Warum ein neues Gesetz viele ältere Menschen verärgert

1.12.2015
Thüringen Kiosk
Seite 13, Artikel 2 von 10
Warum ein neues Gesetz viele ältere Menschen verärgert
Seit das neue Bundesmeldegesetz in Kraft trat, melden die Ämter nur noch wenige Geburtstagskinder
Nanny Knobloch aus Großfurra ist stolze 95 Jahre
alt und ärgert sich, dass wegen einer
Gesetzesänderung die Geburtstage von älteren
Menschen nicht mehr komplett in der Thüringer
Allgemeinen veröffentlicht werden. Foto:
Henning Most
Von Andrea Hellmann
und Grit Pommer
Kyffhäuserkreis. Nanny Knobloch ist in höchstem Maße erbost. Ihr Ärger beginnt
bereits zum Frühstück. Dann sitzt die 95­Jährige normalerweise am Ausziehtisch im
Wohnzimmer in Großfurra und liest Zeitung.
Der erste Blick galt bisher immer den Geburtstagskindern des Tages. Aber seit einem Monat ist die Rubrik "Glückwünsche" auf der zweiten
Lokalseite nur noch mit ganz wenigen Namen gefüllt.
Der Grund: Am 1. November trat das neue Bundesmeldegesetz im Kraft, das den Kommunen vorschreibt, Geburtstagsdaten nur noch zu
runden Jubiläen ab dem 70. Geburtstag herauszugeben ­ und auch dann nur alle fünf Jahre.
Nicht nur im Rentnertreff in Großfurra stößt das auf wenig Freude. Niemand versteht, warum die Geburtstage der älteren Nachbarn,
Freunde, Verwandten nicht mehr vollständig veröffentlicht werden, erzählt Nanny Knobloch. Das sei ein großer Verlust. "Die einfachen
Geburtstage sind doch genauso wichtig", sagt die Großfurraerin.
Auch andere Leser sprachen uns in den vergangenen Wochen immer wieder auf die neue Regelung an. "Das war immer die erste Seite,
die ich morgens aufgeschlagen habe", meinte zum Beispiel Hans­Joachim Fickardt aus Oldisleben. Hat die TA die Zeilen für die älteren
Leute nicht mehr übrig?
Doch, hat sie. Aber das neue Meldegesetz sorgt dafür, dass die Einwohnermeldeämter statt der kompletten Monats­Liste der
Geburtstagskinder ab 65 jetzt eben nur noch die 70­, 75­, 80­, 85­, 90­, 95­ und 100­Jährigen melden. Erst danach sieht das
Bundesmeldegesetz wieder die jährliche Mitteilung vor. Man muss also schon 100 werden, um automatisch wieder jedes Jahr in der
Glückwunsch­Rubrik zu stehen.
Wie aber kam es zu der Neuregelung? "Mit der jüngsten Föderalismusreform wurde erstmals auch für das Meldegesetz die
Bundeskompetenz festgelegt", sagt Tobias Plathe von der Pressestelle des Bundesinnenministeriums auf TA­Anfrage. Das heißt: Früher
gab der Bund nur den Rahmen vor, die Details konnten die Länder selbst festlegen. Das neue Meldegesetz schreibt nun erstmals für alle
Länder einheitlich vor, welche Daten die Einwohnermeldeämter erheben ­ und welche sie weitergeben dürfen.
Die Details seien im Vorfeld mit allen Ländern besprochen worden, so Plathe. Herausgekommen ist die jetzige Regelung. Bisher teilten die
Bürger dem Meldeamt mit, wenn sie nicht als Geburtstagskind in der Zeitung erscheinen wollten. Jetzt ist es umgekehrt: Wer nicht
ausdrücklich mitteilt, dass seine Daten weitergegeben werden können, dessen Name bleibt beim Amt unter Verschluss.
Verabschiedet wurde das neue Bundesmeldegesetz übrigens schon Anfang 2013 ­ was erklärt, dass sich die Bundestagsabgeordneten aus
unserem Wahlkreis gar nicht so recht erinnern können, über eine solche Regelung abgestimmt zu haben.
Für Kersten Steinke (Linke) jedenfalls geht sie "wieder mal am Bürger vorbei", wie sie erklärte, als TA sie auf die verwaiste Glückwunsch­
Rubrik und die enttäuschten Leser ansprach.
Der von ihr geleitete Petitionsausschuss des Deutschen Bundestages könnte ein Gremium sein, bei dem Beschwerden über die neue
Regelung einlaufen. Möglicherweise muss sich dann der Gesetzgeber noch einmal mit den Senioren­Geburtstagen befassen. Auch Steffen
Claudio Lemme (SPD) kann sich "ei­gentlich keine datenschutzrechtliche Erwägung vorstellen, die bei einem 70­Jährigen nicht gelten soll,
bei einem 71­Jährigen oder 79­Jährigen aber schon".
Johannes Selle (CDU) formulierte es weniger vorsichtig mit den Worten, dass man manchmal erst bei der Umsetzung eines Gesetzes
dessen konkrete Auwirkung bemerke. Das lasse sich vielleicht mit einem Artikel auch wieder ändern.
Bis die offizielle Regelung geändert wird, bleibt es den Geburtstagskindern ab 65 Jahre natürlich unbenommen, der TA ihren
bevorstehenden Ehrentag mitzuteilen. Wir nehmen ihn gern mit in die Liste der Glückwünsche auf.
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