiders (Hrsg.): Salafismus in Deutschland – Ursprünge und Gefahren einer islamischfundamentalistischen Bewegung Ednan Aslan, Evrim Ersan-Akkilic, Jonas Kolb: Imame und Integration Ilse König, Anton Pelinka (Hrsg.): Feindbild Zuwanderer – Vorurteile und deren Überwindung Andrea Wolf: Neue Grenzen – Rassismus am Ende des 20. Jahrhunderts Jochen Hippler, Andrea Lueg (Hrsg.): Feindbild Islam oder Dialog der Kulturen Klaus Kienzler: Der religiöse Fundamentalismus – Christentum, Judentum, Islam Jürgen Todenhöfer: Inside IS - 10 Tage im 'Islamischen Staat' Manfred Henle: (R)Ausländer aus – Argumente gegen Rechtsextremismus und Rassismus Guido Steinberg: Al-Qaidas deutsche Kämpfer - Die Globalisierung des islamistischen Terrorismus Julia Gerlach: Zwischen Pop und Dschihad - Muslimische Jugendliche in Deutschland Olivier Roy: Der islamische Weg nach Westen Tilman Seidensticker: Islamismus – Geschichte, Vordenker, Organisationen Sanem Kleff: Islam im Klassenzimmer Broschüren: Alevitische Gemeinde Deutschland e.V., Köln: Zeichen setzen! Für gemeinsame demokratische Werte und Toleranz – eine pädagogische Handreichung, online verfügbar unter: http://alevi.com/de/wpcontent/uploads/2013/12/Webversion_P%C3%A4dagogische-Handreichung-Zeichen-setzen.pdf, Bestellung: [email protected] Konrad-Adenauer-Stiftung e.V., Sankt Augustin: Islamismus!? Eine Handreichung für Pädagoginnen und Pädagogen - Die wichtigsten Fragen und Antworten zu religiöser Radikalisierung bei Jugendlichen, online verfügbar unter: http://www.kas.de/wf/doc/kas_29497-544-1-30.pdf?140407094543, Bestellung: [email protected] Deutsches Jugendinstitut - Abteilung Jugend und Jugendhilfe, Halle: Maruta Herding (Hrsg.): Radikaler Islam im Jugendalter – Erscheinungsformen, Ursachen und Kontexte, online verfügbar unter: http://www.dji.de/fileadmin/user_upload/bibs2014/1461_DJI_RadikalerIslam.pdf, Bestellung: [email protected] 12 René Schultens/Michaela Glaser (Hrsg.): ‘Linke‘ Militanz im Jugendalter – Befunde zu einem umstrittenen Phänomen, online verfügbar unter: http://www.dji.de/fileadmin/user_upload/bibs/1072_16388_Linke_Militanz_im_Jugendalter.pdf, Bestellung: [email protected] Bundesministerium des Innern, Berlin: Texte zur Inneren Sicherheit – Islamismus, online verfügbar unter: http://www.bmi.bund.de/SharedDocs/Downloads/DE/Broschueren/2003/Islamismus.pdf;jsessionid=0B73361C A8B4ADEC8D91C2057048A283.2_cid373?__blob=publicationFile, Bestellung: http://www.bmi.bund.de/SiteGlobals/Forms/Suche/Solr_Publikationssuche_Formular.html?view=processForm &nn=107748 Bundeszentrale für politische Bildung: Islam - Politische Bildung und interreligiöses Lernen (I-V), Bestellung: http://www.bpb.de/shop Bundeszentrale für politische Bildung: Es reicht! Das Heft gegen Rassismus und Rechtsextremismus, online verfügbar unter: http://www.bpb.de/shop/lernen/was-geht/146542/es-reicht-das-heft-gegen-rassismus-undrechtsextremismus, Bestellung: http://www.bpb.de/shop Bundeszentrale für politische Bildung: Aus Politik und Zeitgeschichte: Deradikalisierung, online verfügbar unter: http://www.bpb.de/apuz/164916/deradikalisierung, Bestellung: http://www.bpb.de/shop ZDK Gesellschaft Demokratische Kultur gGmbH: Ich lebe nur für Allah – Argumente und Anziehungskraft des Salafismus · Familien stärken - gegen Extremismus und Gewalt. Die speziellen Anforderungen im Kontext Türkischer Ultranationalismus und Islamismus · Der ideale Türke. Der Ultranationalismus der Grauen Wölfe in Deutschland - Eine Handreichung für Pädagogik, Jugend- und Sozialarbeit, Familien und Politik, Bestellung: [email protected] Netzwerk für politische Bildung, Kultur und Kommunikation e.V./Floris Biskamp und Stefan E. Hößl (Hrsg.): Islam und Islamismus - Perspektiven für die politische Bildung, Bestellung: [email protected] Schule ohne Rassismus - Schule mit Courage, Berlin: Themenheft: Fatma ist emanzipiert, Michael ein Macho!? · Handbuch: Islam und Schule · Themenheft: Islam und Ich, Bestellung: http://courageshop.schule-ohnerassismus.org/publikationen Senatsverwaltung für Inneres und Sport, Abteilung Verfassungsschutz: Zerrbilder von Islam und Demokratie – Argumente gegen extremistische Interpretationen von Islam und Demokratie · Rechte Gewalt in Berlin 20032012 · Salafismus als politische Ideologie · Islamismus, Bestellung: http://www.verfassungsschutz.de/de/oeffentlichkeitsarbeit/publikationen Ministerium für Inneres und Kommunales des Landes Nordrhein-Westfalen, Düsseldorf: Comics „Andi“ 1-3, Bestellung: http://www.mik.nrw.de/verfassungsschutz/publikationen/broschueren.html SOS Mitmensch: MO Magazin für Menschenrechte Nr. 38 - Feindbild Islam: Muslime in Österreich unter Druck, online verfügbar unter: http://www.sosmitmensch.at/site/momagazin/alleausgaben/mo38 Im ZeMiT – Zentrum für MigrantInnen in Tirol – ausleihbar: DGB-Bildungswerk Thüringen, Erfurt: Baustein zur nicht rassistischen Bildungsarbeit Opferperspektive, Potsdam: Was tun nach einem rechten Angriff? Fanny Müller-Ury: Antimuslimischer Rassismus 13 Bruns, Glösel, Strobl: Die Identitären Volkshilfe Flüchtlings- und MigrantInnenbetreuung Oberösterreich: Grauer Wolf im Schafspelz – Rechtsextremismus in der Einwanderungsgesellschaft Gomolla/Radtke: Institutionelle Diskriminierung – Die Herstellung ethnischer Differenz in der Schule Mauthausen Komitee Österreich: Rechtsextrem – Symbole, Codes, Musik, Gesetze, Organisationen Bücher des Fachbereichs Integration und ZeMiT sind in der IMZ-online-Bibliothek BIM (BIBLIOTHEK FÜR INTEGRATION UND MIGRATION) zu finden. Die Bibliothek beinhaltet Bücher, Zeitschriften, Broschüren und andere Publikationen zu Integration und Migration, (Anti)Rassismus und Diskriminerung und bietet Literatur zu migrationsrelevanten Themen wie Bildung, Gesundheit, kultureller Identität, Recht, Demographie, etc. Sie können online Literatur nach AutorIn, Titel, Themen und Schlagwörtern suchen (http://www.imztirol.webopac.at/search) und reservieren. Die Bücher sind auf drei Standorte aufgeteilt (JUFF-Fachbereich Integration, ZeMiT und Initiative Minderheiten), bitte beachten Sie daher die Signatur im Online-Katalog (JUFF, ZemiT, IM). In der Fachbücherei der Abt. JUFF-Fachbereich Jugend ausleihbar: Hans-Gerd Jaschke: Politischer Extremismus Reinhold Gärtner: Politiklexikon für junge Leute Stiftung Dokumentationsarchiv des Österreichischen Widerstandes: Handbuch des österreichischen Rechtsextremismus Burkhard Schröder: Rechte Kerle Otto/Merten: Rechtsradikale Gewalt im vereinigten Deutschland Franz Josef Krafeld: Jugendarbeit in rechten Szenen Franz Josef Krafeld: Akzeptierende Jugendarbeit mit rechten Jugendcliquen Informations-, Forschungs- und Fortbildungsdienst – Jugendgewaltprävention: Jugendarbeit mit Skinheads, Jugendarbeit und Rechtsextremismus und Rechtsextremismus als Herausforderung für die Ausbildung im Sozialwesen Amt der Tiroler Landesregierung, Abteilung Vb Jugendwohlfahrt, Kinder- und Jugendanwalt für Tirol: Skinheads Andreas Veiel: Der Kick – Ein Lehrstück über Gewalt Rainer Fromm: Schwarze Geister, Neue Nazis Klaus Farin: Über die Jugend und andere Krankheiten LOGO Jugendmanagement: Fuck the System – Jugend und Jugendkulturen zwischen Rechtsextremismus, Anpassung und Emanzipation Friedensbüro Salzburg: Nichts passt – Fachreader zur Gewaltprävention in der Arbeit mit Jugendlichen Wochenschau Verlag/Stephan Bundschuh: Wegweiser Jugendarbeit gegen Rechtsextremismus Wochenschau Verlag: Journal für politische Bildung – Rechtsextremismus 14 7. Kontaktdaten und Links JUFF-Fachbereich Integration, Michael-Gaismair-Straße 1, 6020 Innsbruck, Tel.: 0512 508 3551, Email: [email protected], Internet: www.tirol.gv.at/integration, www.facebook.com/integration.tirol JUFF-Fachbereich Jugend, Michael-Gaismair-Straße 1, 6020 Innsbruck, Tel.: 0512 508 3586, Email: [email protected], Internet: https://www.tirol.gv.at/gesellschaft-soziales/jugend Haus der Begegnung, Rennweg 12, 6020 Innsbruck, Tel.: 0512 587869, Email: [email protected], Internet: www.hausderbegegnung.com POJAT, Saline 17A, 6060 Hall in Tirol, Tel.: 0650 3442 910, Email: [email protected], Internet: www.pojat.at Tiroler Jugendbeirat, Infos: JUFF-Fachbereich Jugend, Internet: www.tirol.gv.at/jugendbeirat Fachbücherei Jugendarbeit: http://bibliothek-juff-jugendreferat.web-opac.at/search Bibliothek für Integration und Migration (BIM): http://www.imz-tirol.webopac.at/search Anlagen: - Andrea Kleeberg-Niepage_Extremismus im Jugendalter Entwicklung, Ursachen Prävention.pdf Moussa Al-Hassan Diaw_Ideologisierung des Islam und politisches Sektierertum.pdf Reinhold Gärtner_Wie umgehen mit extremistischen Einstellungen.pdf Fabian Reicher_BackBone_Mobile Jugendarbeit.pdf Verena Fabris_Beratungsstelle Extremismus.pdf Husamuddin Meyer_Muslimische Gefangenenseelsorge.pdf und 15
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