Interview Andreas Loh, 16.9.2013, Taken by Malea C. Birke, Berlin

Interview Andreas Loh, 16.9.2013, Taken by Malea C. Birke, Berlin
YOGA: „FÜR VIELE, WENN SIE MERKEN, WAS DA NOCH KOMMT, BESTEHT DIE LOSLÖSUNG DARIN ZU SAGEN: „OK, ICH
LASS ES SEIN. ICH WERD´ ES SO WIE DER NACHBAR NICHT IN 2 JAHREN KÖNNEN UND 5 JAHRE HABE ICH KEINE ZEIT.
ALSO, WEITER GEHT’S.““
M: (…) Auf deiner Internetseite schreibst du: „Yoga strebt Gesundheit des Menschen auf allen
Ebenen an: seelisch, körperlich und geistig.“ Ich finde, das ist ein sehr hoher Anspruch. Ich wollte
dich fragen, wie du den Anspruch selbst an dir erlebst?
A: Das heißt für mich, das unsere Gesundheit selbst in unseren Händen liegt: unsere körperliche,
geistige und seelische Gesundheit. Nur wir können die Themen lösen, mit denen wir auf die Welt
gekommen sind, die uns mitgegeben wurden. Von daher denke ich, ist der Anspruch realistisch. Oder
anders ausgedrückt, zu erwarten, dass außerhalb von uns die Antwort liegt, außerhalb von uns
jemand ist, der uns heilen kann, ist eine Krücke. Wir können zu Ärzten, Heilern und Meistern gehen,
aber der letztendliche Prozess muss in uns stattfinden. Daher ist die Beschäftigung mit uns selbst der
Weg zur Lösung von Krankheiten besonders der konstruktive Umgang mit der Krankheit.
M: Heißt es, dass wenn jeder Mensch Yoga macht, glücklich und gesund wird?
A: Was das Resultat ist, weiß niemand. Aber es ist sehr hilfreich, zu üben und mit sich in Kontakt zu
kommen. Ich kenne nur wenige Menschen, die einfach nur gesund und nur glücklich sind, die nicht
nach irgendetwas suchen.
M: Du sagst „Suche“ und „In Kontakt mit sich bleiben“. Die Suche hört sich nach Unruhe an. Im
Yoga beschreibst du, im Moment zu sein und die Suche erscheint mir aus dem Moment rausgehen
und nach etwas Streben. Wie vereinigt sich das?
A: Das Streben nach außen, weg vom Moment ist unsere grundsätzliche Tendenz. Mit der Praxis
versuchen wir festzustellen, dass es nicht draußen ist, nicht später ist, sondern das Leben nur im Jetzt
ist. Für einen Moment zumindest hört das Bestreben auf, nach außen zu gehen, nach vorne zu
gucken, nach Antworten woanders zu suchen.
M: Ich finde, dass Yoga manchmal dazu verleitet, sich mit dem Körper zu identifizieren. Am Anfang
sprachen wir von Körper, Seele und Geist zusammen. Wie siehst du das, dass Yoga nicht nur Körper
ist?
A: Klar, wir haben einen Körper, aber wir sind mehr als das. Wenn die Identifikation zuerst gefördert
wird durchs Yoga, dann liegt das an unserer Tendenz, die wir sowieso haben. Wir glauben, wir seinen
nur der Körper und fixieren uns daher auf den Körper. Wenn wir Glück haben, haben wir einen
Lehrer oder ein System oder eine Philosophie, die uns immer wieder darauf hinweist: „Du
identifizierst dich von Natur aus sowieso sehr stark mit dem Körper und jetzt machst du es in der
Praxis noch mehr, erkenne das!“. Wir können das erkennen, in dem wir mit uns üben und der Illusion
folgen, besser werden zu müssen. Bis zu einem gewissen Punkt und dann geht es nicht weiter und
wir erkennen das zwanghafte Bestreben, uns verbessern zu wollen. An der Stelle scheitern viele, weil
sie sagen: „Ich such´ mir was Neues“. Und es muss irgendetwas anderes geben, damit es weiter geht.
Idealerweise wäre das der Punkt, zu merken, wie wir total verstrickt in der Illusion sind, besser,
schöner und jünger zu werden. Und wir erkennen, es gibt kein „Besser werden“. Es gibt nur das
Anzunehmen, was ist. Deshalb ist für mich Yoga die konstante Übung der Selbstakzeptanz.
M: Aber auf vielen Flyern werben Yogaschulen damit, den Körper fit zu halten und schön
auszusehen.
A: Natürlich. Das ist auch meistens der Grund, warum die Leute erstmal anfangen, weil sie etwas für
ihren Körper tun wollen. Sie sind noch verstrickt in der Illusion, „ich muss besser werden“. Wir leben
in dem Zeitalter der Selbstoptimierung. Damit zu werben, ist das eine. Man muss die Leute erstmal
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abholen, wo sie sind. Wenn der Unterricht aber auf dem Level bleibt, zu sagen: „Mehr, mehr, mehr.
Weiter, weiter, weiter“, dann verpasst man die eigentliche Idee. Da müssen wir ganz klar aufpassen.
Ich glaube mittlerweile, dass jeder das findet, was er braucht. Und wer nur das will und nicht lernen
will, dass Fortschritt und die Entwicklung eine Illusion ist, der sucht dann was anderes.
(…)
M: Du sagst „üben“. Ich kann mir vorstellen, dass es eine lange Zeit braucht bis man eine Übung
genießen kann. Ich wollte dich fragen, was der Prozess ist, eine Übung jahrelang zu üben, um sie zu
können. Wie fühlt sich das an, immer wieder an den Punkt zu kommen „Ich kann es noch nicht.“?
Über den Körper kann ich mir vorstellen, dass Menschen relativ schnell Erfolgserlebnisse wollen.
A: In der Regel fängt man an zu üben und da es etwas ganz Neues ist, ist der Erfolg massiv. Große
Veränderungen finden statt. Unmittelbar im Körper merkt man: Da passiert was! Deshalb ist die
Euphorie meistens sehr groß. Interessant wird es nach 1-2 Jahren, wenn dieser Fortschritt da war
und das erste Plateau kommt. Man ist eingetaucht und merkt, was da noch kommt und merkt: „Oh
mein Gott“. Das ist der kritische Punkt, wo viele dann aufhören.
M: Warum fängt es an, dass man sich konfrontiert fühlt?
A: Weil du dann konfrontiert bist. Weil man die ersten Tiefen entdeckt hat und merkt, was es
bedeutet diese Position zu machen und wie weit man davon entfernt ist. Man bekommt eine
Ahnung, wie viele Jahre es noch sind - wenn überhaupt - um diese Position zu meistern. Wir streben
nach Erfolg und Fortschritt. Geduld ist meistens nicht im Menschen verankert, sondern wir wünschen
uns schnelle Resultate. Dann kommt ein Freund vorbei und sagt: „Oh, vielleicht solltest du es anders
machen. Probiere doch mal was anderes.“ Letztendlich ist es völlig irrelevant, ob wir Yogapositionen
meistern oder nicht. Wir können nicht wissen, ob die Vollendung der Form, so wie wir es uns
vorstellen, passieren wird. Es ist eine wunderbare Übung des Loslassens. Üben ist das eine. Es ist
Aktivität. Es ist Einsatz, Willen reinbringen und zu sagen „Ok, ich begebe mich auf den Weg“. Und
gleichzeitig werden wir damit konfrontiert, loszulassen, von der Erwartung, von der Vorstellung, wie
es zu sein hat. Was wir können sollen. Dass wir es so können wie der Nachbar, wie der Lehrer. Das ist
gelebte Praxis. Da kommt die Loslösung rein. Wie ich sagte, für viele, wenn sie merken, was da noch
kommt, besteht die Loslösung darin zu sagen: „Ok, ich lasse es sein. Ich werde es so wie der Nachbar
nicht in 2 Jahren können und 5 Jahre habe ich keine Zeit. Also, weiter geht’s.“
M: Spannend, wenn du sagst, dass Spannung und Entspannung im gleichen Moment existieren
können…
A: Die ideale Yogaposition besteht aus diesen beiden Qualitäten: Aktivität und gleichzeitig
Entspannung. Ein totales Paradoxon. Aber wenn man sich das anschaut, nicht nur im Yoga, auch bei
Sportlern, bei Musikern, Leuten, die Höchstleistung vollbringen, kommen immer die beiden
Qualitäten zusammen. Nur Anstrengung führt zu Verkrampfung. Nur Entspannung führt nicht zu
Höchstleistung. In den Momenten, wo es besonders schwierig ist, ist es besonders empfehlenswert
zu entspannen. Das üben wir. Als Musiker übe ich etwas Schwieriges und versuche dabei zu
entspannen. Und ich übe eine schwierige Asana und ich versuche dabei zu entspannen. Leichtigkeit
zuzulassen. Unsere jetzige Zeit denkt nur Anspannung, Konzentration - in eine Richtung: Das kann es
nichts sein! Der Entspannungspart muss dabei sein.
TENDENZEN:
„UND DIE TENDENZ IST KLAR: ICH HABE EINEN SCHMERZ, ICH WEICHE AUS: TABLETTE - WEG. BLOß NICHTS
UNANGENEHMES.“
„WIR BEFINDEN UNS IN EINER ZEIT, IN DER MEHR GESUCHT WIRD, ALS GEFUNDEN WIRD.“
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M: Ich möchte noch mal zurück zu dem Punkt kommen, wo du sagst, dass Menschen aufhören. Du
schreibst, wenn die Menschen über diesen Punkt gehen, haben sie die Möglichkeit zu „wirklichen
Veränderungen“. Was sind für dich „wirkliche Veränderungen“?
A: Wirkliche Veränderung kann dann passieren, wenn ich meine Konditionierung voll erkenne. Ich
merke, auf sehr tiefer Ebene, wie ich drauf bin. Das kann man nur merken, an dem Punkt, wo das
Hindernis sehr groß ist und man dann nicht ausweicht. Viele Menschen weichen sobald es schwierig
wird aus. Wenn sie auf Menschen treffen, die ihnen Schwierigkeiten bereiten, weichen sie aus. Dabei
sind diese Hindernisse – seien es Menschen, seien es Übungen, seien es Krankheiten – Chancen
etwas über sich selbst zu erfahren. Und die Tendenz ist klar: Ich habe einen Schmerz, ich weiche aus:
Tablette – Schmerz weg. Bloß nichts Unangenehmes. Es muss alles immer schön und angenehm
bleiben. Das heißt nicht, dass ich propagiere, dass man sich nur in Schwierigkeiten begibt und nur
leidet. Aber an diesem Punkt dran zu bleiben, da kann ich sehr viel über mich selbst lernen.
M: Und warum denkst du, dass es schwierig ist für viele Menschen, in Kontakt mit sich selbst zu
kommen?
A: Weil es weh tut.
M: Wieso?
A: Weil da einige Dinge hochkommen, die ihnen gar nicht gefallen: Trauer, Verlust, etwas aus der
Vergangenheit, Erfahrungen aus der Kindheit, die noch in uns sind. Und wenn ich mich damit
beschäftige, merke ich, wie sehr ich eigentlich verletzt war, wie traurig ich bin, wie verloren ich mich
fühle, in welche Richtung auch immer. Um damit in Kontakt zu kommen, muss ich sehr mutig sein.
M: Und wenn ich dann in Kontakt mit diesen Schattenseiten komme, was habe ich davon?
A: Erst wenn ich mich damit auseinandersetze, kann Heilung passieren. Es ist ähnlich wie Erkenntnis.
Selbst wenn ein Psychologe mir erklärt, was da in meiner Kindheit passiert ist, heilt das nicht das
Gefühl. Wissen heilt nicht, was passiert ist. Das Wissen ist ein Fingerzeig. „Interessant, was da noch
so ist“ - aber es geht darum, es zu erleben, zu spüren. Zum Beispiel bei der Yoga Praxis, wie traurig
man ist, wie wütend man ist. Das ist sehr individuell, was da im Einzelnen vor sich geht. In Kontakt
mit sich zu kommen, das ist der eigentliche Schlüssel, damit ich etwas auflösen kann.
LEHRERSEIN: „DENN DIE HALTUNG IST GERN DIESE: ICH HABE BEZAHLT UND NUN BITTE! JETZT HABE ICH DAS RECHT,
DASS DU DAS MACHST, WAS ICH MÖCHTE.“
M: Dann würd ich gern noch etwas über das Lehrer – Schülerverhältnis fragen. Da habe ich mir
auch etwas von deiner Homepage abgeschrieben: „Es wird vom Schüler erwartet, Geduld zu haben
bis der Lehrer ihm neue Positionen lehrt bzw. ihn darin korrigiert.“ Was ist der Unterschied
zwischen Schüler und Lehrer? Der Lehrer darf sagen: Jetzt geht’s weiter und hier bleibst du stehen?
A: Die Aufgabe eines ehrlichen Lehrers ist zu sagen „Hör mal, du bist noch nicht bereit. Entspann
dich“, wenn eine gewisse Gier da ist, tolle Positionen zu machen und weiterzukommen. Und er
braucht die Größe und die Stärke zu sagen: „Sorry, das lassen wir noch“. Denn die Haltung ist gern
diese: Ich habe bezahlt und nun bitte! Jetzt habe ich das Recht, dass du das machst, was ich möchte.
Idealerweise ist ein Lehrer-Schüler-Verhältnis kein hierarchisches, aber trotzdem ist klar, dass der
Lehrer mehr Erfahrung hat. Denn wir sind es gewohnt, dass wir sofort alles bekommen. Ein InternetDownload: Sofort! Wenn du etwas bestellst, am nächsten Tag hast du es! Du brauchst nicht mehr
warten. Du brauchst keine Geduld mehr. Diese Haltung haben wir. Diese Haltung funktioniert beim
Yoga nicht.
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M: Und woher weiß ich als Schüler, ob ich dem Lehrer vertrauen kann? Woher weiß ich, ob es ein
guter Lehrer ist, ob es sich lohnt zu vertrauen?
A: Das kann nur das eigene Gefühl entscheiden. Aber auch das gilt es, kritisch zu überprüfen, weil der
Zweifel sehr stark ist. Der Zweifel an allem: am Partner, an der Yogaform, an der (Yoga)Matte, an
allen möglichen Dingen, wo wir sagen: „Ich weiß nicht, ob es das Richtige ist, ich suche lieber weiter.“
Wir befinden uns in einer Zeit, in der mehr gesucht wird, als gefunden wird.
M: Wann kommt die Zeit, in der man unabhängig vom regelmäßigen Unterricht wird? Man wird
inspiriert, aber wann kommt der Punkt, an dem ich meinen eigenen Weg gehe?
A: Der kann von Anfang an dabei sein: Du lernst etwas und gehst nach Hause und übst es.
M: Aber du übst es nach dem Lehrer. Wann kommt der Punkt, wo man sich von den Grundlagen
des Lehrers löst und sein Eigenes macht? In der Musik hast du selbst komponiert…
A: Es gibt keine klare Ja- oder Nein-Antwort. Lösen kannst du dich gleich, aber die Inspiration braucht
mehrere Jahre. Mehrere Jahre ist es gut im Kontakt zu sein und sich immer wieder Feedback zu
holen. Bei der Musik ist es nicht anders: Ich höre mir jetzt immer noch Musik an oder nehme
manchmal Unterricht. Es ist ein Prozess, der nie abgeschlossen ist.
M: Und wieso?
A: Weil die Tendenz sich zu verlaufen und vom Weg abzukommen sehr groß ist.
M: Was meinst du damit?
A: Man denkt, man hat es so gelernt, aber so ist es gar nicht gemeint gewesen und man merkt es
selbst nicht. Oder beim Spielen hat man sich bei der Haltung Sachen angewöhnt, die nicht günstig
sind. Man wundert sich, warum Sachen nicht funktionieren und es liegt nur daran, wie man sie
macht. Auch wenn wir Lehrer sind, sind wir auch lebenslang Schüler.
M: Ich wollte dich fragen, wie du selbstkritisch bleibst?
A: Indem ich mich immer wieder selbst hinterfrage. Besonders viel lerne ich durch meine Kinder.
DURCHLÄSSIG WERDEN: „ICH HABE EINEN FAHRPLAN UND DANN KOMMT EINE IRRITATION, DIE ALLES ÜBER BORD
WIRFT UND DANN LASSE ICH MICH DRAUF EIN UND AM ENDE IST ALLES GENAUSO WIE ES SEIN SOLLTE.“
M: Dann hast du dich entschieden, neben dem Yogalehrer auch Musiker zu sein. Warum 2 Leben?
A: Das habe ich mir gar nicht so ausgesucht. Das ist so gekommen. Angefangen hat es damit, dass ich
in meiner Jugend Musiker werden wollte. Und daran habe ich gearbeitet. So sehr, dass ich körperlich
krank wurde und viele Ärzte und viele Krankengymnasten besucht habe. Bis meine Heilpraktikerin
meinte, komm doch mal mit zum Yoga. Und da habe ich mitgemacht. Das war sehr intensiv. Und ich
merkte, das war sehr gut. Von diesem Tag an begann ich, Yoga zu üben. Und dann lief das über viele
Jahre parallel mit, dass ich Musik gemacht und jeden Tag Yoga geübt habe, weil es mir gut getan hat.
Und dann kam der Ruf, dass ich es unterrichten sollte. Dann habe ich angefangen,. zu unterrichten
und es hat mir gefallen. Ich konnte feststellen, dass es auch anderen Menschen hilft und es sinnvoll
ist. Und dann bin ich von der Musik etwas weg mehr in Richtung Yoga gegangen und dann ist der
Weg zurück zur Musik gegangen. Und jetzt vereine ich es mit dem YOGA PIANO und sehe immer
mehr, wie eine ganz starke Verbindung (zwischen beiden Dingen) da ist.
M: Wie nimmst du dir die nötige Auszeit, um kreativ zu bleiben?
A: Ich probiere mir jeden Tag eine Auszeit zu nehmen, meistens morgens, wenn die Kinder aus dem
Haus sind. Dann setze ich mich ans Klavier, lege die Finger auf die Tastatur, bin still und gucke, was da
kommt. Und dann kommt meistens ein neues Stück und ich spiele einfach. Das mache ich so 1-2
Stunden. Ich versuche mir diese Freiheit zu geben bevor die ganze Organisation beginnt und das, was
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getan werden muss, mich reinzieht. Einmal im Jahr nehme ich eine Auszeit, indem ich zum Beispiel
ins Kloster gehe. Das habe ich jetzt im Juni gemacht für eine Woche. Ein Kloster, wo es Klaviere gibt
und kaum Menschen sind. Wo ich eine Woche für mich allein bin. Ich setze mich 16 Stunden in einen
Raum, spiele und entwickle Sachen und experimentiere. Und dann ist für mich das Fasten wichtig.
Das mache ich regelmäßig, um den normalen Gang der Dinge zu unterbrechen. Interessant in dieser
Zeit ist (zu beobachten) was für Träume kommen, was anders ist, weil nicht so viel Energie für die
Verdauung verbraucht wird. Der Geist ist klarer, ruhiger. Es gibt mehr Zeit, sich der Musik zu widmen.
Und ich achte viel auf Fehler. Fehler sind eine gute Inspiration. Wenn nicht etwas so läuft, wie ich es
mir vorstelle, greife ich es auf und lasse Dinge entstehen, im Moment. Ich hab das Gefühl, je mehr ich
durchlässig werde, desto besser wird der Yogaunterricht. Authentischer. Unmittelbarer. Und oft
schließen sich dann die Kreise: Ich habe einen Fahrplan und dann kommt eine Irritation, die alles
über Bord wirft und dann lasse ich mich drauf ein und am Ende ist alles genauso wie es sein sollte.
Mehr vom Tun weggehen, hin zum Geschehen. Das ist bei der Musik wichtig. Das Loslassen von „Ich
will jetzt ein Stück komponieren“, bis dahin, dass ich loslasse und gucke, was jetzt kommt. Dann wird
es besonders gut. Besonders kreativ. Besonders tief. Besonders ausdrucksstark. Sonst hat es die
Tendenz, dass die Musik konstruiert wurde.
GELDVERDIENEN: „DIE WELT IST GROß GENUG, DAMIT SIE FÜR ALLE WAS ABWIRFT.“
M: Dann wollte ich dich zur Arbeitswelt fragen, wie du mit Druck und Konkurrenz umgehst? Denn
kreativ zu sein, aber auch Ergebnisse zu bringen, um auf dem Markt bestehen zu können, stelle ich
mir als Widerspruch vor.
A: Idealerweise findet man eine Nische, wo man nicht dem Druck ausgesetzt ist, sondern der Freude
am Schaffen einfach folgen kann. Und dementsprechend der Druck nicht von außen kommt, sondern
einfach Freude da ist, dass man Schaffen kann. In der Kunst ist es immer schwierig, Geld zu
verdienen. Ideal ist es eine Nische zu finden, in der man es verbinden kann. Zum Beispiel mit dem
YOGA PIANO, damit sich der Druck auflöst. Denn die Welt ist groß genug, damit sie für alle was
abwirft. Natürlich muss man sich von der Erwartung verabschieden, dass man reich und berühmt
wird, wie es viele tun, sondern sich entspannen und es als Geschenk annehmen, dass man kreativ
leben darf. Das ist das größte Geschenk sowieso. Eine Segnung. An die Musik herangeführt worden
zu sein, und auch den unbändigen Willen zu haben, dran zu bleiben. Denn es gibt nichts Schöneres,
als es zu erleben: In der Musik zu sein. Durch die Musik. Wie die Musik durch einen hindurch fließt.
Und dann sind die anderen Sachen – ein einfaches Leben mit nicht viel Geld – kein Problem. Es macht
nichts. Wichtig ist, dass man es tun kann. Bob Dylan hat dazu gesagt: „Erfolgreich ist jemand, der den
ganzen Tag machen kann, was er möchte.“
KONKURRENZ: „DIE IDEE VON DEN VERSCHIEDENEN YOGASTILEN IST, MEINER MEINUNG NACH, EIN MISSVERSTÄNDNIS.
GENAU GENOMMEN GIBT ES GAR KEINE YOGASTILE – SONDERN NUR DIE PRAXIS AN SICH.“
M: Ist das auch deine Antwort auf das Konkurrieren: Wenn man hier entspannt ist, spielt es keine
Rolle?
A: Ich glaube, Konkurrieren wird etwas überschätzt. Jeder findet seinen Platz. Es heißt „Konkurrenz
belebt das Geschäft“. Da ist was dran, denn für die einen ist das gut. Für die anderen ist jenes gut.
Wenn ich die Erwartungshaltung habe, Marktführer zu sein und wenn da 10 andere sind, die auch
was vom Kuchen wollen, dann leide ich vielleicht darunter. Aber Konkurrenz ist eher
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kontraproduktiv. Es sollte eher in Richtung Kooperation gehen. Kooperation für Yoga zum Beispiel ist,
zusammen zu arbeiten. Wir unterstützen die gleiche Idee. Die Idee von den verschiedenen Yogastilen
ist, meiner Meinung nach, ein Missverständnis. Eigentlich gibt es gar keine Yogastile. Es ist eine
Konstruktion, um den Menschen eine Orientierung zu geben. Sie brauchen ein Label, irgendwas.
Eigentlich geht es darum, zu üben. Auch wenn alle behaupten, diese Methode ist besser als die
andere… Die Methodik ist nicht wichtig! Es ist wichtig, zu üben und in den Spiegel zu schauen. Das ist
eigentlich interessant. Die Methoden haben alle, wenn sie ehrlich sind, das gleiche Ziel: den Geist zu
beruhigen. Es gibt auch einige, die schreiben „Yoga“ aus und es ist nur Fitnesstraining. Die haben
nicht das gleiche Ziel. Denn eine Praxis ohne Philosophie ist Gymnastik. Das muss ich so klar sagen.
Nichts gegen Gymnastik. Das ist auch ok. Aber ohne Philosophie ist es reines Körpertraining. Dann ist
es kein Yoga. Aber andersrum, wenn ich Yoga nur intellektuell betreibe und nur Bücher lese, ohne zu
üben, ohne Pranayama, ohne Asana und ohne Meditation zu üben, dann ist es unbrauchbar. Denn
das verschafft schöne Phantasien, es wird aber nicht durch eine Praxis gelebt.
SPIRITUALITÄT: „DEM MENSCHSEIN IST ES INNEWOHNEND ZU SUCHEN.“
M: Möchtest du noch etwas hinzufügen? Ist dir noch etwas wichtig?
A: Alle Menschen sind in irgendeiner Form spirituell. Dem Menschsein ist es innewohnend zu suchen.
Der eine sucht es im Erfolg, der andere im Spaß, der andere im Urlaub, in Drogen, in was auch
immer. Dieses Suchen treibt uns an. In dem Sinne gibt es keine un-spirituellen Menschen. Es ist
hilfreich, herauszufinden, wonach suche ich eigentlich wirklich, wofür brenne ich, was sind meine
Fragen? Ist das, wonach ich suche, was mir Zufriedenheit bringt oder ist es ein Missverständnis?
Suche ich danach, möglichst wenig zu arbeiten und denke: Dann bin ich glücklich? Oder suche ich
danach, möglichst viel Spaß zu haben? Und wenn ich ganz viel Spaß habe, geht es mir besonders gut?
Das man sich konstant hinterfragt: Worum geht es mir eigentlich wirklich? Und wenn man dann
feststellt, was man wirklich möchte, dann auch den Mut zu haben, es wirklich zu tun..