27.09.2015, 17. So. nach Trinitatis

Predigt zu Galater 3,26-29
17.n.Trin. 27.09.15
9.30 Uhr St. Lukas m. Am.
„Denn ihr seid alle durch den Glauben Gottes Kinder in Christus
Jesus. 27 Denn ihr alle, die ihr auf Christus getauft seid, habt
Christus angezogen. 28 Hier ist nicht Jude noch Grieche, hier ist
nicht Sklave noch Freier, hier ist nicht Mann noch Frau; denn ihr
seid allesamt einer in Christus Jesus. 29 Gehört ihr aber Christus
an, so seid ihr ja Abrahams Kinder und nach der Verheißung
Erben.“
Galater 3,26-29
Gnade sei mit Euch…
Stilles Gebet…
Liebe Gemeinde!
Rund 250 Milliarden Euro werden z.Zt. jährlich in Deutschland
ver- bzw. geerbt. Das hat die diesjährige Studie des Deutschen
Instituts für Altersvorsorge ergeben, die Anfang September
veröffentlicht wurde. 250 Milliarden Erbmasse in Geld,
Grundbesitz und Aktien – das ist mehr als das gesamte bisherige
Griechenland-Rettungspaket.
Stellen Sie sich mal vor: wenn alle gleichmäßig erben würden, die
in Deutschland leben, dann bekäme jeder der rund 80 Mio.
Einwohner bis 2024 jährlich rund 3125 €. Aber erben meint ja
nicht verteilen. Nur wer in einer Familie lebt, die etwas zu
vererben hat, kann auch auf etwas hoffen. Darum spricht die
Studie auch davon, dass die zu erwartenden Erbschaften im
nächsten Jahrzehnt die soziale Schere in Deutschland weiter
aufgehen lässt und die herrschende Ungleichheit und
Ungerechtigkeit zementiert. (Denn die, die aus Familien kommen,
die in den Wirtschaftswunderjahren kein Vermögen aufbauen
konnten oder dies in den Krisen der letzten Jahre verloren haben,
haben z.Zt. ja wenig Chancen, nennenswert Vermögen
aufzubauen. Das fängt schon damit an, dass sie ihren Kindern die
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Ausbildung zu Berufen nicht bezahlen können, die später einmal
gute oder sehr gute Verdienste ermöglichen.)
Ich habe diese Studie im Internet bei Spiegel online gefunden.
Dort konnten Leserinnen und Leser auch Kommentare abgeben.
Die meisten schrieben, sie könnten überhaupt nicht verstehen,
wo da das Problem sei: so sei das nun mal, wer sich
Vermögenswerte erarbeitet und geschaffen hat, der muss doch
auch das Recht haben, das an seine Kinder weiterzugeben, daran
sei doch nichts ungerecht. Einige redeten von „Gleichmacherei“
oder vermuteten eine „Neiddebatte“. „Gleichmacherei“ – ein
böses Wort für den Gedanken, es sei notwendig, einen Ausgleich,
so etwas wie Chancengerechtigkeit auch für die sozial
Schwächeren herzustellen, wenn wir langfristig in Deutschland
nicht in eine noch extremere soziale Schieflage geraten wollen.
Ich frage mich, was diese Kommentatoren wohl zu unserem
Predigttext heute gesagt hätten. Ich lese ihn noch einmal:
„Denn ihr seid alle durch den Glauben Gottes Kinder in Christus
Jesus. 27 Denn ihr alle, die ihr auf Christus getauft seid, habt
Christus angezogen. 28 Hier ist nicht Jude noch Grieche, hier ist
nicht Sklave noch Freier, hier ist nicht Mann noch Frau; denn ihr
seid allesamt einer in Christus Jesus. 29 Gehört ihr aber Christus
an, so seid ihr ja Abrahams Kinder und nach der Verheißung
Erben.“
Das ist ja wohl Gleichmacherei hoch fünf, was Paulus da schreibt.
Und so müssen es seine Leserinnen und Leser auch empfunden
haben. In der damaligen Gesellschaft war so klar wie heute, dass
es einen Unterschied machte, ob man Jude oder Grieche, Sklave
oder Freier, Mann oder Frau war. Wie wir heute noch hatten die
Menschen Schubladen im Kopf und teilten sich untereinander ein
nach Abstammung, Völkerstämmen und Ländergrenzen.
Auch viele Gemeindeglieder stammten aus unterschiedlichen
Völkern, waren sowohl jüdischer als auch nicht-jüdischer
Abstammung, hatten unterschiedliche Muttersprachen. Und sie
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hatten so ihre Schwierigkeiten miteinander. Denn auch in ihrem
religiösen Empfinden unterschieden sie sich voneinander, ihre
unterschiedlichen religiösen Sozialisationen führten zu
grundsätzlichen Konflikten. Anders ausgedrückt: um den rechten
Glauben gab es Zoff.
Ein heftiger Streit war entstanden über die Frage, was man denn
nun tun und wie man leben musste, um wirklich Christ zu sein.
Reichte es, an Christus zu glauben und sich taufen zu lassen, wie
Paulus gelehrt hatte? Vielen Christen, die als Juden
aufgewachsen waren, reichte genau das nicht. Ihnen war es ein
bisschen unheimlich bei dem Gedanken, auf einmal das, was sie
über Gott gelernt hatten, über Bord zu werfen. Als daher
christliche Prediger aus Jerusalem kamen und ihnen sagten, dass
sie wie vor ihrer Taufe weiterhin die Gebote der Thora beachten
und sich beschneiden lassen sollten, da glaubten sie ihnen das
nur allzu gern.
Hatte Gott zu Mose am Sinai nicht gesagt, dass die Beschneidung
für alle Zeiten das Zeichen des Bundes Gottes mit seinem Volk
sein solle? Wenn sie jetzt also neben der Taufe weiter an der
Beschneidung festhielten, waren sie sozusagen doppelt
abgesichert. Darum forderten sie, dass auch jeder nichtjüdische
Mann, der Christ wurde, sich taufen und beschneiden lassen
sollte. Denn wer als Mann nicht beschnitten war wie jeder Jude,
konnte nicht zu Gott gehören, also konnte der auch kein Christ
sein – so einfach war das.
Und so falsch – schreibt Paulus ihnen zur Antwort. Für Paulus
stand alles auf dem Spiel in diesem Streit. Warum, das ist für uns
heute gar nicht so leicht zu verstehen.
Ich möchte Ihnen dazu eine kleine erfundene Geschichte
erzählen.
Zwei junge Frauen haben gerade ihr Studium beendet und sind
auf Jobsuche. Etliche Bewerbungen haben sie schon geschrieben.
Da bekommen beide eines Tages einen Anruf von einer großen
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Firma, bei der sie sich noch gar nicht beworben haben. Eine
freundliche Stimme sagt: Bitte kommen Sie morgen in unser Büro
in der Ludwigstraße. Sie bekommen bei uns die Stelle, die Sie sich
wünschen, und können sofort anfangen. Wir freuen uns auf sie.
Die beiden halten das zunächst für einen schlechten Scherz. Aber
irgendwas an der Stimme hatte überzeugend geklungen. So
beschließen sie, es einfach zu versuchen – schaden kann’s ja wohl
nicht. Die eine sortiert sorgfältig ihre Bewerbungsunterlagen,
packt ihre zahlreichen – sehr guten - Zeugnisse und
Beurteilungen,
ihre
unzähligen
Sonderpraktikumsbescheinigungen – ja, sie hat immer darauf geachtet, etwas mehr
zu machen als die anderen - und ihren Lebenslauf ein, geht zum
Frisör und zur Kosmetik und bügelt ihre schickste Bluse. Die
andere schaut sich das eine Weile an und sagt dann: „Du – die
Stimme hat doch gar nicht verlangt, dass wir irgendwas
mitbringen sollen. Ich hab das Gefühl, dass es irgendwie um ganz
was anderes geht als um das, was wir vorweisen können. Ich geh
einfach so.“ Die andere schüttelt nur den Kopf. „Wie kann man
nur so naiv sein“, denkt sie. „aber umso besser, dann hab
wenigstens ich den Job schon sicher.“
Am nächsten Morgen betreten sie gemeinsam das
Firmengebäude und werden in einen Warteraum gebeten. Nach
kurzer Zeit wird die, die nichts dabei hat, aufgerufen und in ein
großes Zimmer geführt. Ein Mann und eine Frau kommen ihr mit
ausgestreckten Händen entgegen. „Wie schön, dass Sie uns
vertraut haben und gekommen sind. Wir hoffen, dass Sie sich bei
uns wohlfühlen und es Ihnen gutgeht bei uns. Im Namen der
ganzen Firma heißen wir Sie von Herzen willkommen!“
Soweit die Geschichte. Was die andere Frau weiter erlebt hat,
möchte ich offen lassen, ich halte vieles für möglich.
Liebe Gemeinde, manche Einstellungen lassen sich nicht
vereinbaren. Die kann man nicht gleichzeitig haben. Das ist das,
was Paulus den Galatern klarzumachen versucht. Die beiden
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Frauen meiner Geschichte haben sich angesichts des Angebots
für zwei Reaktionen entschieden, die sich gegenseitig
ausschließen: die eine beschließt, den scheinbar sicheren
vertrauten Weg zu gehen und auf die überzeugende Wirkung der
eigenen Leistung zu vertrauen – die andere entschließt sich, der
Stimme Glauben zu schenken und mit offenen Händen
anzunehmen, was ihr ohne jede Bedingung hingehalten wird.
Darum geht es Paulus: es gibt zwei Wege zu Gott. Das bestreitet
er nicht. Es gibt den Weg, das Gesetz und die Gebote Gottes zu
halten und sich beschneiden zu lassen, es gibt diesen Weg des
ersten Bundes, der ist nicht ungültig geworden mit Christus. Aber
dieser Weg ist nicht zu schaffen. Keiner kann das ganze Gesetz
erfüllen, bis zum letzten Buchstaben mit jedem Atemzug seines
Lebens. Lesen Sie sich mal all die Gebote durch! Auf diesem Weg
kann niemand zu Gott kommen, sagt Paulus, auch im Mose-Bund
ging das schon nicht. Das Gesetz gibt es, weil wir sonst nicht
wüssten, was richtig ist und was falsch. Es hilft uns, unsere Schuld
zu erkennen. Und es zeigt uns, wie sehr wir etwas anderes
brauchen als das, was wir selber leisten können – Gnade!
Der Weg, der wirklich zu Gott führt, den öffnet Gott uns selbst.
Schon im ersten Teil der Bibel lesen wir: Gottes Gnade ist älter als
sein Gesetz. Der erste, den Gott gerufen hat, war Abraham. Er
kannte das Gesetz Gottes noch nicht. Aber er vertraute dem Ruf
Gottes und zog mit seiner ganzen Familie in die Fremde. Er
glaubte Gott, dass er es gut mit ihm meint. Und das reichte,
damit Gott an seiner Seite blieb.
„Ich will dich segnen und du sollst ein Segen sein und sollst ein
großes Volk werden und in dir sollen gesegnet werden alle Völker
auf Erden“ – das ist zusammengefasst die Verheißung, das, was
Gott zu Abraham sagte, ganz am Anfang, vor allem Gesetz.
Seinem Stammbaum zufolge ist Jesus von Nazareth Abrahams
Nachkomme – der Nachkomme, in dem sich die Verheißung
Gottes erfüllt. Der aus Gottes unbegreiflicher Liebe heraus
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Mensch wurde und für uns gestorben ist, damit wir in der
Freiheit der Kinder Gottes leben können. Darum sagt Paulus: Wer
jetzt zu Christus gehört, wer glaubt und getauft wird, der wird
zum Bruder, die wird zur Schwester von Christus. Und sie erben,
wie das in guten Familien so ist, mit Christus zusammen die
Verheißung Gottes an Abraham: ich will dich segnen und du sollst
ein Segen sein. Das ist ein anderes Erbe als die, von denen ich
eingangs geredet habe – ein Erbe, das Gräben nicht vertieft,
sondern Menschen verbindet.
Und dann malt uns Paulus noch ein eindrückliches Bild: Wer
glaubt und getauft wird, zieht Christus an wie ein Kleid. Ein
schönes Kleid, das alle Unterschiede und alles Trennende, alles
Unschöne, Zerrissene, Unheile überdeckt. Wer Christus vertraut,
der wird von Gott befreit und gerecht gemacht und gehört zur
großen Familie der Gotteskinder, ein für alle Mal. Das reicht.
Wer sich aber jetzt zusätzlich noch beschneiden lässt, der
wechselt die Spur! Der verlässt den Weg der Gnade Gottes und
geht zurück auf den Weg des Gesetzes. Egal, ob er Jude war oder
nicht. Beides zusammen geht nicht! – Nun ist die Beschneidung
heut nun wirklich nicht mehr unser Problem. Aber der Weg des
Gesetzes bleibt für uns trotzdem eine ständige Versuchung.
Leistung bringen, Eindruck machen, hilfsbereit bis zur
Erschöpfung sein, Gutes tun und darüber reden, großzügig
spenden – all das kann Ausdruck meines Glaubens sein. All das
kann aber auch zum Weg des Gesetzes werden, wenn ich
versuche, Gott und meine Mitmenschen damit zu beeindrucken
und mir selbst doch irgendwie den Fensterplatz im Himmel zu
verdienen.
Hören wir lieber auf Paulus:
„Ihr seid alle durch den Glauben Gottes Kinder in Christus Jesus.“
Mehr braucht es nicht. Lasst uns dahinter nicht wieder
zurückgehen! Lasst uns Kinder der Gnade bleiben, geliebt und
befreit von Gott.
Amen