Am Ufer des Strelasund

AKTUELL
REPORTAGE
Der
alte
Mann
und
das
Moor
Am Ufer des
Strelasund
Nah dran Michael
Succow führte das SUPERilluTeam – Reporterin Annette
Hörnig und Fotograf Boris
Trenkel – an einen seiner
Herzensorte: die Halbinsel
Melow bei Stralsund. Hier
grasen Schafe, nisten rund
30 Vogelarten. Es gibt ca. 160
verschiedene Pflanzen, sogar
Orchideen. Die 21 Hektar
Moor- und Weideland zu
einem renaturierten Erholungsgebiet zu machen, ist
das jüngste Projekt der
„Michael-Succow-Stiftung
zum Schutz der Natur“. Der
Biologieprofessor gründete
sie 1999 mit dem Geld, das er
mit der Verleihung des Alternativen Nobelpreises für sein
Umwelt-Engagement bekam
Alle reden von Bio und Öko,
er lebt schon immer grün:
Michael Succow, 70,
ist weltweit anerkannter
Moorexperte, war
Politiker und nahm unsere
Redakteurin Annette Hörnig
mit in ein Paradies, das ohne
ihn sicher keines wäre
24 | SUPER illu
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Bitte blättern Sie um 왘
FOTO: B. TRENKEL/SUPERillu
Adlerauge Ohne
sein Fernglas ist
Prof. Dr. Michael
Succow nur selten
in der Natur unterwegs: „Damit kann
ich die Vögel besser
beobachten“
D
ichte Wolken ziehen über den
Strelasund, der Wind frischt auf.
Aus dem Schilf tönt es „Zipzip“.
Am Horizont blitzt die Volkswerft der Hansestadt Stralsund
wie ein klitzekleiner Würfel. Der weißbärtige
Mann neben mir lässt seinen Blick über die
Landschaft schweifen und fragt: „Sehen Sie?“
Ja, ich sehe es, und ich fühle es. Dieses Fleckchen ist so schön, dass man beinah andächtig
wird.Aller Alltagsstress ist vergessen. Einen Tag
lang begleiten Fotograf Boris Trenkel und ich
Prof. Michael Succow, wandern mit ihm durch
Schutzgebiete bei Greifswald und Stralsund.
„Zipzip, das ist der Gesang der Rohrmeise“,
erklärt er uns. Der promovierte Biologe und
Moor-Forscher ist als geistiger Vater des DDR-
AKTUELL
REPORTAGE
Seit seinem
10. Lebensjahr
führt Michael
Succow ein
Vogel-Tagebuch
5 000
km²
Fläche der DDR, ca. fünf Prozent des
Territoriums, stellte Michael Succow
als Vize-Umweltminister der letzten
DDR-Regierung am 12. 9. 1990 unter
Schutz. Das Nationalparkprogramm
der DDR gilt als Tafelsilber der
deutschen Einheit.
3
Nationalparks
von bundesweit 14 liegen in Mecklenburg-Vorpommern: der Nationalpark
Jasmund sowie die Parks Müritz und
Vorpommersche Boddenlandschaft.
Kein Bundesland hat mehr!
0,54
%
des Bundesgebiets sind Nationalparks. Also 1 029 316 Hektar, auf denen
Land- und Forstwirtschaft, Jagd oder
Fischerei tabu bzw. strikt reglementiert sind. Umweltpolitisch angestrebt
ist eine Erweiterung auf zwei Prozent.
26 | SUPER illu
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Michael Succow und Bilder seines Lebens
Kindheit Er wuchs als Bauernsohn in Lüdersdorf
(Brandenburg) auf, hütete gern die Schafe
Liebe Seit 46
Jahren verheiratet, zwei
Töchter, vier
Enkel: Ulla
und Michael
Succow in
ihrem Garten
in Wackerow
Ehre 1997
erhielt Succow (r.) den
Alternativen
Nobelpreis,
gründete mit
dem Preisgeld
seine Naturstiftung
nunft setzt sich offenbar in allen Parteien durch“,
lobt Succow den geplanten Atomausstieg.
Reisender. Weiter zum Kieshofer Moor. Was
ist so schön an Mooren, die auf viele Menschen
etwas unheimlich wirken? „Mich fasziniert dieser
extreme Lebensraum, diese Grenze zwischen
Wald und Offenland. Und Moore gibt es auf
jedem Kontinent.“ Succow ist zwei Drittel des
Jahres unterwegs, um sein Wissen um den Erdball
zu tragen. Seine Stiftung ist in Osteuropa, Mittelasien, im Iran und in Äthiopien aktiv. Umweltschutz kennt keine Grenzen. Vor Kurzem war er
in Königsberg am Zehlaumoor, plant 2011 noch
weitere Reisen, dazu Termine in der Heimat und
verschiedene Buchprojekte. Auch zwei DokuFilme mit ihm sind geplant.Wie schafft er das, seit
2006 ist er doch als Professor der Uni Greifswald
im Ruhestand? „Die Natur stärkt mich. Und auf
Reisen kann ich überall schlafen, auch im Bus“,
sagt er. „Ihm selbst kommt es gar nicht so viel
vor“, seufzt seine Frau Ulla. Die Mikrobiologin
hat ihre Karriere für ihren Mann hintangestellt.
Sie hatte gehofft, dass sie und ihr Mann als Rentner mehr Zeit zusammen in ihrem Haus in
Wackerow am Greifswalder Stadtrand verbringen würden. Dort hat sich das Ehepaar ein kleines
Paradies geschaffen, mit Ökogarten und Streuobstwiese. Michael Succow ist viel zu selten da.
Immerhin: Im August war das Ehepaar zusammen in Italien. Wirklich rein privat? „Na ja,
größtenteils“, lacht der Naturschützer. Für einen
Moment sieht er wieder aus wie der kleine Junge
aus Lüdersdorf. Und der ist noch lange nicht am
Ziel …
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FOTOS: B. TRENKEL/SUPERillu (2), DAPD, PRIVAT
Ganz Ohr Im
Kieshofer Moor
lauscht Michael
Succow den Vögeln.
Das NaturschutzEulen-Symbol erfand
sein Mentor Kurt
Kretschmann († 2007),
einer der Gründerväter des ostdeutschen
Naturschutzes
liche CO2-Speicher wichtig für den Klimahaushalt, wirken kühlend. Der begeisterte Biologe
tankt Kraft in der Natur, zwischen seltenen Glockenblumen und Wildem Sellerie. Die 70 Jahre
merkt man ihm nicht an, der Mann hat Tempo.
Was treibt ihn?„Natur ist nicht vermehrbar.
Erhalten und haushalten muss das Motto sein.“
Eigentlich sei der Kipp-Punkt längst erreicht,
die meisten Naturkatastrophen menschengemacht. „Weltweit sind wichtige Ökosysteme
großräumig beschädigt oder gar zerstört.“ Succow ist Umweltpessimist. Aber keiner, der aufgibt. „Wir müssen retten, was zu retten ist!“ Weg
von der Hybris, sich die Erde untertan zu
machen, hin zu mehr Demut. Auch in Westeuropa, wo es kaum noch unberührte Natur gibt,
können Wildnisräume entstehen, sagt er. In
Biosphärenreservaten etwa, wo der Mensch
nachhaltig wirtschaftet, im Einklang mit der
Natur. Naturschutz, findet er, sei kein Luxus,
sondern „die wohl bedeutendste Sozialleistung
für eine menschliche Zukunft“.
Kämpfer. Die Wertschätzung, die der
Umweltschützer heute weltweit genießt, kam
spät. Nach dem Biologie-Studium an der Uni
Greifswald schien Michael Succows wissenschaftliche Karriere vorbei, als er 1968 mit den
Reformern des Prager Frühlings sympathisierte. Die Stasi hielt ihn für „verträumt“. Ausgerechnet er, der Naturfreund, der damals an
seiner Doktorarbeit zur Moorvegetation saß,
musste sich in einem Meliorationskombinat mit
„Flurbereinigung“ beschäftigen. 1970 konnte er
dann promovieren, wurde 1987 Professor der
Akademie der Landwirtschaftswissenschaften
Fortsetzung von Seite 25
der DDR, saß für die Blockpartei LDPD im
Agrarausschuss der Volkskammer. „Nicht meiNationalparkprogramms nicht nur die grüne
ne glücklichste Zeit“, sagt Succow. „Ich wollte
mich schon als wissenschaftlicher Autor selbstStimme Ostdeutschlands, sondern bundesweit
ständig machen, aber dann kam die Wende.“
einer der unermüdlichsten Kämpfer für die grüne Sache.Als Bauernsohn wuchs er im brandenDurchbruch. Modrow holte ihn als stellverburgischen Lüdersdorf auf, hütete bereits mit
tretenden Umweltminister in die Regierung.
zehn Jahren die Schafe und schrieb seine NaturSuccow bewies, dass er alles andere als ein Träubeobachtungen auf. Letzteres hat er bis heute
mer war: In der letzten Ministerratssitzung vor
beibehalten, reist dazu jedes Jahr in
dessen Auflösung im September
seine Heimat. Etwa 100 Brutvogelgelang ihm und seinen MitDie Saat ist 1990
arten gab es mal, „jetzt sind es rund
streitern eine umweltpolitische
80. Rebhuhn, Wiedehopf, Groß- aufgegangen.
Großtat: Mit dem DDR-Nationaltrappe, Turteltaube und Steinkauz Ich bin ein
parkprogramm kamen fünf Natiosind verschwunden. Dafür kamen
nalparks, sechs Biosphärenreservate und drei Naturparks in den
zum Beispiel Kraniche und Grau- glücklicher
Einigungsvertrag, wurden so vor
gänse hinzu.“ Als Jugendlicher Mensch
einer Vermarktung gerettet.
lernte er mit Erna und Kurt PROF. DR. MICHAEL SUCCOW
Darunter die Boddenlandschaft,
Kretschmann in Bad Freienwalde
ein Teil der Insel Rügen, der Spreewald, das
die Mitbegründer des ostdeutschen NaturElbsandsteingebirge. Neben vielen anderen
schutzes kennen. Diese Eindrücke prägten ihn.
Heute, wo jede Hitzewelle die KlimawandelEhrungen erhielt Michael Succow dafür 1997
Diskussion neu entfacht, erneuerbare Energien
den Alternativen Nobelpreis.
und Bio-Essen trendy sind, kann Prof. Michael
Perspektive. In der DDR galten NationalSuccow sich nur bestätigt sehen.
parks als kapitalistisch. Kapitalismus oder KomKleinod. „Meine Saat ist aufgegangen. Ich
munismus, welches politische System ist umweltbin ein glücklicher Mensch, weil ich meine Visifreundlicher? „Beide setzen auf unbegrenztes
wirtschaftliches Wachstum, darin ähneln sie
onen umsetzen kann“, sagt er, während wir
flotten Schrittes über die Wiesen der kleinen
sich“, sagt Succow. Mit Parteipolitik hat er, der
sich als „im Herzen wertkonservativ“ bezeichHalbinsel Melow marschieren. Das Kleinod mit
net, nicht mehr viel am Hut.Aber: „Im Vergleich
mehr als 30 Vogelarten liegt an einem Seitenzu vielen anderen Völkern prägt uns Deutsche
arm des Strelasunds. Michael Succows Stiftung
hat die Weidelandschaft im Mai aus Bundesverein großes Verantwortungsbewusstsein gegenmögen als nationales Kulturerbe zur Pflege
über der Umwelt, darauf sollten wir auch stolz
übernommen.An die Wiesen grenzt ein kleines
sein.“ Auch darauf, dass Deutschland Vorreiter
Moor, sein Spezialgebiet. Moore sind als natürbei den erneuerbaren Energien ist. „Die Ver-