Entwicklung eines netzbasierten Angebots „Interkulturelle

Monika Bethscheider – iK-Vorhaben – zwei Situationen.docx
Entwicklung eines netzbasierten Angebots
„Interkulturelle Sensibilisierung des betrieblichen Ausbildungspersonals“
Als eine Maßnahme zur beruflichen Integration von Flüchtlingen soll das Internetportal „quali-boXX“
ein niedrigschwelliges online-Angebot erstellen mit dem Ziel, betriebliche Ausbilderinnen und
Ausbilder sowie Berufsschullehrer/innen für interkulturelle Aspekte der Ausbildung zu sensibilisieren.
Interkulturelle Kompetenz wird dabei als Haltung verstanden, die auf einer differenzierten Selbstund Fremdwahrnehmung beruht und es dem Einzelnen ermöglicht, sich im Spannungsfeld zwischen
Empathie und Respekt gegenüber den Bewertungen und Verhaltensweisen anderer und dem
Eintreten für eigene Wert- und Normalitätsvorstellungen angemessen zu verhalten. Allerdings lässt
sich nicht jede Besonderheit oder Schwierigkeit, die in der Interaktion von Personen mit und ohne
Migrationserfahrung auftreten kann, grundsätzlich auf den Einfluss von „Kultur“ zurückzuführen.
Worum genau es jeweils geht und welche Reaktionen des Ausbildungspersonals hilfreich sind, um in
schwierigen Situationen zu einer Lösung zu kommen, muss daher für den Einzelfall geklärt werden.
Um zu gewährleisten, dass die im Film aufbereiteten Situationen realen Praxissituationen
entnommen und für diese bedeutsam sind, wird auf Aussagen betrieblicher Ausbilderinnen und
Ausbilder1 zurückgegriffen. In leitfadengestützten Interviews haben diese ihre persönliche Sicht auf
die Bedeutung des Migrationshintergrunds in der Ausbildung sowie ihre Erfahrungen und
Bewertungen speziell im Hinblick auf sprachliche Aspekte und Schwierigkeiten der Kommunikation
geschildert. Die ausgewählten Beispiele werden ggf. durch weitere Erfahrungen aus der Praxis,
möglicherweise auch solche aus dem Berufsschulkontext ergänzt. In den Videosequenzen sollen
Handlungssituationen aufgegriffen und bearbeitet werden, die berufsübergreifend auftreten
können.
Für eine erste Erprobung des Vorgehens bei der Produktion der Videosequenzen schlage ich folgende
zwei Situationen vor: Eine, die sich auf den Umgang mit der Mehrsprachigkeit von Auszubildenden
bezieht, also unmittelbar mit einem Aspekt des Migrationshintergrunds verbunden ist. Die zweite
handelt vom Verhalten bei Verständnisschwierigkeiten, das bei Auszubildenden unabhängig von
einer möglichen Migrationsgeschichte auftreten und unterschiedliche Ursachen haben kann.
1. Reaktionen des Ausbildungspersonals auf die Kommunikation von Auszubildenden in einer
anderen Sprache als Deutsch
Der spontane Gebrauch anderer Sprachen neben der deutschen ist in den Unternehmen auf
unterschiedliche Weise geregelt. Bisweilen wird offiziell und für alle verbindlich vereinbart, dass z.B.
im nichtöffentlichen Bereich (Küche, Hinterzimmer) auch andere Sprachen als die deutsche
1
Die Interviews (Leitfaden-, ergänzt durch telefonische Interviews) wurden mit Ausbilder/innen aus dem
Friseurhandwerk sowie den Berufen Bürokauffrau, Verkäuferin, Schilder- und Lichtreklamehersteller,
Werkzeugmechaniker, Teilezurichter, Glaser, Lackierer/Karosseriebauer, Metallbauer und psychiatrische
Krankenpflege geführt.
gesprochen werden dürfen. Dies kann aber auch grundsätzlich unerwünscht sein, weil Deutsch zu
sprechen durchweg als eine Frage der Höflichkeit gilt gegenüber einer Kundschaft, die nicht vom
Verständnis der Kommunikation ausgeschlossen, irritiert oder gar verärgert und dadurch u.U.
letztlich verloren werden soll. Es gab kaum eine Ausbilderin bzw. einen Ausbilder, der diesen
Gedanken im Interview nicht geäußert hätte.
1. Respekt
„Wir sagen als Regel: Es wird nur deutsch gesprochen. So, ihr könnt in der Pause auf eurer
Sprache sprechen, aber hier wird nur deutsch gesprochen. In der Werkstatt oder mit mir wird
nur deutsch gesprochen, weil es ist einfach respektlos und unfair ist gegenüber Leuten, die
kein Türkisch können, kein Italienisch oder andere Sprachen, und das akzeptieren wir
überhaupt gar nicht hier“ (24202/6/492).
2. Nicht „einigeln“
„Ich habe insgesamt drei Auszubildende mit Migrationshintergrund und Mitarbeiter –
arabischsprachig, arabischer Raum haben wir, glaube ich, drei, Russisch vier, die sprechen
aber untereinander auch absolut nur deutsch (…). Das kriegen die auch gesagt, das läuft
nicht. (…) Also, es ist immer von Vorteil, wenn jemand mehrere Sprachen spricht (…). Das ist
nur ein Problem, wenn die sich, sagen wir mal, in ihren Sprache einigeln. Das ist ein Problem“
(24202/2/448).
Daneben äußern Ausbilderinnen und Ausbilder aber auch die Befürchtung, dass über sie selbst oder
andere Personen abfällig gesprochen werden könnte, wenn die Verständigung unter ihren
Auszubildenden nicht in der deutschen Sprache erfolgt. Aus einigen Aussagen spricht ein deutliches
Misstrauen gegenüber denjenigen, durch sie z.B. von spontanen Witzen, Kommentaren und kurzen
Bemerkungen ausschließen.
3. Argwohn bei Nichtverstehen
Eine irakische und eine türkische Auszubildende „sprachen dann auch schon mal ihre
Sprache. (…) Da habe ich gesagt: Das gibt´s hier nicht. Ihr seid in Deutschland, ihr möchtet
hier lernen, also hier wird nur deutsch gesprochen. Was ihr privat macht, das ist mir auch
egal. Aber hier wird deutsch gesprochen. Weil die anderen dann natürlich sagen: Was
murmeln die sich da in den Bart, ne. Sind die jetzt am Schimpfen? Man weiß ja nie, das hört
sich ja immer bei denen so krass an, ich sag, hier wird nichts verheimlicht. Offen reden, wenn
was ist, und nicht, ihr zwei, muschelt da rum, das gibt es nicht“ (24202/4/586).
Ausbilderinnen und Ausbilder, die selbst mehrsprachig sind, wissen um dieses Unbehagen und stellen
sich offenbar darauf ein, indem sie ihrerseits den Gebrauch anderer Sprachen als Deutsch im Beisein
von deutschen Kolleginnen und Kollegen bzw. Auszubildenden vermeiden, um den Eindruck einer
besonderen Beziehung nach Möglichkeit gar nicht entstehen zu lassen. Wenn sie bevorzugte
Ansprechpartner von Azubis derselben Herkunftssprache sind, die das Deutsche nicht sicher
beherrschen, kann ein breites Spektrum an Themen angesprochen werden, die nicht nur fachliche
Erklärungen betreffen, sondern auch allgemeine Informationen wie Freizeit- und Urlaubsregelungen
bis hin zur Beratung über konsularische Angelegenheiten. Wer dem Verdacht vorbeugen will, es
könne um üble Nachreden oder Übervorteilungen gehen, hält sich mit Äußerungen in anderen
Sprachen zurück, wenn Personen in der Nähe sind, die sie nicht verstehen. Zusätzliche
Sprachkenntnisse werden dann nur in Ausnahmefällen angewendet und vor allem zur schnellen
Begriffsklärung.
4. Sorge um Kundenbindung
„Also ich bin eine Griechin, aber ich würde nie im Laden jetzt Griechisch reden mit einer
Griechin oder mit einer Auszubildenden oder mit Angestellten. Also, man spricht nur eine
Sprache, die deutsche Sprache. Man lebt hier und man hat 90% mit Deutschen zu tun. Und
ich halte das nicht für richtig, wenn man jetzt verschiedene Sprachen im Laden spricht oder
laut wird, das ist dann unangenehm für die Kundin. Sie versteht eben nicht die Sprachen.“
Ihre Erfahrung: Eine Kundin sagte, als laut griechisch gesprochen wurde, sie würde gehen und
wiederkommen, wenn es ruhiger wird. „Und das war immer der Punkt wo ich gesagt habe:
Stopp, das geht nicht. Man kann nicht mehrere Sprachen im Laden sprechen und laut sein
(…). Das ist ein sehr wichtiger Punkt für einen Laden. Für unsere Kunden ein sehr wichtiger
Punkt.“ (24202/9/186; auch 24202/8/539; 24202/10).
5. Sorge um Betriebsfrieden
„Ich weiß ja wie die so ticken, sage ich jetzt mal, auch vom Elternhaus her. Also klar
unterstütze ich die auch. Also bei uns wird ja Deutsch gesprochen, und wenn ich das Gefühl
habe, jetzt musst du Türkisch mit ihm sprechen, damit er irgendwie darauf kommt oder so,
dann mache ich das auch. Aber dann ganz kurz, nur ein Einschub und dann wieder auf
Deutsch. Wir müssen da vorsichtig sein, weil es gibt ja auch andere Nationalitäten (…), dass
wir die auch respektieren und neben denen halt auch Deutsch sprechen. Nicht dass das
irgendwie falsch verstanden wird, also dass die denken, aha, der redet irgendwie über mich
oder es gibt irgendwas zu verheimlichen. Dass die nicht auf solche Gedanken kommen. Also
wenn jemand irgendwas hat, der kommt dann zu mir ins Büro, direkt zu mir, und wir klären
das halt da eins zu eins.(…) Sonst fragen sich etwa die italienischen Teilnehmer: ‚War das jetzt
eine Information, die ich nicht hören darf, nicht hören soll?‘ Ja, die werden natürlich ein
bisschen misstrauisch und die werden natürlich direkt automatisch denken: Ich glaube, der
hat jetzt irgendwie noch einen Vorteil gegenüber mir jetzt. Und das, das darf nicht sein.‘“
(41500/11/246;327;348)
Allerdings gibt es auch Beispiele dafür, dass der Einsatz ihrer Familiensprachen die betreffenden
Auszubildenden (bzw. mehrsprachige Ausbilder) nicht per se unter Verdacht stellt. Auch in diesen
Kontexten hat das Deutsche als gemeinsame Sprache von Betriebsmitgliedern und Kundschaft eine
besondere Bedeutung. Das schließt aber den gelassenen Umgang mit dem Gebrauch anderer
Sprachen in klar umrissenen Situationen nicht aus.
6. Monolingualität mit Raum für Mehrsprachigkeit
„Vorne im Laden sprechen wir Deutsch. Ja? Schon alleine wegen den Kunden. Und auch
wenn italienische Kunden da sind, sprechen wir Deutsch, damit die anderen auch trotzdem
mitkriegen, worüber wir jetzt reden. Weil viele Kunden sagen dann auch: Guck mal, jetzt
reden die über mich. Wenn wir auf Italienisch reden, ist das nicht gut. Das sind so kleine
Spitzen, die man eben von den Kunden kriegt, wo man sagen kann: Okay. Tabu, ne?“
(24202/10/377; 397).
Dabei stört es ihn nicht, wenn der syrische Auszubildende mit einer Mitarbeiterin, die nur
einmal pro Woche kommt, im hinteren Bereich des Salons gern Türkisch (Kurdisch?) spricht.
„Oder Syrisch, Türkisch, kommt drauf an, wie die sich eben fühlen. Aber da habe ich kein
Problem mit. Weil vorne im Laden sprechen alle Deutsch.“
Der Ausbilder selbst spricht mit diesem Auszubildenden „entweder Deutsch oder manchmal
auch Italienisch. Manchmal spreche ich auch ein bisschen Türkisch (lacht) oder besser gesagt
Syrisch. Ich meine, wenn man mit ihm zusammen arbeitet, lernt man da ein paar Wörter auf
Syrisch und so weiter oder auf Türkisch“ (24202/10/375).
7. Gelassenheit
„Gerade bei den Türkinnen ist das so, viele kennen sich einfach, und dann kommen die mal
rein, ja, hallo, blabla, reden kurz auf Türkisch – ansonsten sprechen die hier eigentlich alle
fast immer Deutsch. Also, es wird jetzt auch nicht als störend empfunden, das ist jetzt nicht
so, dass man das Gefühl hat, die lästern jetzt über jemanden, sondern es ist eigentlich nur so
ein kurzer Informationsaustausch oder kurze Begrüßung. (…) Nö, das stört mich nicht (lacht).
Ich denke mal, wenn die lästern wollten über mich, dann werden sie schon eine Gelegenheit
dazu finden, auch auf Deutsch (Lachen)“ (24202/7/429).
6. Umgang mit Verständnisschwierigkeiten
Betriebliche Ausbilder/innen schildern immer wieder, dass Auszubildende sich bei
Verständnisschwierigkeiten nicht äußern und ihre Unsicherheiten nicht ansprechen: Sie
entfernen sich lieber schnell, wenn sie den gerade erhaltenen Arbeitsauftrag nicht verstanden
haben, vermeiden sprachlich fordernde Situationen wie z.B. Telefongespräche und suchen sich
auch einem persönlichen Kundenkontakt nach Möglichkeit zu entziehen.
13. Wortlosigkeit
„Ich sage dem irgendwas, zum Beispiel er soll etwas an seinem Werkstück machen (…) und
dann gucken die dich an und die nicken und gehen dann raus und du guckst im Büro durch
die Scheibe und siehst den Jungen an der Werkbank stehen und dann - der weiß überhaupt
nicht, was er jetzt da machen soll. Der hat kein Wort von dem verstanden, was du gesagt
hast. Warum auch immer, sage ich jetzt mal, ob jetzt auch sprachlich oder [aus anderen
Gründen], lasse ich mal dahin gestellt.“ (41500/8/300;330;384)
Es können unterschiedliche Faktoren eine Rolle spielen, wenn Auszubildende – egal welcher Herkunft
– die Auseinandersetzung mit ihren Lernschwierigkeiten und die Kommunikation darüber zu
vermeiden suchen (sprachliche, rechtliche, kulturspezifisches Verständnis vom Umgang mit
Autoritäten, persönliche Eigenschaften, Beziehung zwischen Ausbilder und Azubi). Ausbilderinnen
und Ausbilder, die immer wieder zum Fragen auffordern, ohne die erwünschte Resonanz zu
erreichen, äußern sich darüber enttäuscht und nicht selten kommt es zu Schuldzuweisungen.
14. Schuldzuweisungen
„Ich weiß nicht, ob die das [ihr sprachliches Problem] einschätzen können. Ja, wenn ich
irgendwas nicht verstehe und auch nicht nachfrage… Ja gut, entweder bin ich ja wirklich so
dumm, dass ich das gar nicht verstehe. Aber ansonsten, wenn ich nicht nachfrage, aus
welchen Gründen [auch immer]. Ob aus Desinteresse oder sonst irgendwas, so nach dem
Motto: Hauptsache, der lässt mich wieder in Ruhe und fragt mich nicht noch was, so
ungefähr.“ (45100/8/408, auch 3/24202; 3/41500; 8/41500; 7/41500)