DER SCHWALBENKÖNIG Ein Stück von Franzobel Wer sich ohne Gegnereinwirkung im Strafraum fallen lässt, um einen Elfer zu provozieren, macht eine Schwalbe. Wer das häufiger tut, wird bald zum „Schwalbenkönig“ ernannt. © Martin Platzgummer Im Nonnenkonvent herrscht Krisenstimmung. Kein Geld für Sozialprojekte und ein Dieb stiehlt Madonnenstatuen. Um dem drohenden Bankrott zu entgehen hat die Oberin während eines Weihrauchrausches die rettende Idee: ein Benefizfußballspiel gegen Real Madrid! Schließlich kennt sie den Star dieses renommierten Fußballclubs von einer wilden Nacht. »Dann führte er mich in seine Suite, an sein Bett, und begann, mich überall zu küssen und zu massieren. Gurke! Er schob seine Hand unter meine Kutte und mir wurde gleich bewusst, dass ich vom Fußball nichts verstand. Torraub.« Anfängliche Bedenken der Nonnen, dass Fußball Blasphemie ist, werden schnell beiseite geschoben, »…spricht man doch vom Hinpilgern zum heiligen Rasen, vom Glauben an die Mannschaft, von Gelb-Roten-Sündern, Ewigkeit, gottgleichen Spielern, und die Pokale gleichen den Monstranzen, Schiedsrichter sind modere Ministranten, der Ball das Kreuz, Dressen die Soutanen….«. Flugs wird ein Team aus Fußballern - Nonnen - zusammengestellt und der Hausmeister des Konvents wird zum Trainer bestimmt. Doch dann überschlagen sich die Ereignisse. Und was hat ein Frauenmörder im Konvent verloren? Der Spielort: Spannungsfeld der Wirklichkeiten, Arena der Illusion. Das Spiel: ein spermazoider Kampf um Macht, Sieg und Emotion. Es wird gedribbelt, gefoult, rechtsaußen überholt, bis man der kollektiven Unschuld einer Ski-, und Mozartnation erliegt. Völlige Entrationalisierung im Moment des Spiels und die Inszeniertheit von Spielritualen prallen aufeinander, wo Verschwörungstheorien den österreichischen Minderwertigkeitskomplex pflegen, die eigenen Unzulänglichkeiten sich in Verdrängung, Ausländerfeindlichkeit und Schönredereien anhäufen. »Weil ich Hausmeister bin, muss ich nicht ungebildet sein. Aber jetzt? Man hört Döblin und denkt an ReichRanicky, und man hört Böll und Koeppen und Bachmann, denkt aber unweigerlich an Reich-Ranicky. Man hört Grass und Jandl und muss an Reich-Ranicky denken. Die ganze deutsche Literatur ist zu einem einzigen Reich-Ranicky-Klumpen verkommen, der sich an einem festhält wie ein Kaugummipatzen. Dasselbe im Theater, in der Musik. Aber die Deutschen kapieren das nicht. Und wenn du es ihnen sagst, schimpfen sie dich Antisemit, Antisemit. Aber ich lasse mir das nicht gefallen. Und weißt du warum? Weil es dann keine Deutschen mehr gibt, aber immer noch Deutschland, und die haben dann eine furchtbar gute Fußballmannschaft. Vernichten ihr Volk, um als Staat zu gewinnen. Soviel Patriotismus ist zum Kotzen. « Anhand des Themas »Fußball« wird eine gnadenlose Schau auf eine mitleidige (Fußball)Nation geworfen, die sich selbst als Nabel der Welt, als Herz Europas, als Insel der Seligen bezeichnet. Mit bildgewaltigen Klangund Bewegungsgeflechten, auf der sprachlichen Grundlage des Dramatikers Franzobel, fließen Ballmanöver, Sprachflanken, rhetorische Fouls und emotionale Close-ups ineinander und werden zum assoziativen Spielgeschehen, das Gefühle und Beziehungen lustvoll offen legt. Thomas Sessler Verlag Johannesgasse 12 1010 Wien In gewohnter Sprachakrobatik und -raffinesse setzt sich Franzobel mit dem allgegenwärtigen Thema Fußball auseinander; nähert sich von allen Seiten an, er umspielt, foult, säbelt, versenkt, sammelt Karten. Und stellt sich dabei Fragen, die der wahre Fußballliebhaber oder hasser schon immer beantwortet haben wollte. Tel.: +43-1-512 32 84 Fax: +43-1-513 39 07 E-mail: [email protected] www.sesslerverlag.at
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