Lewin als Filmemacher

Lewin als Filmemacher – Vortrag von Korbinian Klinghardt, M. A.
Meine Vorredner haben bereits eindrucksvoll herausgestellt, dass Kurt
Lewin ein herausragender Psychologe und Wissenschaftler war und mit
großer Leidenschaft theoretisch arbeitete. Lewin hatte jedoch auch den
Ruf eines großartigen Experimentators. Diesen anderen Lewin möchte
ich Ihnen nun vorstellen.
Dass er ein Querdenker war, einer, der aufgeschlossen und vorbehaltlos
an Dinge herangegangen ist, zeigt sich zum Beispiel an seiner Tätigkeit
als Filmemacher. Lewin war ein begeisterter Amateurfilmer. Anfang der
1920er Jahre drehte er seine ersten Kurzfilme. Sie zeigen seine eigenen
Kinder, und die seiner Bekannten, in ganz alltäglichen Situationen, zum
Beispiel beim Spielen im Garten.
Film war damals noch ein relativ neues Medium. 1895 fand die erste
öffentliche Filmvorführung durch die Brüder Lumière in Paris statt.
Gegen Ende der 1920er Jahre setzte sich der Tonfilm durch, ab den
1960er Jahren wurden die bewegten Bilder zunehmend farbig.
Wie viel ihm seine Aufnahmen bedeuteten, lässt sich daran erkennen,
dass Lewin die hohen Kosten, die für die Entwicklung der Filme
erforderlich waren, überwiegend selbst übernahm. Das Besondere an
Lewins Beschäftigung mit dem Medium Film ist, dass er ihm das
Potential zusprach, wissenschaftliches Arbeiten in der Psychologie zu
verändern.
1
In meinem Vortrag möchte ich darstellen, inwiefern die Entwicklung
und die Verbreitung der psychologischen Feldtheorie stets im
Zusammenhang mit Lewins Arbeit als Filmemacher zu sehen ist.
Ab 1921 arbeitete Lewin als Assistent am Psychologischen Institut in
Berlin, im Jahr darauf als Privatdozent. In dieser Zeit begann er mit der
Entwicklung der Feldtheorie und drehte seine ersten Filme.
„Walking Upstairs For The First Time“ heißt der Titel einer seiner
ältesten Filme aus dem Jahr 1924. In diesem ca. sechs Minuten langen
Stummfilm in Schwarz und Weiß ist die zweijährige Karin Köhler, die
Tochter des Berliner Gestaltpsychologen Wolfgang Köhler, zu sehen,
wie sie immer wieder versucht, eine kleine, dreistufige Gartentreppe
empor-, beziehungsweise herabzusteigen. Die Aufnahmen wirken
authentisch, nicht gestellt und fangen alltägliche Situationen in ihrer
ganzen Dynamik ein. Lewin wirkt hier wie ein Dokumentarfilmer, der
das Leben, wie es sich ihm vor der Linse präsentiert, abbilden möchte.
Weitere Filmaufnahmen aus dem Jahr 1925 wurden unter den Titeln
„The Child And The Field Forces“ und „Field Forces As Impediments
To
Performance“
zu
jeweils
ca.
15-minütigen
Kurzfilmen
zusammengefasst. Schon in den Titeln stellte Lewin Bezug zur
Feldtheorie her. Beide Kurzfilme bestehen aus vielen kurzen Sequenzen,
die mit englischsprachigen Zwischentiteln verbunden sind. Sie dienen
der narrativen Strukturierung und der feldtheoretischen Deutung der
bewegten Bilder. Ob Lewin die Zwischentitel einfügte, ist bis heute nicht
zweifelsfrei geklärt. Er gab seine Filme zu Lebzeiten gegen
Kostenerstattung weiter, und so kann nicht ausgeschlossen werden, dass
2
die jeweiligen Besitzer Texte in die Filme integrierten. Für Prof. Helmut
Lück und Prof. Armin Stock vom Adolf-Würth-Zentrum für Geschichte
der Psychologie scheint es allerdings plausibel anzunehmen, dass Lewin
nach seiner erzwungenen Emigration im Herbst 1933 in die Vereinigten
Staaten die Filmsequenzen zusammenstellte und die Zwischentitel
einfügte. Lewin drehte jedoch nicht nur Kurzfilme bzw. Stummfilme.
1931 erschien der ca. 60-minütige Tonfilm „Das Kind und die Welt“.
Lewin versucht darin die Ausweitung des kindlichen Lebensraums
darzustellen. Die Filmaufnahmen zu den Führungsstilexperimenten, die
Lewin zusammen mit Ralph K. White und Ronald Lippitt zwischen 1937
und 1938 durchführte, waren seine letzten.
Lewin hatte bei seiner Emigration in die USA ca. 50 Filmrollen, darunter
alle
seine
Kurzfilme
und
einige
seiner
privaten
Aufnahmen
mitgenommen. Doch der Großteil seiner Filme gilt als verschollen. Zwar
wurden einige seiner Filme in den 1970er Jahren an der University of
Kansas wiederentdeckt, doch die meisten waren von Schimmel befallen
und wurden vernichtet. Die bereits erwähnten Kurzfilme aus seiner
Berliner Zeit konnten weiterhin aufbewahrt werden - Lewin hatte sie
nämlich auf Sicherheitsfilm kopiert.
Das Medium Film hat einen wichtigen Beitrag zur Popularisierung der
Feldtheorie geleistet. Das zeigt sich u. a. daran, dass Lewin in zahlreichen
entwicklungspsychologischen Publikationen und Referaten, Bezug auf
seine Filme nahm. Ein Beispiel dafür ist der 1927 publizierte Aufsatz
3
„Kindlicher Ausdruck“. Er untersucht darin die Kräfte und Faktoren des
Gesamtfeldes, die für den kindlichen Ausdruck entscheidend sind.
Die Standbilder stammen u. a. aus den Kurzfilmen „Field Forces As
Impediments To Performance“ und „The Child And The Field Forces“.
Bemerkenswert
ist,
Illustrationsmaterial
dass
Lewin
verwendete,
die
Bilder
sondern
nicht
auch
nur
als
ihren
Demonstrationswert reflektierte. Zur Darstellung des mimischen
Ausdrucks eignen sich die Standbilder seiner Meinung nach nur bedingt.
Sie stellen eine unbefriedigende Notlösung dar, denn das einzelne Bild
sei bloß „ein unselbständiges Moment eines Geschehensablaufs“ 1. Es
dürfe vom Betrachter „nicht als isoliertes Moment verstanden werden“ 2,
konstatiert Lewin. Mit Hilfe der Photographie lässt sich nur ein Moment
in einem Bild festhalten. Der Filmapparat hingegen speichert den ganzen
Geschehensablauf in vielen Bildern.
Nicht nur durch Standbilder in entwicklungspsychologischen Studien,
sondern auch durch die Präsentation der Filme auf Kongressen konnte
Lewin seine Feldtheorie populärer machen. Besonders berühmt ist sein
Vortrag auf dem 9. Internationalen Psychologen-Kongress 1929 an der
Yale Universität in New Haven. Lewin referierte dort auf Deutsch („Die
Auswirkung von Umweltkräften“), daher konnten nur sehr wenige
Teilnehmer seinen feldtheoretischen Erörterungen folgen. Doch mit der
Filmsequenz, in der sich die kleine Hannah auf einen Stein zu setzen
versucht, gelang es ihm, einige grundlegende Aspekte seiner Feldtheorie
verständlich
1
2
zu
machen,
zum
Lewin, Kurt (Kindliche Ausdrucksbewegung, 1927, S. 503).
Ebd., S. 503.
4
Beispiel
den
positiven
Aufforderungscharakter
bei
Dingen
und
das
Verhalten
in
Konfliktsituationen.
Über den didaktischen Erfolg der Projektion äußerte sich der USamerikanische Psychologe Gordon Allport folgendermaßen:
„Dieser kluge Film trug entschieden dazu bei, dass einige
amerikanische Psychologen ihre eigenen Theorien über die Natur
des intelligenten Verhaltens und des Lernens revidierten.“3
Ähnlich anerkennend äußerte sich der damals noch in Harvard lehrende
Psychologieprofessor, Donald MacKinnon:
„Er [Lewin] besaß die geniale Fähigkeit, einem Kind mit seiner
Kamera zu folgen und mit Hilfe winziger Verhaltensbeispiele seine
bereits entwickelten Prinzipien zu illustrieren. Und er kam herüber
als ein außerordentlich faszinierender Mann – fasziniert von dem,
was er tat, und von der Weise, in der es sich darstellen ließ.“4
Nach diesem entwicklungspsychologischen Referat erhielt Lewin die
Einladung für eine sechsmonatige Gastprofessur an der Stanford
Universität. Die Vorführung des Films trug also maßgeblich dazu bei,
dass Lewin seine wissenschaftliche Reputation und die Bekanntheit der
Feldtheorie in den Vereinigten Staaten steigern konnte.
Wie und mit welcher Ausrüstung filmte Lewin? Das Psychologische
Institut stellte ihm eine 35mm-Kamera zur Verfügung. Diese Kamera
verwendete Lewin zum Beispiel für Filmaufnahmen auf dem Gebiet der
Trieb-, Affekt- und Ausdruckspsychologie. Gemeinsam mit Studenten
des
3
4
Psychologischen
Instituts
der
Allport, Gordon, zitiert nach: Marrow, Alfred J. (2002, S. 107).
MacKinnon, Donald, zitiert nach: Marrow, Alfred J. (2002, S. 107).
5
Berliner
Friedrich-Wilhelms-
Universität (heute: Humboldt-Universität zu Berlin) dokumentierte
Lewin in den 1920er Jahren die Anomalien des Trieb- und des
Willenlebens und die Anomalien des affektiven Geschehens von
Kindern eines Heilerziehungsheims. Diese Filmaufnahmen gelten zwar
als
verschollen,
doch
in
dem
1926
erschienenen
Aufsatz
„Filmaufnahmen über Trieb- und Affektäußerungen psychopathischer
Kinder“ gibt Lewin aufschlussreiche Einblicke in seine Arbeit als
Filmemacher.
Sein primäres Ziel war es, eine Gesamtsituation zu schaffen, in „der der
Filmapparat [...] selbst möglichst wenig in Erscheinung tritt“ 5. Er
versuchte also das mediale Setting, zum Beispiel Kameratechnik und
Kameramann zu verbergen. Damit die Versuchspersonen die Kamera
bei Außenaufnahmen nicht zu sehen bekamen, versteckte sich Lewin
hinter eine Hecke oder in einem Zelt und filmte durch einen Schlitz nach
draußen.
Neben der Kamera des Psychologischen Instituts verfügte Lewin noch
über eine private Filmkamera, den Kinamo mit Federwerk, der Dresdner
Firma Ica AG (Ica steht für Internationale Camera Actiengesellschaft).
Das Federwerk regelte den Filmvorschub automatisch, man musste also
nicht mehr kurbeln. Außerdem machte es die Kamera leichter. Der
Kinamo wog lediglich 1,5 Kilogramm. Lewin schätzte den Kinamo sehr,
weil er damit, verglichen mit der großen Kamera des Psychologischen
Instituts, flexibler und mobiler war.
5
Lewin, Kurt (Filmaufnahmen über Trieb- und Affektäußerungen psychopathischer K, 1982, S. 74).
6
Der Psychologe Lewin war nicht nur Filmemacher, sondern auch
Medien- beziehungsweise Filmtheoretiker. An der Basis seines
filmtheoretischen Denkens stand die Frage, wie das Medium Film die
psychologische
Forschung
verändert,
d.
h.
welche
konkreten
methodischen Implikationen sich aus der Verwendung der Filmtechnik
in
den
psychologischen
Versuchsanordnungen
ergeben.
Dem
griechischen Wortursprung entsprechend – Kinema: gr. kinesis =
Bewegung/ graphie: gr. gráphein = schreiben – lässt sich der Begriff
Kinematographie mit „Einschreiben von Bewegung“ übersetzen. Die
Filmkamera ist für Lewin ein technisches Hilfsmittel, ein optisches
Instrument, das es erlaubt, das optisch wahrnehmbare Verhalten eines
Menschen in seiner zeitlichen Entfaltung zu registrieren. Analog zum
Mikroskop, das dem untersuchenden Subjekt erlaubt, den Raum zu
beherrschen, indem es in Mikrobereiche eindringt, die dem bloßen Auge
nicht zugänglich sind, gewährleistet der Film Kontrolle über die
Dimension
der
Zeit.
Lewin
betont,
dass
sich
alle
Bewegungskomponenten des „sich in Bruchteilen von Sekunden in
Mimik und Gestik abspielende[n] Interaktionsverhalten[s]“6 mit der
Filmkamera festhalten lassen. Diese registrierende und dokumentarische
Kraft prädestinieren das Medium Film als Forschungsinstrument einer
Psychologie, die sich als Verhaltenswissenschaft versteht.
In dem Kurzfilm „Field Forces As Impediments To Performance“ von
1925 kann man sehr gut erkennen, wie Lewin sein Filmmaterial zu einem
psychologischen Lehrfilm zusammenbaute, wie er mithilfe von
Thiel, Thomas (Film- und Videotechnik in der Psychologie. Eine erkenntnistheoretische Analyse mit Jean Piaget und ein
historischer Rückblick auf Kurt Lewin und Arnold Gesell, 1997, S. 363).
6
7
Zwischentiteln eine narrative Struktur schuf und wie er mittels
komplexer Grafiken die Bilder feldtheoretisch deutete.
Der Film dauert circa 14 Minuten und ist in zwei Teile aufgeteilt. Im
Gegensatz zu den Aufnahmen im Heilerziehungsheim versuchte Lewin
bei diesen Aufnahmen nicht, das mediale Setting zu verbergen.
Manchmal sieht man sogar eines der Kinder, wie es in die Kamera blickt.
„Part I. Hannah (1;7) tries to sit down on a stone“ dauert exakt sechs
Minuten und „zeigt die Schwierigkeiten eines etwa 1 ½ jährigen Kindes,
sich auf einen niedrigen Stein zu setzen“7. Für Lewin ist in dieser
Filmsequenz eine Alltagssituation zu sehen, „die <<einfach>>, aber in
ihrer konkreten Individualität gut definiert“8 ist und sich daher in
besonderer Weise zur Analyse „der psychologischen Umweltkräfte“9 und
„ihrer Wirkung auf kindliches Verhalten“10 eignet. Hannah schafft es
lange Zeit nicht, sich auf einen Stein, das Objekt mit positivem
Aufforderungscharakter, zu setzen. Das junge Mädchen wird sehr
unruhig und läuft in kreisförmigen Bahnen um diesen Stein. Sehr spät
erkennt sie, dass sie sich vom Objekt abwenden muss, um ihr Ziel zu
erreichen. Erst wenn Blick- und Handlungsrichtung nicht mehr
übereinstimmen (Blick nach vorne; Bewegung nach hinten), kann sie sich
rückwärts auf den Stein setzen.
Die Filmaufnahmen des zweiten Teils („Part II. The form of the restless
movement“) widmen sich dem Phänomen der motorischen Unruhe.
Feldkräfte sind in Lewins Theorie keine Kräfte im physikalischen Sinne.
Lewin, Kurt (Die Auswirkung von Umweltkräften, 1982, S. 327).
Lewin, Kurt (Umweltkräfte in Verhalten und Entwicklung des Kindes, 1982, S. 171).
9 Ebd., S.172.
10 Ebd., S. 172.
7
8
8
Dennoch lassen sie sich empirisch und funktional durch ihre Wirkung
auf das Verhalten von Menschen nachweisen.11 Zur Illustration der
psychologischen Umwelt und der darin wirkenden Kräfte verwendet
Lewin zu Beginn des zweiten Teils verschiedene Grafiken. Damit soll
veranschaulicht werden, dass Kinder stets darum bemüht sind, die
physische Entfernung zwischen sich und dem Objekt mit positivem
Aufforderungscharakter möglichst gering zu halten, falls sie sich dem
Objekt nicht weiter nähern können. Im Falle der Unerreichbarkeit des
Zielobjekts ergeben sich Unruhehandlungen, die senkrecht zur Richtung
der Feld-Vektoren verlaufen.
Die Aufnahmen zeigen den Versuchsleiter, der innerhalb eines kleinen
Gerüsts Bauklötze zu einem Turm zusammenbaut. Günther, ein kleiner
Junge, befindet sich außerhalb des Gerüsts, möchte aber unbedingt mit
den Klötzen spielen. Die Versuche des Jungen, über das Gerüst zu
steigen schlagen zunächst fehl. Ähnlich wie bei Hannah zeigt sich auch
bei Günther eine sich allmählich verstärkende motorische Unruhe, die
sich in kreisförmigen Laufbewegungen um das Hindernis herum äußert.
Als Günther seine Lauftätigkeit kurz unterbricht, um eine Handvoll Sand
vom Boden aufzuheben, um sie dem im Bildhintergrund knienden
Beobachter zu geben, ist er kurzzeitig nicht mehr im Bildfeld der
Kamera. Günther ist sehr aufgeregt und rennt um das Hindernis.
Schließlich gelingt es ihm, den Turm aus Bauklötzen zu erreichen, indem
er unterhalb der Stangen hindurch kriecht. Innerhalb der kreisförmigen
Barriere zerstört er den Turm und beginnt mit den Klötzen zu spielen.
11
Lewin, Kurt (Umweltkräfte in Verhalten und Entwicklung des Kindes, 1982, S. 178).
9
Während er spielt, erscheint erneut der Beobachter. Er nimmt die
Bauklötze und baut den Turm außerhalb des Hindernisses wieder auf.
Günther versucht auszubrechen, um wieder zu den Klötzen zu gelangen.
Nach etlichen gescheiterten Versuchen, über die Barriere hinweg zu
steigen,
gelingt
es
ihm
schließlich
unter
dem
Hindernis
hindurchzukriechen.
Lewin demonstriert mit dieser Sequenz seine These, dass das Kind
versucht die kürzest mögliche Entfernung zum angestrebten Objekt zu
halten, und „nicht etwa durch die kreisrunde Form der Barriere zum
Kreisen veranlaßt“12 wird. Denn in den weiteren Versuchsanordnungen,
in denen „man das Kind in den Ring und den lockenden Gegenstand
nach außen“13 verlagerte, „unterbleibt [...] das Kreisen“14. Dies lässt sich
feldtheoretisch dadurch erklären, dass kreisförmige Unruhehandlungen
dann „nicht mehr der Richtung <<senkrecht zu den Feldkräften>>
entsprechen“15.
Die Filmaufnahmen zeigen noch etwas Weiteres, was für Lewins
Theoriebildung sehr bedeutsam ist. Günther wendet sich seiner Mutter
zu und erwartet von ihr Hilfe, um sich aus dem eisernen Gerüst zu
befreien. Die Hinwendung des Jungen zur Mutter wertet Lewin als Beleg
dafür, dass für die „Topologie eines psychischen Feldes neben den
physikalisch-geographischen“16 auch „die sozialen Momente der
Situation voll in Rechnung zu stellen sind“17.
Lewin, Kurt (Die Auswirkung von Umweltkräften, 1982, S. 328).
Ebd., S. 328.
14 Ebd., S. 328.
15 Ebd., S. 328.
16 Lewin, Kurt (Die Auswirkung von Umweltkräften, 1982, S. 328).
17 Ebd., S. 328.
12
13
10
Der österreichische Medientheoretiker Ramón Reichert sieht in diesen
Aufnahmen Versuchsanordnungen, die exemplarisch sind, für die „auf
gewöhnlichen
Situationen
Feldexperimente“18.
Paradigmenwechsel
Reichert
in
des
zufolge
der
Alltagslebens
repräsentieren
aufgebaute[n]
sie
einen
„Experimentalkultur
des
Menschenversuchs“19. Immer mehr Psychologen widmeten sich in den
1920er Jahren Versuchsanordnungen im offenen Milieu, im Feld und
nicht mehr nur im Labor. Lewins Kurzfilme sind also nicht nur aus
medien-, sondern auch aus psychologiegeschichtlicher Perspektive sehr
bedeutend. Sie belegen, wie sich „der psychologische Zugriff auf einen
bestimmten Menschen in einer konkreten Situation“20 zur zentralen Aufgabe
der beobachtenden Experimentalkultur entwickelte.
Dass sich die Filmaufnahmen von Günther bestens dazu eigneten,
feldtheoretische Aspekte zu erklären, zeigt sich in Lewins Äußerung:
„Ein netter Junge, ganz nach meiner Theorie.“21
Reichert, Ramón (2009, S. 156f).
Ebd., S. 156.
20 Ebd., S. 157.
21 Lewin, Kurt, zitiert nach: Zeigarnik, Bluma W. (1984, S. 106).
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